Rudolph Lindau
Erzählungen aus dem Osten
Rudolph Lindau

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7.

Büchner hatte in Yokohama während der vier Monate, die er dort verweilte, ruhig gelebt; sicherlich hatte er nicht getrunken. Aber heiter und gesellig war er nicht geworden. Er hatte außer mit Doktor Jenkins mit keinem Europäer verkehrt. Der Grund seiner Zurückhaltung in dieser Beziehung war folgender: Jenkins hatte Büchner in den Klub einführen und ihn, da er mehrere Monate in Japan zu bleiben beabsichtigte, als Mitglied vorschlagen wollen; aber einige der jungen Leute, die seine Geschichte von Schanghai her kannten, hatten die Nase gerümpft: er habe im Verdacht des Diebstahls gestanden, er sei ein Säufer und mache seine Frau unglücklich, in Schanghai erscheine er seit Jahr und Tag nicht mehr im Klub, weil er fürchten müsse, man könne seinen Austritt beantragen, und wenn er für den Schanghaiklub zu schlecht wäre, so sei er für den von Yokohama auch nicht gut genug. Die Gesellschaft in Japan könne schließlich ebenso anspruchsvoll sein wie die in China.

Doktor Jenkins war ein angesehenes Mitglied der fremden Gesellschaft in Yokohama, aber er gehörte nicht zu den Leitern der öffentlichen Meinung. Seine Tätigkeit brachte es mit sich, daß er gern mit aller Welt gut stand. Er wollte sich nicht des Fremden aus Schanghai wegen mit alten Bekannten aus Yokohama streiten, möglicherweise überwerfen. Er ließ den Sturm auf Büchner über sich hinweggehen und begnügte sich damit, diesem in schonender Weise mitzuteilen, er würde wohl daran tun, sich nicht in den Klub einführen zu lassen.

Jenkins war durchaus kein hartherziger Mensch; aber er dachte zuerst an »Nummer Eins«, an sich selbst. Das tun die meisten anderen Menschen ebenfalls – und man darf den Doktor nicht wegen seines Kleinmuts schelten. Er selbst empfand jedoch darüber eine gewisse Beschämung: es kam ihm vor, als ob er Büchner gegenüber etwas wieder gut zu machen habe, und dies äußerte sich dadurch, daß er persönlich den ihm anempfohlenen Gast aus Schanghai mit großer Herzlichkeit empfing. Er zweifelte nicht, daß der Verdacht der Unterschlagung, der sich auf Büchner gelenkt hatte, ein ungerechter sei; was des Genannten Leidenschaft für den Trunk anging, so wußte Jenkins als Arzt, daß der lange Holländer dieselbe mit außergewöhnlicher Energie zu beherrschen bemüht war.

Der Doktor hatte anfänglich gewissermaßen ein Opfer gebracht, indem er sich Büchner gegenüber freundlich gezeigt. Bald änderte sich dies jedoch, und er faßte eine eigentümliche Zuneigung zu dem fremden Mann. – Es gibt Menschen, die gar nichts zu tun brauchen, um zu gefallen. Gewöhnlich sind es weiche, gutmütige, stille Naturen, und sie müssen, um möglichst vollkommen in ihrer Art zu sein, ein gutes Äußeres, klare, ehrliche Augen, gesunde Zähne und eine angenehme Stimme besitzen. Alles dies war Büchner eigen. Sein herzgewinnendes Wesen war in letzter Zeit nur noch Edith und Prati gegenüber zutage getreten. Aber auch den freundlichen Doktor Jenkins gewann er sich schnell, nur weil er diesem für die Aufnahme, die er bei ihm fand, dankbar war und in seiner Gesellschaft das finstere Wesen ablegte, das ihm seit seinem Unglück fremden Menschen gegenüber eigen war und ihn unliebenswürdig erscheinen ließ.

