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V.

Die Aprilsonne sickerte und rann durch alle Ritzen, so daß gegen Mittag auf die Straße hinaus die Rouleaux an jedem Fenster niedergingen.

Es war ein feuchter Glanz in der Luft, weil es überall taute, von den Hausdächern, die troffen, von den Hausmauern, die naß waren, von den Glasscheiben, welche blendeten, von Turmspitzen und Schiffswimpel, die funkelten. Die Sonne stach von den Schneeflächen und der Fjord schoß scharfe Blitze.

Draußen im Hafen pfiffen die Dampfschiffe in langen Tönen den ganzen Tag hindurch; – man spürte gleichsam den allgemeinen Aufbruch. Die Leute eilten unruhig in den Straßen und auf den Brücken herum. Das Winterkleid war innen und außen abgeworfen.

Der Großvater trat mit der gewöhnlichen runden Summe Monatsgeld für Frau Stefanie in die Wohnstube.

»Das kommt sehr gelegen, Großvater. Die Kinder brauchen immer etwas ... Frühlingskleider, – Sonnenschirme, – Hüte, – Schuhwerk« ... zählte sie mit leiser Stimme auf, während sie ihm den Nachmittagskaffee einschänkte.

Der Großvater hatte nicht die Spur von Zweifel, daß das Geld verschwand wie Tau im Sonnenlicht; – dagegen sah er am ersten des Monats genug Rechnungen kommen, – sowohl in die Küche wie ins Kontor ...

Der Großvater suchte immer den Platz beim Eckfenster auf. Es war nicht gerade, weil ihn die Aussicht auf den Marktplatz so ansprach, obwohl sie immerhin ihm nicht uninteressant war, und er hatte ja dort auch seine tägliche astronomische Kontrolle des Mittagstriches zu halten. Aber dort konnte er dem Anblick des ölgemalten Porträts seiner verstorbenen Gattin ausweichen, das in einem Goldrahmen auf der anderen Seite des Spiegels hing. Das Bild war in seiner Art nicht ohne Aehnlichkeit. Doch der Ausdruck war in des Großvaters Augen so total verfehlt, – ihr feiner Mund mit dem bebenden Ausdruck so grausam falsch aufgefaßt, in etwas Strenges, äußerst Befehlshaberisches verwandelt, und die kühne Nase war ganz scharf geworden und schloß das Gesicht förmlich zu. Der dort an der Wand hatte er nichts zu sagen, – nichts, als daß sie ihm sein inneres Bild ganz ärgerlich verderbe.

Die Doppelfenster waren heute fortgenommen, aber die Teppiche waren auf Wunsch der Frau Stefanie noch liegen geblieben und trieben Staub in ein paar schmale Sonnenstreifen, die über den Fußboden zitterten und gleichsam verdampften und verschwanden in den Weidenzweigen mit Kätzchen, die der Korpsarzt in einem Glas auf das Eckpult gestellt hatte.

Gunnar kam zum Kaffee herein.

»Sage mir Stefanie, hast Du gemerkt, daß heute draußen Sonnenschein ist?« – fragte er, indem er sich bediente. – »Ich bilde mir ein, so was existiert nicht für solch ein Stadtblut wie Du es bist, ehe Du es »Saison« nennen kannst. Doch ich, siehst Du, – ich habe bei aller Beschäftigung heute nichts gethan als immerfort in die blaue sonnenerfüllte Luft über den Dachrinnen gekuckt.«

»Ich, ich wäre sehr gern spazieren gegangen, Gunnar,« – erklärte Frau Stefanie, »wenn ich nur einen Frühlingsmantel hätte; aber man muß auf der Straße doch ordentlich aussehen.«

»Straße, ja freilich, – Toiletten etc. ... Man kann von so sehr Verschiedenem einen Frühlingsrausch haben. – Ich für mein Teil konnte heute an nichts anderes denken, als an das Land und an das Sommerhaus ... Was sagst Du dazu, wenn wir morgen früh hinausführen, Stefanie? – Ich gehe durch und mache mir einen freien Tag, – schaue mir die Obstbäume an, nehme das Stroh von den Setzlingen und sehe nach, wie viele gekommen sind.«

