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Perceval li Galois

Einer Dohle gleich, die regungslos auf ihrem Busch kauert, so lag die Trauer mit großen schwarzen Fittichen über Tristans Seele. Und sie brütete Gedanken der Verzweiflung aus, die alle sprachen: Tod ist dein Teil! Immer mehr dunkle Gedanken flogen um sein Haupt; wo er ging, hörte er die dumpfen Flügelschläge, und seine Seele trank gierig ihr Lied. Er würde nie mehr zu seiner Königin kommen – vielleicht sein Leichnam, von einem Mörder hingeschleift, dem Marke grinsend Schätze zahlen ließ ...

Er saß am Teich des Parkes und sah die schwarzen Schwäne, die unbeweglich auf dem Wasser standen. Die weißen waren alle verflogen.

Da nahten die beiden Knappen Kaherdins in eiligem Lauf und riefen schon weit draußen von einem Unglück. Isolde kam herab. Die Knappen warfen sich zu der Herrin Füßen; beim Jagen hatte Kaherdin den Tod gefunden. Nicht durch einen Bären oder einen Wildeber zerfleischt; ein unbärtiger Jüngling hatte ihn erschlagen. Waffenlos war er dahergekommen, nur einen Eschenstab in der Hand. Sein Leib war von einem bunten Narrengewande bedeckt, aber aus seinem Auge gingen Flammen hervor. Kaherdin hatte ihn im Übermut verlacht. Da hatte der Knabe gefragt: »Lachst du über mich?« – »Über dich und dein Kleid!« Das sonnige Gesicht war finster geworden. »Dies Kleid hat mir meine Mutter geschenkt!« Aber Kaherdin hatte gespottet: »Ei, deine Mutter? Hat sie dich etwa ausgesandt, daß die Tiere was zu lachen haben? Du möchtest sie wohl deine Dummheit lehren?« Da war der Knabe vor das Pferd Kaherdins getreten und hatte ihn zitternd gefragt: »Willst du meine Mutter verhöhnen?« Und auf Kaherdins Antwort: »Sie ist wohl die Hexe im Wald?« hatte der Fremde mit einem Schlag seines Stabes Kaherdin den Kopf zerschmettert, daß er lautlos niedergesunken war. Die Knappen aber waren geflohen. Sie glaubten, daß es kein sterblicher Mensch sein konnte, der das getan.

Isolde schluchzte. Doch Tristan, der alles angehört hatte, trat den Knappen entgegen: »Führt mich zu dem Fremden!« Isolde faßte seine Hand: »Rächt Kaherdin! Aber hütet Euch selbst und kämpft mit Vorsicht! Wenn er übermenschliche Kraft besäße ...« »Ich will es sehen!« sprach Tristan. Aber in seinem Herzen war er entschlossen, Kaherdin zu rächen und selbst den Tod zu suchen. Jetzt war die Zeit gekommen, da alles Leid zu Ende gehen mußte! Tot sein ist besser, denn lebend in Qual vergehen.

Abelin brachte Sturmhaube und Schwert herbei. Den Schild ließ Tristan daheim. So ging er gegen den Fremden. Isolde folgte ihm in kleinem Abstand.

Kaherdins lediges Pferd sprang ihnen entgegen. Zerschmetterten Hauptes lag der Tote unter den Bäumen. Neben ihm stand Perceval li Galois. Er war groß und schlank und schön. Helles schlichtes Haar floß auf die Schulter, und aus den Augen flammte es wie lustiges Schmiedefeuer. Die Sage ging, daß seine Augen den Weg erleuchtet hatten, als er allein in dunkler Nacht durch das Klippenmeer von Brentenol gerudert hatte. Alle Fische der Tiefe waren nach oben gekommen und hatten das helle Licht umkreist; ja selbst die wunderbaren Blumen, die auf dem Meeresgrund wachsen, hatten sich losgerissen, um in diesem Leuchten zu atmen. So waren Percevals Augen.

Tristan sah staunend den seltsamen Gast. Er trug keine Waffen, nur einen langen Stab, und war in ein grelles Narrenkleid gehüllt. Nicht Kappe noch Hut deckte sein Haupt. Tristan schritt ihm entgegen, das bloße Schwert in der Hand. Doch er zögerte: hier war wenig Ehre zu gewinnen. Ein unbewehrter Knabe! Isolde sank neben des Bruders Leichnam wehklagend nieder.

Perceval rief drohend: »Willst du auch meine Mutter verspotten?« – »Verwünscht sei die Hexe!« schrie der Knappe, der zurückgeblieben war. »Aber wart! nun geht's dir übel!« und lief stracks davon. Perceval wollte ihm nach. Doch Tristan trat in seinen Weg. »Hast du den getötet?« fragte er finster. »Getötet? Ich weiß nicht, was du sprichst! Ich schlug ihn vom Pferd, weil er meine Mutter verhöhnte!« »Frecher!« Tristan hob das Schwert mit der Fläche, Perceval seinen Stab.

