Jack London
Der Seewolf
Jack London

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Drei Ruhetage, drei gesegnete Ruhetage hatte ich bei Wolf Larsen. Ich saß in der Kajüte und tat nichts, als über Leben, Literatur und Universum mit ihm zu disputieren, während Thomas Mugridge schäumend und wütend meine Arbeit neben der seinen verrichtete.

»Sei auf deiner Hut – weiter sage ich nichts«, warnte Louis mich, als ich zufällig mal auf eine halbe Stunde auf Deck war und Wolf Larsen einen Streit zwischen den Jägern schlichtete.

»Was geschehen wird, weiß ich nicht«, erwiderte Louis auf meine Bitte, sich deutlicher auszudrücken. »Der Mann ist so unberechenbar wie die Strömungen in See und Luft. Du weißt nie, was er will. Wenn du meinst, du kennst ihn und segelst vor günstigem Wind mit ihm, so schlägt er um und liegt still, um dann plötzlich wie ein Wirbelsturm über dich herzufahren, daß all deine Schönwettersegel in Fetzen reißen.«

Es war daher keine völlige Überraschung für mich, als das von Louis prophezeite Wetter kam. Wir hatten einen heißen Disput – über das Leben natürlich – und, übermütig geworden, zeichnete ich einen zu scharfen Riß von Wolf Larsen und seinem Leben. Tatsächlich zergliederte ich ihn bei lebendigem Leibe und wühlte in seiner Seele genau so scharf und unerbittlich, wie er es bei den andern zu tun pflegte. Ich mag vielleicht die Schwäche einer zu großen Konsequenz in der Beweisführung haben, jedenfalls ließ ich alle Zurückhaltung fahren und schnitt und schlitzte an dem Mann herum, bis er knurrte. Sein sonnengebräuntes Gesicht wurde schwarz vor Wut, seine Augen funkelten. Sie drückten nicht Klarheit oder gesunden Verstand mehr aus, sondern nichts als die entsetzliche Raserei eines Wahnsinnigen. Jetzt sah ich den Wolf in ihm und noch dazu einen tollen.

Mit Gebrüll sprang er auf mich los und packte meinen Arm. Ich hatte mich ermannt und wollte standhalten, obgleich ich innerlich zitterte, aber die riesige Kraft dieses Mannes war zuviel für meine Standhaftigkeit. Seine Hand hatte mich am Oberarm gefaßt, und als er zupackte, sank ich zusammen und schrie laut. Meine Füße verweigerten mir den Dienst. Ich konnte einfach nicht mehr aufrecht stehen und den Schmerz ertragen. Ich hatte das Gefühl, als wäre der Oberarm zu Brei gequetscht.

Er schien wieder zu sich zu kommen, denn ein heller Schimmer trat in seine Augen, und er ließ mich los mit einem kurzen Lachen, das eher wie Knurren klang. Ich stürzte zu Boden, mir war sehr schlecht zumute, während er sich hinsetzte, sich eine Zigarre ansteckte und mich beobachtete wie die Katze die Maus. Ich konnte in seinen Augen die Neugier lesen, die ich so oft bei ihm bemerkt hatte, diese Verwunderung und Unruhe, das Suchen, das stete Forschen: Wozu das alles? Ich raffte mich auf und kroch die Treppe hinauf. Das schöne Wetter war vorbei, und mir blieb nichts übrig, als wieder in die Kombüse zugehen. Mein linker Arm war völlig gefühllos, und es vergingen Tage, ehe ich ihn wieder gebrauchen konnte, Wochen, bis er ganz gesund war. Und dabei hatte Wolf Larsen nichts getan, als meinen Arm mit seiner Hand umschlossen und gedrückt. Er hatte ihn weder verdreht noch gestoßen, nur seine Hand mit gleichmäßigem Druck geschlossen. Was er möglicherweise hätte tun können, ging mir erst am nächsten Tage auf, als er den Kopf zur Kombüse hereinsteckte und mit erneuter Freundlichkeit fragte, wie es meinem Arm ginge.

»Es hätte schlimmer werden können«, lächelte er.

Ich schälte Kartoffeln. Er nahm eine aus dem Eimer. Sie war ungewöhnlich groß, fest und ungeschält. Er umschloß sie mit der Hand, preßte sie zusammen, und die Kartoffel spritzte zwischen seinen Fingern hervor. Die breiigen Überreste warf er wieder in den Eimer und ging, aber ich bekam eine deutliche Vorstellung davon, wie es mir ergangen wäre, wenn das Ungeheuer wirklich mit aller Kraft zugepackt hätte.

