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XIII.

Es war im Beginn des Mai. Die Berghalden zeigten schon lichtgrüne Streifen von neu aufgegangenem Laub, die Bache schäumten und sausten weiß zu Thal und der Löwenzahn leuchtete auf den Hügeln. Es war Frühling, scharfe Luft, blendender, blinkender Tag.

Der Winter lag hinter einem, als etwas Ueberstandenes, als ein entschwundenes Dunkel. – – –

*

– Terna war heute draußen in Sollid. Sie hatte das Stubenmädchen mit sich, um das Einpacken der Sachen zu besorgen, die heimgebracht werden sollten, nachdem das Landhaus verkauft war.

Sie hatte sich im Garten unten umgeschaut, – die Rabatten und Blumenbeete angesehen, wo sie selbst gewohnt war, zu arbeiten und zu pflanzen ... Es kamen schon grüne Augen heraus an den Obstbäumen und Sträuchern, die der Vater mit so viel Sorgfalt und Freude gesetzt hatte. –

Das that so weh, so weh ... Es sollte nun in fremde Hände übergehen ...

Und dennoch, hier war etwas Verloschenes, Totes, ein Grauen, in das sie um keinen Preis hatte zurückkehren mögen!

Am besten, alles möglichst eilig einzupacken und zu ordnen.

– Gegen Mittag war sie fertig und sah sich erleichtert um ...

So war denn alles zu Ende hier auf Sollid! – In ewiger Angst und Pein war sie hier herumgegangen ... ärger und ärger wurde es, in dem Maße als sie heranwuchs. –

Mit einem Schlag war alles verändert, – und nun wollte sie es gleichsam auch in ihren Gedanken begraben wissen. – – –

Ein letztesmal mußte sie noch zum Pförtchen, einen Blick auf all die bekannten Plätze werfen ...

Da ging der steinige Weg hinauf in den Wald. Der Bach, der sauste nun von der alten Mühle oben herab ...

– Der Beerenhügel – die Aussicht –

Die Erinnerungen stiegen auf und packten und drückten, so daß ihr in der Einsamkeit fast laut das Wort entfiel:

»Paul, kommst Du denn nicht?«

Sie erschrak über sich selbst, – fühlte, sie müsse eine aufquellende Gefühlswoge, die sie mitreißen wollte, ersticken. –

Hastig brach sie auf und eilte hinab zur Landungsbrücke, wo die Magd schon fertig stand und wartete.

– So gewohnt sie es war, auf dem Dampfschiff zwischen Sollid und der Stadt hin und her zu fahren, – heute, auf dem Rückweg, war ihr doch alles so wie neu, – fast wie eine erste Fahrt! –

Die See glitzerte rings um die Inseln und Holme, die Möven kreisten und schrien und hatten förmlich Sonne in den Schwingen, wahrend wimmelnde Brißlingsscharen das Wasser kräuselten ...

Unruhe, Umzug, Anfänge überall.

Ihr war so wunderlich zu Mute, – als ob etwas entstehen und in Gang kommen und aufspringen sollte, wohin sie auch sah – –

– Sie hatte im Frühling oft den Weg am Posthaus vorbei genommen und bemerkt, wie die Elstern wieder unter der Feuerleiter und über dem einen Fenster der Tante Lulla ihr Nest gebaut, und auch gesehen, was sie gerade im Apothekergarten vornahmen. –

Und förmlich eine Begebenheit war es ihr gewesen, daß Tante Rina sich neulich auf der Straße umgewendet und ihr nachgeschaut hatte. Und Apotheker Höeg hatte sie gestern von der Thürstufe herab sonderbar freundlich und bedeutungsvoll gegrüßt.

Sie stand und blickte träumerisch in die Ferne hinaus, wo sie ein und aus segelten, ruderten –

»Konsul Röst's ›Victoria‹ – vom mittelländischen Meer mit Apfelsinen, – wohl eine der letzten Ladungen in diesem Jahr,« – hörte Terna plötzlich jemanden sagen.

Sie fuhr empor.

Es durchzuckte sie so eigen. Ihr Puls begann zu klopfen ...

Der Rauch eines großen Dampfers füllte, weitaus draußen hinter den Holmen, die Luft.

Vom mittelländischen Meer ...

Sie ging zur Reling hin, – stand und schaute und schaute, während das Fahrzeug ab und zu zwischen den äußeren Schären sichtbar wurde.

Vom mittelländischen Meer ... tönte es in ihr.

Es war, als blähte ein milderer, glücklicherer Hauch die Segel ...

Vom mittelländischen Meer – –

Ehe sie sich dessen versah, fuhren sie schon im Hafen ein.

Da stand der Großvater auf der Brücke und erwartete sie. Man warf das Landungstau heraus und legte an.

Es war warm und blendend hell da zwischen den kleinen weißen Packhäusern.

»Bruthitze,« – pustete der Großvater, – »rein tropisch.«

Es war als läge es heute in der Luft –

– Mußte wohl sein, weil es so lange her war, daß sie eine ordentliche Tour gemacht, – sie hatte ja daheim das Haus zu bestellen, – und da ging sie nun und träumte vom blauen Mittelmeer und von Sonnenbrand und Apfelsinen!