Büchner hatte die vorsichtigen Äußerungen, die Jenkins in bezug auf den Besuch des Klubs gemacht hatte, bei den ersten Worten verstanden. Er hatte darauf nichts erwidert, aber sein Leben danach eingerichtet, indem er nicht nur den Klub, sondern überhaupt jeden Fremden in Yokohama vermied. Er hatte sich ein Pferd gekauft und ein Boot gemietet und trieb sich einen guten Teil des Tages auf dem Meere und in der Umgebung von Yokohama umher. Da er niemand grüßte und mit niemand sprach, so wurde er auch von keiner Seele behelligt: denn die jungen Leute von Yokohama, und unter diesen auch seine Gegner, waren keine boshaften Klatschschwestern. Nachdem sie den Verdächtigten von sich ferngehalten hatten, ließen sie ihn unbehelligt seiner Wege ziehen. Im übrigen verkehrte Büchner viel mit Japanern und Chinesen, von denen er sich über alles belehren ließ, was auf den Handel von Yokohama bezug hatte. Am Abend saß er gewöhnlich bei Jenkins auf der Veranda und hörte den langen Geschichten zu, die der Doktor zu erzählen liebte und für die er nur selten so aufmerksame Zuhörer fand, wie Büchner einer war.

Der Doktor bemerkte nach einiger Zeit, daß Büchner mit einer an Geiz grenzenden Sparsamkeit lebte, während die jungen Leute in Yokohama damals mit dem Gelde um sich warfen, hoch wetteten und spielten, zahlreiche Diener besoldeten und das Beste an teuren Speisen und Getränken gerade gut genug für ihren Tisch hielten, lebte der lange Holländer wie ein Eingeborener von Reis, Fisch und Tee und gestattete sich, außer für ein Pferd und ein Boot, nicht die geringste überflüssige Ausgabe. Nun aber paßte Geiz gar nicht zu seinem Charakter, wie Jenkins ihn zu kennen glaubte, so daß er ihn eines Tages geradezu fragte, weshalb er sich so sehr einschränke, ob er etwa Geldsorgen habe. In diesem Falle möge er über seine, Jenkins', Börse verfügen.

Büchner dankte ohne übertriebene Wärme für das Anerbieten und antwortete, nein, er habe keine Geldsorgen, er empfange sogar von seinem Geschäftsgenossen in Schanghai Nachrichten, aus denen hervorgehe, daß sie dort sehr gute Geschäfte machten, Aber in Yokohama könne er nicht recht vorwärts kommen. Die kleinen Unternehmungen, in die er sich eingelassen habe, seien zwar nicht mißglückt, aber hätten auch nicht viel abgeworfen. An das Geld, das in Schanghai verdient werde, wolle er jedoch nicht rühren. Er habe noch einige Schulden, die ihn zwar nicht drückten, die er aber doch möglichst bald abzutragen wünsche, und sodann müsse er auch daran denken, seiner Frau, falls er sterben sollte, etwas zu hinterlassen.

»Wie können Sie, ein junger, kräftiger Mann, an Sterben denken?« fragte Jenkins.

»Ich denke nicht viel daran und ich fürchte mich nicht davor; aber es wird eine Beruhigung für mich sein, wenn ich mir sagen kann, daß meine Frau auch nach meinem Tode genug zu leben haben wird.«

»Ich habe gehört, Ihre Frau sei wohlhabend.«

»Das ist sie in der Tat. Aber ich habe mir nun einmal in den Kopf gesetzt, ihr durch das, was ich selbst verdiene, ein ruhiges Leben zu sichern. Ich lege mir keine Entbehrungen auf: ich habe jetzt nur noch wenig Bedürfnisse, und es macht mir Vergnügen, nachzurechnen, wie klein meine heutigen Ausgaben im Vergleich zu den früheren sind.«

Alles das war schön und gut, aber Jenkins war damit nicht zufrieden. Der Gemütszustand seines neuen Freundes hatte sich seit Monaten nicht gebessert. Büchner war, ohne je zu klagen, wortkarg, nachdenklich und traurig.

»Sehnen Sie sich vielleicht nach Schanghai zurück?« fragte ihn Jenkins eines Abends.