Trotz alledem hatte die dreitägige Ruhe mir gutgetan, denn mein Knie war wieder gebrauchsfähig geworden. Es hatte sich bedeutend gebessert, die Schwellung war sichtlich zurückgegangen, und die Kniescheibe befand sich wieder an ihrem Platze. Aber die Ruhezeit brachte mir noch eine Unannehmlichkeit, die ich vorausgesehen hatte. Offenbar hatte Thomas Mugridge im Sinne, mich für diese drei Tage büßen zu lassen. Er behandelte mich niederträchtig, verfluchte mich unausgesetzt und wälzte seine eigene Arbeit auf mich ab. Er wagte es sogar, die Faust gegen mich zu erheben, aber ich war selbst wie ein wildes Tier geworden und fauchte ihm so grimmig ins Gesicht, daß er ängstlich zurückfuhr. Es ist kein angenehmes Bild, das ich von mir heraufbeschwören muß: Ich, Humphrey van Weyden, in einer Ecke dieser lärmenden Schiffskombüse über die Arbeit gebückt, Angesicht zu Angesicht mit diesem Geschöpf, das im Begriff war, mich zu schlagen, mit entblößten Zähnen und knurrend wie ein Hund, die Augen glühend vor Furcht und Hilflosigkeit und dem Mut der Verzweiflung! Das Bild behagt mir nicht. Es erinnert mich zu lebhaft an eine Ratte in der Falle. Ich denke nicht gern daran. Aber es wirkte: der drohende Schlag fiel nicht.

Thomas Mugridge wich zurück und starrte mich nur ebenso bösartig und haßerfüllt an wie ich ihn. Ein paar wilde Tiere waren wir, zusammen eingesperrt und zähnefletschend. Er war ein Feigling, fürchtete sich, mich zu schlagen, weil meine Furcht nicht groß genug war, und so suchte er einen neuen Weg, mich einzuschüchtern. Es gab nur ein Küchenmesser, das zur Waffe taugte. Viele Jahre Gebrauch und Abnutzung hatten die Klinge dünn und biegsam geschliffen. Es sah gräßlich aus, mich hatte es jedesmal geschaudert, wenn ich es benutzen mußte. Der Koch lieh sich einen Wetzstein von Johansen und begann das Messer zu schärfen. Er tat es mit großer Umständlichkeit, indem er mich während der ganzen Prozedur bedeutsam anblickte. Einen ganzen Tag lang wetzte er es. Sobald er einen freien Augenblick hatte, saß er mit Stein und Messer da und wetzte. Die Schneide wurde so scharf wie ein Rasiermesser. Er prüfte sie am Daumenballen oder am Nagel. Er rasierte sich die Haare auf dem Handrücken, peilte mit mikroskopischer Genauigkeit über die Schneide und fand immer noch irgendwo eine leichte Unebenheit. Und dann wetzte er weiter, wetzte und wetzte, bis ich hätte lachen mögen, so unsagbar lächerlich war es.

Und doch war es ernst genug, denn ich sollte erfahren, daß er wohl imstande war, das Messer zu gebrauchen, daß unter seiner Feigheit ein Mut der Feigheit steckte, der, wie der meine mich, ihn zwingen konnte, seiner ganzen Natur zuwider zu handeln und aller Furcht zu trotzen. »Der Doktor schärft sein Messer für Hump«, begann man unter den Matrosen zu flüstern, und manche neckten ihn damit. Er aber legte das günstig aus, freute sich und nickte mit furchteinflößender Geheimnistuerei, bis George Leach, der frühere Kajütsjunge einen rohen Scherz über den Gegenstand machte. Nun hatte sich Leach zufällig unter den Matrosen befunden, die Mugridge nach seinem Kartenspiel mit dem Kapitän hatten duschen müssen. Leach war seiner Aufgabe offenbar mit einer Gründlichkeit nachgekommen, die Mugridge nicht verziehen hatte, denn jetzt gab ein Wort das andere, und die Beleidigungen auf die gegenseitigen Vorfahren schwirrten durch die Luft. Schließlich drohte Mugridge ihm mit dem Messer, das er für mich schärfte. Leach lachte und überschüttete ihn noch mehr mit Gemeinheiten. Aber ehe ich wußte, was geschah, war sein rechter Arm durch einen raschen Schnitt mit dem Messer aufgeschlitzt. Der Koch fuhr zurück, ein teuflisches Grinsen auf seinem Gesicht und das Messer in Verteidigungsstellung vorgehalten. Aber Leach blieb ganz ruhig, obgleich das Blut wie ein Springbrunnen auf das Deck spritzte.

