Otto Ludwig
Der Erbförster
Otto Ludwig

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Fünfter Aufzug

Jägerhaus.

Nacht. Kurze Zeit das Theater leer, dann

Erster Auftritt

Försterin (allein, kommt mit einer Lampe herein, leuchtet in Mariens Kammer hinaus, stellt die Lampe auf den Tisch, geht an das Fenster, öffnet den Laden, durch welchen der Schein des Wetterleuchtens hereindringt, sieht hinaus; dann schließt sie beides wieder, nimmt die Lampe wieder und leuchtet abermals in die Kammer. Dazwischen horcht sie manchmal auf und zeigt große Angst). Noch immer nicht! Wenn er ihr begegnet wär'! Wenn er sie beisammen getroffen hätte! Nun müßte sie da sein. Daß ich sie auch fortgelassen hab! Und der Andres kommt auch nicht. Und die schwüle Wetternacht dazu! (Sie horcht auf.) Das war sie doch? Endlich! Gott sei gelobt! (Leuchtet in die Kammer.) Nein; sie ist's nicht. Der Wind stieß den angelehnten Laden auf.

Zweiter Auftritt

Wilhelm in Hemdärmeln. Försterin.

Wilhelm. Sind die Soldaten da, Mutter? (An Mariens Kammertür.) Mutter, wo ist der Vater?

(Die Försterin erschrickt und schließt die Türe schnell.)

Und die Marie? Sie ist nicht in ihrer Kammer?

Försterin. Was du dir einbildet.

Wilhelm. Ihr Bett ist noch wie frisch gemacht.

Försterin (horcht erschrocken). Ist das der Vater? Wilhelm, sag nichts davon vor dem Vater!

Wilhelm. Ich bin's auch, der den Angeber macht. Aber du mußt mir sagen, wo die Marie ist.

Försterin. Nach dem Heimlichen Grund. Um den Robert zu bitten –

Wilhelm. Mutter, wir betteln bei niemand. Ich hole sie.

Försterin. Bei dem Wetter?

Wilhelm (zieht seine Jacke an). Das wär' mir auch mein Jägerjunge, der sich aus so 'nem bißchen Blitzen was machte. Sag mir nur, welchen Weg die Marie gegangen ist. Den untern am Wasser? Gut. Sie ist nicht wie die andern, aber sie ist doch nur ein Mädchen. Und das fürchtet sich. (Ab.)

Dritter Auftritt

Försterin (allein; ihm nach). Wilhelm! Wilhelm! (Kommt wieder.) Er ist schon fort. Und das Wetter wird immer schlimmer. Unten ein Nebel und oben das Gewitter immer näher. Und vom Brandsberg her kommt noch eins dazu. Und der Ulrich draußen und keins von den Kindern zu Haus. Und so ganz allein in dem einsamen Jägerhaus mitten im Wald und so tief in der Nacht –

(Man hört eine Tür zuschlagen; sie schrickt auf.)

Barmherziger Gott! Er ist's. Wenn er in die Kammer säh' und säh' die Marie nicht! Oder –

Vierter Auftritt

Der Förster hastig herein, bleich und verstört. Die Försterin.

Försterin (ihm entgegen). Bist du's schon – (sich korrigierend) endlich?

Förster (sich scheu umsehend). Hat jemand nach mir gefragt ?

Försterin. Nein. Sind sie hinter dir?

Förster. Wer?

Försterin. Der Buchjäger –

Förster. Warum?

Försterin. Weil du kommst wie gehetzt.

Förster. Die Soldaten meint' ich. – – Daß ich überall die Marie seh. Im Heimlichen Grund –

Försterin (erschrickt). Im Heimlichen Grund – (Für sich.) Großer Gott!

Förster. Und auf dem ganzen Rückweg hört' ich sie hinter mir gehn.

Försterin. Auf dem Rückweg –

Förster. Wenn ich ging, hört' ich sie hinter mir; wenn ich stand, stand sie auch, aber ich sah nicht um.

