Rudolph Lindau
Erzählungen aus dem Osten
Rudolph Lindau

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John Bridges Braut

Die Stadt Yokohama in Japan war vor wenigen Jahren noch ein ausgezeichneter »Markt« für heiratslustige Mädchen. In der an Europäerinnen armen fremden Gemeinde genügte es, eine weiße – im Gegensatz zur farbigen – Frau zu sein, um unbeschreiblich begehrenswert und liebenswürdig zu erscheinen. Ich erinnere mich nur eines Falls, in dem eine Engländerin die tiefgefühlte Schmach zu erdulden hatte, von dem Manne ihrer Wahl – es war gewissermaßen eine blinde Wahl – nicht mit offenen Armen aufgenommen zu werden.

Ein junger Mann namens Bridges hatte sich nach zehnjährigem Aufenthalt in Japan ein kleines Vermögen erworben. Es war ihm jedoch nicht möglich, dasselbe flüssig zu machen. Sein Kapital war nämlich in einem von ihm selbst geleiteten Geschäfte so fest angelegt, daß an eine schnelle und gleichzeitig einigermaßen gute »Liquidation« nicht zu denken war. Aber Bridges war des Junggesellenlebens müde geworden, er wünschte sehnlichst, sich zu verheiraten, und ein jedes junges Mädchen, das nach Yokohama kam, konnte sich mit Sicherheit darauf gefaßt machen, innerhalb der nächsten Wochen, nachdem Herr Bridges sich ihr hatte vorstellen lassen, einen Heiratsantrag von ihm zu erhalten. Er hatte jedoch nie Glück damit gehabt. Die jungen Mädchen waren wählerisch, und der unbedeutende kleine Bridges, der weder hübsch noch besonders reich, noch unternehmend war, hatte Dutzende von Körben eingeheimst. Er war darüber sehr unglücklich und pflegte jedermann, der sich ihm näherte, zum Vertrauten seiner Verzweiflung zu machen. – Eines Tages, als ihn Miß Nelly, die hübsche Nichte von Frau Morrisson, ebenfalls schnippisch abgewiesen hatte, und er einem wohlmeinenden Freunde seine Not klagte, gab ihm dieser den Rat, auf die Mädchen von Yokohama ganz zu verzichten und in Europa, »wo bei der starken Konkurrenz der gewünschte Artikel leicht zu beschaffen sein würde«, eine Frau zu suchen. Dies leuchtete Herrn Bridges, der ein kühler, erfahrener Kaufmann war, ein, und mit der nächsten Post schrieb er einem Geschäftsfreunde in London einen Brief des Inhalts: er sei achtundzwanzig Jahre alt, besitze ein blühendes Geschäft, ein gutes, gesichertes Einkommen, ein liebevolles Herz, erfreue sich in jeder Beziehung des besten Rufes und wünsche alles, was er sein nenne, einem jungen, anständigen, wohlerzogenen, womöglich hübschen Mädchen zu Füßen zu legen. Der Geschäftsfreund wurde gebeten, eine den Ansprüchen Bridges' entsprechende Persönlichkeit ausfindig zu machen und diese sodann zu veranlassen, sich vertrauensvoll nach Yokohama zu begeben, wo sie von ihrem liebenden Bräutigam an Bord des Schiffes abgeholt werden würde. Für Ausstattung und Reisekosten wurde in freigebiger Weise ein guter Kredit eröffnet.

Als Bridges den Brief seinem Ratgeber vorlas, mochte dieser fürchten, eine zu große Verantwortlichkeit übernommen zu haben. Er streichelte sich Schnurrbart und Kinn und sagte:

»Man kauft keine Katze im Jack, geschweige denn eine Frau. Ich bin kein Ehestandskandidat; aber wenn ich an Ihrer Stelle wäre, so würde ich eine Nachschrift zu dem Brief machen und darin um eine Photographie des Objekts bitten. Ihr Freund in London hat vielleicht einen andern Geschmack als Sie, und schickt Ihnen möglicherweise eine Frau, die er hübsch findet, und die Ihnen unliebenswürdig erscheint, verlangen Sie ein Muster. Es wird zwar nicht möglich sein, die Sendung danach vollständig zu beurteilen, aber Sie werden sich doch eine annähernd richtige Idee von deren Wert machen können.«

Bridges dankte für den Rat und befolgte ihn getreulich, vier Monate darauf erhielt er die sehnlichst erwartete Antwort seines Londoner Korrespondenten. Dieser berichtete, daß er eine Anzeige in der »Times« veröffentlicht habe, und daß ihm infolge derselben zahlreiche Anerbieten und Photographien zugegangen seien. Er habe darunter eine sorgfältige Auswahl getroffen und übersende in der Einlage drei Briefe und drei Photographien mit dem Wunsche, daß Herr Bridges darunter etwas Passendes finden möge.