»Ich krieg' dich schon noch, Köchlein,« sagte er, »und dann wird's dir nicht glimpflich gehen. Ich hab' keine Eile. Du wirst kein Messer zur Hand haben, wenn ich mit dir abrechne.«

Mit diesen Worten drehte er sich um und entfernte sich gelassen. Mugridges Gesicht war fahl vor Angst. Er sah, was er getan, und ahnte, was er von dem Verwundeten früher oder später zu erwarten hatte. Aber mir gegenüber benahm er sich schlimmer als je. Bei aller Furcht vor Vergeltung konnte er doch die Wirkung seiner Tat auf mich sehen und wurde immer herrschsüchtiger und übermütiger. Dazu war bei dem Anblick des vergossenen Blutes ein an Wahnsinn grenzendes Gelüst in ihm erwacht. Überall sah er Blut. Es war ein traurig verworrener Geisteszustand, aber ich konnte seine Gedanken so klar lesen wie ein gedrucktes Buch.

Mehrere Tage vergingen, immer noch schäumte die ›Ghost‹ vor dem Passat dahin, und ich hätte schwören können, daß ich den Wahnsinn in Thomas Mugridges Augen wachsen sah. Ich gestehe, daß ich mich sehr, sehr fürchtete. Er wetzte, wetzte, wetzte – so ging es den ganzen Tag. Wenn er die Schärfe der Schneide prüfte und mich wild anstarrte, glich sein Blick dem eines Menschenfressers. Ich fürchtete, ihm den Rücken zu kehren, und wenn ich die Kombüse verließ, ging ich rücklings, zum Ergötzen der Matrosen und Jäger, die sich in Gruppen versammelten, um Zeugen meiner Flucht zu sein. Die Spannung war zu groß. Ich fürchtete zuweilen, den Verstand darüber zu verlieren, übrigens ein passender Zustand auf diesem Schiff voll von Verrückten und Bestien. Jede Stunde, jede Minute stand mein Leben auf dem Spiel. Ich war eine Menschenseele in Not, und doch war vorn und achtern keine Seele, die Mitgefühl genug besaß, um mir zu Hilfe zu kommen. Zuweilen dachte ich daran, die Barmherzigkeit Wolf Larsens anzurufen, aber der spöttische Teufel in seinen Augen, der das Leben höhnte, erschien vor mir und hielt mich zurück. Dann wieder erwog ich ernsthaft den Gedanken an Selbstmord und mußte die ganze Kraft meiner hoffnungsfrohen Philosophie aufbieten, um nicht in der Dunkelheit der Nacht über Bord zu springen.

Mehrmals suchte Wolf Larsen mich in eine Unterhaltung zu ziehen, aber ich gab nur kurze Antworten und wich ihm geschickt aus. Zuletzt befahl er mir, meinen Platz am Kajütentisch wieder einzunehmen und den Koch meine Arbeit verrichten zu lassen. Da sprach ich offen mit ihm, erzählte ihm, was ich von Thomas Mugridge wegen seiner dreitägigen Gunst zu leiden hatte. Wolf Larsen betrachtete mich lächelnd.

»So, und jetzt haben Sie Angst, was?« höhnte er.

»Ja,« sagte ich trotzig und ehrlich, »ich fürchte mich.«

»So seid ihr Kerle,« rief er halb ärgerlich, »schwelgt in Gefühlen über eure unsterbliche Seele und fürchtet euch vor dem Tode. Beim Anblick eines scharfen Messers und eines feigen Cockneys denkt ihr an nichts anderes, als euch ans Leben zu klammern. Nun ja, mein Lieber, Sie sollen ja ewig leben. Sie sind ein Gott, und ein Gott kann nicht getötet werden. Köchlein kann Ihnen nicht die Haut ritzen. Sie sind ja Ihrer Auferstehung sicher. Warum sich fürchten? Sie haben ja ein ewiges Leben vor sich. Sie sind Millionär an Unsterblichkeit, und dazu ein Millionär, der sein Vermögen nicht verlieren kann, dessen Glück dem Untergang weniger geweiht ist, als die Sterne und dauert wie Zeit und Ewigkeit. Es ist Ihnen unmöglich, Ihr Kapital zu verringern. Unsterblichkeit ist ein Ding ohne Anfang und ohne Ende. Ewigkeit bleibt Ewigkeit, und selbst, wenn Sie hier und in diesem Augenblick sterben, so werden Sie irgendwoanders in alle Ewigkeit weiterleben. Und dabei ist das alles herrlich: Das Loslösen vom Fleische und die Befreiung des gefesselten Geistes. Köchlein kann Ihnen gar nichts anhaben. Er kann Sie nur auf den Weg befördern, den Sie für die Ewigkeit wandern sollen.