»Ja, ich möchte meine Frau und meinen Freund Prati bald wiedersehen,« antwortete Büchner. »Ich lebe nun schon lange von ihnen getrennt. Aber Geschäft geht vor Vergnügen! Ich muß hier ausharren, bis Prati mich zurückruft. Ich fürchte, meine Reise hat nicht viel genützt. Doch habe ich mir große Mühe gegeben, alles in Erfahrung zu bringen, worüber Prati unterrichtet sein wollte.«

»Sie ernten vielleicht später die Früchte ihrer Tätigkeit,« tröstete der Doktor.

Aber mit der nächsten Post schrieb er an seinen Kollegen in Schanghai, er solle veranlassen, daß Büchner dorthin zurückberufen werde: er verzehre sich in Sehnsucht nach seiner Frau, und eine weitere Ausdehnung der Trennung von ihr könne ihm nur schaden. Von der Trunksucht erscheine er vollständig geheilt. – Darauf traf mit umgehender Post ein Brief von Prati an Büchner ein, der glänzende Berichte über ein von Prati unternommenes großes Seidengeschäft enthielt.

»Ich hoffe, sie werden am Ende des Jahres alle Ihre Schulden abbezahlt und noch etwa achttausend Dollars übrig haben. In der Beurteilung des japanischen Marktes bin ich aber, so scheint es mir jetzt, auf falscher Fährte gewesen. Sicher ist augenblicklich hier mehr zu verdienen als dort. Also wickeln sie die kleinen Geschäfte, die noch laufen mögen, baldmöglichst ab und kommen sie herüber: je eher, je lieber.« So schloß Pratis Schreiben.

Auch von Edith war gleichzeitig ein liebevoller Brief eingetroffen, in dem sie ihre Freude ausdrückte, ihren alten Georg nun bald wiederzusehen.

Büchners kleiner Hausstand war in wenigen Tagen aufgelöst; nachdem aber die Miete bezahlt und die Diener abgelohnt worden waren, blieben dem langen Holländer nur noch wenige Dollars übrig. Er hatte darauf gerechnet, für sein Pferd denselben Preis wieder zu bekommen, den er dafür gegeben. Es fanden sich jedoch keine Käufer, und er überließ das Tier als Geschenk dem Doktor, zum Andenken an die Stunden, die sie zusammen verlebt hatten. Jenkins hätte dem Scheidenden sicherlich und gern die kleine Summe geborgt, die zur Reise nach Schanghai mit dem Dampfschiff »Costarica« nötig war. Er konnte aber nicht ahnen, daß Büchner sich in Geldverlegenheit befand, und dieser, sei es, daß es ihm unangenehm war, Jenkins um Geld zu bitten, sei es, daß ihm die billige Überfahrt auf dem Segelschiff besser zusagte, als die teure auf dem Dampfer, sei es endlich, daß er die Gesellschaft anderer Reisender vermeiden wollte, die er auf der »Costarica« unfehlbar angetroffen haben würde – Büchner zog es vor, mit der »Aurora Belisle« zu fahren und sich wegen der Zahlung des Überfahrtgeldes mit mir zu verständigen.

Die letzte Stunde seines Aufenthalts in Yokohama verbrachte Büchner mit Jenkins, dem er bei dieser Gelegenheit auch den Inhalt von Pratis Brief mitteilte. Dazu bemerkte er, daß er nun, dank seinem Geschäftsgenossen, am Ende des Jahres ziemlich genau wieder in derselben Lage sein werde, wie vor seinem Austritt aus dem Hause Rawlston u. Co.

»Ich besaß damals achttausend Dollars,« sagte er, »die durch einen Unglücksfall verloren gingen. Die achttausend Dollars habe ich wieder bekommen; das Unglück kann nicht wieder gut gemacht werden.«

Es war dies die erste Anspielung auf seine Vergangenheit, die Jenkins von ihm hörte.

»Alles kann wieder geheilt werden,« tröstete er freundlich.

