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Von dem Leben und von dem Tode

Isolde lag zusammengekrümmt in ihrem Bett. Ein fortwährendes Zittern schüttelte sie und preßte ihr heiße Tränen der Scham in die Augen. Sie drückte den Polster gegen das Gesicht und wollte vergehen vor Jammer. Alle Mädchenscham hatte sie heute von sich geworfen und einem fremden Manne ihr Herz aufgetan, einem, der sie kaum ansah, der vielleicht eine andere im Sinne trug! Er mußte glauben, sie sei ein verkühltes Weib, das nach der Liebe fremder Männer gierte! Er dachte vielleicht, sie hätte sich schon manchem dargeboten, hätte manch einem Gaste nicht nur die Seele, auch den Leib enthüllt und hingegeben ...

So mußte Tristan von ihr denken, dem nichts höher galt als ein edler Sinn, Mut des Mannes, Scham des Weibes. Er glaubte, daß sie um seine Liebe bettelte, sie, die schöne Königin von Arundele, die schon so manchen verschmäht! Sie hatte ihm den Schlüssel zum verborgenen Heiligtum ihres Herzens in die Hand gegeben, und er hatte ihn weggeworfen! O wenn sie sich eines Abends in seine Kammer geschlichen hätte und ihn im Bett erwartet – es wäre nicht ärger gewesen!

Am Morgen sollte alles ein Ende haben! Kaherdin war tot – sie dachte es, doch sie empfand kaum einen Schmerz. Sie schalt sich darob, aber die verletzte Scham in ihrer Seele ließ kein anderes Gefühl lebendig werden; sie empfand Abscheu vor sich, vor der niedrigsten der Frauen, die einem Mann ihre Liebe gezeigt hatte – und er begehrte ihrer nicht, er wandte sich ab! ...

Der ganze Hof wird morgen über sie lachen; wo sie hintritt, werden die Frauen kichernd auseinanderstieben vor ihr, die sich einem fremden Manne dargeboten hat! Tristan aber, der einst ein Lied von Iseult la blonde gesungen, wird ein anderes dichten, ein Spottlied von Iseult vilaine! Und die Runde der Männer wird den Schluß mitsingen, der sie verhöhnt!

So lag Isolde und wäre gern gestorben, ehe der Tag sein Licht über ihre Schmach ausgoß. Nie mehr wollte sie vor Tristans Auge hintreten ...

Und weil er einst dies Lied gesungen, darum hatte sie sich das Haar mit der Salbe des Händlers blond gefärbt – jeder mußte es ja sehen, daß sie um Tristans Liebe buhlte! Schon längst hatte sie einen Teil von sich selber hingegeben, damit er Gefallen an ihr fände! Und wenn, er jetzt in ihre Kammer träte – würde sie denn nicht die Arme ausbreiten und ihn hineinziehen wie die Buhldirne, die sich jedem Manne hingibt, der ihrer begehrt? Aber er begehrte nicht nach ihr! Er verschmähte sie! Und er kam nicht, oder vielleicht würde er einmal kommen, sie zu verspotten, zu sehen, wie weit sie aller Zucht vergessen hätte!

Noch war es Nacht. Da stand Isolde auf und zündete Lichte an. Sie wusch sich das Gesicht von Tränen rein und begann ihr langes Haar in Branntwein zu baden. Alle scharfen Essenzen, die sie besaß, goß sie darüber und mühte sich stundenlang, die fremde Farbe zu tilgen. Augen und Kopf schmerzten, doch sie ließ nicht ab, und der erste Schimmer des Tages fand ihr altes dunkelbraunes Haar auf dem Kopfe liegen, dessen sie sich so lang geschämt hatte. Da rief Isolde nach der Kammerfrau und hieß sie ein schwarzes Gewand bringen. Sie wollte hinabgehen und an des Bruders Leichnam beten. Aber den Mann, vor dem sie sich so sehr erniedrigt hatte, wollte sie nie wiedersehen! Und doch war sie stolz, daß sie ihm gestern das Leben gerettet, daß sie ihn vor dem wilden Jüngling beschützt hatte! So konnte sie mit einer guten Tat aus dem Vaterhause scheiden. Denn ruhte Kaherdins Leib einmal in der Erde, so wollte sie das Schloß verlassen und in das neue Kloster der Schwestern von Sainct' Onenne eintreten. Da würde sie bis zum Tode weilen und im Gebet bereuen, daß sie aller Mädchenscham vergessen hatte.