»Einen ganzen Tag verschwenden, gerade jetzt, da wir mit den Frühjahrssachen zu thun haben, Gunnar!«

»Du sollst es warm und gemütlich haben,« – bestürmte er sie, – »Feuer im Ofen, Plaids und dergleichen ... Wir nehmen uns gute Sachen mit, zum Beispiel, den süßen Muskateller, den Du gern hast. Terna und Kirstine können mitkommen und Dir aufwarten, Aurikeln in die Beete pflanzen und im Keller nach den Rosenstöcken sehen. – Ich nehme einen Wagen ... Glaube mir, es wird Dir sehr gut thun. Du rührst Dich zu wenig, Fanie« ...

Es war etwas flehentlich Gespanntes in seinen Blick und in die markierten Züge gekommen.

»Also gut, gut,« gab sie bereitwillig nach, – »wenn Du es so unvernünftig wünschest, so lasse ich mich mitschleppen ... Johannisbeer- und Himbeermarmelade haben wir, so viel ich weiß, noch vom Einmachen in diesem Herbst draußen, und wir können Butterbrode und allerlei Gutes mitnehmen« ...

»Abgemacht also, Stefanie! – Morgen früh um neun Uhr rollen wir davon. – Ich rechne immer eine neue Aera des Jahres vom Tag an, den ich draußen auf Sollid beginne, – vom Moment, da ich den Hausschlüssel für den Sommer einstecke, – bis ich ihn wieder für den Winter in den Schrank hineinhänge.«

Der Korpsarzt ging rasch auf und nieder und setzte sich ab und zu aufs Sopha zu seiner Frau, und der Großvater sah die Augen seines Sohnes von einem Lichtschimmer des Glücks belebt.

... »Eine Sonnenhitze, wie Du sie gern hast, Stefanie, und in der Du wie eine Katze spinnst, – Wir braunen wieder ein bissel Deinen Teint ... er kann ganz gut eine Spur von Farbe auf die Winterblässe brauchen – so ein klein wenig warmen Goldton« ...

»Bleich, findest Du,« sie hob die Hand und schob den Aermel zurück.

»O ja, – ein bissel weiß, – er strich über den Arm. – »Du könntest schon ein wenig kräftiger aussehen ... Geizt mit Dir!« ... Er schüttelte den Kopf und lächelte. – »List der Natur, – lockt und lockt – gerade weil man nie ganz hinter sie kommen kann« ...

Stefanie guckte zu ihm auf und lächelte, als würde sie mit einem Strohhalm gekitzelt.

»Die reine Sphinx, siehst Du – – – Wir wollen uns dies eine Mal einen rechten Schlaraffentag machen, – ohne das ewige Läuten an den Thüren – ganz frei!« ...

Es hielt unten ein Wagen an ...

Frau Stefanie fuhr aus ihrer halb liegenden Stellung auf und ordnete hastig sich und den Kaffeetisch.

Die Eingangsglocke schlug an und Wingaard trat ein, die Hände voll frisch aufgeblüthen Löwenzahns.

»Mein erstes Frühlingsopfer dem Haus!« – grüßte er und warf die Blumen auf den Tisch.

»Ich bin ganz matt von Luft und Sonnenschein, es geht hinein, bis tief ins Gehirn hinein, so daß ich hier im Schatten der Gardine Platz nehmen muß.« Er ließ sich auf den Stuhl fallen.

»Nein, schon Löwenzahn ... und so frisch!« – bewunderte Stefanie.

»Ich habe ihn auf den Schären beim Außenhafen gepflückt, – habe gerade den Chinafahrer unserer Firma in See stechen sehen. Prächtiger Anblick, diese schwellende volle Segelmasse, die sich vom Himmel abhebt ... hinausragend wie eine Symphonie. Man mußte förmlich nach Luft schnappen ... Aus diesem Anlaß Fest zum Abschied, natürlicherweise, Feierlichkeiten etc. etc. ... Und wer bei den Reden hat einspringen müssen, kannst Du Dir wohl denken, Grunth; mein Bruder ist ja stumm, wie ein Fisch. Ich mußte schließlich an die Kajütenorgel.«

»Elegant ausgestattet ... kostspieliges Unternehmen,« brachte der Großvater an.