Die erste Photographie stellte eine Dame im Profil dar: scharfgezeichnete, edle und gleichzeitig milde Züge, große, schöne Augen, üppiges Haar, einfache Toilette, die eine majestätische Figur zur Geltung brachte. Der Brief, der zur Erläuterung des Bildes beigefügt war, bekundete in fester Schrift und kurzen Worten: die Einsenderin, die sich unter »A. B. 28« Antwort in der »Times« erbitte, sei 26 Jahre alt, von unbescholtenem Rufe, Tochter eines achtbaren Beamten, gehöre der anglikanischen Kirche an und habe ihr Lehrerinnenexamen gemacht, »Haar: hellbraun, Augen: braun, Zähne: gut, Gesichtsfarbe: gesund, Nase, Mund und Kinn wie die Photographie deutlich zeigt.«

Bridges war entzückt. »A. B. 28 oder keine!« – Er würdigte die beiden andern Anerbieten kaum eines Blickes und schrieb mit umgehender Post seinem Londoner Freunde, er möge die Absendung der geliebten Braut nach Möglichkeit beschleunigen.

Zur richtigen Zeit kam das Dampfboot in Yokohama an, auf dem sich die von Bridges sehnlichst erwartete »A. B. 28« befand. Eine Freundin des glücklichen Bräutigams, Frau Dexter, begab sich mit ihm an Bord des Schiffes, um die Braut zu empfangen und ihr bis zur nahe bevorstehenden Hochzeit ein Asyl in ihrem gastfreundlichen Hause anzubieten. – Als die beiden, Bridges und Frau Dexter, auf dem Verdeck angekommen waren, erblickten sie dort nur männliche Passagiere. Bridges wandte sich an den Kapitän, den er persönlich kannte, und fragte unruhig, ob denn nicht auch eine junge Dame mitgekommen sei.

»Jawohl,« antwortete Kapitän Lennox, verschmitzt lächelnd. »Sie hat sich auch viel nach Ihnen erkundigt. Sie saß bei Tisch neben mir. Sie wird sogleich hier sein. Eine große Schönheit, eine imposante Erscheinung, Herr Bridges! – Da kommt sie die Treppe herauf.«

Bridges wandte sich der Treppe zu. – Er erblickte einen Frauenkopf, der langsam auf einem unendlich langen Körper höher und höher emporwuchs. Er erkannte das feingeschnittene Profil, das hellbraune Haar, die nußbraunen Augen; aber ihm schwindelte, als er die Besitzerin all' dieser Reize, eine sechs Fuß hohe Riesin, der er nicht ganz bis zur Schulter reichte, gelassenen, weiten Schrittes auf sich zukommen sah.

»Mein Name ist Miß Brown,« sagte eine Baßstimme. »Ich vermute, daß ich das Vergnügen habe, Herrn John Bridges vor mir zu sehen.«

Der arme John konnte nur stumm mit dem Kopfe nicken.

»Ich bitte um Ihren Arm,« fuhr die Riesin fort: – »Wollen Sie mich der Dame vorstellen?« setzte sie hinzu, einen Blick auf Frau Dexter werfend, die als eine tapfere, gute Frau ihrem armen Freunde John in der Stunde der Gefahr nicht von der Seite gewichen war.

Bridges murmelte Worte der Vorstellung, hob den Arm bis zur Höhe seines Ohres, so daß Miß Brown, ohne sich tief zu bücken, ihre gewaltige Hand hineinlegen konnte, und, vollständig geknickt, geleitete er seine Braut in das Boot, aus dem er vor wenigen Minuten so hoffnungsreich ausgestiegen war.

Mrs. Dexters gute Seele füllte sich mit Mitleiden für den armen John. Um dessen Verlegenheit einigermaßen zu verdecken, eröffnete sie eine Unterhaltung mit der Riesin. Diese zeigte sich nicht abgeneigt, darauf einzugehen, so daß Bridges das Ufer erreichen konnte, ohne seiner Verzweiflung Ausdruck gegeben zu haben. Aber mit Schrecken erblickte er am Landungsplätze ein Dutzend von Bekannten, darunter den Herausgeber des »Yokohama Punch«, Charles Wirgman, mit den lachenden, aufmerksamen Augen, dessen Hand jetzt suchend auf die Rocktasche klopfte, in der er sein bekanntes und gefürchtetes Skizzenbuch zu bergen pflegte. – John Bridges wünschte, er wäre nie geboren, er wäre tot. – Er stellte sich aufrecht auf die Bank des Bootes, und als dieses gegen einen der Pfeiler der Landungsbrücke anstieß, verlor er in geschickter Weise das Gleichgewicht und fiel ins Wasser. Die beiden Frauen stießen einen Angstschrei aus. Aber John hatte sehr wohl gewußt, weshalb er so unvorsichtig gewesen war. Er war ein vortrefflicher Schwimmer und erreichte mit Leichtigkeit das Ufer. Er entschuldigte sich flüchtig bei seiner Braut und bei Frau Dexter und eilte dann in schnellem Laufe seiner Wohnung zu, um dort die Kleider zu wechseln. Er schwur später, daß er lieber ertrunken wäre, als mit »A. B. 28« am Arm, unter Wirgmans Augen, in das »Settlement« einzuziehen.

