Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der alte Spielmann

Sonder Freude und sonder Ruh zog Tristan auf den Wegen der Welt. Er diente dem König der Dänen und focht mit Ilsung gegen die Burgunden. Den Winter hindurch lag er verzweifelten Sinnes auf seiner Burg Kanoel. Als der Schnee schmolz, trieb es ihn wieder in die Weite. An allen Orten wurde ihm Ehre zuteil, denn selten ward ein Mann gesehen, der so wenig des eigenen Lebens acht hatte, der für fremde Ehre und für fremdes Land in den Kampf zog, ohne je Lohnes zu begehren. Aber er war ohne Freudigkeit und nirgends duldete es ihn lange.

Olo, der greise König von Graland, der kinderlos war, wollte ihn an Sohnes Stelle annehmen und zum Erben seines Landes machen, nachdem Tristan mit geringer Gefolgschaft den Riesen Widolt verjagt und seine reichen Schätze erbeutet hatte: Aber in der Nacht, da ein lautes Gelage den Sieg feierte und Tristan, von allen gerühmt, zur Rechten des Königs saß – da war er in bitterer Verzweiflung. Die Freude der Krieger hatte alle alte Trübsal aus den Tiefen seiner Brust heraufgelockt. Er sah, daß sein Leben elend und ohne Minne verging. Schwertkampf und Abenteuer, Jagd und Spiel, Umtrunk und Gelag – es war ödes Versäumnis. Des Lebens Zeit rann ihm fern von Isolde dahin. Markes Späher lauerten an den Küsten von Cornwall. In der Stunde, wo er das Land betrat, mußte ihn ein Speerwurf fällen. Solcherlei Gedanken erfüllten Tristans Sinn. Er stand auf und schlich aus der Halle und aus dem Getümmel. Er bestieg sein Pferd und ritt in die Nacht hinein. Von Tintaguel her war ihm Bigrat unverletzt geblieben, denn Isolde hatte einen wirksamen gälischen Zauberspruch in sein Ohr gelegt und das druidische Sonnenrad über des Rosses Kopf gezeichnet.

Fern vertönten Gesang und Jubel; der Sieger und Königserbe ritt einsam, ohne Schildknecht, ins Dunkel. Das Leid der Liebe fraß in seinem Herzen. So war er schon aus manchem Land gegangen.

Tristan kam an einen Fluß. Er folgte den Windungen; wohin sie ihn führten, galt ihm gleich. Hohe Bäume standen am Ufer, die Wasservögel schrien, eintönig schlugen die Unken. Hin und wieder regte sich ein Tier im Gebüsch. Wenige Sterne gab es in dieser Nacht.

Da vernahm Tristan leises Saitenspiel, der geliebten Harfe ähnlich, nicht von einer Fiedel tönend, über die der Bogen geht, wie es in allemannischen Landen der Brauch ist. Ein Licht schien zwischen den Bäumen. Tristan ritt zu dem Fenster und sah, daß ein alter Mann in der Hütte saß, der die Harfe schlug. Lange lauschte Tristan. Dann stieg er vom Pferd und trat ein. Der Harfner erschrak. Aber Tristan setzte sich schweigend an den Tisch, und in seinem Blick lag die Bitte, die der Alte verstand. Er begann sein Spiel von neuem, und dann hob er die Stimme und sang eine Chanson in der süßen Sprache des Frankenlandes, ein höfisches Gedicht, kein Kreuzgesang und keine Frühlingsritornelle. Es war ein Tagelied: der Ritter hob den Kopf vom Polster und sah, daß der Morgen schon sein Dämmern sandte. Ich muß nun fort, geliebte Frau, flüsterte er, der Tag naht! Doch die Frau umschlang seinen Hals mit blumenweichen Armen und hauchte ihm ins Ohr: Bleib noch bei mir! Und der Ritter blieb. Es ward sein Tod und der Frau schmähliche Verderbnis.

