Otto Ludwig
Der Erbförster
Otto Ludwig

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Neunter Auftritt

Wilhelm. Vorige.

Wilhelm. Vater, der Andres ist draußen und will nicht herein. Ich hab's ihm gesagt, daß du ihn gerufen hast.

Försterin. Komm, Wilhelm, wir wollen hinaus zum Andres –

Förster. Stille da, Weib! Daß ihr ihn vollends konfus macht mit Lamentieren? Entweder ihr verhaltet euch ruhig, oder ihr geht da hinaus, und ich zieh hinter euch den Schlüssel ab. (Er geht feierlich nach der hintern Türe.) Andres! Du kommst sogleich herein. Hörst du?

Zehnter Auftritt

Andres. Vorige.

Andres (in der Tür; wie er die Menschen sieht, will er zurück).

Förster. Andres, du kommst herein. Vor deinen Vorgesetzten. (Setzt sich wie zu einem Verhör.)

(Förster, Försterin, Weiler, Wilhelm auf der linken Seite; Pastor, Wilkens auf der rechten; Andres, der niemand anzusehen wagt, in der Mitte.)

Hierher, Forstgehülfe Andres Ulrich. Wo kommst du her?

Andres. Vom Gehege, Vater.

Förster. Wo hast du deine Flinte, Andres Ulrich?

(Andres schweigt.)

Wer hat sie?

Andres (dumpf). Der Buchjäger.

(Förster steht unwillkürlich auf.)

Försterin (voll Angst). Ulrich!

Förster (setzt sich wieder). Hier hat niemand zu reden als der Forstgehülfe Ulrich und sein Vorgesetzter. Andres –

Andres. Vater-

Förster. Warum siehst du mich nicht an?

Andres. Ich kann niemand mehr unter die Augen sehn. Ich will als Schiffsjunge nach Amerika. Laß mich, Vater!

Förster. Junge, du hast zu antworten, wenn dich dein Vorgesetzter fragt. Was hat der Buchjäger? Heraus damit.

Andres. Ich war eben drüber, die Ahornpflanzen in der Baumschule herauszunehmen –

Förster. Wie ich dir befohlen hatte.

Andres. Da kam der –

Förster. Der Buchjäger. Weiter, Andres Ulrich.

Andres. Mit sechs Holzhauern vom Brandsberg her –

Förster. Vom – weiter, Andres Ulrich.

Andres. Er war betrunken –

Weiler (halblaut). Wie gewöhnlich. (Auf einen Blick des Försters, als hätt' er nichts gesagt.)

Andres. Und die Holzhauer waren's auch. Er ließ die Korbflasche umgehn. »Hier wird angefangen«, sagt' er; »der Ulrich hat schöne Wirtschaft gemacht«, sagt' er; »darum ist er abgesetzt.« Wie er das gesagt hatte, trat ich vor –

Förster. Tratst du vor – (Steht auf.)

Andres. Und sagte, er wär' ein elender Verleumdet. Und übrigens hab' er nichts anzuordnen im Forst.

Förster (streckt sich). Im Forst.

Andres. Und sollte gehn, wohin er gehörte.

Förster (nachdrücklich). Gehörte. (Setzt sich.) Und der –

Andres. Lachte –

Förster (steht auf, setzt sich wieder, pfeift und trommelt vor sich auf dem Tisch; dann). Weiter –

Andres. Und sagte: »Was will der Kerl?«

Förster (mit starker Stimme). Andres!

Andres. Vater –

Förster. Und du? Weiter, weiter.

Andres. »Hat da Pflanzen aus meinem Forst in der Hand? (Leise.) Haltet mir doch den Holzdieb, den Pflanzenstehler!«

Förster (kleine Pause). Und die –

Andres. Hielten mich.

Förster. Und du –

Andres. Es waren zuviel – mein Wehren half mir nichts.

Förster (der den Kampf mitkämpft). Half nichts; es waren sechs über einem.

Andres. Ich war wütend, wie ich sah, was er wollte. Sie zogen mich – aus. Ich sagte, er sollte mich erschießen, sonst wollt' ich's ihn, wenn er mich lebendig gehn ließe. Dazu lacht' er. Die – mußten – mich – halten –

Förster (springt auf). Und der –

Andres (widerstrebend, flehend). Vater –

Förster. Und der hat –

Andres. Hat –

Förster (schwach). Hat –

Andres (außer sich). Vater, ich kann's nicht sagen. Das hat mir noch kein Mensch getan auf der Welt!

Förster (tiefatmend). Stille jetzt. Sag's hernach – Andres. (Pause, er geht bei Andres vorüber, der nun zur Försterin tritt.) Schönes Wetter heut, Herr Pastor – zuckt mich da auf einmal wieder der alte Fluß im Arm. – Und die Mücken spielen so tief. – Es wird noch Gewitter geben heut. – Andres, er hat dich – ich hab's nie, und ein Fremder – ein – sag nichts, Andres – ich versteh dich. (Macht Schritte.)

