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Die Heilung

Im schönsten Zimmer des Schlosses war Tristans Lager. Duftendes Aloeholz brannte Tag und Nacht im Kamin. Nie ward ein Kranker so treu gepflegt. Verließ ihn Isolde, um für wenige Stunden zu ruhen, so wachten ihre Freundinnen, die kleine, rote Alienor und die zarte, schlanke Gwendoline, bei Tristan und sorgten, daß alles erfüllt werde, was die Herrin befohlen hatte. Und es war nicht wenig, denn das ganze Sinnen Isoldes war auf Tristans Genesung gestellt. Lachen und Spiel war aus dem Mädchenkreis geschwunden. Kindisch hätte es ihr jetzt geschienen, Blumen zu pflegen oder im Garten Ringelein zu schnellen, wo so ernste Pflicht auf ihr lag. Die Gespielinnen aber blickten sich manches Mal lächelnd an.

Tristan wußte noch nicht, in wessen Burg er sich befand. Er sah, daß drei liebliche Mädchen um ihn waren, die ihn mit großer Sorge pflegten; täglich kam der alte König mit seinem Sohne Kaherdin, nach ihm zu fragen. Aber Tristan lag ohne Teilnahme. Da waren Menschen, die ihn gesund machen wollten, und er fühlte sich leben.

In einer dunkeln Nacht hatte Isolde auf sein Kissen das Schlangenei gelegt, das ihr Merlin drei Tage vor seinem Tode anvertraut hatte und das bei Tageslicht verschlossen sein muß, damit nicht schädliches Gewürm auskrieche. Das Schlangenei birgt die stärkste Heilkraft in sich. Es wird auf wunderbare Weise erzeugt. Neunzehn Schlangen sind zu einem gräßlichen Giftknäuel verknotet, den kein Mensch und kein Tier entwirren kann. Einst hatten sie auf dem Grund des schwarzen Sumpfes zu Estrangolic gelegen. Über diesen Sumpf hatte Merlin in einer sternlosen Nacht die große Beschwörung gesprochen, und mit einem wilden Zischen mußte der Schlangenkönig zur Höhe fahren; er hatte aus allen neunzehn Rachen seinen Geifer gespien. Aber Merlins Zauber war so stark, daß das Ungeziefer unter entsetzlichen Krämpfen das Schlangenei hatte gebären müssen und gleich verstorben war. Dieses Ei, das in einem verschlossenen Kästchen vom Holze des Mistelbaumes bewahrt wurde, hatte Isolde vor acht Nächten der geheimsten Lade ihres Schreines entnommen und neben Tristan gelegt, damit er genese, es aber dann gleich wieder versperrt. –

Dämmerung war, Sturm und Schnee schlugen ans Fenster. Isolde saß da und sann, was sie seit Wochen gesonnen hatte: daß dieser kranke Mann wieder heil werde, von ihr geheilt werde. Er hatte noch wenig gesprochen. Aber mancher dankbare Blick war in ihr Auge hineingefallen, wenn die weichen, weißen Hände einen neuen Verband auf seine Wunde legten, und unter jedem solchen Blick hatte ihr Herz hoch aufgezuckt. Dann griff sie schnell nach Leinwand und Salbe, um mit der Hände Emsigkeit das Zittern des Herzens zu verscheuchen.

Tristan schlief. Isolde ließ ihren Blick auf ihm ruhen – das wagte sie nur, wenn er schlief. Gern hätte sie von seiner Stirne abgelesen, wer er sei und was in seinem Herzen lebendig wäre. Sie fühlte, daß sie keinen mehr lieben könnte, seit sie diesen Mann gesehen hatte. Sein Aug war voll Trauer und Geheimnis.

Sie legte ihm die Hand auf die Stirn, um zu fühlen, ob er Hitze litte. Es war nicht der erste, den sie gesund gemacht hatte, nie aber war so viel Zittern dabei gewesen. Sie hätte die Hand wieder aufheben können, doch sie ließ sie auf seiner Stirne ruhen. So wollte sie ihn vor Schmerz und Tod schützen ... Heißer Dank wogte in ihr für Merlin, den wilden Zauberer, der eines bösen Geistes Sohn gewesen war und sein Leben lang mit den Menschen gehadert hatte, um am Ende seiner Tage einem Kind das Haar zu kosen und es all seine Kunst zu lehren.

