Otto Ludwig
Der Erbförster
Otto Ludwig

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Dritter Aufzug

Grenzschenke.

Erster Auftritt

Lindenschmied. Wirt. Möller tritt herein; nach ihm Frei.

Möller. Herr Wirt, ein Glas. (Für sich.) Wird ja nunmehr seinen Weg vollends heimfinden, der Buchjäger. Von der Mühle da am Heimlichen Grund hat er kaum eine Viertelstunde nach Haus. – Einen guten Abend.

Frei (noch außen). Ein Glas im Vorübergehn. (Tritt ein.) Da hinüber ins Herzogliche. Da geht's lustig zu.

Wirt. Gott behüt' uns vor der Sorte Lustigkeit. Wohl bekomm's, Herr Buchhalter!

Möller. Eine schöne Gesellschaft!

Wirt. Wollen Sie sich nicht setzen, Herr Buchhalter?

Möller. Danke. Ich muß noch nach dem Hochofen den Abend; meine Leute sind schon voraus. (Für sich, indem er das Glas an den Mund nimmt.) Auf glückliches Zustandebringen der Heirat mit Löhlein und Kompagnie.

Frei. Da drüben weiß man schon nicht mehr, was oben und was unten ist, und bei uns geht's heut oder morgen noch los. Der Erbförster hat sich schon in seinem Jägerhaus verbarrikadiert.

Wirt. Dummes Zeug. Der! Die Gewissenhaftigkeit selbst!

Frei. Man ist so lange gewissenhaft, als es geht. Ein Hundsfott, der's eine Stunde länger ist. Den Buchjäger will er oder seine Leute erschießen, wo sie ihn finden. (Gebärde.) Und der Erbförster fackelt nicht; da kenn ich den alten Teufelskerl mit seinem weißen Schnauzbart.

Lindenschmied (heiser lachend). Oho!

Frei (sieht sich nach ihm um). Wollt Ihr etwa dem Buchjäger seine Partei nehmen? Was, Lindenschmied?

Lindenschmied (wie vorhin). Dem Buchjäger seine –

Frei. Weiß jedes Kind, wie lieb Ihr den habt.

Lindenschmied (mit Gebärde, wie vorhin). Haha!

Frei. Der Weiler hat's den Erbförster selbst sagen hören. Und ich sag Euch, was der Erbförster sagt, das ist so gut, als hätt's ein anderer schon getan.

Lindenschmied. Wird sich hüten der – der Erbförster – (Gedämpft.) Wenn die nicht wären, die am grünen Tisch. Und der nicht wär', der – (Deutet pantomimisch an, daß er den Nachrichter meint.)

Frei. Der hat aufgehört. Der – Denn jetzt ist's (schlägt auf den Tisch) Freiheit! Der Erbförster soll leben! Und wer's schlimm mit ihm meint – ich zeig auf niemanden –

Möller (eilig). Hier, Herr Wirt. Schon fast acht.

Wirt. So eilig, Herr Buchhalter?

Möller. Im Hochofen warten sie auf mich.

Wirt. Sie bekommen –

Möller (schon an der Tür). Laß Er nur. Ich behalt es gut auf morgen. (Ab.)

Zweiter Auftritt

Vorige, ohne Möller.

Frei (steht auf; die Faust hinter ihm her ballend). Nichts sollt ihr gut behalten, du und deinesgleichen da. Es soll euch alles bezahlt werden. Lindenschmied, geht Ihr mit da hinüber ins Herzogliche?

Lindenschmied. Hab meinen Weg für mich. (Kommt vor.) Die hinter ihrem grünen Tisch! Daß ein ehrlicher Kerl erschrickt, wenn ein Blatt rauscht, und hinter sich sieht, ob nicht der Büttel hinter ihm drein ist.

Frei. Wird umgeworfen der, der grüne Tisch – sag ich Euch. In zehn Jahren soll's niemand mehr erfragen können, was so'n Büttel 'mal für ein Ding gewesen ist. Jetzt ist Freiheit, und die Ordnung hat aufgehört; jeder kann machen, was er will, kein Büttel mehr, kein grüner Tisch mehr, sag ich Euch; kein Turm, keine Ketten. Hätt' der Herrgott die Hasen expreß für den Edelmann gemacht, so hätt' er ihnen gleich sein Wappen in den Pelz gebrannt. War eine Kleinigkeit das für einen Mann wie der Herrgott. Das wissen die Menschen jetzt, daß die in den Zuchthäusern verehrungswürdige Dulder sind, und die Vornehmen sind Spitzbuben, und wenn sie noch so ehrlich wären. Und die Fleißigen sind Spitzbuben; denn die sind schuld, daß die braven Leute, die nicht arbeiten mögen, arm sind. Das könnt Ihr in den Blättern gedruckt lesen. Und wenn der Erbförster den Buchjäger vornimmt (Pantomime), so kann ihm niemand was anhaben drum; denn der Buchjäger hat die ehrlichen Leute ins Zuchthaus gebracht, wenn sie gestohlen hatten.

Lindenschmied. Und wird nicht gestraft? Nicht? Und auch ein anderer nicht, wenn er's tut?

Frei. Und auch ein anderer nicht, sag ich Euch. Da drüben haben die ehrlichen Leute das Schloß angebrannt und geplündert; mehre Menschen sind dabei verunglückt; kräht kein Hahn danach. Wer jetzt so was auszuwetzen hat. Und der Ulrich braucht nicht weit zu laufen; der Buchjäger torkelt da im Heimlichen Grund herum, hat den Hut verloren –

Lindenschmied (fährt krampfhaft hastig in die Taschen). Und nichts – gar nichts – nicht ein stumpfes Messer bei mir!