Wenn Sie aber nicht den Wunsch hegen, gerade jetzt befördert zu werden, warum befördern Sie dann nicht Köchlein? Wenn Ihre Anschauung richtig ist, muß ja auch er ein unsterblicher Millionär sein. Sie können ihn nicht zum Konkurs bringen. Seine Papiere werden immer pari stehen. Sie können sein Leben nicht verkürzen, wenn Sie ihn töten, denn er ist ohne Anfang und ohne Ende. Er muß irgendwo und irgendwie weiterleben. Also befördern Sie ihn doch! Stechen Sie ihm ein Messer in den Leib und erlösen Sie seinen Geist. Der lebt jetzt doch in einem elenden Gefängnis, und Sie erweisen ihm nur einen Freundschaftsdienst, wenn Sie die Tür aufreißen. Und wer weiß? Vielleicht wird ein schöner Geist aus dem ekelhaften Leichnam zum himmlischen Blau emporschweben. Befördern Sie ihn, und ich befördere Sie an seinen Platz mit 45 Dollar den Monat.«

Es war klar, daß ich von Wolf Larsen weder Hilfe noch Mitgefühl zu erwarten hatte. Ich mußte allein handeln, und mit dem Mute des Feiglings beschloß ich, Thomas Mugridge mit seinen eigenen Waffen zu bekämpfen. Ich lieh mir von Johansen einen Schleifstein. Louis, der Bootssteurer, hatte mich um kondensierte Milch und Zucker angebettelt. Der Vorratsraum lag unter dem Fußboden der Kajüte. Ich nahm eine Gelegenheit wahr und stahl fünf Dosen Milch, und als Louis' Wache am Abend begann, erstand ich dafür einen Dolch, der ebenso dünn und gefährlich war wie Thomas Mugridges Küchenmesser. Er war rostig und stumpf, aber ich drehte den Schleifstein, und Louis schliff die Klinge. Diese Nacht schlief ich viel besser als sonst.

Am nächsten Morgen, nach dem Frühstück, begann Thomas Mugridge wieder sein unaufhörliches Wetzen. Ich sah mich ängstlich nach ihm um, denn ich kniete vor dem Herd, um die Asche herauszuholen. Als ich sie über Bord geschüttet hatte und wiederkam, unterhielt er sich mit Harrison, dessen braves, dummes Bauerngesicht die größte Bewunderung verriet.

»Ja«, sagte Mugridge, »was kann mir schon Schlimmeres geschehen als zwei Jahre Kittchen! Aber was ich mir daraus schon mache. Der andere Kerl hat sein Fett gekriegt. Du hättest ihn sehen sollen! Messer gerad wie das hier. Steckte es rein in ihn wie in Butter, und er pfiff besser als 'ne Zweipennyflöte.« Er warf einen Blick auf mich, um zu sehen, ob ich es gehört hätte, und fuhr fort: » ›Ich hab' es nicht so gemeint, Tommy,‹ winselte er, ›weiß Gott, ich hab' es nicht so gemeint.‹ ›Ich will dich schon zur Vernunft bringen‹, sagte ich und setzte ihm nach. Ich schnitt ihn in Fetzen, und er tat nichts als quietschen. Dann kriegte er das Messer zu fassen und wollte es halten. Mit den Fingern darum. Aber ich zog es durch bis auf die Knochen. Das war ein Anblick, sag' ich dir!«

Ein Ruf des Steuermanns unterbrach den blutrünstigen Bericht, und Harrison ging nach achtern. Mugridge setzte sich auf die Türschwelle der Kombüse und wetzte weiter. Ich legte die Kohlenschaufel beiseite, setzte mich ruhig auf den Kohlenkasten und sah ihm zu. Er beehrte mich mit einem bösartigen Blick. Äußerlich ruhig, wenn auch mit Herzklopfen, zog ich Louis' Dolch heraus und begann ihn auf dem Stein zu wetzen. Ich war auf irgend etwas von seiten des Cockneys gefaßt gewesen, aber zu meiner Überraschung schien er gar nicht zu bemerken, was ich tat. Er wetzte weiter sein Messer. Und ich tat dasselbe. Und zwei Stunden lang saßen wir da, Angesicht zu Angesicht, und wetzten, wetzten, wetzten, bis die Neuigkeit sich an Bord verbreitete und die halbe Schiffsbesatzung sich vor der Kombüsentür scharte, um den Anblick zu genießen. Anfeuerungen und Ratschläge wurden freigiebig erteilt. Jock Horner, der stille Jäger, der aussah, als könne er keiner Maus etwas zuleide tun, riet mir, ihm die Klinge von unten in den Bauch zu jagen und ihr dann die ›spanische Drehung‹ zu geben. Leach, der den Arm in der Binde auffällig vorstreckte, bat mich, ein paar Reste vom Koch für ihn übrigzulassen, und Wolf Larsen blieb ein paarmal neben der Hütte stehen und betrachtete neugierig, was ihm als ein Gärungsprozeß erscheinen mußte, wie er das Leben nannte.

