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Der Abschied

König Marke hatte es an allen Kreuzwegen von Cornwall verkünden lassen, mit Trompetenschall und feierlichem Ausruf: Wer immer nach Verlauf dreier Tage seinen Neffen und Vasallen Tristan, den Herrn von Lonnois, noch im Land antreffe, der solle ihn töten. Im ehrlichen Kampf oder hinterrücks. Tristans Kopf samt dem Helm würde ihm mit dem gleichen Gewicht puren Goldes vom König abgekauft werden. Jeder Übeltäter mochte sich frei zeigen, wenn er Tristans Kopf brächte; er sollte für immer straflos sein. Und der König war entschlossen, dieses Mal keine Gnade zu üben; er hatte die Liebe zu dem Kind seiner unglücklichen Schwester Blanchefleur aus dem Herzen gerissen. Wohl war es ihm trotz aller Eifersucht und trotz der großen Schlauheit seiner Späher nicht gelungen, die Königin im Liebesspiel mit Tristan zu überraschen. Ja die starke Frau hatte die Probe des glühenden Eisens bestanden und dann ihre Hände vor den versammelten Baronen des Reiches aufgehoben: sie waren rosig gewesen wie die Haut reifer griechischer Pfirsiche.

Und doch fand der König keine Ruhe bei Tag, keine bei Nacht. Denn er mochte es wohl im Herzen fühlen, daß er nicht wert war, von Isolde mit den goldenen Haaren geliebt zu werden. Aus dem Schlafe schrak er auf und tastete mit der Hand, ob sie neben ihm läge. Und in den Stunden, da er nicht einen der beiden vor Augen sah, ging er in düsterem Suchen hierher und dorthin. Diese Pein wollte König Marke nun nicht länger ertragen. An sein Weib wagte er sich nicht wegen der Probe des glühenden Eisens und weil sie vom Volke ob ihrer strahlenden Schönheit geliebt war; aber Tristan sollte fliehen oder sterben.

Viele Jahre lang hatte König Marke keinem Menschen so viel Liebe entgegengebracht wie seinem einzigen Blutsfreund Tristan. In keiner Stunde hatte er ohne ihn sein mögen; sein kluges Wort und der Wohlklang seines Saitenspiels waren Markes liebste Freude gewesen. Nun aber hätte er gern eine Truhe Goldes gegeben dafür, wenn ihm seines Neffen Leichnam gezeigt worden wäre. Das hatte die Liebe zu Isolde in Markes Herzen gewirkt.

Seit dem Tage, da der König das bloße Schwert gegen Tristan geworfen hatte, war der Geächtete von niemand mehr gesehen worden. Er hatte sein Pferd bestiegen und war schnell aus dem Hofe geritten. Aber in der dritten Nacht, als mancher Pfeilschütz in den Büschen lag, um vielleicht den Mordlohn für sich zu gewinnen, erhob sich Isolde behutsam vom Lager, und ihre Milchschwester, die treue Brangwine, schlüpfte unter die Decke zu Seiten des Königs. Wenn Marke nach seiner Gewohnheit die Hand im Schlaf ausstreckte, mußte er das Mädchen fühlen. Zitternd und regungslos lag die Treue da; denn sie hatte noch nie bei einem Manne gelegen und war voll Angst, wenn sich der König rührte. Der aber merkte den Betrug nicht. Er hat es nie erfahren, daß eine Nacht lang bis zum Aufgang der Sonne eine Jungfrau an seiner Seite lag. Die Spötter am Hof meinten schon seit je, wenn der Wein in ihren Köpfen rumorte, daß der König ein Mädchen nicht von einer Frau zu unterscheiden wisse. Und auf dieses Wort kam immer die Antwort: Wie sollte er denn auch, der gute Herr? Hat denn jemals eine Jungfrau in seinem Bett gelegen? Und dann lachten alle. Bis zu dieser Nacht war der Spott der Herren nicht ohne guten Grund gewesen. Fürder aber täuschten sie sich; denn in dieser Nacht lag die bebende Jungfrau Brangwine neben dem schlafenden König Marke.