Dritter Auftritt

Andres. Vorige.

Andres (hereintretend). Ist das heiß hier! (Er nimmt sein Tuch ab.) Guten Abend. (Wickelt das Tuch um das Flintenschloß und lehnt die Flinte neben sich an.) Daß sich niemand da vergreift; die Flinte ist geladen. (Zum Wirt.) Ich weiß nicht, was das ist. Wird mir auf einmal so elend da herum. Ich wollte auf meinen Bruder warten an der Grenze.

Wirt. Machen Sie sich's bequem, Herr Forstgehilfe.

Andres. Noch kommt der Wilhelm wohl nicht. (Er wirft sich auf eine Bank, legt bald die Arme auf den Tisch und den Kopf darauf.)

Frei (schlägt sein Glas auf den Tisch auf). Noch eins, Wirt. Und das ist Gnade, daß ich jetzt bei Ihm trinke, wo's noch was kostet. In acht Tagen muß Er schaffen, und kein ehrlicher Mensch braucht Ihm mehr einen Pfennig zu bezahlen dafür, sag ich Ihm.

Lindenschmied (von nun an unverwandt bald nach Andres, bald nach der Flinte schielend). Wenn er einschlief einmal – der da! (Über den Tisch gelehnt zu Frei heimlich.) Da im Heimlichen Grund, sagt Ihr? – Und meint Ihr auch gewiß, Frei, daß nichts mehr gestraft wird?

Frei. Vorurteil, sag ich Euch. Wenn Ihr was anstellt und sie hängen Euch, sollt Ihr mich einen Schuft nennen Euer Leben lang. Seht Ihr. Was man sonst einmal Treu' und Ehrlichkeit genannt hat, das haben uns die alten Weiber weisgemacht. Und ein Kerl, der sein Wort hält, das ist ein Schuft, und so einem trau ich nicht über die Türschwelle. Das Volk ist ehrlich an und für sich, weil's das Volk ist. Ihr sollt nur die Herren da reden hören; war ein Professor dabei, der muß es wissen.

Lindenschmied (führt ihn vor). Aber mit dem Gewissen? Und von wegen mit dem da drüben?

Frei. Vorurteil. Nichts weiter, sag ich Euch.

Lindenschmied. Hab's immer gedacht das; aber sonst durfte man so was nicht sagen.

Frei. Dem Volk haben sie von Himmel und Hölle weisgemacht, damit der gnädige Herr seine Hasen allein behalten sollte. Den armen Leuten haben sie von Kind an ein Gewissen eingetrichtert, damit sie sich's gefallen lassen sollten, wenn die Reichen herrlich und in Freuden lebten.

Lindenschmied. Und er ist im Heimlichen Grund?

(Der Wirt wird aufmerksam.)

Frei. Wer?

Lindenschmied. Der – (Knöpft sich ein.)

Frei. Wo wollt Ihr hin?

Lindenschmied. Schulden bezahlen, eh' die Welt neu wird. (Während er Andres verstohlen beobachtet, mit der Linken in der Westentasche, um den Wirt zu bezahlen.) Kann's nur nicht herauskriegen da mit der –

Frei. Eure Finger an der Linken sind steif –

Lindenschmied (mit Gebärde). Die an der Rechten werden noch krumm.

Frei. Habt Ihr einen Fluß gehabt?

Lindenschmied (heiser lachend). Ja, einen bleiernen. Zwei Lot Pulver und drei Schrot. (Er spricht immer gedämpft, um den Andres nicht zu wecken.) Ein Denkzettel von dem da im Heimlichen Grund –

Frei. Vom Buchjäger?

Lindenschmied. Weil ich Taler schlug aus dem Strahlauer Herrn seinen Rehen. Lief ungemünztes Geld genug im Wald herum.

Frei. Noch eins, Wirt! (Gibt dem sein Glas.)

Lindenschmied (in sich verloren, allein im Vordergrund). Sechsmal lief ich hinaus, wo er vorbeikommen sollte; aber er kam mir nicht. Damals war das Gewissen noch Mode. Da dacht' ich: jetzt soll's nicht sein, und verschob's, wenn er mir einmal von selber käme, so daß ich sehn müßte, es sollte sein. Nächte lang hat's mich gewürgt wie der Alp und von meinem Blut gezehrt, daß ich nicht an ihn sollte, und jetzt – hahaha! (Lacht krampfhaft kurz, weckt sich damit aus seinen Gedanken und sieht sich betreten um.)

Frei. Habt Ihr gelacht, Lindenschmied?

Lindenschmied. Weiß nicht, ob ich's war.

Frei. Ihr habt eine kuriose Lache. Geht Ihr mit, Lindenschmied? Ins Herzogliche?

Lindenschmied (schlägt ihn auf die Schulter). Mann, jetzt ist Freiheit! Hab meinen eignen Weg.

Frei. Meinetwegen! (Tritt in den Hintergrund zum Wirt.) Was hab ich zu zahlen zu guter Letzt? Hier; gebt heraus.

Wirt. Da sind drei, vier –

(Lindenschmied hat den Augenblick benutzt, wo niemand ihn beobachtet, Andres' Flinte verstohlen hinwegzunehmen, und eilt mit derselben ab.)

Frei. Welche Zeit, Wirt?

Wirt. Achte durch.

Frei (im Abgehn). Adies!


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