»Es sind die Assekuranzgesellschaften, welche darüber die Runzeln auf die Stirn und die grauen Haare auf den Kopf kriegen, sofern ich meinen Bruder recht verstanden habe, – niemals wir, die wagen,« – Wingaard wippte mit dem Fuß, als schöbe er alles Geschäftliche von sich und rief:

»Ich nahm einen Wagen und fuhr direkt herauf, – eine Idee, nämlich. – Ich reise morgen mit dem Dampfer in die Hauptstadt, um dem letzten Musikvereinskonzert dieses Jahres beizuwohnen, – habe nie den polnischen Violinvirtuosen gehört, der dort Solo spielen soll. – Und, was sagen Sie dazu, Frau Grunth, hatten Sie nicht Lust, mitzukommen ... auf Einladung des Unterzeichneten? Das Schiff geht morgen nachmittag um drei Uhr.

– Uebermorgen Konzert und Freitag rechtzeitig wieder daheim?«

Es flog plötzlich heiß über das Gesicht des Korpsarztes, während er hinschlenderte und die geleerte Kaffeetasse wegstellte.

»Sie sind nicht vertraut mit den Umständen. Wingaard,« – lehnte Frau Stefanie resigniert ab.

– »Reisebereit, das sind vielleicht Sie« ...

»Na also – was ist denn im Weg, Frau Grunth, – man fertigt hier im Haus doch nicht – Kinderwäsche an« ... neckte er.

Sie lächelte etwas ausgelassen.

»Gott bewahre, – wie die Frauenzimmer es verstehen, sich schwerfällig zu machen,« – fuhr er fort ... »Wahl der Kleider, die man bedenken und überlegen, Koffer, die man packen muß« –

»Gelte es bloß zu bedenken und zu überlegen,« – lispelte sie.

»Ich bin in dem Punkt mit Wingaard einig,« – fiel der Korpsarzt etwas dumpf ein, – »zum Henker die kleinen Schwierigkeiten, wenn man erst die Hauptsache will, Stefanie! – Du hast keinen Frühlingsmantel, sagst Du. So kaufe Dir einen in Christiania, – dort kriegst Du auch ganz etwas anderes, als Du hier aufzutreiben vermagst. Bewahre, Frau, – wenn Du so einen Genuß haben kannst« –

»Ach, – daß Sie mir mit Ihren Einfällen ins Haus fallen müssen, Wingaard!– hatte ich da eben begonnen, mich auf die morgige friedliche Tour hinaus nach Sollid zu freuen, – graben und pflanzen draußen, – den Ofen heizen, Muskateller trinken und es gemütlich haben in häuslicher Bescheidenheit ...«

»Ja, vor dieser Idylle beuge ich mich,« – erklärte Wingaard. Er saß mit dem dichtbehaarten Kopf an die Gardine gelehnt und beschattete sich hier vor dem Licht.

»Nein, es muß sein, – es schickt sich nicht ...« brach die Frau plötzlich ab, als schüttelte sie das Ganze von sich. – »Laßt uns nun Kaffee trinken und gemütlich sein und nicht mehr daran denken. – Nicht wahr, Großvater, eine verheiratete Frau muß schön zu Hause bleiben!«

»Der Himmel schütze und bewahre mich!« – fuhr der Korpsarzt auf; – »da behielte ich am Ende diesen großen Polaken von einem Violinspieler oder Violinspieler von einem Polaken als Gespenst und Spuk hier im Haus, – dieses Leck, diese Lücke in Deiner Entwickelung! – Noch ärger, da ich ja so unmusikalisch bin, daß ich nicht einmal beurteilen kann, wie groß der Schaden ist. – Ich sage kurz und gut: der Polak muß gesehen und gehört werden!«

»Hört ihn an! – hört ihn an! – Als ob ich es jemals nur mit einem einzigen Wort erwähnen würde, – sogar wenn es wirklich ein Verlust wäre,« – sagte sie und sah ganz still auf den Tisch nieder.