Isolde hüllte sich in einen weiten Mantel, schlang ein dunkelblaues Tuch eng um den Kopf und schlich aus der Kammer. Hätte sie es vergessen, ihr Haar zu bergen, die Gänge des Schlosses wären von dem goldenen Glanze hell geworden, da sie hindurcheilte. Nordische Seefahrer hatten einst die wunderbare Kunde zu Hof gebracht, daß in dem fernen Meere zwischen der Insel Thule und dem grünen Land die Sonne auch nachts schiene. Es wäre ein seltsam mildes Leuchten: Gleich dem Lichte, das vom Haar der Königin in die Dämmerung geht, hatte der jüngste der Männer hinzugefügt und war dann plötzlich verstummt.

Ungesehen kommt die Königin zur Pforte ihres Gartens.

Unter der hohen Ulme steht Tristan. Sie fliegen aufseufzend zueinander und umklammern sich in jähem Ansturm; ihre Leiber biegen sich wie starke Bäume, über die Gewitter jagt. Tristans Mund wächst mit Isoldens Lippen zu einem einzigen Lippenpaar, sein Atem sengt ihre Wangen, daß rotes Feuer daraus aufschlägt, ihre Gesichter sind ein Blutkelch um die zuckenden Lippen. Die Augen können nicht sehen, denn alle Lebensgeister beben im heißen Wehen des Odems. Sie fühlen nicht mehr die Grenzen ihrer Leiber und sind wie in tiefer Betäubung. Durch ein flammendes Atmen rauschen alle Wonnen der Welt. Die unendliche Kraft der Liebe bringt sie bis an den Abgrund des Todes in einem einzigen nachtlangen Umschlingen ...

Ihre Liebe fließt in die Knospen des Gartens und entfaltet sie zu leuchtenden Blumen; sie dringt in jeden Baum und in die wiegenden Gräser und weckt in einer einzigen Vorfrühlingsnacht einen leuchtenden Sommer. Aus Wäldern und Auen fliegen die Vögel herbei und singen berauscht im blühenden Gezweig und trinken von dem süßen Morgentau. Ein Meer weißer Rosen brandet über den Garten hin und versprüht seinen Duftschaum in die Lüfte.

Tristan und Isolde liegen umschlungen im erwachenden Morgen. Mählich öffnen sie das Aug und finden sich unter schwebenden Blumenglocken. Sie können wieder hören: es ist das Morgenlied der Lerchen.

Da schleicht in ihre Seele der Schmerz des Scheidens, der die Nacht über geschlafen hat, und sie fühlen den Schauder des aufsteigenden Tages. Isolde erhebt sich. Sie schwankt zur Stiege und bleibt oben am Pfosten stehen und wendet sich wieder zurück. Der erste Sonnenstrahl flammt um ihr Haupt in wundersamem Leuchten. Ein singender Ruf kommt von ihren Lippen: Alona Tristan! merihl alona! in der halb vergessenen gälischen Sprache der Heimat: Tristan, du Liebling meiner Seele!

Es sind die ersten Worte in dieser Nacht, und sie klingen wie die süßen Laute der sterbenden Nachtigall, die aus dem Wald des Hochlands kommen.

Isolde geht.

Tristan birgt sein Gesicht im Grase. Die auflauschenden Vögel haben den Ton von Isoldes Lippen gefangen und tragen ihn singend dahin; sie fühlen die neue Seligkeit, die diese Nacht in ihrer Brust geweckt hat. Ein Wunder ist geschehen: die Blüte des Gartens kann nie mehr verschwinden, gleicher Blust bleibt über ihm sommers und winters, denn die Kraft der Liebe, die sich in den Garten ergossen, ist unerschöpflich für alle Zeit.


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