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Dämmerung überm Meer

Hoch oben steht fahl das Nordlicht, das ungeheure Tor, in das die Gestorbenen einziehen. Durch das Nebelmeer fährt ein schwarzes Schiff. Möwen und Seeadler schweben ihm langsam vor. Eine Frau liegt auf der Bahre; in der Hand der toten Herrin birgt Brangwine ihr Gesicht.

Die Frauen singen klagend:

»Du gehst von uns und kommst nie wieder! Übers Meer ziehst du in deinem schneeweißen Flaum, du herrlicher Sommervogel! Ka halla, ka halla!«

Die weißbärtigen Brehons singen:

»Schweigt, ihr Frauen! Männer müssen vor ihr die Totenrune sprechen, vor ihr, der nie ein Weib gleichen wird an Kraft der Seele und an Schönheit des Leibes! Ka halla, ka halla! Unsere Königin ist tot! Die Kraft und die Schönheit der Welt sind gestorben!« Die Frauen singen:

»Schweigt, ihr Männer! Nur Frauen können von ihr sagen! Trauert um sie! An ihrer Liebe ist sie gestorben! Seht hier, wie Treue ist! Ka halla, ka halla!«

Die alten Männer singen:

»Wir führen dich heim, Königin, die Flut berge deinen Leib, nicht die Erde soll auf dir lasten! Übers Meer kamst du in deiner strahlenden Liebe, übers Meer ziehst du heut in den Tod! Ka halla, ka halla! Nimm sie auf, heiliges Meer, sei der Schönheit ein Grab! Gib ihr den Frieden, den das Leben nicht gewährt!«

Und aus der Tiefe kommt ein Brausen und steigt bis an die Sterne. Dumpf und düster singt das Meer, das uralte, das ewige Meer vom Tod. Es singt, daß die Königin gestorben ist und daß sie heimfährt durch die flammende Pforte des Todes. Einst ist sein Lied hell gewesen, da hat das Meer die große Liebe getragen.

Alle Meerminnen ziehen vor dem Kiel und klagen und legen schimmernde Tränen auf seinen Weg. Und die Meerwunder der Tiefe geleiten die Königin zur Heimat.

Da tritt ein Schiff langsam aus dem Nebel, sein Bord ragt hoch über die niedere Fähre.

»Weichet! Wir führen eine tote Königin!«

Oben am Wimpelmast des fremden Schiffes steht einsam ein Mann.

Brangwine schaut auf: »Das ist Herr Tristan!«

Tristan steigt herab. Er sieht Isolde, die wahre, die einzige! Alle Schönheit und alle Liebe leuchtet von dem bleichen Antlitz, das Haar ergießt sich in lichten Wellen über die Arme bis auf den Boden, Ströme geschmolzenen Bernsteins, die im Fließen erstarrt sind. Wie durch ein zerrissenes Saitenspiel webt durch Tristans Seele die Melodie seines Lebens:

Iseult ma drue, Iseult m'amie,
En vus ma mort, en vus ma vie!

Nun ist es der Tod.

Das Auge der Königin ist geschlossen, dieses Auge, vor dem alle Wolken vergehen müssen, wenn es zum Himmel aufschaut in seinem sonnigen Lichte!

Tristan winkt. Männer und Frauen klimmen auf das hohe Schiff; zuletzt Brangwine – es verschwindet im Nebel.

Tristan kniet nieder und versenkt sein Gesicht in das weiße Totenkleid, das die Königin einst aus dem Flaum der jungen Reiher für sie beide gewoben. Jetzt sind sie allein.

Er sieht die Bilder seines Lebens: Vor dem Lager steht die Irin und bietet dem Fiebernden eine Schale dar ... aus ihrem Blick keimt die Liebe. Nur noch von diesem Munde kommt Heilung und sie sinken in ein langes Umarmen ... Aber er führt sie übers Meer zu Marke, sein Weib zu einem fremden Mann ... Voll Argwohn wirft der König das Schwert nach ihm ... Sie liegen in Isoldes Garten unter erblühenden Rosen – und ein Abschiedsruf klingt durch den fahlen Morgen ... Fremdes Land überall ... Burgen fallen vor seinem Ansturm ... Besiegte Männer folgen in die Gefangenschaft ... Und jetzt schwebt der Stab Percevals über ihm, er sieht in dieses unbegreifliche Auge. Er zittert und flüchtet in den Schoß der Weißhand ... Aber ihr Angesicht wird matt und verschwimmt, ganz von Dämmerung begraben ...

In Tristan ist der Schmerz, den jeder Mensch nur einmal fühlen kann und an dem er sterben muß, der Schmerz, daß er die Heimat der Seele verloren hat und sein Leben lang im Elend geirrt ist. Und er hat Isolde getötet.

Das alte Dröhnen des Meeres ist versiegt. Kein Laut geht durch die Öde.

Tristan blickt auf: Da ist's, als öffnete die Königin das Auge. Er sieht noch einmal den blauen Himmel mit seinem wunderbaren Licht. Die Lippen tun sich auf. Vielleicht fühlt Isolde Tristans Heimkehr und flüstert ihr Wort: Es gibt nur eine Liebe ...

Aber das Lächeln vergeht, und ihr Auge schließt sich.

Ohne Segel, ohne Steuer fährt das Schiff langsam durch die Stille. Es fährt in den Winternebel hinein und in das riesige Zackentor, das rot und unbeweglich über der Nacht des Nordmeeres steht.

 

Ende

 


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