Otto Ludwig
Der Erbförster
Otto Ludwig

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Vierter Aufzug

Jägerhaus.

Dämmerung.

Erster Auftritt

Wilkens. Die Försterin.

Wilkens. Ihr Mann ist abgesetzt; da beißt die Maus nicht den Faden ab. Und wenn er bleiben will, ist's just der verkehrte Weg, den er da einschlägt; durch Aufruhr darf sich's schon der Stein nicht abtrotzen lassen. Der Buchjäger ist jetzt Förster. Hm. Der Buchjäger ist ein brutaler Mann; aber hier ist er im Recht. Wenn Sie nun zusammenrennen, Ihr Mann und der Buchjäger? Und jeder den andern als Wilddieb behandeln will? Oder der Buchjäger noch einmal über den Andres gerät? Und der tut, was ihm sein Vater befohlen hat? Oder der Andres und der junge Stein geraten aneinander? Hm. Und im besten Fall so ist der Ulrich ein abgesetzter Mann, den kein Mensch wird in seinen Diensten haben wollen nach dem offenen Aufruhr, den er sich hat zuschulden kommen lassen. Und was soll dann aus Ihr werden und aus Ihren Kindern?

Försterin. Der Herr Vetter Wilkens wird seine Hand nicht von uns abziehn. Wenn der Herr Vetter nur noch einmal mit ihm spräch'.

Wilkens. Nach dem Trumpf den er darauf gesetzt hat; Und wenn der nicht wär'; einem Tauben zu predigen, da ist mir meine Lunge zu lieb dazu. – Sie muß von ihm weg mit den Kindern. Das sagt' ich mir unterwegs vorhin und gab mir die Hand darauf, daß ich's durchsetzen wollte, und kehrte wieder um, damit ich's Ihr sagte. Eh' Sie eine Leiche oder einen Mörder im Hause hat.

Försterin (schlägt vor Schreck die Hände zusammen). So schlimm wird's ja nicht werden!

Wilkens. Hm. Sie will's drauf ankommen lassen; Sie ist mir auch eine kuriose Mutter. Ich bin aber nicht so gleichgültig wie Sie und will kein Unglück auf meinem Gewissen haben, wenn ich's verhüten kann. Ich habe noch den weitsten Weg. Kurz und gut: läßt Sie den und kommt mit Ihren Kindern zu mir, so soll's zur Stunde gerichtlich gemacht werden, daß Sie und Ihre Kinder meine Erben sind. Bis morgen mittag kann Sie ein langes und breites überlegen. Ist Sie morgen mittag bis zwölf in der Grenzschenke, da will ich Sie erwarten, so gehn wir auf der Stelle in die Stadt zum Notar; ist Sie's nicht – auch gut. Aber ich bin ein Schurke meines Namens – und Sie weiß, dem Wilkens sein Wort wiegt sein Pfund – und die Hand an mir soll verflucht sein, die Ihr oder Ihren Kindern dann noch den Bissen Brot abschneidet. (Geht.)

Försterin (erst überwältigt, indem sie ihm ängstlich eilig folgt). Aber, Herr Vetter! Herr Vetter Wilkens! –

Zweiter Auftritt

Marie allein; dann die Försterin zurück.

Marie (hat ein Briefchen in der Hand). Daß ich's doch genommen hab! – Bis ich mich besann – und da hatt' ich's schon in den Händen – und die Kathrine war auch so schnell wieder fort. – Ich hätt's nicht nehmen sollen.

Försterin (auftretend). Die harten Männer! Da hilft kein Bitten. Was hast du da, Marie?

Marie. Einen Brief von Robert.

Försterin. Wenn den dein Vater säh'!

Marie. Ich weiß auch gar nicht, wie ich ihn genommen hab. Aber der Robert dauerte mich so sehr. Die Kathrine sagte, er ständ' unten im Heimlichen Grund und wartete. Da fiel mir auch mein Traum ein von heute nacht.

Försterin. Ein Traum?

Marie. Da war ich dort am Quell bei den Weiden an meinem Lieblingsplätzchen und saß in den bunten Blumen und sah nach dem Himmel hinauf; da stand ein Gewitter, und mir war so schwer, daß ich vergehen wollte. Und das Kind, weißt du, das bei mir gewesen war vor vierzehn Jahren, wie ich mich verirrt hatte, das saß neben mir und sagte: »Arme Marie!« und zog mir den Brautkranz aus dem Haar und steckte mir dafür eine große blutrote Rose an die Brust. Da sank ich hinter mich in das Gras zurück, ich wußte nicht wie. Drüben im Dorfe läuteten sie, und das Singen der Vögel, das Zirpen der Grillen, die leise Abendluft in den Weiden über mir – das alles war wie ein Wiegenlied. Und der Rasen sank mit mir tiefer und immer tiefer, und das Läuten und das Singen klang immer ferner – der Himmel wurde wieder blau, und mir wurde so leicht – so leicht –

Försterin. Ein eigener Traum. Hast du den Brief aufgemacht?

Marie. Nein, Mutter; und ich will's auch nicht.

Försterin. So laß ihn wenigstens den Vater nicht sehn. – Ach! Marie, wir werden fort müssen vom Vater!