»Ich will Dir nur sagen, Stefanie, – es würde mich kränken, wenn Du aus purer Rücksicht auf häusliche Geschäfte daheim bliebst!« – entschied der Korpsarzt kurz. – »Und ich stehe dafür ein, daß die Frau morgen um 3 Uhr auf der Dampfschiffsbrücke ist, Wingaard ... Es gilt nur, die Zeit ausnützen und sich fertig machen. Aber soll vorher ein Adagio probiert werden, dann wird es allerdings zweifelhaft« ...

Wingaard brach plötzlich, wie in Erkenntnis der Nichtigkeit dieser Worte, auf.

Also – also –, morgen um drei viertel auf drei werde ich die Ehre haben, Sie zum Dampfschiff abzuholen.«

Als Wingaards Wagen weggerollt war, ging Stefanie hin und legte ihre Hände dem Doktor auf die Schultern:

»Du hast mich dazu gezwungen, Gunnar, und es ist nicht meine Schuld, wenn Du nachträglich findest, ich fege und fahre überall außerhalb des Hauses herum.«

»Ja, ja, ja; – daß Du Dich unterhältst, ist meine Freude, das weißt Du ja,« – sagte er galant, während er sich losmachte und aufstand. Er stieß ein paarmal mit der Stiefelspitze nach dem Teppich, als wäre etwas Staub darauf.

»Also ich gehe in die Praxis. Richte her, packe, mache Dich fertig. Ich verschwinde für den Abend in den Klub; da störe ich nicht.«

*

Der Doktor war von einem Krankenbesuch weit draußen am Strand in Anspruch genommen und kehrte erst eine gute Weile heim, nachdem seine Frau in Hast und Eile in den Wagen gekommen war, um das Schiff zu erreichen, das an der Brücke lag und läutete und pfiff.

Er ging mit einem gewissermaßen prüfenden Blick durch die leeren Zimmer und fand den Großvater noch bei den Zeitungen und der leeren Kaffeetasse im sonnenwarmen Eckzimmer sitzen.

»Na also, ist meine Frau fort,« – warf der Korpsarzt gleichgiltig hin.

Der Großvater legte bedächtig die Brille auf die Zeitung nieder und räusperte sich:

»Du, Du, Du, – solche Reisen ... können die nicht Anlaß zu Gerede geben? In alten Zeiten« –

»Gerede?« ... Der Korpsarzt brach in kurzes Gelächter aus, – »die Frau ist musikalisch, der Mann ist es nicht ... Sie kann darum doch nicht ihre Interessen und Genüsse aufgeben. Und der Mann, sollte er etwa verpflichtet sein, da immer mitzuthun und sie durchzuleiden, all den Ohrenschmaus, die er liebt wie ein Brechmittel? – Ah nein, nein, man muß die allgemeinen Menschenrechte respektieren.«

Er begann rastlos hin und her zu gehen.

»Nein, – nein!« – rief er aus – »Zwischen Mann und Frau muß es heißen va banque! soll man überhaupt zusammen leben können ... Und damit ist beiden unbedingtes Freiheitsrecht verbürgt. Der eine legt dem andern mit blinder Sicherheit das Haupt in den Schoß ... Verrat wäre da Mord, – mehr als Mord, – Seelenmord ... und – und« – er hob die Hände, bleich und unheimlich geistesabwesend – »da hat man ein Leben – ein Leben zu rächen!«

Er sah plötzlich den Vater an, als fühlte er, er habe sich zu sehr ausgesprochen ...

»Nun, ich meine, man soll nicht mit dem Feuer spielen;« warf er hin und ging in das Kontor.

– – Der Großvater saß düster, selbstvergessen, mit halboffenem Munde da und machte sich hin und wieder in einem tiefen, schweren Atemzug Luft.

Er sah ja, was in jenen Augen bebte ...

In der That, ein straff gespannter Bogen, – wenn er brach?! ...

In der That, dies Haus stand auf gefährlichem Grund! ...

Der kleinste Sprung in diesem hochgestimmten oder hochgeschraubten Vertrauen – und das Unglück war da ...