Büchner schüttelte den Kopf. »Wenn mir ein gesunder Zahn ausgeschlagen worden ist, so kann ich mir einen falschen einsetzen lassen, den Fremde für einen gesunden ansehen mögen; aber die Bekannten wissen, daß es ein falscher Zahn ist. Und wenn sie es auch vergessen wollten, ich müßte doch jeden Abend und jeden Morgen daran denken.«

Jenkins brachte Büchner an Bord der »Aurora Belisle« und verließ uns erst, als wir die Anker gelichtet hatten, und die Bark mit der Ebbe langsam aus der Bai dem offenen Meere zuschwamm. – Es war ein schöner Abend. Die Sonne ging hinter den schwarzen Hakkonibergen unter und rötete den breiten, mit Schnee bedeckten Krater des Fusi-Yama. Das tiefblaue Meer war sanft bewegt und mit Hunderten von Fischerbooten bedeckt, deren Insassen, wenn wir in ihrer Nähe vorbeifuhren, uns »Glückliche Fahrt!« zuriefen. Die straffgezogenen Segel waren mit lauer Luft leicht gefüllt, und durch die Raaen und Taue zog ein leises Summen, das zur Ruhe einlud. Büchner hatte sich auf dem Deck lang ausgestreckt, die Hände unter dem Kopf, die Augen weit geöffnet, und schaute in die Höhe mit einem Ausdruck tiefen Friedens auf dem stillen Gesichte. – Ja, von dem Augenblick an gefiel mir der Mann – ich weiß selbst nicht warum.

Es gab bei dem ruhigen Wetter wenig zu tun. Ich setzte mich auf eine Bank neben dem Platze, wo Büchner lag.

»Friedliche Fahrt,« sagte ich.

Er machte ein zustimmendes Zeichen mit dem Haupte.

»Hoffentlich bleibt das Wetter gut,« setzte ich hinzu.

Er richtete sich halb in die Höhe, und, auf den einen Ellenbogen gestützt, musterte er langsam den ganzen Horizont. »Kein Wölkchen am Himmel.«

»Schlechtes Wetter kommt unverhofft.«

»Ja, das ist wahr,« sagte er.

Aber diesmal blieb das Wetter unverändert günstig, bis ich nach zehntägiger Reise die Anker vor Francis Morrissons »Hong« in Schanghai fallen ließ. – Während dieser wenigen Tage war ich nun von früh bis spät mit Büchner zusammen. Er aß natürlich mit mir. – Ich trinke an Bord nie etwas anderes als Wasser, Tee und Kaffee, aber ich fragte meinen Passagier, ob er Wein oder nach Tisch ein Glas Brandy nehmen wolle. Er dankte. Ich hatte ihn, wie gesagt, beim ersten Blick für einen Trinker gehalten. Seine Geschichte kannte ich damals nur unvollkommen, und seine Weigerung, ein Glas Wein zu nehmen, verdroß mich. Sie kam mir wie eine Heuchelei vor, ich war überzeugt, er hätte eine Kiste Spirituosen mit an Bord gebracht und tränke des Nachts, wenn er sich unbeobachtet glaubte. Aber ich hatte mich geirrt: er hielt sich, wie ich es tat, ausschließlich an Wasser und Tee. Nur an der Art, wie er sich einschenkte und das Glas hielt, sah ich noch, daß er nicht immer so mäßig gewesen war. – Trinker gehen nämlich mit Flüssigkeiten sorgfältiger um als andere Menschen. Sie füllen das Glas bedächtig bis zu einer bestimmten Höhe, sie scheinen jedesmal genau abzumessen, was sie nehmen, und dann stürzen sie das Getränk nicht etwa hinunter – kein ordentlicher Trinker tut das – sondern sie legen alle fünf Finger um das Glas, führen es behutsam zum Munde und leeren es langsam, wenn Büchner sein Wasser aus einem dunklen Glase zu sich genommen hätte, so hätte man wetten mögen, er tränke kostbaren Wein: so große Aufmerksamkeit widmete er der einfachen Handlung.