Försterin (erleichtert). Du sahst nicht um?

Förster. Ich wußte ja, es war nichts. – Mir ist, als müßte sie jetzt noch hinter mir stehn.

Försterin (will ablenken). Hast du was geschossen? Liegt's draußen?

Förster (unwillkürlich schaudernd). Draußen?

Försterin. Vor der Tür. Wie siehst du mich an? – Was ist das an dir?

Förster (wendet sich unwillkürlich ab). Was ist's?

Försterin. Ein Fleck –

Förster. Was du siehst –

Försterin. Warum willst du's nicht zeigen.

Förster. Es ist nichts. (Er wendet sich zum Tische rechts, legt die Flinte ab.) Die Suppe warm? Die Zunge klebt mir an.

Försterin (nimmt einen Teller und Löffel aus dem Schrank, geht damit zum Ofen, wo sie die Suppe eingießt). Wenn er in die Kammer säh'! Was ich frage, das frag ich nur in der Angst, daß er die Marie darüber vergessen soll. (Sie setzt die Suppe vor den Förster auf den Tisch zur Rechten; horcht.) Regt sich's nicht in der Kammer? (An des Försters Stuhl, um ihn zu beschäftigen.) Ulrich, meinst du nicht, daß der Robert noch alles wieder gutmachen könnte?

(Der Förster macht eine Bewegung.)

Was fährst du so auf?

Förster. Weck mir die Marie nicht. – War nicht jemand am Fenster?

Försterin. Das ist der alte Rosendorn draußen, der immer so ängstlich nickt und ans Fenster pocht, als hätt' er Unglück zu verhüten und niemand hörte auf ihn. (Pause; für sich.) Es ist so still. Ich muß nur reden, sonst hört er meinen Atem und merkt mir die Angst an. Und daß er die Marie nicht hört, wenn sie ins Fenster steigt. (Öfter dazwischen lauschend.) Den ganzen Abend liegt mir's im Sinn. Gestern noch sagte mir der Robert –

Förster. Immer der –

Försterin (hat sich zu ihm gesetzt). Wir gingen an den Weiden hin; dort, wo das Tannendickicht ist, unter dem Felsen, im Heimlichen Grund –

Förster (heftig). Laß den weg –

Försterin. Fährst du auf! Es war in der Abendsonne; und wie ich mich umseh, da kommt's hervor unter den Tannen – so rot. Ich – erschrocken – um Gottes willen, sag ich, das ist doch Blut!

(Der Förster wirft den Löffel hin und steht auf.)

Da spiegelte sich das Abendrot in dem Wasser. – Aber was hast du nur?

Förster. Immer mit deinem Grund. Was kümmert dich der Grund?

Försterin. Ist dir was begegnet dort? Es soll nicht richtig sein dort. Robert hat mir's gestern erzählt. Es soll ein böser Fleck sein dort. Da hat einer einen andern umgeht –

Förster (faßt nach der Flinte). Was weißt du?

Försterin (voll Angst zurückweichend). Ulrich! –

Förster. Wirst du schweigen?

Försterin (bleibt vor ihm stehn; schaudernd und ahnend). Ulrich! Was hast du getan?

Förster (hat sich gefaßt). Dummes Zeug da. Ist das eine Nacht für solche Geschichten? (Versinkt.)

Försterin. Schieß zu. Eine Stunde früher, eine Stunde später; du hast mich doch auf deinem Gewissen. (Sinkt in einen Stuhl links.)

Förster (Pause; dann, während er langsame Schritte macht, mit denen er ihr zögernd allmählich näher kommt.) Ich muß dir was sagen, Sophie. – Wenn du's nicht schon weißt. – Es läßt mir keine Ruh'. – Ich bin im Recht. Aber – Und dann weiß ich nicht, ist's wahr, oder ist's nur ein schwerer Traum? – So einer, wo man nicht tun kann, was man will – und sich abmattet – weil man immer tun muß, was man nicht will. – Komm her. Hörst du? Leg die drei Finger auf die Bibel.