 

Im Saale lag der Leichnam Kaherdins gebahrt. Drei hohe Kerzen brannten zu Füßen, drei zu Häupten des Katafalks. Unbeweglich und dunkelgelb standen die Flammen in dem fahlen Mondlicht. Neben dem Toten saß Tristan, das Gesicht in die Hände gestützt, auf der anderen Seite Perceval. Der Jüngling blickte forschend in das weiße Antlitz Kaherdins, über dessen Stirn eine Strähne schwarzen Haares lag.

»Werden sich dieses Mannes Augen nie mehr öffnen?« fragte Perceval.

Tristan fuhr auf. Sein Gesicht war fast so bleich wie das des Toten, aber im Auge brannte die alte, leidgeschürte Glut. »Nie mehr! Er ist tot! – Hast du ihn nicht selbst getötet?«

»Wirst du auch einmal so daliegen?« fragte Perceval.

»Auch ich! Und auch dich fällt einst der Tod, der du heute jung und blühend bist, Knabe!«

Perceval sah mit einem Ausdruck nicht verstehenden Staunens hinüber. Er lächelte: »Ich werde so kalt liegen?«

»Auch du mußt sterben, wie wir alle! Hast du das nicht gewußt?«

»Meine Mutter hat es mir nicht gesagt. Aber ich sehe, daß du manches weißt. Sag mir: Was ist der Tod?«

»Der Tod ist der Herr der Welt und alle Menschen sind ihm untertan. Seine Hand ist kalt und sie zerdrückt den Odem in der Kehle. Gleichgültig legt er uns auf die Bahre.«

Beide schwiegen still. Im Auge Tristans war das Leid, das den Tod kennt; Perceval aber sah mit klarem Sonnenblick in die Welt hinaus.

»Es ist nicht recht zu töten,« sagte Perceval ernst.

Tristan nickte und schwieg.

»Ist denn ein Mensch wie ein Tier des Waldes, das unbeweglich liegt und nicht mehr aufstehen kann, wenn es ein Pfeil getroffen hat? Wird er immer so liegen?«

»Immer.«

»Ich möchte diesen Mann um Verzeihung bitten, daß ich ihm solchen Schmerz getan habe. Aber ich wußte nicht, daß es so bitter ist, gestorben zu sein. Ich will nie mehr einen Menschen töten.«

Tristan sah ihn an. Um diese hohe weiße Stirn war ein Glanz wie von matten Opalen. Tristan erzitterte wieder. Nie hatte er solch offenes, reines Auge gesehen. »Ich glaube es dir!« sprach er.

»Sag mir, Tristan, ist der Tod ein großes Leid?«

»Er ist das größte Leid der Erde! Ahî! In den Tod fällt die Minute hinab, die eben geboren worden! Stirbt nicht gerade ein Mensch und jetzt ein anderer und jetzt wieder einer? Sieh – hinsinkende Leiber und ermattende Augen! Wir sind alle betrogen ...!«

Perceval blickte ihn an, und Tristan fuhr fort:

»Aber der Tod ist auch etwas wunderbar Süßes! Nach Sehnen und Suchen, das zu keinem Finden geführt hat, öffnet er dir sein Marmorhaus. Du stehst an den Pfosten gelehnt, die verwirrenden Gestalten verschwinden hinter dir, der Lärm verklingt. Stufen gehen in die schwarze Stille hinab. – Du fühlst eine Heimat für deine Seele, und sie kann dir nicht mehr genommen werden!«

»Doch wie weißt du vom Tode, da du lebendig bist? Und der hier liegt, kann nicht mehr zu uns sprechen. Wie kommt es, daß die Menschen vom Tode wissen können?«

Tristan schwieg still. Dann hob er an: »Du seltsamer Knabe, mancherlei lehrt uns das Leben. Es lehrt uns auch den Tod verstehen, es macht ihn uns zu eigen. Der Tod sendet seine düsteren Boten in unser Herz, und wir fühlen das große Leid, das sein Kündiger ist.«

»Du hast viel Leid erlitten?«

»Ja.«

Beide verstummten. Aus der Stille der Nacht kamen von allen Seiten her leise, zögernd die Erinnerungen der Liebe herangeweht und senkten sich in Tristans Herz. Sie weckten das alte Leid zu einem wehen Stöhnen. Tristan barg das Gesicht in den Händen, und ein plötzliches Schluchzen ging durch seinen Körper hin. Dann weinte er lange, der fernen Isolde gedenkend.

»Warum weinst du?« fragte Perceval.

»Mein Leid läßt mich meines Lebens nimmer froh werden. Und denke ich derer, die mir das Leid gegeben, so muß ich weinen!« Tristan sprach zu Perceval, wie er nie zu einem Menschen hatte sprechen können. Es schien, als müßte es so sein.