Am vierten oder fünften Tage nach unserer Abfahrt von Yokohama – es war mir, als kennte ich meinen Passagier seit einem Jahre, obgleich wir nicht viel miteinander gesprochen hatten – fragte ich ihn, ob er sich immer mit Wasser und Tee begnügte. Ich, so setzte ich hinzu, fände ein Glas Claret oder Sherry unvergleichlich schmackhafter als ein Glas Wasser und gäbe jenen Getränken den Vorzug, sobald ich am Lande wäre. Er antwortete anscheinend unbefangen, er könne keine Spirituosen vertragen und habe ihnen deshalb entsagt. Er fühle sich seitdem wohler. Während der ersten Zeit sei ihm die Enthaltsamkeit etwas schwer geworden, aber jetzt denke er gar nicht mehr daran; jedoch verkehre er am liebsten mit Menschen, die sich, wie er, mit Wasser begnügten.

»Nun,« sagte ich, »dann werden Sie mich in Schanghai nicht gern sehen, denn dort stehe ich meinen Mann beim Trinken.«

»Ich werde Sie unter allen Umständen gern sehen,« antwortete er. »Sie haben sich sehr freundlich gegen mich gezeigt. Auch Doktor Jenkins habe ich lieb gewonnen,« fuhr er fort. »Früher achtete ich nicht darauf, wenn ich gute Menschen antraf. Jetzt macht es mir Freude, und ich bin ihnen dankbar dafür.«

Ich kann nicht recht sagen, weshalb solche und ähnliche einfache Worte meine Zuneigung zu dem Manne vermehrten. Aber es war so. Ich hätte schon damals dem langen Holländer von Herzen gern etwas zuliebe getan. Später, nachdem ich seine Frau kennen gelernt hatte, wurde ich gut befreundet mit den beiden, und wenn ich in Schanghai war, so schlug ich mein Hauptquartier immer bei ihnen auf, obgleich mein Geschäft mich für gewöhnlich zu Morrisson zog, an den die »Aurora Belisle« fest konsigniert war.

Während Büchner sich in Yokohama aufhielt, war James Rawlston von seiner Reise nach Schanghai zurückgekehrt. Seine erste Sorge war gewesen, sich mit seiner Schwester in Verbindung zu setzen. Diese war mit ihm, am Tage nach seiner Ankunft, bei Frau Onslow zusammengetroffen.

»In meinem Hause kann ich dich nicht empfangen,« hatte sie mit großer Traurigkeit gesagt. »Auch darf ich dich nicht besuchen. Du billigst meine Haltung sicherlich.«

Das tat James Rawlston nun zwar nicht, denn er konnte nicht begreifen, weshalb Büchner ihm noch immer zu zürnen schien. Rawlstons Schuld war es doch sicherlich nicht, daß der Diebstahl verübt worden war und daß sich ein schwerer Verdacht auf Büchner gelenkt hatte. Es wäre dem Amerikaner unter allen Umständen lieber gewesen, seine Schwester hätte sich mit dem reichen Francis Morrisson verheiratet, anstatt mit dem unbemittelten langen Holländer. Aber wenn er, Rawlston, geneigt war, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, so hätte man ihm dafür Dank wissen sollen. Büchners Benehmen ihm gegenüber war nicht zu rechtfertigen. Rawlston sprach in diesem Sinne mit Frau Onslow. Diese empfahl ihm, das Thema in Gegenwart seiner Schwester lieber nicht zu berühren. Sie hinge in voller Liebe an ihrem Ehegemahl und sei der Ansicht, daß der von Rawlston unmittelbar nach dem Diebstahl offen ausgesprochene Verdacht die Hauptursache von Büchners Unglück gewesen sei. »Sie haben in Edith eine treue Schwester,« schloß Frau Onslow; »aber muten Sie ihr nie zu, zwischen Ihnen und ihrem Manne zu wählen. Sie wird sich bemühen, beide Verbindungen aufrecht zu erhalten, aber im Falle der Notwendigkeit einer Wahl würde sie sicherlich auf Büchners Seite treten, wie schwer es ihr auch fallen möchte.«

Rawlston mußte sich dabei beruhigen. Aber seine Zuneigung zu Büchner wuchs dadurch nicht. Er traf mit seiner Schwester gelegentlich bei Frau Onslow zusammen. Das war besser als sie gar nicht zu sehen; aber der richtige Verkehr, wie er zwischen Schwester und Bruder bestehen sollte, war es doch nicht.