Und ich muß gestehen, daß ich das Leben jetzt ebenso niedrig einschätzte. Es hatte nichts Schönes, nichts Göttliches mehr – hier gab es nur zwei feige Geschöpfe, die Stahl auf Stein wetzten, und eine Gruppe weiterer Geschöpfe, die zusahen. Die Hälfte von ihnen, davon bin ich überzeugt, wartete begierig, daß wir gegenseitig unser Blut vergossen. Es wäre ihnen eine Unterhaltung gewesen. Und ich glaube nicht, daß ein einziger sich dazwischengelegt hätte, wenn es zu einem Kampf auf Leben und Tod zwischen uns beiden gekommen wäre.

Andererseits war das alles wiederum lächerlich und kindisch. Wetzen, wetzen, wetzen – Humphrey van Weyden in einer Schiffkombüse, im Begriff, ein Messer zu schärfen und es mit dem Daumen zu prüfen! Von allen Situationen die undenkbarste! Meine Angehörigen würden es nicht für möglich gehalten haben. Daß ich, Humphrey van Weyden, solcher Dinge fähig war, bedeutete eine Offenbarung für mich, und ich wußte nicht, ob ich stolz sein oder mich schämen sollte. Aber nichts geschah. Nach zwei Stunden legte Thomas Mugridge Messer und Stein fort und streckte mir die Hand entgegen.

»Was hat es für einen Sinn, sich den Viechern zur Schau zu stellen?« fragte er. »Sie lieben uns nicht und würden sich verdammt freuen, wenn wir beide uns gegenseitig die Kehle abschnitten. Du bist nicht der Schlimmste, Hump! Du hast Mut, und ich hab' dich im Grunde gerne. Komm, gib mir die Flosse.«

So feige ich auch sein mochte, war ich es doch weniger als er. Es war ein unbedingter Sieg, den ich errungen hatte, und ich wollte nichts davon verscherzen, indem ich die verhaßte Hand schüttelte.

»Schön,« sagte er, »nimm sie oder laß es bleiben, deshalb gefällst du mir nicht weniger.« Und hierauf wandte er sich heftig gegen die Zuschauer: »Macht, daß ihr von der Kombüsentür wegkommt, ihr elenden Lümmel!«

Diesem Befehl verlieh er Nachdruck durch einen Kessel kochenden Wassers, bei dessen Anblick die Matrosen Hals über Kopf fortstürzten. Das war eine Art Sieg für Thomas Mugridge, der ihn die Niederlage, die ich ihm zugefügt hatte, mit mehr Anstand tragen ließ. Die Jäger versuchte er allerdings nicht zu vertreiben.

»Köchlein ist fertig«, hörte ich Smoke zu Horner sagen. »Ja, darauf kannst du wetten«, lautete die Antwort. »Von jetzt an ist Hump Herr in der Kombüse, und Tommy muß die Hörner einziehen.«

Mugridge hörte es und warf mir einen schnellen Blick zu, aber ich tat, als hätte ich nichts gemerkt. Ich hätte nicht geglaubt, daß mein Sieg so vollständig und weittragend sei, war aber entschlossen, nicht ein Tüftelchen davon preiszugeben. Die Tage vergingen, und die Prophezeiung Smokes bewahrheitete sich. Der Cockney wurde demütiger und sklavischer vor mir als selbst vor Wolf Larsen. Ich redete ihn nicht mehr ›Herr Mugridge‹ an, wusch nicht mehr die fettigen Töpfe aus und schälte nicht mehr Kartoffeln. Ich verrichtete meine Arbeit, aber nur meine eigene, wann und wie ich es für richtig hielt Ich trug auch nach Matrosenart meinen Dolch in einer Scheide an der Hüfte und nahm von jetzt an Thomas Mugridge gegenüber eine Haltung ein, die aus Despotismus, Hohn und Verachtung gemischt war.


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