Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Das Mahnen des Liedes

So hatte Tristan einen Ort gefunden, wo die Unruhe wich und liebliche Träume kamen. Es war der Busen Isoldes. Er wußte, daß er Untreue beging, und er lag manche Nacht in Qual und Verzweiflung; aber immer wieder floh er an dieses Herz, gegen das zwei zarte Arme sein Haupt preßten. Und er stammelte, geschlossenen Auges, den Namen, der in die Arme zu fließen schien und sie fester um ihn legte. Hier konnte er ruhen, und einmal vernahm er den Ruf, der durch eine Frühlingsnacht zu ihm flog, dunkel wie der Ton der Nachtigall, die unterm Schnabel des wilden Falken verblutet und ihren letzten Hauch in einen Klageschrei ausströmt ... Alona Tristan merihl alona ... In Stunden der Dämmerung, da die Augen erblinden und über alle Sinne Schatten gehen, fand er an einem Herzen, das ihm hingegeben war, ein ruhiges Glück; von zwei Lippen trank er Liebe, die doch nicht die Eine Liebe war, und er verschloß seinen Sinn gegen alles Mahnen. Wenn sein Mund auf dieser Wange lag, mußte er ja nicht mehr verschmachten; und je tiefer die Schatten sanken, desto heißer wurden seine blinden Küsse ...

»Tristan, jetzt erst – nach so langer Zeit – jetzt erst liebst du mich ...?« Leise und kosend fragte sie nahe seinem Ohr, daß er ihren warmen Hauch an der Schläfe fühlte. Aber ein langer Kuß schloß ihre Lippen und sie verstummte ...

Und dann wieder mit Schmeichelstimme: »Doch ehe du zu mir kamest – hast du da nicht eine andere geliebt, hast du nicht lang um sie getrauert, da du sie verließest? Manchmal hab ich es geglaubt.«

Aber Tristan zog die Weißhand fest an sich, daß ihr der Atem stockte, und flüsterte in ihr Ohr: »Alles ist vergessen! Ich habe einmal eine Frau gekannt, vor Jahren in fernen Landen – aber ich habe sie lange vergessen. Dich allein liebe ich, keine andere ...« Und ihre Hand ging glückselig über seine Wangen.

In dieser Stunde dachte Tristan mit Haß an die Königin im Norden. Nur noch von allem Leid wußte er, das er um sie ertragen, der großen Liebe hatte er schier vergessen. Er freute sich, daß er das zarte Mädchen hielt, welches ihn liebte und ihm nicht Sehnen und Weh schuf.

Aber in seinem Herzen quoll die Bitterkeit höher auf von Tag zu Tag. Seine Königin hatte ihn verraten, sie gab sich Markes Küssen hin; für jeden Kuß schenkte ihr der König einen schimmernden Stein. Und dann saß sie vor den hündischen Augen der Männer, von Kleinodien bedeckt, die wie Blut glühten. Vielleicht hatte sie einen anderen Buhlen angenommen, einen schönen, jungen Hofmann? Tristans Hände wanden sich um die Lehne des Stuhles, und das Holz stöhnte unter seinem wilden Griff. Er haßte die Herrin. Alles hatte sie getan, ihn zu quälen Jahr um Jahr; vielleicht frohlockte sie heimlich, daß er nicht die Kraft hatte, sich aus ihren Banden zu lösen? Tristan verwünschte die Jugendfahrt nach Irland und fluchte seiner Liebe, die er doch nicht töten konnte. Wie ein grausamer Vogt war sie, der einen gebundenen Sklaven martert. Düsterer Haß kroch über die alte Zeit hin. Hätte er Isolde tot gesehen – ihm wäre leichter geworden. Aber da dieses Bild vor ihm aufstand, schrak er zusammen und erbebte in alle Tiefen. Sein Denken versagte und Verzweiflung fraß ihn.

Und wenn die Erinnerung an die Königin wiederkam, stieß er sie schnell von sich. Er wollte die vergessen, die so schnöd an ihm getan und ihm nie ein Zeichen gesandt hatte all die Zeit. Er spornte seine Sinne der lieblichen Weißhand entgegen. Sie konnte er stets finden, sooft er ihrer begehrte, und gern stellte sie sich vor die Schatten der Vergangenheit. Sie sollte sein Weib werden, wenn die Trauer um Kaherdin zu Ende gegangen wäre.

So war Tristan durch Isolde, die Königin von Arundele, der Herrin im Herzen treulos geworden, und er hatte doch geglaubt, sie nimmer missen zu können.

Aber er wurde nicht froh. Barg er sich auch am Busen der Weißhand – die alte Düsternis wollte nicht schwinden, die ihn im Bann hielt, seit er in Irland gewesen war, seinem Oheim ein Weib zu freien. Und so betrog er wiederum das Mädchen durch seinen Traum, der weit fortflog. Aber er konnte sie nicht mehr entbehren. Es duldete ihn nicht in der Einsamkeit wie ehe – schnell suchte er sie und ihr weiches Gekose.

Jeder Tag kann den Tod bringen, und was hilft alles Angedenken, wenn das Leben entfloh? Ist es denn nicht besser, ein frohes Weib im Arme zu halten, das dir Liebe schenkt, als sich um eine verzehren, die fern ist und die dein Auge nimmermehr schauen wird? So dachte Tristan – aber da zuckte ein Schmerz durch seine Seele. Ob er wirklich nie mehr zurückkehren werde? Er hatte ja doch immer gehofft, und keinen Fahrenden und keinen Spielmann hatte er kommen sehen, ohne bebend in seinem Gesichte zu forschen: Bringst du Kunde von ihr? ... Und nun sollte er aller Hoffnung auf ein spätes Wiedersehen absagen ...