Perceval sann nach. Dann fragte er: »Es ist eine Frau, um die du weinst? Hat sie dich gekränkt und mußt du sie hassen?«

»Nein. Ich liebe sie und sie liebt mich.«

»Muß man immer um Frauenliebe weinen? Dann ist sie kein gutes Ding.«

»Und doch ist sie süß, von einer schmerzhaften Süße, die das Herz füllt und nichts anderes einläßt.

Wir sehen mancherlei Dinge, viele bewegen sich und sprechen, und wir glauben, daß es Wesen sind wie wir. Aber wir können nicht wissen, was in ihnen lebt. Und wir gehen immer weiter in einem dumpfen Suchen und wissen doch nicht, wohin wir gehen und was wir suchen. Wir frieren in der großen Einsamkeit, die über unsere Seele gebreitet ist. Wir sehen, was andere Menschen tun – aber wir verstehen doch nie, was in ihnen ist, was ihr Tun bedeutet. Wir leben inmitten von Schatten. Und plötzlich, an einem Tag, treffen wir einen Menschen und fühlen, daß in ihm lebt, was in uns selber lebt, daß er uns gesucht hat, wie wir ihn gesucht haben, und daß er uns sein Inneres auftut. Wir fühlen zum erstenmal eine Seele in einem Menschen, die unserer gleicht. Und wir verstehen plötzlich, was uns immer getrieben hat. Wir haben gesucht, was wir fühlen können wie uns selber, einen Menschen, dem wir uns hingeben dürfen ohne Furcht und in tiefer Seligkeit. Und nun stehen wir vor ihm, es ist eine Frau, in ihr lebt eine Seele, die unsere Seele kennt. Das ist die Liebe.

Und wenn sich die Verheißung des Todes auftut, da dich Liebe umfangen hält, wenn die Liebe selbst, um die du so lange irrgegangen bist, das Tor erbaut in die große Dunkelheit – dann ist's das einzige, das große Glück, das uns die Welt schenken kann, der Weg, den uns die Liebe hinabweist in den Tod!«

»Ich verstehe dich nicht! Die Welt ist hell, ich sehe keine Schatten und keinen Tod! Nur lebendige Geschöpfe sind um mich her, die mir vertraut sind oder die mich feindselig bekämpfen. Und ich habe noch nie nach so etwas gesucht, wie du sagst. An jedem Orte sind ja Bäume und Tiere und Menschen, und bei Nacht schauen flimmernde Sterne zu mir nieder! Ich suche nichts.«

Tristan schwieg. Er fühlte, daß ihn dieser Knabe nie fassen würde. Waren sie denn nicht selbst unbegreifliche Schatten füreinander, jeder aus einem anderen Land? Und Tristan fror in seiner Einsamkeit.

Lange war es still im Saale.

»Du sprichst von einer Liebe, die ich nicht verstehen kann!« begann Perceval wieder.

»Weißt du nicht, was Liebe heißt?«

»Ich liebe meine Mutter, aber nie habe ich um sie geweint. Liebst du eine Frau ebenso, wie ich meine Mutter liebe?«

»Nein, ich liebe sie anders.«

»Ich will niemals so lieben, daß ich deshalb weinen müßte!«

»Hast du noch nie geweint?«

»Mit dem Bogen, den ich mir geschnitzt, schoß ich einst einen singenden Vogel. Da verstummte er und fiel vor meine Füße nieder. Sein Auge war traurig, da es mich ansah, und wurde matt. Starr und kalt lag der kleine Vogel unterm Baum. Da mußte ich weinen. Aber ich weiß selbst nicht warum.«

»Du mußtest weinen, weil du ein liebliches Geschöpf getötet hattest, das mit frohem Singen jedes Herz erfreut! Und du hattest den Vogel geliebt, ohne es selber zu wissen.«

Perceval blickte lange auf das Gesicht des Toten. Dann sprach er: »Mein Spieß traf manchen Bären, und die Wölfe erwürgte ich mit der Hand. Aber ich habe nie um sie geweint.«

»Du liebtest das wilde Getier nicht.«

Das Mondlicht glänzte auf Kaherdins bläulichfahlem Antlitz.

Nach einer Weile fragte Perceval leise: »Du sagst, daß aus einem Menschen ein Toter werden kann, wie dieser hier? Ist es derselbe Mann, der mich im Walde verspottet hat? Ich kann es nicht glauben!«

Tristan schwieg. Er sah auf den Toten und dachte, daß der greise König den einzigen Sohn verloren hatte, Isolde den Bruder.

