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Die Schwäne

Der Winter war vergangen, und Isolde hatte den Kranken gesund gemacht.

Im ersten Frühlingssonnenschein saß er unter den hohen Linden, darauf schon die Vögel sprangen. Die Maiglöckchen standen im Grase, von langen, schmalen Blättern umhüllt, und sandten dem Genesenden ihren Duft. Alienor und Gwendoline hatten ein weiches Pfellel über seine Knie gebreitet und waren dann ins Gebüsch verschwunden, Veilchen, Akelei und weißen Immertau für das Zimmer der Herrin zu suchen. Isolde saß neben dem bleichen Mann. Ihre Hände huschten über den dunkelblauen Sammet wie weiße Vögelchen, die hin und wieder flattern, und woben mit hellen Seidenfäden Blumen hinein. Ein heimliches Geschenk war es für Tristan, eine Hülle seiner Harfe, daß sie weich liege und nicht roste.

Er blickte lang auf ihrer Hände Spiel, und sie schwiegen beide. Da hob sie den Kopf und sagte schüchtern: »Stets seid Ihr traurig, Herr Tristan! Mangelt Euch etwas in unserem Hause?«

Seine Gedanken waren übers Meer geflogen, und er sah ihnen sehnsuchtsvoll nach. Da rief er sie alle zurück – sie kamen langsam und widerstrebend. »Ihr habt mich gesund gemacht, Herrin! Einen fremden Mann, den Ihr nie zuvor gesehen! Bei Tag und bei Nacht habt Ihr an meinem Lager gesessen! Das weiß ich wohl; doch ich weiß nicht, wie ich Euch jemals danken könnte!«

Isolde wurde rot und lächelte glückselig: »Danken? Ich bin froh, daß ich Euch helfen konnte! Der weise Merlin hat mich gelehrt, Tränke zu brauen und die geheimen Kräfte der Steine zu nutzen. Wie könnte ich diese Wissenschaft besser gebrauchen, als daß ich einen guten Mann gesund machte?«

»Euer Gemüt ist reich an Güte, Herrin!«

»O ich hab es gerne getan! Aber Ihr sollt wieder fröhlich schauen! Ich habe Euch noch nicht lachen gesehen bis heute! Seid Ihr so traurig gewesen Euer Leben lang?«

Da ging ein Lächeln über sein steinernes Gesicht, trüb und voll Wehmut. »Vielleicht habe ich einmal lachen können; doch das ist schier vergessen. In meinem Sinn ist nie viel Heiterkeit gewesen.«

»Wenn Ihr lächelt, wird mir traurig ums Herz! Ihr sollt es nicht mehr tun!«

Sie beugte sich über die Sammetdecke und sagte dann leise: »Ihr seid gewiß in großem Leid? Um eine Frau ... um eine schöne Frau?«

Sein Blick senkte sich auf das Mädchen. Ihr Atem ging schnell, und sie stickte mit Eifer. Vielleicht hatte sie etwas gefragt, was gegen die Sitte war, was ihn verletzen mußte?

Tristans Kummer stieg hoch hinauf. Alles hätte er ihr mit einem Mal erzählen können, von seiner großen Liebe und von der Qual der Sehnsucht, die sein Leben fraß. Aber die Stimme versagte ihm. Endlich sprach er diese Worte:

»Ich minne mein Leid.«

Er fühlte, daß es nicht möglich war, ihr etwas aus seiner Seele zu geben. Er konnte nicht davon reden, so wie man Mären erzählt und vor den Augen der Lauschenden ferne Länder ausbreitet und bunte Abenteuer vorüberführt. Aber das Mitgefühl ihres Herzens hätte er noch weniger ertragen können. Er schwieg und sagte endlich: »Ich habe Männer gekannt und auch manche Frau. Es ist viel Schmerz in mir; vielleicht schwindet er, wenn ich ganz genesen bin.«

»Fühlt Ihr Euch noch krank?«

»Mein Leib wird täglich stärker durch die gute Pflege, die Ihr mir schenkt. Aber in meiner Seele ist große Dunkelheit. Vielleicht war es eine Ahnung meines Schicksals, als mir die Mutter den traurigen Namen gab. In Gefangenschaft hatte sie mich geboren und mit ihren Tränen aufgesäugt; denn die Milch war ihrer Brust versiegt. Wer mich liebte, hatte Schmerz und Tod als Dank.«

So sprach Tristan. Aber er schwieg von dem, was seine Seele krank machte und was das Mädchen am meisten zu wissen gehrte.

Da legte Isolde die samtne Decke zur Seite und blickte an Tristan vorüber auf den Teich hinaus. Glitzernde Libellen flogen vor den Lilien daher, die auf ihren breiten Blätterkähnen herangetragen wurden. Sie öffneten ihre Blüten weit der Umarmung der Sonnenstrahlen. Von dem Kamelienbaum, der sich übers Wasser neigte, sank eine schneeige Knospe mit leisem Klingen und blieb auf der unbewegten Fläche liegen wie ein Stern, der vom Himmel fällt und eine Harfe streift.

»Die Welt blüht wieder,« sagte Tristan. »Ich habe lang keinen Frühling mehr geschaut.«

Isolde sah die weißen Schwäne dahinfahren, und es war, als trüge jeder eine aufgeblühte Rose im Schnabel; ein gerades Silberband blieb auf seinem Weg. »Ist es denn nicht süß, um des Freundes willen Schmerz und Tod zu erleiden?«

»Es ist ärgste Bitternis!« und er sah auf den Teich dorthin, wo die schwarzen Schwäne unter den Platanen standen. Es schienen seine düstern Gedanken zu sein, die immer an einer Stelle weilten und nicht fortschwimmen konnten. Die Schwäne senkten ihre dunkelroten Schnäbel ins Wasser ein, um das Blut zu löschen, das sie sich aus der Brust gegraben – aber dunkelrot kamen sie wieder hervor, und Tropfen wie siedendes Blut fielen in den Teich, dann bargen sie den Kopf unterm Gefieder. Die weißen Schwäne aber waren jungfräulich und hoffnungsfroh.

In derselben Stunde schwor sich's Isolde zu, daß sie diesen traurigen Mann heilen wollte. Sie würde ein Mittel finden, auch seine Seele gesund zu machen wie seinen Leib. Sie sann, ob ihm vielleicht einmal ein Zaubertrank gegeben worden, der über sein Gemüt Trauer gelegt und ihn für immer an ein Weib gebunden hätte. Und sie wollte ein Kraut über seinen Nachttrunk auspressen, damit jeder Zauber aus seiner Seele fliehe. Aber dieser Saft konnte keine Wirkung tun, weil Tristan nie einen Liebestrank genossen hatte (wie doch einige glauben), sondern von der Liebe der Königin mit dem goldenen Haar ohne jeden Trank verzaubert worden war. Gegen diesen Zauber besaß die Weißhand bei all ihrer großen Kunst kein Mittel.

Derlei Gedanken erwog Isolde in ihrem Herzen und lächelte: »Ihr sollt noch fröhlich werden, Herr Tristan!«

Aber er sah immerfort auf den Teich hinaus, über den die Schatten des Abends gingen, und sprach: »Ist es möglich, daß aus schwarzen Schwänen weiße werden?«


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