Otto Ludwig
Der Erbförster
Otto Ludwig

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Im Jägerhaus.

Sechster Auftritt

Die Försterin allein, dann Weiler und später der Förster.

Försterin (das Fenster schließend). Er kommt noch immer nicht zurück, der Robert, und der Herr Pastor auch nicht.

Weiler (indem er durch die Mitte tritt). Na, wenn der nicht auf die Nase fällt! Aber wer ist's denn nun eigentlich? Ob mir die Frau Försterin was aufgehoben hat? Aber ich hab ohnehin keinen Appetit. Hm.

Försterin. Kalt wird's geworden sein. (Holt einen Teller mit Speisen aus dem Ofen, Brot usw. dazu aus dem Schrank und setzt es auf den Tisch zur Linken.)

Weiler. Wir werden alle einmal kalt. (Setzt sich zum Essen.)

Förster (ist seitwärts eingetreten). Hat Er den Hirsch wieder gespürt da aus dem Lutzdorfer?

Weiler. Will dich stolzieren. Aber so ist's. Sowie's heißt Mann und Frau, Herr und Diener – dann ist Lieb' und Freundschaft heidi!

Förster. Und was heißt das mit dem Stolzieren?

Weiler. Mit allen vier Beinen stand er da am Grenzbusch im Hafer drin und fraß.

Förster. Wer?

Weiler. Der Hirsch da aus dem Lutzdorfer.

Förster (nachdrücklich). Ein Hirsch hat Läufte, und keine Beine, und frißt auch nicht, sondern er äset.

Weiler. Meinetwegen.

Förster (seine Mahlzeit besorgend). Aber was ist denn nur?

Weiler. Hm.

Försterin. Ob man's nun erfährt? Wenn man nichts wissen will, da wird er nicht fertig.

Förster (bleibt vor ihm stehen; streng). Weiler, hört Er?

Weiler. Na, der Buchjäger da. Sechs Zoll ist der heut gewachsen, hat gleich seinen Hut mit den Tressen aufgesetzt und seinen Hirschfänger umgetan und zwei Bittre und ein sechs Kümmel mehr getrunken als gewöhnlich; hat aber auch einen Weg nötig, noch halb so breit wie sonst.

Förster. Ist Er fertig?

Weiler. Beinah! Aber wer ist denn nun eigentlich der richtige Förster von Düsterwalde? Der weist schon die Holzhauer zum Durchforsten an, da muß er's doch sein? Aber Ihr tut auch, als wärt Ihr's noch?

Förster. Ich bin's auch noch; ich bin Förster von Düsterwalde und niemand sonst.

Weiler. Ihr wollt's durchsetzen? Aber ich will Euch sagen, wer heutzutage recht behält. (Pantomime des Geldzählens.) Wer den längsten Atem hat. – Wer kommt da so eilig?

Siebenter Auftritt

Wilkens in seiner Art hastig herein. Weiler essend. Förster. Försterin.

Wilkens (eintretend). Aber was ist denn nur passiert dahier. Einen guten Tag herein.

Försterin (erschrocken). Passiert? Aber um Gottes willen – ist denn was passiert?

Förster. Gleich oben hinaus.

Wilkens. Er wird doch noch sehen mit Seinem Eigensinn.

Försterin. Aber was denn nur?

Wilkens. Weiß ich's? Begegnet mir der konfuse Hanns da am Scheibenweg und ficht mit den Händen, als wenn er auf jemand losschlüge, und weist daher nach dem Jägerhaus –

Förster. Er wies auf den Wald; das Durchforsten meint' er –

Wilkens. Mein Weg war eigentlich ein anderer, aber ich denke, ich muß doch sehn. Und da steht auch gleich eins in tiefen Gedanken, da nicht weit vom Haus. Ist's der Andres. Denk ich, den fragst du. Hm. Wie mich der kommen hört, fährt er auf, sieht mich wild an und – fort ist er. Ich ruf ihm; hm; der hat ja seinen Namen vergessen. Ich lauf ihm nach, aber der – fort, als hätt' er kein gutes Gewissen.

Försterin. Was das nun wieder ist!

Förster (ruft aus dem Fenster mit Autorität). Andres!

Weiler. Da kommt er ja schon.

Achter Auftritt

Der Pastor. Vorige. Weiler sitzend.

Weiler. 's ist der Herr Pastor. (Begrüßung.)

Försterin. Gott sei Dank! Der gute Herr Pastor!

Förster. Sie meinen zur Verlobung zu kommen, Herr Pastor – aber –

Pastor. Ich weiß alles, was Ihr angestellt habt.

Förster. Der Herr Stein –

Pastor. Von dem komm ich eben. Und was ich Ihnen zu sagen habe – ich weiß, Sie nehmen's deshalb um nichts unfreundlicher auf, weil ich's bringe.

Försterin. Wenn der Herr Pastor vom Herrn Stein kommen, da kann noch alles gut werden. Aber Sie wissen nicht, Herr Pastor, wie eigensinnig der Mann da ist.

Pastor. Was denn? Ich weiß alles. Aber er ist doch nicht der Hauptsünder; sonst käm' ich nicht als Steins Gesandter. Der will den ersten Schritt tun.

