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Die beiden Isolden

Von Tag zu Tag kam eine seltsamere Verwirrung über Tristan. Er wußte oft nicht mehr die beiden Isolden zu scheiden, und ein Bild stand vor ihm, in welchem sie zu einer einzigen Frau verflossen. Über dem zarten Mädchengesicht der Weißhand sah er das schwere leuchtende Haar, das sich einstmals um seinen Hals gewunden hatte wie Licht und pure Seligkeit, und die vollen Arme der Königin des Nordens hoben sich mit der weichen Bewegung, die er kannte, ihn zu umschlingen. Aber diese Arme trugen schmale Elfenbeinhände. Und einmal im Traum sah er, wie die Frau mit dem Goldhaar aus dem nächtigen Walde trat und sich über die Wasserlache beugte, in der er lag. Hinter ihr kam die Weißhand und riß an den Haaren und legte sich die geraubten Goldfäden aufs Haupt. Da mußte die Irin davongehen; und sie stand auf der Wiese neben dem Schrein mit den Gebeinen des Heiligen und beugte sich über die Feuer und ergriff das glühende Eisen. Schwebend trug sie es über den Fluß. König Marke saß da und beobachtete sie mit verzerrtem Gesicht und gierigen Augen. Wie sie vor Tristan stand, war es die Weißhändige in den geraubten Haaren, unter denen ihre dunkeln hindurch sahen; sie warf das Eisen über ihn, daß er aufschrak und erwachen mußte ...

Herr Agrevain sagte einst, es sei nicht möglich, daß zwei Menschen den gleichen Namen trügen; und wäre es doch so, dann müßte der eine von ihnen sterben, denn jeder Name sei nur für einen Menschen gemacht worden. Es war gewiß ein hohles Reden – aber Tristan erbebte, wie er diese Worte vernahm, und es deuchte ihn ein Geheimnis und ein Zauber, daß es zwei Frauen gäbe, die Isolde hießen. Vielleicht war es eine einzige, die sich in andere Gestalt gekleidet hatte, um von Marke nicht erkannt zu werden, um ihm her zu folgen und ihre Liebe zu bringen? Isolde hier – Isolde da – er wußte nicht mehr, welche die wahre sei; denn es schien ihm, daß Agrevain recht haben müsse: nur eine einzige Isolde konnte es geben, nur die eine konnte er lieben ...

Und hörte er den Namen über die Stiegen hallen, so sprang sein Herz wild auf – er sah den verschlossenen Garten von Tintaguel, wo er ihrer in mancher Nacht geharrt hatte und ihr dann entgegen geflogen war, wenn sich endlich die Pforte aufgetan: Isolde!

Nun aber war es die andere, die ihr den Namen gestohlen, wie sie vordem das Haar hatte rauben wollen, die schlanke Jungfrau, deren Hände so gern über seine Wange liefen. War er der echten Geliebten untreu geworden? Aber es gab ja nur eine Isolde – mit geschlossenen Augen versank er in ihren Schoß ...

Wenn in der Seele eines Menschen ein Geheimnis wohnt, so baut es einen Wall herum, der höher und höher wird und keinem erlaubt, in diese Seele hineinzublicken. Mancher kommt nahe, vom Verborgenen gereizt; er wandelt um den Wall hin und her, aber er geht wieder seines Weges, wenn er sieht, daß der Wall zu hoch ist für ihn, daß hier ein Geheimnis in großer Abgeschlossenheit lebt. Das Geheimnis strömt eine feindliche Kraft aus, und jeder muß es fühlen: Ich will dich nicht! Ich ertrage nichts Fremdes um mich her, nur mich selbst ertrage ich, mich und mein Leid, denn wir sind Eines!

So nährte sich Tristans Leid von dem Geheimnis, das in seiner Seele war, und konnte nimmer ersterben. Er lebte ohne Freudigkeit.

Manchmal ahnte Isolde etwas von dem Geheimnis, das er trug; sie ging um den Zaun und suchte mit Schmeicheln und frohem Lachen einen Weg für ihre zarte Mädchenseele. Aber sie fand ihn nicht und sann doch immer, wo er führen könnte. Lag sie in Tristans Armen, so glaubte sie, den Geliebten ganz gewonnen zu haben, und konnte nichts mehr sehen, das zwischen ihnen stand – aber dann kam wieder seine trotzige Verschlossenheit, die keinen nahe ließ.

Tristan wußte nicht mehr, wie ihm ward. Er verlag sich tagüber in Schloß und Garten, sein Gang war müde, und er regte sich wenig. Das Schwert rostete in der Scheide, und er ließ die anderen allein aufs Jagen gehen. »Das ist die Liebe zur Königin!« Aber es war Gleichgültigkeit und der Ekel, etwas zu beginnen. Denn er dachte, daß alles Tun auf Erden vergeblich wäre, daß es nichts Gutes brächte. Stundenlang saß er bei Isolde, den Kopf in ihrem Schoß, und spielte mit den zarten Händen und hörte auf ihr Plaudern. Dann zog er sie nieder und küßte sie mit Leidenschaft, daß sie plötzlich in dunkler Röte verstummte ...

