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XIV.

[Kapitelnummer korrigiert. Re]

Der Korpsarzt hatte Terna verheiratet wissen wollen, ehe er sich in die von ihm gewählte Heilanstalt für Nervenkranke zurückzog.

Das junge Paar befand sich nun auf einer Reise durch das Land, ehe sie in jener Stadt Aufenthalt nahmen, die Paul für seine nächste »Chronik« ins Auge gefaßt. Erst um die Weihnachtszeit durfte man sie in ihrer Heimat und im Apothekerhaus wieder erwarten.

Der Großvater hatte sich bei der Witwe Söberg oben zwei gemütliche Zimmer gemietet. Von da aus hatte er endlich wieder Aussicht aufs Meer und den Hafen, woran er nun einmal fast sein ganzes Leben hindurch gewöhnt war und was er so lang entbehrt hatte. Beim Sohn hatte er vom Eckfenster aus bloß die oberste Spitze eines einzigen Krahns gesehen, die zwischen zwei Dächern emporragte. Und auf der anderen Seite schaute er auf das altväterliche, schräge Dach des Apothekerhauses und auf ein Stück des Gartens, das in einem Hügel mit Gemüsebeeten und in einem kleinen Pappelwäldchen endete.

Ab und zu wirtschaftete hier irgend eine von den Tanten herum, in einer Kapuze oder in einem großen Strohhut, – entweder Tante Nina oder Tante Lulla oder Moppchen; aber jede von ihnen hielt sich peinlich im eigenen Rayon. – Das war bisweilen eine Zerstreuung für den Großvater, – und ebenso, zuzusehen, wie die Elstern sich auf der Feuerleiter wippten.

Er machte auch manchmal einen kleinen Ausflug hinüber. Der Apotheker allerdings, der war eigentlich nichts gerade für ihn. Aber die drei Tanten waren unterhaltend und gemütlich, – und höchst verschieden geartet; – wenn sie ihm nur nicht ihre vermaledeiten Mittel gegen alles Mögliche aufschwatzen wollten, – na, ausgenommen einen aromatischen Kräuterbitter, der in der That, wie man anerkennen mußte, aus einer Fülle wirksamer Kräfte der Natur gezogen war. – – –

Der Großvater machte seinen gewöhnlichen Spaziergang, trabte in den Patentstiefeln mit Doppelsohlen über das Pflaster hin. Der Nacken war ein bischen mehr gebeugt, der Gesichtsausdruck milder und sein Wesen zeigte weniger die alte Hast und Unruhe. Er war heute guter Laune, – er hatte einen Brief von Ingwald bekommen, der sich nun entschlossen, in Norwegen zu bleiben und sich mit Begeisterung drüber aussprach, was hier alles zu machen sei, – die zahllosen Wasserfälle, deren Kraft man ausnutzen konnte, und Platz für einen Techniker allüberall! –

– Natürlich ... der Junge fühlte, daß er nun anderen Boden unter den Füßen hatte, – war nicht länger von der Ungemütlichkeit der häuslichen Verhältnisse gequält, – dachte sich der Großvater ...

Unten bei der Börse begegnete er dem Makler Knoff, der dastand und nach jemandem zu gucken schien.

»Immer frisch und munter, Herr Zollinspektor,« grüßte der Makler, – »kommen mit dem Stock durch.«

»Gebrauche ihn als Fühlhorn – gebrauche ihn als Fühlhorn,« – war die joviale Antwort ... »Ja wohl; man schleppt sich mit dem Alter, – ist wie ein zugiger Schuppen, sieht weniger, aber hört gut – hört gut. – Was, – was sagten Sie, Herr Makler?«

»Ich sage, das ist ein Glück für den Herrn Zollinspektor; nicht alle haben es so gut.«

»Wie gesagt, – ein zugiger Schuppen ... Aber man sieht dafür hie und da die Sterne durch die Ritzen!«

»Ja, wer Zeit hätte, nach Steinen und dergleichen auszuschauen,« – Knoff stieß nachdenklich den Zigarrenrauch in einer langen dünnen Säule aus, – »allen Lärm zu meiden, sich pensionieren zu lassen und so weiter« ...