Wilkens. Ich tät' ihn nicht, wenn ich der Herr wär'.

Pastor. Ja, alter Freund Ulrich, dem Stein tut's leid, daß seine Hitze die Ursach' gegeben hat, den schönen Tag zu stören.

Förster. Hört Er, Vetter Wilkens?

Pastor. Das mit dem Absetzen war gar nicht so schlimm gemeint.

Förster. Hört Er, Weiler?

Pastor. Daß es nun freilich sein Bewenden dabei haben müßte –

Förster. Sein Bewenden – Herr Pastor, was soll das heißen?

Pastor. Daß er sein Wort nicht sogleich wieder zurücknehmen könnte, ohne sich zu blamieren – das müßten Sie selbst einsehn.

Förster (gedehnt). So? Und der Buchjäger?

Pastor (zuckt die Achseln). Ist vor der Hand Förster von Düsterwalde; das ist nicht zu ändern –

Förster. Das sagen Sie; aber ich sag Ihnen, Herr Pastor, der Buchjäger ist's nicht; Förster von Düsterwalde bin ich. Und ich bin's, Herr Pastor, und ich bleib's, Herr Pastor, bis der Herr Stein bewiesen hat, daß ich gegen meine Pflicht gehandelt hab.

Pastor. Damit Sie aber sähen, wie bereit er seinerseits wär', sein Teil Unrecht auszugleichen und das alte gemütliche Verhältnis wieder herzustellen, sollen Sie Ihren bisherigen Gehalt verdoppelt fortbehalten als Pension.

(Der Förster macht Schritte und pfeift.)

So weit mein Auftrag, alter Freund; und nun –

Förster (bleibt vor dem Pastor stehn). Wofür, Herr? Will er mir meine Ehre damit abkaufen? Herr Pastor, meine Ehre ist mir nicht feil. (Schritte und pfeift.)

Pastor. Aber, alter wunderlicher Freund –

Wilkens. Ja, wenn er einen Menschen anhörte!

Förster (wie vorhin). Soll's ein Gnadengehalt sein? Ich brauche keine Gnade. Ich kann arbeiten. Umsonst nehm ich nichts. Ich nehme keine Almosen. Ich weiß, er kann mich nicht absetzen, wenn ich nicht schlecht gewesen bin; das weiß ich aus mehren Exempeln, zum Beispiel vom Jäger Rupert in Erdmannsgrün. Wenn ich mich willig absetzen ließe, so geständ' ich selber ein, daß ich schlecht wär'. Dem Rupert konnten sie auch nichts beweisen, und er blieb in seinem Dienst. Und wer nimmt einen Abgesetzten in Dienst? Herr Pastor, ich hab von Vater und Großvater eine Ehre ererbt und bin sie meinen Kindern und Kindeskindern schuldig; mein Vater hat vor mir die Stelle gehabt und mein Großvater vor meinem Vater; sie heißen mich den Erbförster im ganzen Tal; ich wär' der Erste aus meinem Stamm, der abgesetzt wäre. Gehn Sie hinaus in meinen Forst, Herr Pastor, und wenn Ihnen nicht die Seele davor aufgeht – Herr Pastor, ich habe den Forst bis auf den Kirchhof gezogen; da liegt mein Vater und mein Großvater, und von ihren Herrn steht das Zeugnis auf ihren Steinen: Sie waren redliche Männer und treue Diener. Sie liegen, wie sich's für Jägersleute gebührt, unter grünen Tannen. Herr, und wenn mein Kindeskind einmal dahin käm' und fragte: »Aber warum liegt der nicht unter den Tannen, der sie gepflanzt hat? Warum haben wir nichts mehr da zu suchen? Ist der ein Schurke gewesen, daß sein Herr ihn hat absetzen dürfen?« Und wenn sie meinen Grabhügel suchen und finden ihn hinter der Kirchhofsmauer? Herr, wenn Sie ohne ihre Ehre leben können, so ist's gut für Sie – oder vielmehr, so ist's schlecht von Ihnen. Aber sehen Sie, Herr Pastor, für mich gibt's nur eine Wahl, entweder neben meinem Vater und Großvater unter die Tannen oder – hinter die Kirchhofsmauer. Herr Pastor, ich bin Förster hier, oder er müßte öffentlich erklären, der Herr Stein, daß er an mir gehandelt hat als ein Schurke. Das Meine hab ich in seinen Forst gewandt; ich will nichts herausnehmen als den Stock, an dem ich in die Welt gehe und in meinen alten Tagen einen neuen Dienst suche, aber von mir muß die Schande abgewischt sein, und auf ihm muß sie kleben bleiben. Ich bin in meinem Recht und will's behaupten.

Wilkens. In Seinem Recht? Hm. Was will Er mit dem Recht? Recht kostet Geld. Recht ist ein Spielzeug für die Reichen wie Pferde und Wagen. Hm. Mit Seinem Recht und Unrecht da. Sein Recht, das ist Sein Eigensinn; Er reißt noch Frau und Kindern die Kleider vom Leibe, damit Er nur Seinen Eigensinn warm halten kann.

Pastor. Aber –


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