Otto Ludwig
Der Erbförster
Otto Ludwig

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Zweiter Aufzug

Im Schlosse.

Erster Auftritt

Stein (allein; er sitzt). Verwünschter alter Eigensinn! Der ganze schöne Tag verdorben. Jetzt säßen wir bei Tisch. Recht mag er schon haben, daß das Durchforsten nicht taugt. Aber muß er mich deshalb so in Rage bringen? Freilich, ich mußte klüger sein als er. Meine Hitze war schon auch mit schuld. – Mich dauert nur die Försterin – und die Kinder. Ich will auch – (Steht auf, setzt sich wieder.) Was denn? Eine Torheit mit der andern gutmachen? So unüberlegt im Nachgeben sein, wie ich's im Übelnehmen war? Alter Sprudelkopf! Aber das soll mir eine Lehre sein. – (Kleine Pause, dann steht er wieder auf, nimmt Hut und Stock und wirft beides wieder hin.) Nein, es geht nicht; es geht durchaus nicht. Was? Das wär' eine Blamage, nie wieder gutzumachen. Dasmal muß er kommen; ich kann ihm nicht helfen. Aber er hat vielleicht schon – ist das nicht Möller? (Rasch dem Kommenden entgegen.)

Zweiter Auftritt

Robert. Stein.

Robert (erhitzt hereintretend). Sie wollen mein Glück zerstören, Vater?

Stein (überrascht, unwillig). Robert!

Robert. Das dürfen Sie nicht.

Stein. Daran fehlt's, daß auch du kommst und mir den Kopf warm machst.

Robert. Vater, von der Verlobung lassen Sie mich wegholen wie das Kind vom Spielzeug; aber ich bin kein Kind, dem man gibt und nimmt, wie's einem einfällt, ich hab Ihr Wort, und Sie müssen es halten. Sie wollen mein Glück einer Laune opfern? So weit geht kein Vaterrecht!

Stein. Aber was willst du nun eigentlich?

Robert. Sie fragen, ob Sie sich mit dem Förster versöhnen wollen?

Stein. Junge, wie kannst du dich unterstehn? Willst du mich zur Rede stellen? – Geh zu dem Eigensinn; er hat unrecht, er muß nachgeben.

Robert. Vom Förster komm ich; er wies mich zu Ihnen –

Stein. Ich kann nichts tun – und nun laß mich in Ruh'.

Robert. Sie wollen nichts zur Versöhnung tun?

Stein. Nichts, wenn er nicht nachgibt; und nun geh deiner Wege.

Robert. Wenn Sie nichts zur Versöhnung tun, betret ich seine Schwelle nie wieder. Andres und ich sind Todfeinde geworden; vielleicht steh ich ihm heut noch auf Tod und Leben gegenüber. – So mag's kommen, wie's will; ich hab alles getan, was ich tun konnte. Vater – mich kann kein Vorwurf treffen. Wenn ein Unglück geschieht – Sie konnten's verhüten, und der Förster konnt' es verhüten – Marie ist mein, und nicht Sie und nicht der Förster sollen mir sie nehmen.

Stein. Bist du rasend, Junge? Den Augenblick auf dein Zimmer! Hörst du?

Robert. Vater, ich frage Sie –

Stein. Zu gehorchen hast du, nicht zu fragen!

Robert. Der Jähzorn reißt Sie hin. Vater, ich bitte Sie, reißen Sie die Narbe hier nicht auf, die nur halb geheilt ist. Ich will's erwarten, bis Sie ruhig geworden sind, bis Sie Ihrer wieder mächtig sind.

Stein. Du siehst, daß ich meiner mächtig bin; du willst mich mit Gewalt reizen, und es gelingt dir nicht. Aber nun kein Wort mehr! Keinen Laut!

Robert (außer sich). Kein Wort? Hundert Worte, tausend Worte, soviel die Brust erträgt. Ich will reden; bis ich's loshabe da vom Herzen, will ich reden. Ihrem Möller, Ihren Schmiedeknechten verbieten Sie zu reden, mir nicht. Zeigen Sie ihre Ungeduld, wie Sie wollen, bleiben Sie oder gehn Sie – reden will ich. Sie sollen's einmal wissen, daß ich's nicht mehr ertragen will, wie ein Knabe behandelt zu sein, daß ich frei sein will, daß ich allein stehen kann, daß Sie mich sollen achten müssen, daß ich weder Ihr noch irgendeines Menschen Spielball sein will.

Stein. Drohst du mir mit dem alten Lied? Ich kann's auswendig. Du bist noch da? Ich denke, du bist gegangen. Ja so; reden willst du, reden. Rede, tu, was du willst; ich halte dich nicht.

Robert (ruhig im Tone des Entschlusses). Und wenn Sie's nun wollten, es wär' zu spät. Auf meinem Recht besteh ich, und sollt' es mein oder eines andern Leben kosten; aber Sie und den Förster mach ich verantwortlich dafür.

Stein (den seine Hitze schon zu reuen beginnt). Junge –

Robert. Leben Sie wohl – vielleicht auf ewig! (Stürzt ab.)