Der matte Glanz schwand von Kaherdins Stirn, die Kerzen verloren all ihr Licht.

Ein breiter Strom von feuerglühendem Purpur floß über den Wald hin und überflutete die Baumspitzen, daß sie hoch aufleuchteten. Das Silberschifflein des Mondes schwamm in die Ferne, in neue Nächte hinein. Immer mehr Gold wurde in den Strom versenkt, der nun die Breite des Tales füllte. In schweigender Erwartung lag die Welt.

Da stand Perceval auf und wandte sich von dem Toten. Aus dem tiefen nebligen Schoß der Nacht stieg die Sonne herauf in ihrer ganzen Herrlichkeit.

Perceval sah in die Sonne. Sein Aug konnte ihren Gruß ertragen, ohne zu zucken, es war für einen schwachen Menschen keine Schande, ihm zu unterliegen. Lange weilte sein Aug in der neugeborenen Sonne und sog ihr Licht in sich. Perceval konnte durch Wochen des Schlafes entbehren. Die Kraft, die andere Menschen in langen Stunden vom Schlaf erringen, trank er mit einem einzigen Blick aus der Sonne.

Sein Auge leuchtete jetzt so hell, daß es Tristan wieder blendete wie gestern im Wald. Der Vielerfahrene konnte diesem unbelehrten Knaben nichts Neues sagen. Perceval war der einzige aller mitlebenden Menschen, der in seinem Herzen von Anfang her um die Göttlichkeit der Sonne wußte. Vielleicht hätte es auch Merlin wissen können; aber er war von einem Teufel erzeugt worden, der eine reine Jungfrau im Schlaf überfallen hatte, und so vermochte er, der doch Vergangenheit und Zukunft kannte, nicht in die Sonne zu schauen. Auf seinem Angesicht war nie eine Röte gesehen worden, und er besaß nicht die Kraft, ein Weib zu umarmen.

Der Jüngling stand hoch aufgerichtet da, schüttelte das lange Haar in den Nacken und blickte zu Tristan nieder: »Du hast wohl großes Leid, armer Mann! Aber der Schmerz täuscht deinen Sinn. Denn es ist nicht wahr, daß alle Menschen sterben müssen! Wie kann aus einem Lebendigen Totes werden? Es gibt keinen Tod!«

Staunend sah Tristan auf den Knaben. Er schien ein Gott zu sein, und Tristan mußte jedem seiner Worte glauben. Er fühlte, daß er diesen Blick nicht ertrug.

Perceval ging in den neuen Morgen hinaus. Ihm war es bestimmt, durch das waldige steile Dickicht des Mont Selvage den Weg zu finden und das Abenteuer des heiligen Grales zu bestehen.

Am Tag des ersten Kampfes ist der Erzengel Michael in das Reich des Satans niedergefahren und hat ihm aus seiner Krone den großen Edelstein geschlagen, dessen Glanz dem Herrn der Finsternis das Licht der Sonne ersetzen mußte. Dieser Stein hat sich in den Tagen der Erfüllung zu einer leuchtenden Kristallschale geformt. Sie ist der größte Schatz, den die Welt besitzt, Sankt Gral: denn Sang Real, das echte Blut des Herrn, wird darin auf Mont Selvage bewahrt.

Die Dinge der höchsten Herrlichkeit bergen das reine Licht im Innern, das von Urbeginn der Welt flammt und nicht erlöschen kann. Es sind verirrte Funken der ewigen Glorie, die sonst auf Erden nicht gesehen wird. Dieses Licht ist im heiligen Gral, in der Sonne, sodann in dem Haar der Königin des Nordens und im Auge Percevals. Andere geringere Dinge können nur leuchten, wenn sie einen Strahl des echten Lichtes empfangen haben. Das ist der Mond, der bei Nacht scheint, das Gold der Erde und mancher Edelstein.

Tristan blieb unbeweglich sitzen: die Worte, die er vernommen, quollen mit nie empfundener Kraft durch sein Herz. Und die Blicke des Knaben schienen alle Dunkelheit in seiner Seele zu zerteilen und aufzusaugen und gänzlich zunichte zu machen. Tristan sah in den purpurnen Morgen und fühlte den Segen der Sonne, wie noch niemals in seinem düsteren Leben.

Da öffnete sich die Tür und Isolde trat herein. Ihr Gesicht war bleich, in den Augen brannte noch das Weinen der Nacht und der Schmerz der mißhandelten Haare. Sie wollte bei dem toten Bruder beten. Sie hob das Auge und fuhr zurück – da saß der, den sie für immer hatte meiden wollen, der sie verachten mußte!