Försterin (zu Andres). Daß du auch den Buchjäger gestern gereizt hast!

Weiler. Hab ich's nicht prophezeit?

Försterin. Du bist totenblaß. Ich will dir Tropfen geben –

Förster (bleibt straff vor Andres stehn, die Försterin weicht ängstlich zurück). Hör, Andres. Und Er, Weiler.

(Weiler kommt vor.)

Aufgepaßt. Wer in meinen Forst kommt mit der Flinte – angerufen! Versteht ihr mich?

Weiler. Hm.

Förster. So ist die Instruktion. Angerufen! Ich bin der Förster und niemand sonst, und ihr seid meine Leute. Der Herr und sein Sohn passieren. Wer aber sonst in meinen Forst kommt mit einer Flinte, hört ihr? mag's sein, wer's will; mag er einen grünen Rock am Leibe haben oder nicht – der ist ein Wildschütz, der wird angerufen: »Halt! Flinte weg!« Wie's die Instruktion besagt. Wirft er sie hin, gut; wirft er sie nicht hin, draufgebrannt – wie's die Instruktion besagt. – Und du Wilhelm, gehst auf der Stelle zum Advokat Schirmer in der Stadt. Dem erzählst du alles. Er soll eine Klage machen gegen den Stein und seinen Buchjäger und soll sie einreichen bei den Gerichten. Vergiß nichts, Wilhelm; daß mein Vater und mein Großvater die Stelle hatten, daß sie mich den Erbförster heißen, das Exempel vom Rupert in Erdmannsgrün; es wird nicht nötig sein, aber aus Vorsicht; daß der Forst offen liegt gegen Mitternacht und Abend, vergiß mir nicht. Und daß der Stein mich absetzen will, weil ich nicht als ein Schurke an ihm handeln will. Wenn du jetzt gehst, kannst du noch vor Nacht wieder heimkommen. Andres und ich begleiten dich bis an die Grenzschenke. Da kann dich der Andres abends erwarten, wenn du wiederkommst. (Zu Andres, der unter den Flinten wählt.) Nimm die doppelläufige mit dem gelben Riemen, Andres. Ich nehm die andere.

Andres (tut es). Mutter, ein Tuch; mich überläuft es so kalt.

Försterin (holt es aus dem Schranke). Aber du solltest heimbleiben, Andres, auf den Ärger. (Hilft ihm das Tuch um den Hals binden.)

Wilkens. Und Er sieht nicht, daß Er absolut Unrecht behalten muß? Er ist mit sehenden Augen blind?

Pastor. Des Absetzens wegen wollen Sie klagen? Das können Sie nicht.

Förster (der sich unterdessen den Hirschfänger angesteckt). Das kann ich nicht? So ist's recht, daß er mich absetzen will?

Pastor. Unbillig ist's gewiß; unrecht vor dem Herzen, aber nicht vor dem Gericht.

Förster. Was vor dem Herzen recht ist, das muß auch vor den Gerichten recht sein.

Pastor. Wenn Sie sich's erklären lassen wollten –

Förster. Erklären? Hier ist alles klar bis auf Ihre Hirngespinste da, womit einen die Herren eintreiben möchten, daß man an seinem eignen Verstand irrwerden soll. Mit Aber und Wenn, das kenn ich. Die Aber und Wenn, die kommen ganz oben aus dem Kopfe; da weiß das Herz nichts davon; das sind Praktikenmacher. Nun gut, Herr Pastor, erklären Sie doch einmal. Aber mit Ja und Nein. Was drüber ist, das ist vom Übel. Die Aber und Wenn sind vom Übel. Der Herr Stein will mir meine Ehre nehmen; meine Treu' und Rechtschaffenheit will er mir mit Schande vergelten; in meinem fünfundsechzigsten soll ich dastehn als ein Schurke. Nun, Herr Pastor, auf Ja und Nein: ist das recht?

Pastor. Auf Ja und Nein? – Freilich; recht ist's nicht im gewöhnlichen Sinne, aber –

Förster (fällt ein, siegreich). Also recht ist's nicht? Und wenn's nicht recht ist, so muß es unrecht sein. Und dazu sind die Gerichte da auf der Welt, daß Unrecht nicht geschehen soll. Mich soll kein Mensch irrmachen an meinem guten Recht; und der ist mein Freund gewesen für immer, der mir noch das Wort vom Nachgeben spricht. Amen. Wenn's nur ein Aber brauchte, Unrecht aus Recht zu machen, so wollt' ich lieber unter den Wilden leben, so wollt' ich lieber das erbärmlichste Tier sein auf Gottes Erdboden als ein Mensch. Seid ihr fertig, Jungens?

Andres und Wilhelm. Ja.

Förster. So kommt, Jungens. Alles andere kann zum Teufel gehn, Herr; aber Recht, Herr, Recht muß Recht bleiben!

(Indem er geht und die andern folgen, fällt der Vorhang.)

(Ende des zweiten Aufzugs.)


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