Otto Ludwig
Der Erbförster
Otto Ludwig

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Vierter Auftritt

Wilhelm. Die Vorigen.

Förster (sitzt rechts). Komm her, Wilhelm. Wo hast du den Andres gelassen?

Wilhelm. Ich hab an der Grenzschenke eine Viertelstunde lang auf ihn gewartet.

Förster. Hat er gedacht, du kommst später –

Försterin (für sich). Der Andres ist nicht mit? Des Ohms seine Reden kommen mir nicht aus den Gedanken.

(Marie zündet die Lampe an und setzt sie auf den Tisch zum Förster.)

Förster. Hast du den Advokaten gefragt, bis wenn die Sache aus sein kann? Daß ich mein Recht hab?

Wilhelm. Er will keine Klage machen.

Försterin (tief atmend für sich). Das wär' noch eine Hoffnung –

Förster (steht auf, ganz perplex). Er will –

Wilhelm. Du wärst nicht im Recht, Vater.

Förster. Nicht im Recht? – (Muß sich setzen.)

Försterin (wie vorhin). Daß er doch noch nachgäb'.

Wilhelm. Die Staatsdiener wären, die könnten nicht abgesetzt werden, wenn's ihnen nicht zu erweisen stünd', daß sie's verdient hätten. Aber du wärst keiner; dein Herr wär' nicht der Staat, sondern der, dem der Forst gehörte, der Gutsbesitzer.

Förster (verbissen). Also wenn ich ein Staatsdiener wär', dann dürfte mir der Stein nicht Unrecht tun. Und weil ich keiner bin, so darf er mich zum Schurken machen? – Du hast ihn nicht verstanden, Wilhelm.

Wilhelm. Er hat mir's dreimal vorgesagt.

Förster. Weil du ihm die Sache nicht vorgestellt hast, wie sie ist. Daß dein Urgroßvater schon Düsterwalder Förster war, und dein Großvater nach ihm, und daß sie mich schon vierzig Jahr' den Erbförster heißen im ganzen Tal.

Wilhelm. Das, sagt' er, gereichte Herren und Dienern zur Ehre, aber vor Gericht darauf zu gründen wär' nichts.

Förster. Aber er weiß nicht, daß der Stein mich absetzen will, weil ich für sein Bestes war, daß der Forst gegen Mitternacht und Abend offen liegt. So ein Advokat weiß nicht, daß so ein Wald wie ein Gewölbe ist, wo immer eins das andere hält und trägt. So hält's alle Gewalt aus, aber brecht nur ein Dutzend Steine mitten heraus, so holt's der und jener.

Wilhelm. Dazu zuckt' er nur die Achseln.

Förster (immer eifriger). Und das Meine, was ich hineingewendet hab? Und daß ich die Bäume alle selber gepflanzt hab? Was? Die der Wind nun um nichts und wieder nichts zusammenknicken soll?

Wilhelm. Dazu hat er nur gelächelt. Du möchtest ein recht braver Mann sein, aber vor Gericht gält' das nicht.

Förster (steht auf). Wenn einer brav ist, das gilt nichts? So muß einer ein Schelm sein, wenn's was gelten soll vor Gericht? – Aber der Rupert von Erdmannsgrün! Was? Wilhelm?

Wilhelm. Der wär' eben ein Staatsdiener gewesen. Nachher ging ich noch zu einem andern Advokaten; der lachte mir geradezu ins Gesicht. Aber dem hab ich's gesagt, wie ein Jägerjunge.

Förster. Gut. Aber der Andres? Was?

Wilhelm. Wie der Andres in den Wald gegangen wär', hat er gesagt, wärst du schon abgesetzt gewesen. Das müßtest du selber wissen, daß kein Fremder in einem Forst Pflanzen herausnehmen dürfe, so mir nichts, dir nichts, und ohne des Försters Wissen und Willen. Der rechtmäßige Förster wär' aber da schon der Buchjäger gewesen, und so hätt' der Andres sich's allein zuzuschreiben, wenn er wie ein Holzdieb behandelt worden wär'. Und da würd' er selber einsehn, daß er besser daran tät', wenn er die Zurechtweisung ruhig ertrüg' und nicht weiter an die Sache rührte und froh wär', daß er noch so davon gekommen wär'.

(Der Förster hat sich wieder gesetzt; eine Pause; dann pfeift er und trommelt vor sich auf dem Tisch.)

Försterin (ihn ängstlich beobachtend). Wenn er so ruhig wird –

Förster. Also ich muß ein Schurke bleiben vor der Welt? Gut. – Warum packt ihr nicht ein, Weiber? Wilhelm, hol mir eine Flasche Wein.

Försterin. Du willst Wein trinken? Und weißt, er tut dir kein gut, Ulrich? Und noch dazu in den Ärger hinein –

Förster. Ich muß andere Gedanken haben.

Försterin. Du wirst allemal so außer dich auf den Wein, du kannst dir den Tod darin trinken.

Förster. Besser den Tod trinken, wie als ein Schurke leben. Und ein Schurke muß ich bleiben vor der Welt. Wilhelm, eine Flasche und ein Glas. Bin ich schon nicht mehr Herr im Haus? Vorwärts!

(Wilhelm geht.)

Försterin. Wenn du dir noch einen andern Gedanken faßtest; aber du tust's nicht und – ich muß fort.

Förster. Das ist abgetan, Weib, und mein Gedanke ist gefaßt. Lamentiert mir nicht. Morgen geht's fort. Wenn ich schon kein Staatsdiener bin und – heut will ich noch einmal lustig sein.

(Wilhelm bringt Wein; der Förster schenkt ein und trinkt öfter, jedesmal ein volles Glas; dazwischen pfeift und trommelt er.)

Tut mir das Licht da weg, daß ich meinen Schatten nicht seh.

(Wilhelm stellt die Lampe auf den Tisch der Frauen, setzt sich zu diesen und nimmt die noch offene Bibel vor sich.)

Försterin (für sich und zu Marien). Der Andres kommt immer noch nicht, und 's ist schon so lang dunkel. Und ich muß gehn morgen. Jetzt sag ich wohl: Ich muß gehn, und weiß noch nicht, wenn's dazu kommt, ob ich's auch kann. Wenn man zwanzig Jahr' zusammengelebt hat in Freud' und Leid. Und vom Wald Abschied nehmen, der den ganzen Tag so grün zu allen Fenstern hereinguckt. Wie still's uns vorkommen wird, wenn wir das Rauschen nicht mehr hören und den Vogelgesang und den Axtschlag hallen den ganzen Tag. Und die alte Schwarzwälder Uhr dort – so ging sie schon, wie ich noch eine Braut war, und nun bist du schon eine gewesen. Dort in jener Ecke standst du zum erstenmal auf und liefst, Marie, drei Schrittchen weit, und da, wo der Vater sitzt, saß ich und weinte vor Freude. Ist das das Leben? Ein ewig Abschiednehmen? Wenn ich doch bliebe? Wenn ich dran denke, was der Ohm sagte, daß alles geschehen könnte! Wenn der Brief vom Robert – Wilhelm, geh doch in den Garten. Ich muß das Trinkglas beim Born vergessen haben, oder in der Laube oder sonst da herum. (Wilhelm geht.)


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