Nie war eine schönere Hand gesehen worden, als die jetzt auf Tristans Stirne lag, die Hand der Königstochter von Arundele, die Iseult as blanches mains hieß. Diese Hand war weiß wie Elfenbein von Indien. Die langen Finger, deren Gelenke man nicht sah, wurden immer schmäler, am Ende war jeder von einem schimmernden Nagel gekrönt wie von einem Rosenkränzlein. Der Nagel wölbte sich und wogte vor, zarter errötend als der erste Hauch, den die Liebe auf einer Jungfrau Wange legt. Seine Spitze glänzte matt gleich Perlen aus dem Meer von Arabia. Diese Hände waren nicht klein, sondern lang und kräftig. Es hieß, daß sie in eine wunderbar zarte Haut gehüllt zur Welt gekommen waren, die sie wie Handschuhe aus Spinnwebe gedeckt hatte.

Alles Fieber zogen diese kühlen Hände aus der Stirn des Kranken. In ruhigem Schlummer lag er da. Sein Atem strich langsam ein und aus; Isolde konnte fühlen, wie er durch sie genas. Seine Wangen färbten sich im Schlaf, und die Lippen formten lautlose Worte. Die Königin beugte sich über ihn; es war, als könnten ihre erregten, weit offenen Augen hören. Sie trank den Hauch: »Isolde!«

Schon einmal hatte er ihren Namen geflüstert, an dem Tag, da er in der armen Hütte gefunden und hierher gebracht worden war. Ein süßes Gefühl quoll in dem Herzen des Mädchens; glücklich lächelte sie zu dem Manne nieder, der bald heil sein sollte. Ihre Hand glitt von Tristans Stirn auf den Polster; er wandte schlafend den Kopf und preßte seine Lippen gegen ihre Finger. Durch Isoldes Leib ging ein Beben: sie lebte in seinen Träumen! In den Träumen dieses geheimnisvollen, traurigen Mannes! ...

Sie wußte selbst nicht, was sie tat: sie beugte sich herab und hauchte einen Kuß auf seine Schläfe. Fast ohne es zu berühren, hauchte ihr Mund über sein Gesicht hin. Als sie das getan hatte, fuhr sie erschrocken zurück. Sie atmete tief ein, senkte den Kopf und blickte in Scham nieder. Dann lugte sie verstohlen auf Tristan, aber er schlief ruhig – wenn er es gemerkt hätte! Sie sah ängstlich im Zimmer umher; niemand war da. Nur die Scheite im Ofen knisterten durch die Dämmerung.

Isolde fühlte ein wundersames neues Leben im Herzen aufwachen. Ihr war, als hätte ihr Dasein erst heute begonnen. Was vorher gewesen, ist ausgelöscht und vergessen. Sie ist kein Kind mehr; dieser Kranke wird an einem Morgen heil und stark aufstehen und sie mit seinem tiefen Blick ansehen. Weiter hinaus kann sie nicht denken, aber sie weiß, daß diese Stunde ihres Lebens Anfang ist.

Tristan spricht jetzt deutlich: »Isolde, du bist bei mir!« Unter seiner Stirn liegt ein Traum der Liebe. Da weiß die Königin von Arundele, Isolde mit den weißen Händen, daß sie geliebt wird.

Im Raum ist das süße Dunkel des Abends, das nicht von grellen Lichtern vertrieben wird. Tristan schlägt das Aug auf. Er lächelt dem entschwindenden Traume nach. Er fühlt noch auf seiner Stirn die kühlen Hände, und dahinter sieht er ein Angesicht in der Dämmerung, aus dem zwei Augen in Liebe leuchten. Ist das sein Traum, der lebendig geworden, Isolde, die Königin von Irland? Das Feuer im Ofen schenkt kein Licht; aber doch fühlt er etwas Fremdes, etwas, das nicht sein Traum ist. Und er schließt das Aug und findet seinen Traum wieder. Unverständlich und grausam ist die Wirklichkeit. Doch an seinem Lager sitzt die Königin mit dem goldenen Haar, und er flüstert ihren geliebten Namen.

Isolde aber horcht atemlos und zitternden Herzens, ohne sich zu regen. Es ist die schönste Stunde, die ihr das Leben geschenkt hat.


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