Er liebte es, bei den Männern zu sitzen, die er früher gemieden hatte, und horchte gern, wenn sie von großen Taten erzählten. Was sie sagten, war ihm nichts; er stellte keine Fragen und erwog nicht, war der Redner fern, mit den anderen, ob auch wirklich alles so geschehen wäre, wie der es behauptet hatte. Aber er vergaß sich selbst, wenn er den Erzählungen lauschte. Er konnte nicht allein sein, und abends nahm er einen schweren Trunk, daß er traumlos schlafe. Denn ihm bangte vor der Stille der Nacht. Auch den Tod fürchtete er nun, dessen Schrecken er früher kaum geachtet hatte. Seit er vor Perceval geflohen war, überkam ihn manchmal ein plötzliches Zittern. Es geschah, daß er nachts entsetzt aus dem Schlafe fuhr und den Eschenstab des Waldknaben über seinem Kopf zu fühlen glaubte. Dann lag er lang und horchte auf das Pochen seines Herzens und achtete, ob der Atem hin und wieder ginge. Konnte denn das Herz nicht plötzlich stille stehen oder der Atem stocken? Und dann war es ganz zu Ende. Unbegreiflich deuchte es ihn, daß er so oft sein Leben aufs Spiel hatte setzen mögen, und nun sann er darüber nach, wie leicht er hätte sterben können: an der Verletzung, die er von des Morholts vergiftetem Schwert empfangen, durch Verrat zu Cornwall, auf dem Meere beim Sturm und in all den Kämpfen, da er nie zurückgeblieben war, in Kämpfen für fremde Herren, und auch an der schweren Wunde, welche die Weißhand geheilt hatte. Dachte er all dieser Gefahren, so wurde er voll Furcht und erwog, ob er nicht irgendwo ein heilsames Kreuzlein bekommen konnte, das ihn feite. Er wollte fürder bei seinem Weib daheim bleiben und die Fährlichkeiten meiden, die draußen lauern.

Am Morgen aber setzte er sich müßig zu den Mädchen und sah zu, wie die kostbaren Kleider fürs Hochzeitsfest gefertigt wurden. Er sprach darüber, welches Pelzwerk wohl den dunkelblauen Sammet seines eigenen Gewandes am besten zieren würde.

Er dachte daran, daß des alten Königs einziger Sohn und Erbe tot war und daß die Herrschaft bald Isolde würde. Er wollte ruhig und unabhängig leben, selbst Herr, nicht einem andern zu Dienst, wenig geringer an Macht als Marke. Er würde der Weißhand für alle Liebe dankbar sein und ihr Land wohl behüten und ihr immer Treue wahren. Er verstand die Geschäfte des Friedens; war er doch selbst eines Herzogs Sohn und eines großen Königs Neffe. Er wollte freigebig sein und stets viele Gäste um sich sehen. Fröhlichkeit sollte im Schlosse herrschen, und den Wein wollte er niemals sparen.

Tristan erwachte bei Nacht. Um ihn war eine so lautlose Stille, wie er sie nie geahnt hatte, und es schien, als sei er allein in der Welt. Er konnte die Stimme der Stille vernehmen. Sie war ohne jeden Ton und noch lautloser als das Schweigen umher. Die Stimme sprach aus einer hallenden Ferne in die Nacht hinein. Tristan fühlte, daß jetzt die Sterne erloschen waren, um die Stimme der großen Stille nicht zu zerstören. Sie rief: »Tristan!«

Aber sein Name klang fremd und ungeheuer wie ein Ton aus entsetzlichen Abgründen, den kein lebendiges Wesen gesprochen hat. Tristan fühlte ein geheimes Band, das zwischen ihm und dem großen Schweigen ausgespannt war. Er öffnete das Auge und sah die ganze Finsternis, in der die Stille lebt. Die Nacht wurde zu einem grauenhaften Brausen wie ein Strudel, und doch war alles ohne Ton und ohne Licht.

»Tristan! Eine Seele ist, die harrt deiner!«

Er starrte in die Finsternis. Die Wände waren versunken, und er lag auf freiem Feld, droben der Himmel, schwarz und unendlich fern, unten das geheimnisvolle Grauen.

»Tristan! Eine Seele ist, in die du eingeschlungen bist!«

Gelbe Kreise rollten durch die Nacht – ein Totenvogel schrie – die Stimme der Stille war verstummt.

Tristan fühlte die Kälte und lag da, von dem Raunen erfüllt, das aus dem tiefen Schweigen zu ihm gekommen war. Wenn er des Vergangenen dachte, so würde es ihn umweben und vernichten. Und er hielt seine Seele fest, daß sie nicht fortschlüpfe, daß sie nicht an alten Dingen verderben müsse.


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