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Von Harfensang und heimlicher Liebe

Sie saßen im Saal und Tristan erzählte der Auflauschenden von seinen langen Fahrten. Alles nahm sie voll Begier ins Gemüt auf; stets horchte sie, ob nicht eine königliche Frau herangeschritten käme, eine Freundin, die er im Herzen trug. Doch was er erzählte, war Herrendienst, Kampf und Abenteuer. Daß er im cornischen Land gelebt hatte, verschwieg Tristan. Und daß er seinem Oheim Marke einst Irlands Königin gefreit – davon sprach er kein Wort.

Es war spät geworden. Isolde sagte: »Als Ihr her rittet, truget Ihr eine Harfe mit Euch. Könnt Ihr wohl spielen und singen?«

Tristans Auge flammte auf: »Ist meine Harfe geborgen?« Die Königin winkte ihrem Garçon, dem jungen Abelin, der immer diensteifrig an der Tür kauerte, und er brachte die Harfe mit Vorsicht. Sie lag in ein Nest von dunkelblauem Sammet gebettet, goldene Vögel sangen auf feinen weißen Zweigen. »Das kenn ich nicht!« sprach Tristan und besah das schöne Gewebe. »Es kann nicht meine Harfe sein!«

»Es ist Eure Harfe! Die Decke soll das goldene Saitenspiel vor Kälte und Schaden wahren.«

Tristan neigte sich dankbar und hob die geliebte, lang entbehrte Freundin aus der Hülle. Seine Finger grüßten sie kosend, und in einem hellen Klingen erkannte sie ihren Herrn wieder. Isolde trank den Wohllaut, und der Knabe Abelin horchte starren Auges von seinem Platze her.

Die Frühlingsnacht goß ihr bläuliches Licht durchs Fenster; es blieb auf der Diele liegen und zeichnete sie mit zarten Säulchen und kleinen runden Bogen.

»Singt Ihr nicht, Frau?«

»Ich hab es nie gelernt!« gab sie zur Antwort.

Da begann er leise zu singen, aber bald tönte es weit hinaus, ein ferner wilder Hochland-Duan, darin Schwerter klangen und Männer sterbend ins Heidekraut sanken. Isolde konnte es nicht verstehen, und doch kreiste ihr das Blut schneller. Ihr Blick lag auf Tristans tönenden Lippen.

Dann schwieg er still. Er sah vor sich hin, wie es seine Art war, und hub ein Lied an von froher Heimkehr und Jugendglück. Blumen stiegen aus dem goldnen Erdreich der Harfe und umschlangen einander zu einem milden Kranz.

»Bei des Sängers erstem, erwachendem Schrei
Aus der heimlich wogenden Waldesnacht –
O lenzübersponnene Blumenei,
Die mich wiederkennt, mir entgegenlacht!

O du frühe versonnene Seligkeit!
Blüten regnen vom blauen Zelt!
Ich höre das Singen der alten Zeit,
Du allerschönste Heimatwelt!

Wie nicken die Blumen freudig und sacht
Ihren Gruß auf der farbenerglühenden Flur!
O du jubelnde, strahlende Morgenpracht!
Tief drunten im Tale – Fleur d'Amour.«

Er hatte geendet, und es schien, als verzitterten die klaren Töne auf den Mondstrahlen in die Nacht hinaus. Isolde flüsterte: »Das war schön! Singt noch, Herr Tristan!«

Tristans Antlitz wurde dämmerig und verschlossen wie der Bergsee von Coll-o-mara, in den die goldene Stadt versunken ist und aus welchem um Mitternacht leises Weinen kommt.

»Ich will ein Lied singen, das ich selbst gemacht habe!« Und er sang das Lied seiner Liebe, der Liebe von Tristan und Isolde, der Königin von Irenland. Am Ende jeder Strophe wandelierte der Ton und es klang nach:

Iseult la blonde, Iseult m'amie,
En vus ma mort, en vus ma vie.

Dunkel erglühte das Gesicht des Mädchens. Sie trat ans Fenster und ließ die kühle Luft über ihre Wangen gehen. Ein zarter Milchglanz deckte die Erde. Im nahen Walde schrie ein Hirsch. Tristan hatte es gedichtet! Für sie gedichtet! Der schöne, der geheimnisvolle Tristan, der so viel von Abenteuern zu sagen wußte und doch etwas im Innern barg, das sie ahnte und nicht verstehen konnte ... Vielleicht hatte er es seinem Liede gesagt! ...

Isolde wandte sich ins Zimmer zurück. Das Mondlicht glänzte noch in dem feinen Gesicht; es hatte sich in ihrem Haar wie Wasser in mächtigen Grotten gesammelt und träufelte über die Stirne nieder, in die Augen, die dunkler und tiefer schimmerten. Hoch zeichnete sich die schmale Gestalt in den Ausschnitt des Fensterbogens.

Isolde fühlte einen Schwindel über sich kommen und eilte mit leichtem Nicken des Kopfes an Tristan vorüber aus dem Saal. Wie im Traum ging sie über die Stiege. In ihrer Kammer blieb sie betäubt stehen und ließ die Arme niederhängen. Dann kam eine so große Unruhe, daß sie gern weit ins Land gelaufen wäre. Sie trat ans Fenster und sah über den dunkeln Wald hin. Ein süßes Beben floß durch ihren Leib – aber weshalb hatte er sie die Blonde genannt, der doch ein schwerer Kranz dunkelbraunen Haares auf dem Kopfe lag? ...