– Das Mittagsessen hatte sich wegen Ternas später Heimkehr sehr verzögert.

Der Kaffee war getrunken.

Der Großvater saß in der Sophaecke. Die Frühlingsluft hatte ihn angegriffen; er war müde, und die Gedanken fingen an mehr und mehr zu schweben ...

Er nickte und duselte ein, wahrend Terna mechanisch an irgend einer Näherei sich zu thun machte.

Er hörte im Halbtraum, daß draußen angeläutet wurde, und erwachte, als jemand klopfte, erst am Speisezimmer, dann hier, an der Wohnstube, einmal und zweimal, worauf die Thür vorsichtig geöffnet, wurde.

»Paul!« ... schrie Terna auf und eilte stürmisch ihm entgegen.

Er schlang beide Arme um sie:

»Hab' ich Dich endlich? – Ist es wahr?«

Es wurde stumm und still ...

Plötzlich schob Paul sie von sich, – in Zweifel und Furcht:

»Du kommst mir doch am Ende nicht wieder mit der Gärtnerei?« rief er.

»Ich komme mit nichts, – mit gar nichts, Paul! – außer damit, daß ich bei Dir bleiben will! ... Du darfst mich niemals, niemals fragen: aber ich war so wahnsinnig ängstlich, – nicht einmal Dir glaubte ich mehr!«

»Ich habe Dich nun also, Terna! Ich begreife es noch nicht recht ... Diese wunderlichen Augen da, – das junge Mädchen, das Terna Grunth heißt und so eigen leicht daher geht – Ja, meiner Seele, ich kann's nicht fassen, es sei wirklich wahr! Sie ist mein, mein, Großvater!«

Der Großvater wollte mit einem Witze kommen etwa – die Gärtnerin sei auf Pauls Angebot wegen des Apothekergartens eingegangen. Doch das Gefühl überwältigte ihn. –

»Terna! – Terna!« – rief er kurz, wie er in früheren Zeiten bei einer glücklichen Begebenheit seiner Frau zuzurufen pflegte.

»Hm – m, ja,« – Er suchte sich zu fassen, innerer Bewegung voll. Er legte beide Hände Paul auf die Schultern und sagte mit bebenden Lippen:

»Die hier darfst Du nicht verlassen, – niemals! – sie gehört zu jenen, die daran sterben!« ...

Es hatte den Korpsarzt tief ergriffen, als sie kamen und ihm die Verlobung meldeten.

Er hatte Paul und Terna sonderbar schwermütig angeschaut und gesagt:

»Ich glaube, Ihr seid beide höheren Geistes Kinder und es ist das Schönste auf Erden, wenn zwei so sich finden – Für niedrigere Naturen aber ist die Ehe nichts.«

Später, als es Terna wieder hinein zog, dem Vater noch einmal um den Hals zu fallen, fand sie ihn mit der Hand vor den Augen sitzen, als ob er geweint hatte ...

»Es ist so lange her, seit ich vergnügt war, Kind« – kam es mit gepreßter Stimme.

Und mit seiner Gewohnheit, nicht auszugehen, brechend, wollte er sie gleich zu seinem alten Freund, dem Apotheker begleiten. –

Paul kam am Vormittag zum Korpsarzt hinein und warf seinen Hut auf das Sopha.

»Heute habe ich den Tanten einen Kriegstanz aufgeführt, Großvater! – und das bedeutet: Aufruhr –

»Ja, natürlich, sie glaubten, daß sie mich nun endlich daheim in den Apothekertiegeln eingefangen hätten, – so sicher wie unter Salomos Siegel! – Sie zwitscherten wie die Lerchen und schnatterten wie Elstern, denn nun wollte ich ja heiraten ... Diese Zimmer und jene Aussicht müsse ich haben, – und die Aussteuer von ihr, und die Aussteuer von ihr. Es artete schon förmlich in Krieg aus, was jeder von ihnen übernehmen dürfe – – Aber, als ich dann herausrückte, daß ich ganz andere Pläne habe, – daß ich zwar heiraten wolle, aber« –

»Was sagst Du, Paul? – Halt Du es ihnen schon mitgeteilt, – den ganzen Kampf aufgenommen?« rief Terna, die gerade eingetreten war.

»Ja wohl ... aber auch, daß ich damit vom Schauplatz verschwinde! – da hattest Du die Gesichter sehen sollen, – bis über das Kinn ließen sie die Lippen hangen. – Ja wohl, – unglaublich«, – »undenkbar,« – »unmöglich«, – daß ich meine »Stadtchroniken« auch jetzt noch fortsetzen wolle, – ich erlaube mir übrigens, es Personalhistorie zu nennen, – und diese Grille nicht einmal aufgeben wolle, wenn ich heiratete.