Tristan schaute ihre liebliche Traurigkeit, um die sich der Morgenstrahl tröstend schmiegte. Isolde trat zu den Füßen der Bahre, sank ins Knie und verbarg das Gesicht. Sie weinte leise.

Tristan sah auf das Mädchen nieder. Sie hatte ihn vor dem gewahrt, der so unerschöpfliches Leben in sich trug. Und Tristan fühlte nichts anderes mehr als das Glück, lebendig zu sein, das eine süße Dankbarkeit für die Jungfrau gebar. Er erhob sich und griff nach ihrer Hand. Das leise Weinen der Königin brach in ein wildes Schluchzen aus, das sie schier ersticken wollte. Der Kuß, den Tristan auf ihre Hand preßte, floß glühend durch den ganzen Leib hin, sie bebte wie eine Weide im Abendwind. Sie schmiegte ihr Gesicht in das Bahrtuch und wagte nicht aufzublicken.

Und Tristan küßte ihr Haar und ihre Stirn. Es war, als nähme er mit diesen Küssen alles Frühere von ihr fort und machte sie ganz neu und ganz zu seinem Eigen. Schmerz und Müdigkeit schwanden aus ihrem Kopfe, sie fühlte glückliche, junge Gedanken darin wachsen wie Blumen des Aprils, die die Sonne kost. So lag sie unbeweglich.

Tristan hob sie auf und zog sie rücklings an sich. Ihre Augen waren noch immer geschlossen; sie lag an seiner Brust, wie in ein Pfühl hineingeschmiegt, und empfing seine Küsse auf Wangen und Mund.

In Tristan klang, was der wunderbare Jüngling gesagt hatte: es gibt keinen Tod! Sein Leben dankte er ihr, die er jetzt hielt. Er bettete seine Wange an ihrer glühenden weichen.

Lange standen beide umschlungen. Isolde fühlte ein Glück, das sie bis zu diesem Morgen noch nicht gekannt. Des toten Bruders hatte sie vergessen. Aber in Tristan war ein seltsames Dämmern und eine große Stille, die all der Jahre Unrast sänftigte. Was er in der Zeit der Irrfahrt gelitten, schmolz hin und das Sehnen starb ihm in der Brust. Er umfing sie, die geliebte Königin ... er flüsterte ihren Namen und ein leises Seufzen kam wieder ...

Er hielt Isolde, an deren Sehnsucht er fast gestorben war ...

Ein Brausen hob sich vor seinem Ohr, aus der Ferne stieg es auf und rollte heran – es waren die Wogen des irischen Meeres. Er stand auf Schiffes Bord mit Isolde, die er zum König nach Cornwall führte. Sie hatten den berauschenden Trank der Liebe getrunken, einer von des anderen Lippen, und das Gift des Trankes rann durch ihren Leib und hatte all ihr Blut dem anderen geweiht. Von dem Korallenbecher, den ihm Isolde in ihrem heißen Mund geboten, hatte er geschlürft, immer mehr und immer mehr bis zum Taumel, und sie wußten es beide, daß es kein Fliehen mehr gab. Sie sahen sich gebannt ins Auge, und Schwüre, stärker als Tod und ewiges Verderbnis, kamen ungesprochen aus der Tiefe ihrer Blicke. Das Meer schlug mit wilden Tatzen nach ihnen, in seinem Brausen war ihres Lebens Schicksal, es verfloß mit dem Brausen ihres Blutes ...

Tristan wachte auf.

Ein schlankes Mädchen lag wie schlafend in seinen Armen. Er durchforschte ihr Gesicht und sah zwei schmale dunkle Brauen und eine feine Nase, glühende Wangen und halboffne dünne Lippen, hinter denen es weiß schimmerte. Und er schloß das Auge wieder und beugte sich, und küßte Stirn und Wangen und vergaß sich ganz auf dem Mund. Ihm war, als zöge er eine Decke über den Kopf. Er preßte die Maid, daß sie erschrak und angstvoll zu ihm aufschaute. Kein Branden des Meeres hörte er mehr. Er fühlte das zitternde Weib in seinen Armen, und wie einen Schild hielt er sie, zur Wehr gegen alles, was sonst noch da sein mochte, was er nicht sehen wollte, weil es ihn doch nur quälte. All dies verbarg ihm ihr Leib ...

Im Hof unten sang eine spröde Knabenstimme:

So fiel der junge Kaherdin,
Sie aber lebt, Iseult la brune.


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