Da saßen sie in der Kemenate, wo die Mädchen oft gearbeitet und gelacht, zu den Männern niedergesehen und weit ins Land hinein geschaut hatten. Isolde stickte nicht mehr; das letzte, was ihre Kunst geschaffen, war der schimmernde Gürtel, den Tristan trug: über ein dunkelblaues Meer zogen weiße Schwäne und holten Perlen aus der Tiefe. Nach diesem Werk wollte sie an keine Nadel mehr rühren, denn es war ihr Meisterstück, vor dem jedermann staunen mußte. Alienor und Gwendoline kauerten auf dem Ruhebett an der Wand, Isolde saß mit Tristan in der tiefen Fensternische. Vom Türpfosten her kamen die liebeskranken Blicke des jungen Abelin und flogen um sie wie Schmetterlinge um ein Wachslicht bei Nacht. Gern hätte Isolde den Knaben vom Hofe geschickt, denn er war ihr unbehaglich geworden, der sie so traurig ansah in ihrem großen Glück. Aber sie brachte es nicht übers Herz, den Garçon des toten Bruders zu kränken.

»Sing mir ein Lied, Tristan!« schmeichelte die Königin. Sie winkte dem Knaben und bald lag die Harfe auf Tristans Knie.

Tristan spielte lang, ohne den Mund zu öffnen; es war, wie wenn der Sturm übers Meer streicht und immer leiser wird und endlich abend im Geklippe stirbt.

»Ein Lied, Tristan!«

Er sang von einem Pilger:

Durch Städte zog ich, deren Giebelzinnen
Im Abendgolde wie Verheißung glommen.
Die Glocken riefen meinen müden Sinnen
So ernst und mahnend: Bist du doch gekommen?

Und in der jungen Auen Blütenprangen
Mußt ich erschaudern ob des Frühlings Schöne,
Wie aus dem Tau der Morgen aufgegangen
Mit seinem sonnig-klaren Frühgetöne.

Nun steh ich vor der grenzenlosen Weite,
Die alle Welt, ein Kranz aus Licht, umspannt.
Kein irdisch Wesen gab mir das Geleite –
Und überm Meere liegt das heilige Land!

»Einst sangest du ein Lied – ich glaubte, es sei für mich.«

»Welches Lied?«

»Es war voll einer süßen Traurigkeit und mir wurde weh ums Herz, da ich's hörte.«

»Welches Lied?«

»Die große Liebe sang heimlich in ihm und am Ende rief sie: Isolde! Aber – ich bin nicht blond!«

In Tristans Brust zuckte es schmerzhaft auf, und er schwieg.

»Willst du mir das Lied nicht mehr singen? Du hast es selbst gedichtet, sagtest du. Es ist das schönste aller Lieder, die ich je gehört.«

»Ich hab es vergessen.«

»Du hast es nicht vergessen, Tristan! Sing mir dies Lied, in dem mein Name so lieblich tönt! Sing es mir, Tristan, ich bitte dich darum!«

Da senkte er die Finger in die Saiten ein und rief Erinnerung. Aber Trauer hob ihm ihr bleiches Antlitz entgegen, und er mußte schnell enden.

»Das war's noch nicht! Sing mir's, Tristan, aber – ich bin ja nicht blond!«

Mit vorgebeugtem Kopf, mit glühenden Blicken sah Abelin her.

Nun sang Tristan von der großen Liebe und von dem großen Leid. Aber seine Stimme versiegte, eh das Ende gekommen war, das sie am liebsten hören wollte.

»Du hast es nicht vergessen! Das ist's! Ich kenn es! Weiter! Weiter!« sie preßte seine Hand.

Da stand er auf und schleuderte die Harfe jäh durchs Fenster. Aufschmetternd fiel sie gegen die Fliesen des Hofes, und ein wilder Klagelaut kam von ihr, wie von einem Menschen, der nächtens gemordet wird.

Erschreckt ließ Isolde den Arm sinken und trat zurück. Tristan starrte in die Ferne. Durchs Zimmer summte eine große Fliege und schlug gegen die Wand. Alienor und Gwendoline blickten scheu zur Herrin.

Abelin brachte die Harfe wieder; sie war zerborsten, ihre Saiten hingen herab. Er bot sie Tristan, doch der nickte finster: »Behalte sie!«

Das Auge des Knaben streifte die Herrin. Bestürzt schlich er mit dem Saitenspiel an seinen Platz.

Tristan ging zur Türe. Wie Isolde den Arm hob, wandte er sich: »Verzeih mir! Aber ich kann nicht mehr singen!« und verschwand.

Isolde blieb ohne Fassung stehen, und die Freundinnen wagten nicht zu sprechen. Endlich ergossen sich die Tranen der Königin, Gwendoline begann leise zu weinen, und nun schluchzte auch Alienor. So saßen die Mädchen, jedes in seiner Ecke.

Abelin war's, als müßte er die Herrin um den verlorenen Schluß des Liedes trösten. Er zupfte an den Saiten, die noch heil waren, und summte mit halbgeschlossenen Lippen:

»Iseult la brune, Iseult m'amie!«


 << zurück weiter >>