Als Bridges sich außer unmittelbarer Gefahr befand, tat er, was mancher tapfere Mann in seiner Lage getan haben würde: er sann auf schmähliche Flucht. – Alles war besser, als an der Seite jener unglaublichen Frau, die man ihm aus London zugesandt hatte, durchs Leben zu wandeln. Er ließ ein Pferd satteln, und vertraute dem zuverlässigsten seiner Diener an, daß er auf einige Tage nach Mïen-Haschi, einem japanischen Badeorte im Hakkonigebirge gehen wolle und sich dort verborgen zu halten wünschte; sodann schrieb er einen langen Brief an Frau Dexter und flehte diese an, ihn zu retten. Er erklärte sich zu jedem Opfer bereit, um sich von dem unglücklichen Geschäfte frei zu machen, in das sein »elender« Agent in London, dem er Haß und Rache schwor, ihn verwickelt hatte. Er überließ »A. B. 28« die Aussteuer, die sie in London mit seinem Gelde gekauft hatte, und war selbstverständlich damit einverstanden, keinen Heller davon zurückzufordern, was sie zur Reise nach Yokohama verausgabt hatte. Sie sollte die Rückreise nach Europa auf seine Kosten über Amerika oder via Suez, ganz nach ihrem Belieben, antreten, und er war bereit, ihr eine, für seine bescheidenen Verhältnisse höchst anständige Summe anzuweisen, als Vergütung für die ihr verursachten Mühen und als Entschädigung für die Vereitelung ihrer Heiratspläne. – Aber heiraten wollte er sie unter keiner Bedingung. Im Notfall würde er es auf eine Klage wegen Bruchs eines Heiratsversprechens ankommen lassen, und er hoffte in diesem Fall, den Richter davon überzeugen zu können, daß er, John Bridges, der betrogene Teil sei, und daß die von seinem Londoner Agenten gemachte Sendung nicht bona fide als dem »eingesandten Muster entsprechend« bezeichnet werden könnte.

Frau Dexter hatte keine großen diplomatischen Künste aufzuwenden, um die Wünsche ihres Freundes zu erfüllen. »A. B. 28« zeigte sich für die ihr gemachten Vorschläge zugänglich.

»Er ist in der Tat etwas klein,« sagte sie, »und ich habe noch nicht Gelegenheit gefunden, ihn lieb zu gewinnen. Er hat unvorsichtig gehandelt; aber ich sehe, daß er bereit ist, seinen Fehler wie ein Gentleman wieder gut zu machen.«

Sie nahm alles an, die Ausstattung, den Wechsel auf die Orientalbank und schließlich auch die Reisevergütung, die ihr Frau Dexter in Bridges' Namen auszahlte; sie verweilte acht Tage in Yokohama, sah während dieser Zeit so viel wie möglich von Japan, kaufte einige kleine Kunstgegenstände »zur Erinnerung an die schöne Reise« und verabschiedete sich endlich in herzlicher Weise von Frau Dexter, die sich mit aufrichtigen Tränen in den Augen von ihr trennte und ihr, als sie gegangen war, das Zeugnis ausstellte, »A. B. 28« sei ein gutes, vernünftiges, bescheidenes, junges Mädchen, und John Bridges habe sich ihr gegenüber eigentlich recht schlecht benommen; aber so wären die Männer!

John Bridges kehrte nach zehntägiger Abwesenheit von Mïen-Haschi nach Yokohama zurück. Er ertrug den Verlust der Braut und des Geldes, den er erlitten hatte, mit großer Ruhe. Er schwor Frau Dexter ewige Dankbarkeit, und diese verzieh ihm, untreu gewesen zu sein.

Bridges ist unverheiratet geblieben. Fräulein Brown aber machte auf der Reise von Yokohama nach Hongkong die Bekanntschaft eines unternehmenden »Storekeepers« (Besitzer eines offenen Ladens), dem es bei der Frau seiner Wahl auf ein paar Fuß mehr oder weniger augenscheinlich nicht ankam, der sich an Bord des Schiffes mit »A. B. 28« verlobte, sie unmittelbar nach seiner Ankunft in Hongkong heiratete, und der, als ich das letzte Mal in dieser Stadt war und aus Neugier seinen Laden besuchte, in ruhiger, glücklicher Ehe mit der von John Bridges verschmähten großen Schönheit lebte.


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