Prati hatte nicht aufgehört, oft bei Frau Onslow zu erscheinen. Zu den kleinen Vereinigungen, die bei ihr stattfanden, gesellte sich auch bald Herr Morrisson. Größer wurde der Kreis nicht. Die Gesellschaft bestand außer den Wirten immer aus denselben Personen: Rawlston, Edith, Prati und Morrisson.

Diese Zusammenkünfte waren harmloser Natur. Die Kosten der Unterhaltung wurden ausschließlich von Frau Onslow getragen, Rawlston war mürrisch, Edith saß still in sich gekehrt da, mit einer Handarbeit beschäftigt, die sie wohl aufgenommen hatte, um ihre Schweigsamkeit und Zurückhaltung weniger auffällig erscheinen zu lassen, der geschmeidige Italiener hatte einen freundlichen Gruß und ein freundliches Lächeln für jedermann – aber auch er war der Alte nicht mehr. Eine geheimnisvolle Sorge schien an ihm zu nagen, und er saß oftmals da, anscheinend mit schweren Gedanken beschäftigt, die mit Frau Onslows philosophischen Abhandlungen sicherlich nichts gemein hatten; auch auf Francis Morrisson hatte die gedrückte Stimmung der anderen ihren Einfluß nicht verfehlt. Das war die einfachste Erklärung dafür, daß er, sonst so heiter und anregend, den langen Abend ruhig verbringen konnte, ohne etwas anderes zu tun, als hier und da einige artige Worte an den einen oder andern der Anwesenden zu richten. Er saß gewöhnlich im Schatten, etwas vom Tisch entfernt, auf dem die Lampe brannte, die das bleiche Gesicht der still arbeitenden Edith hell erleuchtete.

Herr Onslow wohnte den Gesellschaften, die er »meiner Frau feierliche Tees« benannt hatte, selten und auch dann nur auf kurze Zeit bei. Er fand die Genossen, die er im Klub oder bei Bekannten antreffen konnte, ungleich mehr nach seinem Geschmack als die steinernen Gäste seiner Frau. »Höchst achtungswerte Menschen,« sagte er, »aber unglaublich langweilig!« Der Frau Edith gefielen sie augenscheinlich, denn sie war Frau Onslows regelmäßigster Gast, bis sie sich eines Tages, einen Monat etwa vor Büchners Rückkehr, plötzlich beunruhigt fühlte. – War es recht, daß sie ohne Wissen ihres Mannes, möglicherweise gegen dessen Wünsche, häufig und regelmäßig mit ihrem Bruder zusammentraf? – Sie richtete diese Frage an Frau Onslow, die zunächst meinte, Büchner werde sicherlich nichts dagegen einzuwenden haben, daß seine Frau ihren Bruder sehe. Aber als Edith darauf entgegnete, dann sei es wohl das einfachste, sie schriebe ihrem Manne, was vorginge, da wurde Frau Onslow nachdenklich und sagte, bei seinem Gesundheitszustand sei es schwer, zu wissen, wie er eine solche Nachricht aufnehmen werde, es dürfte sich deshalb empfehlen, sie ihm mündlich zu machen. Edith war damit einverstanden, nahm sich jedoch vor, ihre Besuche bei Frau Onslow in Zukunft einzuschränken oder sie so zu verlegen, daß sie dabei ein Zusammentreffen mit ihrem Bruder und Herrn Morrisson vermeiden konnte. An Prati dachte sie nicht. Diesen treuen Freund durfte sie überall und täglich sehen, ohne zu befürchten, ihren Mann dadurch zu erzürnen. Aber James und Herr Morrisson kamen nicht in ihr Haus, und sie durfte sie auch nicht regelmäßig an fremden Orten antreffen, wenigstens so lange nicht, bis sie die besondere Erlaubnis ihres Mannes dazu erhalten hatte.


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