»Nun hatte ich sie dort, wo ich sie haben wollte, – seufzend und demütig und fügsam wie die Lämmer! Und als ich dann meinen Plan los ließ, die ersten fünf, sechs Jahre mit Terna in verschiedenen Städten herumzuziehen, um Archive, Familienverhältnisse u. s. w. zu studieren, doch im Winter daheim Aufenthalt zu nehmen, – da jubelten sie und weinten und fielen dem herrlichen Paul um den Hals. Das heißt, sie drängten sich ein bischen stürmisch am Platz und Moppchen erwischte nur ein Stück vom Nacken, – ein Würgergriff, Du; – ich fühle ihn noch am Kehlkopf, – aber wohlgemeint war's deshalb doch ... Nachher nahmen sie Naphta.

»Und nun kannst Du im vollen Triumph des Sieges mit mir kommen und Dir Zimmer aussuchen, – ein Stück Garten und – was Du willst! Sie wetteifern jetzt nur noch im Hergeben« – –

– Der Korpsarzt war zwei, drei Tage lang nach Ternas Verlobung wie neu belebt. Er interessierte sich für Pauls Ideen und versetzte sich in seine Pläne und redete und scherzte mit Terna. Es schien das alles seine Gedanken angenehm zu zerstreuen.

Doch bald erschlaffte das Uhrwerk wieder. Er ging wortkarg und in Gedanken, herum, nur in seine Ideen vertieft, – lehnte – mit einem starren Lächeln oder einem Nicken ab, – sich mit jemandem einzulassen und stahl sich am liebsten aus der Stube, wenn von Ternas Heirat und von allerhand Zukunftsplänen die Rede war.

Er schien immer mehr seiner Privatpraxis sich entziehen und sich bloß auf Amtsgeschäfte einschränken zu wollen. Man gewöhnte sich im Hause, die Patienten an den Stellvertreter zu weisen, ohne erst jedesmal den Doktor zu befragen. Sie sahen, er litt unter jeder Störung. – – –

– Der Großvater kam hie und da mit seiner Pfeife ins Kontor, um mit dem Sohn ein kleines Gespräch zu versuchen. Jedoch es geschah recht selten, daß der Versuch viel weiter führte als zu zerstreuten, abgebrochenen Antworten.

... »War das heute eine prächtige Tour,« – begann er, wahrend er das Zündhölzchen anstrich, – »reines Sommerwetter. – Merkwürdig, wie das auffrischt.«

Der Korpsarzt antwortete nicht; – er saß wie gewöhnlich mit Papieren und Rechenschaftsberichten vor sich.

»Es ist ein großes Kriegsschiff in den Hafen eingelaufen. Du hörtest es schießen« – fuhr der Großvater fort. –

»Ja, Vater,« – unterbrach der Korpsarzt ihn plötzlich und richtete sich auf, »ich habe nun schon alles mit mir abgemacht. Mein erster Schritt ist natürlich, daß ich vorschriftsmäßig aus Gesundheitsrücksichten um einen halbjährlichen Urlaub einkomme,« folgte dann gewissermaßen als Schluß seiner eigenen Gedankenreihe.

Der Großvater ließ die Pfeife sinken.

»Ja, Vater, – ich habe nun alles mit mir abgemacht,« – wiederholte er mit tiefem Seufzer und saß düster da und wiegte den Kopf ...

»Ich bin drunten in den Tiefen gewesen und bin dabei untergegangen, – sozusagen unglücklich gewesen auf dieser Welt ... Ich kann das Leben nicht wieder von vorn beginnen, – vermag es nicht ... Es ist eine Krankheit, dieses Nichtkönnen, siehst Du, – dieses in Schwermut versinken. Es fehlt mir nichts am Verstande, – der ist normal. Ich bin nur müde, – müde. Ich muß irgendwo hin, mich ausruhen« ...

»In eine Heilanstalt für Nervenleidende«, – kam es kurz und fest, – »und ich habe mich darauf eingerichtet.«

»Sobald Terna verheiratet ist, muß man Kirstine in eine schweizer Pension bringen, damit sie dort erzogen wird und dort bleibt, bis sie erwachsen ist. Mit dem Erlös für Sollid und mit meinem übrigen Guthaben kann ich sie dort und Ingwald die drei Jahre noch auf der technischen Schule lassen, bis er fertig ist ... Ihre Sorgen und Freuden teilen werde ich nicht – –«

»Aber die Schande oder ein dunkler Schatten auf der Familie, das ist doch vermieden.« ... Es leuchtete wie ein Blitz aus seinen Augen.

Er blieb sitzen und grübelte und schaute dann ungewiß zum Großvater auf. –

»Dann wollen wir mit der Zeit sehen, Vater«, – sagte er endlich vorsichtig, – »ob ich nicht gezwungen bin, um meine Pensionierung einzukommen. – Etwas wie ein Mönchskloster, – das ist's, was ich brauchte,« – fügte er leise hinzu.

Das Gesicht des Großvaters behielt seinen tröstenden Ausdruck; doch seine Augen überschauten in kaltem Schmerz die Lage, – wie er sie in seinem Innern lang geahnt ... Eines Kranken Flucht zur Einsamkeit ...


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