Dritter Auftritt

Stein allein, dann der Pastor.

Stein (sich vergessend einen Schritt nach). Wohin? – Robert! Junge! – Verwünscht! Kaum die Hitze verredet und den Augenblick darauf – Aber ist's auch nicht, als hätten alle sich verschworen, mich mit Gewalt nicht aus dem Harnisch herauskommen zu lassen? Wenn er sich wirklich verfeindet hat und rennt mit den Hitzköpfen zusammen – Aber nachlaufen kann ich ihm doch nicht. – Kommt er wieder?

(Pastor tritt ein.)

Sie, Pastor? Sie treffen mich da –

Pastor. Hab's schon gehört. (Gibt ihm die Hand.)

Stein. Der Robert, der Junge –

Pastor. Hat mich fast über den Haufen gerannt. Er will wieder einmal fort? Was? Den wollen wir schon festmachen.

Stein. Und mit dem alten Eigensinn –

Pastor. Weiß schon. Ist's auch die alte Geschichte, die ewige Geschichte, von der man das Ende allemal vorher weiß.

Stein. Dasmal doch nicht so gewiß.

Pastor. Ja; sie ist verwickelter als sonst, weil zugleich die mit dem jungen Herrn drein kam. Und noch überdies ist der junge Herr dasmal auch mit dem Andres zusammengerannt, indes –

Stein. Ist er das nicht, der hier kommt?

Vierter Auftritt

Möller. Die Vorigen.

Stein. Sie, Möller? Wie sieht's aus? Er gibt nach?

Möller. So wenig, daß er Ihnen vielmehr sagen läßt, Sie könnten ihn gar nicht absetzen.

Stein. Ich könnte nicht? – (Ruhiger.) Wenn er noch meinte, ich könnt' es nicht wollen. – Und Sie haben alles versucht?

Möller. Alles.

Stein. Auch mit dem Buchjäger gedroht? Als sollte der Förster werden, als sollten Sie dem sogleich die Bestallung bringen, wenn –

Möller. Als sollt' ich? – Mein Auftrag klang bestimmter. Ich bringe Ihnen den gehorsamsten Dank des Buchjägers; er nimmt die Stelle an.

Stein. Er nimmt – er nimmt sie an? Er nimmt sie wirklich an? Was das für ein dienstwilliger Mensch ist, der Buchjäger! Und Sie dazu – mit Ihrer Eile. – Sind Sie ganz des Teufels, Herr? Ein Schreckschuß sollt' es sein für den Ulrich. Der sollte vernünftig werden – nachgeben. Und wenn ich's in der Hitze so gesagt hätte, wie Sie's verstanden, so hätten Sie's anders verstehen müssen. Sie wissen, daß ich im Herzen nicht daran denke, den alten Mann da, der tausendmal mehr wert ist – aber Sie haben's auch, Sie haben's richtig verstanden, aber – ich erinnre mich nun zu spät, Sie haben immer gegen diese Heirat gesprochen.

Möller. Ich habe zwanzig Jahr' der Firma Stein und Sohn gedient, Zeit genug, einmal zu erfahren, daß man auch zu gewissenhaft dienen kann. Ich habe nichts getan, als buchstäblich Ihren Auftrag erfüllt. Und wenn Sie mich dennoch verkennen wollen, so muß das mein Trost sein: Ich habe der Würde von Stein und Sohn nichts vergeben. (Er setzt sich zur Arbeit.)

Stein. So mag's Ihnen die »Würde von Stein und Sohn« danken, was Sie da gemacht haben, ich nicht. (Pause.) Aber freilich; bei Licht besehn, was war auch anders zu tun? nach dem, was vorgegangen war. Beruhigen Sie sich nur. – Ich hab einmal den Herrn geltend gemacht –

Pastor. Der obendrein noch so neu ist.

Stein. Ich hab einmal die verwünschte Wahl gestellt. Vor dem alten Wilkens da. Ich kann doch nicht – So ein verwünschtes rasches Wort! Und das man nicht einmal recht innerlich ernst gemeint hat und das nun zum Schicksal wird, das uns zwingt, das unser Herr wird, weil wir uns nicht die Mühe gaben, sein Herr zu sein –

Pastor. Ja, der Besonnenheit wird es verwünscht schwer, für die Schulden einzustehen, die die Hitze gemacht hat. Warum haben Sie auch nicht wie gewöhnlich bloß unter vier Augen gezankt!

Stein (der Schritte gemacht). Nein, es geht nicht. – Und dennoch, wenn ich an die hitzigen Jungen denke – Möller, schicken Sie doch gleich nach meinem Robert, lassen Sie ihn suchen; ich hätte mit ihm zu reden. (Möller geht und kommt bald wieder.)