Marie. Vom Vater? Wir?

Försterin. Er kommt; laß dir nichts merken. Steck den Brief ein. Nimm die Bibel da vor dich, daß er dir nichts anmerkt. Ich will's noch einmal versuchen – wenn er denkt, wir gehen sonst, gibt er doch vielleicht nach, und wir können bleiben.

Dritter Auftritt

Die Bühne wird immer dunkler.

Der Förster. Marie am Tische links hat die Bibel vor sich. Die Försterin.

Förster. Der Wilhelm noch nicht da?

Försterin. Ich hab ihn noch nicht gesehn.

(Der Förster tritt ans Fenster und trommelt gedankenvoll daran. Die Försterin beginnt einzupacken.)

Marie. Aber, Mutter –

Försterin. Stille jetzt, Marie, und meng dich nicht ins Gespräch.

Förster (hat sich gewandt und eine Weile seiner Frau zugesehn). Was machst du da?

Försterin (ohne aufzusehn). Ein paar Kleider pack' ich ein – wenn ich fort muß –

Förster. Wir müssen nicht. Dafür gibt's ein Recht.

Försterin (kopfschüttelnd). Dein Recht? (Fährt fort.) Ich werde fort müssen mit den Kindern.

Förster (überrascht). Du wirst –

Försterin. Wenn du nicht Frieden machst mit dem Stein.

Förster (auffahrend). Wenn –

Försterin. Du brauchst dich nicht zu ereifern, Ulrich; du kannst nicht anders, und ich auch nicht. Ich mache dir keinen Vorwurf; ich sage nichts, gar nichts. Du willst für deinen Feind ansehn, wer dir zum Nachgeben rät – laß mich nur ausreden – und der Vetter Wilkens will die Kinder enterben, wenn du auf deinem Kopf bestehst und ich nicht mit den Kindern bei ihm bin bis morgen mittag; da kann ich nichts tun, als – schweigend gehn.

Förster (tief atmend). Du willst –

Försterin. Ich will nichts; du willst, und der Vetter Wilkens will. Ihr harten Männer macht das Schicksal und – wir müssen's erdulden. Wenn du nachgäbst, ja, dann könnten wir bleiben. Glaubst du, ich geh gern? Für mich – ich wollte aushalten bis zum Tod. Aber um die Kinder – und um – dich mit.

Förster (finster). Wieso um mich?

Försterin. Du bist abgesetzt, du hast kein Vermögen; und einen andern Dienst in deinem Alter – nach deiner Geschichte mit dem Stein – du könntest –

Förster (heftig). Almosen nehmen? Von Frau und Kindern?

Försterin. Ereifre dich nicht. Ich sage ja nicht: Gib nach; ich will dir ja nichts aufdringen. Du kannst nicht nachgeben, und ich – kann nicht bleiben – wenn du nicht nachgibst. – Müssen wir auseinander (ihre Stimme zittert) – so wollen wir's im Guten. Wir wollen einander verzeihn, was das andere uns zuwider tut, oder (mit leisem Vorwurf) – wovon das andere denkt, daß man ihm zuwider tut.

Förster. Du willst also zum Wilkens?

Försterin. Ich muß.

Förster. Und die Kinder sollen mit?

Försterin. Um die ist's, daß ich's tu.

Förster. Wollt ihr nicht auch den Nero mitnehmen? draußen? den Hund? Was soll er länger bei seinem abgesetzten Herrn, der Hund? Nehmt ihn mit, den Hund. Und wenn ich recht behalte, wie ich recht behalten muß – und als kein Schurke mehr dasteh vor der Welt – dann – kann er ja wiederkommen, der Hund. Ihr meint, er geht nicht von mir? Wird doch die Bestie nicht dümmer sein, wie die Menschen sind. Weib und Kinder sind klug, und so 'ne arme Bestie will allein dumm sein? Man muß der Bestie einen Tritt geben für ihre Dummheit. Ein alter Mann – ein ruinierter Mann, der als Schurke daständ', wenn's dem Stein nach ging, in seinen weißen Haaren, und so 'ne Bestie will nicht Vernunft annehmen? Fünfzig Jahre redlich gedient und aus dem Dienst als ein Schurke, weil ich kein Schurke sein will – hab das Meine zugesetzt dabei, und die arme Bestie will in ihrem Hundehaus dankbarer sein als der reiche Stein in seinem Schloß? Da sollte man doch das ganze Bestienzeug vor den Kopf schießen, wenn's zu weiter nichts da wär', als daß sich der Mensch vor ihm schämen müßte. – (Schritte; er kehrt sich zu ihr, weicher.) Wir sollen zwei sein? Nach fünfundzwanzig Jahren? – Gut. So mag jedes allein tragen von nun an – solang das Herz hält.

Försterin. Ulrich – (Sie muß Marien immer abhalten, die zum Förster stürzen will.)

Förster. Wir sind zwei von nun. Geht, geht. Der Wilkens ist reich, und ich bin ein armer Mann trotz meinem Recht. Ihr zieht dem Gelde nach. Ich halt euch nicht. Aber wenn ihr sagt, ihr habt recht getan – dann – Und nun ist's abgetan. Nicht mehr das Wort davon.


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