Und nun geschah das Seltsame, daß Tristan, der nie vorher gebebt hatte – außer in den Armen der Königin mit dem goldenen Haar –, zu zittern begann, da sein Blick das flammende Auge des Waldknaben traf. Aus diesem Auge quoll alle Kraft des Lebens wie ein Springquell und flutete über Tristan hin. Die Todesbegierde kann den Blick des lebendigen Lebens nicht ertragen.

Tristan wich. Schritt um Schritt floh er vor diesem Aug und wußte sich keine Rettung mehr. Die Furcht trieb ihn, er wandte sich, er warf das Schwert von sich und sprang durchs Gedorn. Hinter ihm lief Perceval. Tristans Gewand wurde von Dornen gehalten und zerrissen; über eine dicke Wurzel stolperte er und sank ins Knie. Er glaubte schon, den Stab zu fühlen, der auf sein Haupt niedersauste. Das war der Tod ...

Er schloß das Aug und sah, wie sein Leben jach an ihm vorüberströmte in einem wilden Drängen. Eine Pforte tat sich auf und die Königin stieg zu ihm in den Garten nieder. Er flüsterte: »Isolde!« ...

Isolde Weißhand sprang vom Boden auf, wo sie neben Kaherdin gekauert hatte, eilte zu Tristan und hielt ihren Schleier schützend über ihn. Der Stab des furchtbaren Knaben schwebte über seinem Haupt, aber Isolde beugte sich vor und hob die Hände zur Abwehr. Tristan lag da und barg das Gesicht im Kleid der Königin. Er glaubte zu sterben ...

Perceval sah voll Staunen auf die flehende Frau. Sein Arm erstarrte, langsam sank der Eschenstab herab. Der Knabe dachte seiner Mutter Worte, die ihn gelehrt hatten, jedes Weib zu ehren und keiner ein Leid zu tun. Er wandte sich langsam und ging davon, den Weg, der nach Arundele führte. Durch die Bäume schimmerte sein Narrenkleid.

Tristan aber lag vor den Füßen des Mädchens, den Arm um ihr Knie geschlungen. Sein Leben war an ihm vorübergerauscht wie eine dunkle, unentrinnbare Meerwoge. Aber aus der Ferne war die Retterin gekommen, die er in seiner großen Not gerufen. Sie beugte sich liebend über ihn. Leid und Sehnen war zu Ende ...

Isoldes Antlitz flammte rot auf. Die letzte Träne um den Tod des Bruders rollte übers Kinn. Sie fühlte, daß Tristan ihr Knie umschlungen hielt, und sie gab sich geschlossenen Auges dieser Umarmung hin. Tristan liebte sie ...

So rettete die Königin zum zweitenmal dem Manne das Leben, der hatte sterben wollen und in Furcht vor dem Todesstreich geflohen war.

Tristan zog die Hand an sich, die auf seinem Haupte lag, und küßte sie. Aber diese Hand – er fuhr auf und öffnete das Auge! Das war nicht Isoldes Hand, die er in ihrer Glut kannte von manchem heimlich-wilden Pressen!

Tristan erhob sich. Er hatte des Jünglings vergessen, der den Tod über sein Haupt gerufen. Er sah, daß eine andere Frau gesenkten Hauptes vor ihm stand, und wußte nicht, welches Wort er an sie richten sollte. Alles war ihm seltsam und fremd und unbegreiflich. Bäume standen um sie, aus der Ferne klang ein Jägerhorn. Nicht weit blinkte etwas im Grase. Es war das Schwert Joyeuse. Hatte er es hingelegt? Nun entsann sich Tristan seiner Flucht und des wilden Knaben. Vor den Augen dieser Jungfrau hatte er sich feige gezeigt. Aber er empfand keinen Schmerz darüber. Er hob sein Schwert vom Boden.

Beide gingen stumm nebeneinander her. Isoldes Aug haftete in entsetzlicher Verwirrung am Boden. Sie konnte nichts denken und wankte vor Liebe und Scham. Was war mit ihr, mit Tristan geschehen? Er sprach kein Wort der Liebe, er nahm sie nicht in seine Arme ...

In Tristan aber war eine große Leere. Lange schritt er gleichgültig weiter. Im Gehen stießen sie aneinander und fuhren zurück – ein weiter Raum lag nun zwischen ihnen. Tristans Auge streifte die zarte gebeugte Gestalt. Dann blieb es starr an dem bloßen Schwert hängen, das er in Händen trug. Es folgte der leisen Ausbuchtung der Schneide, die sich bis zur Spitze verjüngte, und lief im Kreis zurück. Ein Birkenbäumchen stand am Weg. Tristan hob sein Schwert auf und fällte das zarte mit einem Hieb, daß es seufzend niederbrach. Erschreckt sah Isolde her, ihre Blicke gingen zaghaft über seine. Aber beide wandten sich wieder schnell voneinander. Isolde ging mit eiligen Schritten. Sie fürchtet sicherlich, daß ich nach ihr schlagen könnte, dachte Tristan bei sich. Werfe ich doch einen jungen wehrlosen Baum hin und bin vor dem Stab eines Jünglings gelaufen. Haß gegen die Frau stieg ihm auf, daß sie ihn so gesehen, daß sie ihm das Leben bewahrt hatte.

So kamen sie heim.


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