Stein. Ich kann dem alten Eigensinn nicht helfen; dasmal muß er zu Kreuze kriechen. Ich kann mein Wort nicht zurücknehmen, das muß er selbst einsehn. Und nunmehr kann er auch zu Verstande gekommen sein. – Aber damit er sieht, daß ich bereit bin, zur Versöhnung zu tun, was ich nur irgend kann, ohne mich zu blamieren – wie wär's, Pastor, wenn Sie zu ihm gingen? Die Stelle freilich, die muß er vor der Hand aufgeben – aber seinen bisherigen Gehalt, den kann er – ja, den soll er verdoppelt fortbeziehn; er mag ihn einstweilen als eine Pension ansehn. Ich dächte – er ist doch die Hauptschuld an der Geschichte – damit bezahlt' er seinen Teil daran billig genug.

Pastor. Ich mache mich gleich auf den Weg.

Stein. Und ich begleite Sie ein Stück. Muß ich doch nicht ganz allein promenieren.

(Beide links ab.)

Fünfter Auftritt

Möller allein, dann der Buchjäger.

Möller. Und wenn nichts aus der Hochzeit würde da mit der Löhlein, so hat Stein und Sohn doch einmal durchgegriffen. Die Galle hat mir's umgewendet, wenn er allemal der erste war – Dasmal bin ich zufrieden mit meinem Alten und will seine Nase gern einstecken. – Aber was poltert nur da draußen herum? (In der Tür.) Ein Glück, daß die durch die Zimmer gingen. Es ist der Buchjäger. Und in welchem Zustand! Ist das auch ein Mensch! (Er bringt den betrunkenen Buchjäger hereingeführt.)

Buchjäger (erst noch in der Szene). Wo ist der Stein? Heda, Kerl! der Stein! Seid Ihr's, Möller?

Möller (mit Gönneransehn). Daß Ihr's seid, darüber kann man nicht im Zweifel sein. Was wollt Ihr hier?

Buchjäger (indem ihn Möller auf einen Stuhl setzt). Bedanken, man muß sich doch bedanken. Holt mir den Stein. Bedanken –'s ist einmal Mode so.

Möller. In diesem Zustand?

Buchjäger (indem ihn Möller mit Anstrengung auf dem Stuhl niederhalten muß). Zustand? Was geht Euch der Zustand an? Daß ich mich bedanken will, das ist Zustand gnug. Laßt mich mit dem Zustand zufrieden. Ist er drin? Was?

Möller. Da drin ist niemand. Seid froh, daß niemand drinnen ist. Euch ist nicht zu helfen. Ihr wollt einmal auf keinen grünen Zweig kommen. Eure Gönner können keinen noch so klugen Streich für Euch machen, ohne daß Ihr selber gleich einen hundertmal so dummen draufsetzt, der alles wieder verdirbt. Den Herrn reut's schon, daß er Euch die Stelle gegeben hat, und Ihr gebt ihm auch gleich –

Buchjäger. Ihr dummer Kerl Ihr, das Ihr seid. Mit Eurer Gönnerschaft, das Ihr seid. Wenn Ihr nicht den Stein und den Ulrich auseinanderbringen wolltet der Löhlein wegen! Und wenn ich so dumm wär' wie so ein verwetterter, vermöllerter, vergönnerter Kerl. Basta. Daß ich einen Tag Förster bin? Denn zwei Tag' dauert's nicht, bis die zwei Kesselflicker wieder einig sind; hernach ist's wieder aus mit meiner Försterschaft. Ihr denkt, weil Ihr keinen Durst habt, seid Ihr ein honetter Kerl? Einen Tag weiß ich's – einen Tag bin ich's – Tu – Turbationsförster nämlich – und den Tag hab ich angewandt, Bruderherz – an Ulrichs Andres – angewandt, Bruderherz. Komm, Bruderherz, denn ich bin fidel, Bruderherz. Du vermöllerter Gönner du! (Fällt ihm um den Hals.)

Möller (schamhaft und äußerst verlegen sich seiner erwehrend). Aber was denken Sie denn? Wenn's jemand sähe! So schämen Sie sich doch! (Sich in der Autorität gewaltsam zurechtrückend.) Mit Ulrichs Andres habt Ihr was vorgehabt? Was?

Buchjäger. Vorgehabt, vorgehabt, den hab ich vorgehabt, wißt Ihr? von wegen gestern, wißt Ihr? und von wegen der Galle auf seinen Alten, wißt Ihr? Seinen weißen Katzenbart, der Alte, soll er zerreißen vor Wut, wenn er's hört –

Möller. Aber was mögt Ihr nur mit dem Andres angestellt haben?

Buchjäger. Was? Nichts. Werdet's Zeit genug erfahren. Was? Durst, Durst, das ist mein Jammergeschrei, das ist mein Siechtum, mein Elend, das ist mein Gichtbruch, daran muß ich noch umkommen in meinen jungen Jahren. Wo ist der Stein?

Möller. Jetzt kommt Ihr mit auf meine Stube und trinkt eine Tasse schwarzen Kaffee, damit Ihr vernünftig werdet. Ich muß dann nach dem Hochofen; da nehm ich Euch mit bis an die Mühle am Heimlichen Grund. Und Ihr geht vollends heim. Man muß Euch die Hände binden, wenn Ihr Euer Glück nicht wegjucken sollt.

Buchjäger (indem ihn Möller abführt). Wo ist er? Heda! Wo ist er? Der Stein?


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