»Und so weiter, ja – – Und so weiter,« – fiel der Großvater ein. – »Haben Sie doch die Güte, fortzufahren, Sie, – was dann, – was, und so weiter? – – Ein dunkles, schwarzes Loch« – –

»Pu–uf« ... Knoff schmauchte.

»Man nähert sich dem Umzug, ja wohl. – Und da fragt man sich, was man an Lebenswerten eventuell mit sich nehmen kann.«

Knoff machte ein paar andächtige Züge –

»Bloß eine andere Münzsorte, Herr Makler; die mit dem Stempel des Königs kann man nicht länger brauchen. Nun kommt eine andere Art Buchhaltung« ...

»Rönneberg, Rönneberg,« – winkte Knoff auf einmal geschäftig mit der Hand ...

»Wenn das Gesumme und Gesurre aufhört und es stille wird« – –

»Pardon, ich muß fort, lieber Herr Zollinspektor, – Hab' Eile, – Geschäfte mit Rönneberg ... Guten Tag, – guten Tag« – –

Der Großvater schaute lustig zwinkernd den Schritten des Geschäftigen nach, der mit seiner weltlich-gottseligen Miene auf Rönneberg zusteuerte, um über die Kurse oder irgend eine Notierung von Fischpreisen Nachricht einzuholen. – – –

Als er heimkam, lag ein Brief von Terna auf dem Tisch.

Er besah den Brief, legte ihn wieder hin, zog das eine Rouleaux wegen der Sonne herab und machte sich es im Schaukelstuhl bequem ...

»Ja – ja, – sie fangen an. – Und andere schließen« ... murmelte er, während er las –

Und so sitzt man denn alt und grau da, so gegen die Zeit der Dämmerung und der großen Stille, während die Sonne langsam untergeht, und steht zurück, wie wenig man gelebt hat, – all die vielen geschäftigen Jahre, die einem nur Rauch in den Händen ließen. – Seine geistige Krisis hatte man eigentlich im späten Greisenalter durch Kind und Kindeskind ...

Er saß da und drehte und wendete den Brief.

»Verwundere mich zu Tode über sie vom Moment, da wir aufstehen, bis wir uns niederlegen,« – las er am Rand des Papieres, von Paul's Hand hingeworfen.

... Sieht aus, als paßten sie ... Sieht aus, als könnten sie das Leben mit einander leben, diese zwei ... Sieht wirklich so aus ...

Terna hatte ihrer Großmutter tiefen Drang nach ganzer unverkürzter Liebe geerbt, – so ging es in des Großvaters Gedanken herum ... Er hatte ja die längste Zeit versucht, sich einzureden, daß man so was eigentlich als eine Sonderbarkeit ganz merkwürdig ideal veranlagter Naturen ansehen müsse. Aber, aber, – je mehr er es betrachtete, desto klarer ging es ihm auf, daß es doch, genau genommen, die Liebe war, – und seltsam genug, nicht seine Karriere noch seine stolze Opposition, – worin er, in Freude und Sorge, sein eigentliches, sein innerstes, tiefstes Leben gelebt hatte. –

Er, – der alte Mann, – fand, daß er in der jüngst verflossenen Zeit in dieser Hinsicht eine Entdeckung um die andere gemacht, eine Einsicht nach der anderen gewonnen habe – –

Der letzte verlöschende Sonnenstrahl glitt golden über die Gardine hin und des Großvaters Augenlider zwinkerten und fielen schon zu ...

Sie schimmerten hervor, diese tiefen, liebevollen Augen, mit den heimlichen, bebenden Fragen; sie waren nun ruhig, still, zutraulich ...

Es schwebte etwas wie ein Vogel dicht über ihm mit den Schwingen hin –

Buchschmuck

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