Im Wald hatte ein riesiges tiefschwarzes Wolkenweib gekauert; langsam kroch es über die Bäume heran. Es reckte seinen Arm vor und hob den Kopf mit den fliegenden zottigen Haaren in die Luft. Auf den Knien schien es sich über die Baumwipfel näherzuschleichen. Jetzt zuckte ein grellblauer Blick aus den Augen, und ein langes dumpfes Murren entfuhr dem offenen Maul ...

Vom Saal klang wieder die Harfe her. Und eine andere Stimme als die volle Tristans, eine spröde, rauhe Stimme, die fast wie das Schreien eines Pfaues anzuhören war, erhob sich und sang: »Iseult la brune, Iseult m'amie« – hier schlug die brüchige Knabenstimme quiekend nach oben um. Isolde schloß das Fenster schnell und warf sich zitternd auf ihr Bett. Sie fühlte sich verhöhnt! Und die Tränen des Glückes, die sie so lange zurückgedämmt hatte, brachen aus ihrer Brust als bittere Tränen des Jammers. Bis tief in die Nacht hinein flossen sie auf das seidene Gepolster. –

Tristan hatte es nicht beachtet, daß Isolde mit leichten Schritten aus dem Saal gegangen war. Die Harfe hing von seiner Hand nieder, und er starrte vor sich hin. Das Lied hatte seine Liebe aufgeweckt und ihm Flammen der Sehnsucht in der Seele geschürt, daß sie verbrennen wollte. Es schrie in ihm nach der Geliebten. Und er dachte des Eides, den er hatte geben müssen, eh er aus Cornwall geflohen war. Bei ihrer großen Liebe hatte er es ihr zugeschworen, bei dieser Liebe, die größer und stärker war als irgendein Ding in der Welt; daß er nicht zurückkehren würde, solang der König lebte – dann aber wollte sie ihm ein Zeichen senden. Wie viele Frühlinge waren dahingegangen? – Er wußte es nicht! Aber er hatte kein Zeichen von ihr gesehen. Und durch keinen landfahrenden Mann war die Kunde gebracht worden, daß Marke gestorben sei ... So lebten sie fern voneinander im Harm, die sich doch mehr liebten, als es je Menschen verstehen konnten ...

Der lockige Garçon Abelin, dessen Auge nie von Isolde weichen wollte, hatte sich aus seiner Ecke herangeschlichen. Er stand lange vor Tristan. Der aber sah ihn nicht. Endlich wagte es der Knabe, die Saiten der Harfe mit den Fingern zu streifen – sie gaben einen schrillen Klang.

Tristan fuhr auf.

»Verzeiht, Herr, sagt mir doch – ist es wohl sehr schwer, die Harfe zu schlagen und zu singen? Ich bin sechzehn Jahre alt und soll bald das Schwert nehmen, um bei Herrn Kaherdin Ecuyer zu sein. Aber gern verstände ich es, die Harfe so zu spielen wie Ihr!«

Tristan sah in das schüchterne Gesicht. Dann strich er dem Knaben über die Locken und zog ihn auf seine Knie. »Du möchtest, daß ich es dir zeige?« Abelin leuchtete freudig auf. »Wenn Ihr das tun wolltet, Herr! Aber – ich will auch dazu singen!«

»Was willst du singen?«

»Euer Lied! Es ist so schön!«

Tristan hob die Harfe und begann zu spielen. Er nickte dem Knaben unaufmerksam zu.

Abelin war tief rot geworden und versäumte, bei der richtigen Stelle anzuheben. Die Töne verklangen. »Ich habe leise für mich gesungen!« sagte Abelin. »Doch verzeiht! Muß es sein, geradeso wie Ihr vorhin sanget?«

»Du willst etwas anderes singen? Nun so laß hören!« Tristan sah den Knaben freundlich an. Wie von selbst begannen seine Finger. Da fiel Abelin entschlossen ein: »Iseult la brune, Iseult m'amie« – seine Stimme schlug kreischend um.

Verlegen hielt er inne: »Ich kann nicht singen!« Doch jetzt lächelte Tristan mit geschlossenen Lippen und küßte den Knaben auf das weiche Haar. »Du wirst es noch besser lernen! Aber wenn dir mein Lied nicht gefällt, mußt du dir selber eines machen!«

»Das will ich!« sagte Abelin kühn und blickte voll Vertrauen zu Tristan auf.

Tristan ergriff seine Harfe, schob den Knaben von sich und verließ den Saal. Abelin saß in den Stuhl hineingedrückt. Er sann darüber nach, wie der stolze Tristan, der ihn sonst kaum bemerkte, heute so weich gewesen und sogar für ihn auf der Harfe gespielt. Immer hatte er eine unsichere Furcht vor dem Gast empfunden; und wenn er sah, wie der geliebten Königin Blick leuchtend über Tristan hinging, war ihm bang zumute geworden. Aber nun wandelte sich sein Gefühl in Bewunderung und scheue Zuneigung zu dem düsteren Mann. Er wollte werden wie er. Und er träumte noch lang von seiner nahen Schwertleite, von künftigen Aventüren und von dem Lied, das er der Herrin singen wollte. Tristan würde ihm dabei helfen.


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