Försterin. Großer Gott! was wird das sein!

Förster. Es wär' gräßlich, wenn ich sie umbringen müßte, und am Ende wär' alles doch nur – und dann hätt' ich's vergeblich – Sophie – (Ganz nahe; leise.) Es soll ein Toter liegen im Heimlichen Grund.

Försterin. Du bist im Rausche oder im Wahnsinn.

Förster. In meinem Recht bin ich. Sieh mich an, Weib. Glaubst du an einen Gott im Himmel? Gut. Gut. So leg die drei Finger auf die Bibel, da hierher. Da steht mein Recht. Nun sprich mir nach: »So gewiß ich selig werden will –.

Försterin (matt). So gewiß ich selig werden will –

Förster. »So gewiß soll's ein Geheimnis bleiben, was ich jetzt erfahre.«

Försterin. So gewiß soll's ein Geheimnis bleiben, was ich jetzt erfahre. (Sie muß sich setzen.)

Förster. Und nun merk auf. – Es ist kurz – kein Aber und kein Wenn dabei – es ist klar wie das Recht – und Recht muß Recht bleiben – sonst brauchen wir keinen Gott im Himmel! (Nachdem er schon einigemal angesetzt, gedrückt und leise, indem er sie vorführt.) Erschrick nicht – Der Robert hat unsern Andres erschossen und ich – ich hab ihn gerichtet.

Försterin. Ach Gott! (Sie kann sich kaum mehr halten; sie will nach dem Stuhl; er hält sie fest.)

Förster. Ich hab ihn gerichtet. Wie's dort steht, Auge um Auge, Zahn um Zahn. Ich hab ihn gerichtet, weil die Gerichte nicht recht richten. Sie haben zweierlei Recht, und hier steht's: Ihr sollt einerlei Recht haben. Ich hab ihn nicht gemordet; ich hab ihn gerichtet. (Er macht Schritte, versinkt, dann wieder an der Stelle, wo er die Försterin noch glaubt, die nach dem Stuhle schleicht.) Aber ich weiß nicht, ob's auch geschehen ist – das, was geschehen ist. Im Kopf ist mir's so wild und wüst – (besinnt sich mühsam) aber es ist doch wohl geschehen was geschehen ist – und wie's geschehen sollte – was geschehen ist – da kommt mir die Marie in die Augen, als stellte sie sich vor ihn und winkte mir zurück und schrie: Es ist ja der – nun der, den du weißt. Es war dummes Zeug; es war nur in meinen Augen. Auf den Wein geht mir's allemal so, daß ich Dinge seh, die nicht da sind. Und wenn sie's gewesen wär' – der Schuß war schon nicht mehr in meiner Hand.

Försterin. Allmächtiger Gott! (Sie schleppt sich mühsam in Mariens Kammer.)

Förster (wird's nicht gewahr und fährt vor sich hinstarrend fort, als stände sie noch neben ihm). Sie war's nicht. Wie sollte die Marie dort hinkommen? Es ist eben der Wein, daß ich sie heut überall seh. Aber ich war doch erschrocken, bis ich sah, es war nur der Rauch gewesen vom Schuß. Es ging alles im Kreis vor meinen Augen. Aber wie der Rauch weg war – das war ein Augenblick – da sah ich den – noch immer dastehn wie vorhin, aber nur einen Augenblick – da brach er zusammen, da war's geschehen, was geschehen ist. Da faltet' ich die Hände über meinem Stutz und sagte: Dir ist dein Recht geschehn. Und betete: Gott sei seiner armen Seele gnädig. Da flog ein Schwarm Eulen auf und krächzte. Das war, als sagten sie Amen; da stand ich wieder straff auf meinen Füßen. Denn das Recht will Gott und Erd' und Himmel und alle Kreatur. (Er versinkt ins Brüten.)


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