Unbeweglich lauschte Tristan. Und er sann in dumpfem Gram, wie er doch hatte von ihr fortgehen können, die seines Lebens ganze Seligkeit gewesen. Und er schalt sich einen Feigen, daß er für sein Leben gebangt hatte, anstatt dem Ruf der Liebe zu folgen. Sie hätten zusammen sterben müssen. Starben sie denn nicht in den endlosen Qualen des Ferneseins? ...

Längst hatte der Alte geendet. Tristan saß versunken. Dann griff er nach der Harfe und goß seinen Schmerz in die Saiten, die ihn willig aufnahmen und mit einem lieblichen, goldigen Klingen zurückgaben. Ein kleiner Vogel hub an zu singen, den der Alte im Käfig hielt. Wundersam war es, wie das bittere Leid in den Saiten sang und die Lust des Vogels dreintönte. Tristan begann mit leiser klarer Stimme das Lied, das er seiner Herrin gesungen hatte. Strophe nach Strophe verhallte langsam und traurig:

Iseult la blonde, Iseult m'amie,
En vus ma mort, en vus ma vie!

Dann schwieg er still.

In den Augen des Spielmannes war das Leuchten erglommen, das über den Sangeskundigen kommt, wenn er einer neuen werten Weise lauscht. Er zog die Harfe an sich und begann Tristans Lied. Tristan sah auf. Seltsam war es, von einem Fremden zu hören, was seine heimliche Liebe ersonnen, was niemand kannte als die eine, der es zu eigen geschenkt war. Der Altgreis spielte eine Strophe um die andere. Sehnsuchtsvoll klang Iseult in seinem Munde.

Da sagte Tristan: »Menestrel, willst du mir ein Bote sein und dieses Lied zu der tragen, der es gehört, weit fort, durch manches Land, übers Meer?« »Das ist die Königin von Irenland!« sprach der Sänger. Tristan erstaunte. Doch der Alte fuhr fort: »Ich bin an allen Höfen gewesen, da ich jung war, aber Iseult la blonde ist die Königin von Irenland.« »Sie ist jetzt Herrin in Cornwall. Willst du mein Bote zu ihr sein?« Der Harfner schwieg lange. Endlich gab er die Antwort: »Seit vielen Jahren sitze ich hier. Nur der kleine Vogel im Gehäuse ist mein Genoß. König Olo läßt mir den Unterhalt reichen. Aber ich will noch einmal hinauswandern! Denn dieses Lied ist schön! Und es soll zu der kommen, für die es bestimmt ist.« »Du willst es tun?« »Ja, Herr! Sag ich, wer mich sendet?« »Es ist nicht nötig. Aber vorher sollst du es an keiner Stelle singen – und auch nicht später! Dann möge es für immer in dir vergraben sein!« »Ich bin alt, Herr! Komm ich glücklich übers Meer und hab ich der Herrin das Lied gebracht, so will ich meine Harfe zerschlagen.« »Die Frau wird dir eine neue schenken.«

Tristan ritt in den jungen Tag hinaus. Langsam trug ihn das scheckige Pferd durch das tiefe grüne Meer der Wiesen. Die goldgelben Wogen fluteten heran, vom Morgenwind gekräuselt, und brachen sich an des schweren Tieres Flanken und schäumten den Tau um seine Nüstern. Welle kam aus der Ferne nach Welle und übersprühte Pferd und Reiter mit hellblauem Gischt. Wie ein bauchiges Schiff zog Bigrat durch die Wogen der Au; Helm und Brustharnisch leuchteten im sonnigen Widerschein, vom Mast der hohen schmalen Lanze wehte flackernd der Wimpel.

Die klaren Tropfen fielen auf Tristans Aug, und er sah, daß es Sommer war. Falter umtanzten ihn, er hörte das frohe Singen der Vögel. Sein Auge tat sich weit auf und ließ den Morgenschimmer in die Brust einziehen. Das Brennen schwand aus ihr, und mit stiller Freude dachte Tristan derer, die bald seinen Gruß empfangen sollte.


 << zurück weiter >>