Er blieb in Gedanken versunken beim Fenster über den Zeitungen sitzen, – starrte auf ein Blatt, das neben dem Sophafuß, einer geschnitzten Tierpfote, hinabgeglitten war. Sie verkörperte sich ihm zu einer Tigerklaue, die an seinem armen Sohne zerrte und riß ... Kirstine begann ihre Skalen zu hämmern, – sie wollte diese halbe Stunde rasch abgethan haben.

Da glitt unter dem Fenster auf dem Trottoir ein bekanntes Gesicht vorüber und vor dem Großvater wurde ein brauner Hut gelüftet.

Ein paar rasche Tritte die Treppe hinauf ... etwas wie ein Wortwechsel draußen, ehe angeläutet wurde ... und Terna kam aus ihrem Schneidereikurs heim, – der Korpsarzt hatte verlangt, daß sie ihre Kleider selbst nähen lerne. Sie hatte zum Begleiter Paul Höeg, der sie auf der Straße eingeholt.

Er sei gerade wieder für den Sommer nach seiner langen Tour ein Kind dieser Stadt geworden, sagte er, und habe alle Hände voll zu thun ... »Versuche mich derzeit in einer Personalgeschichte dieser Stadt, – so zu sagen einer Stadtchronik. Schrecklich kurios so manches, was ich herausgefunden habe, dürfen Sie mir glauben. Ich habe diese Tage über mit heißem Kopfe droben gesessen im Amtsarchiv und habe Staub geschluckt. Es sind drei, vier Burschen, denen ich da unter allen Aktenbündeln nachjage. Aus diesem Anlaß wollte ich auch den Herrn Zollinspektor mit einigen Fragen über jene Zeit bemühen ... Terna ist's, die mich dazu aufgemuntert hat.«

»Na, da kann ich doch wenigstens gleich hören, was für eine Sorte Personalgeschichte oder Stadtchronik es ist, mit der Du Dich abgiebst; – denn wenn ich davon schon vor diesem Moment ein Wort gehört habe, so ...«

Paul blinzelte ihr ärgerlich zu und drohte.

»Sagen Sie mir, Herr Zollinspektor«, – begann er, »Sie sind ja hier geboren?«

»Ja wohl, mein Freund, und konfirmiert auch. Aber es sind nun mehr als fünfzig Jahre her, seit ich die Stadt verließ.«

»Darf ich fragen ... Sie erinnern sich wohl nicht mehr einer dieser wunderlichen Käuze und Originale ... Zum Beispiel, des letzten, der einen Zopf trug?«

Terna starrte ihn an, mit einer Art Verblüfftheit über seine freche Erfindung ... Denn daß er sich draußen deshalb an sie gehängt hatte, das ...

»Preuthun mit dem Zopf!« rief der Großvater. – »Ja, ja freilich! Ich habe an den Menschen nicht mehr gedacht, seit ich ein sieben-, achtjähriger Bub war und eine Blouse trug. Aber ganz richtig, – es ging ein solcher hier herum, – er war Kassenverwalter oder Stadtvogt oder – – Ja, meinertreu, ob ich Ihnen da weiter helfen kann –! Ich erinnere mich an lange Rockschöße mit aufgestülptem steifen Kragen und an glänzend weißes Haar mit einem krumm geflochtenen Schwanz im Nacken. – Ja freilich, – und hohe Stiefeln ... und daß der ganze Mann gerade war wie eine Kerze.« –

»Sieh da, sieh da, hinter was kommt man nicht dort, wo man es am mindesten erwartete!« – entschlüpfte es Paul vergnügt.

»Mir schien, Du sagtest doch, Du habest es gerade erwartet und daß Du darum hergekommen seiest,« – so gab's ihm Terna.

»Was für ein Dornbusch Du geworden bist, – Du stichst und kratzest,« – gab er zur Antwort.

– »Ich bin nun in mehreren Städten herumgefahren und habe in Familien nach Porträts gesucht,« – erklärte er dem Großvater ... »Aber schrecklich, wie dünn gesäet die Originale und schnurrigen Käuze sind, je näher man unserer eigenen Zeit kommt ... Ja bewahre, – man kann schon noch den einen oder den anderen in den Straßen herumlaufen sehen,« – bemerkte er und blinzelte Terna auffällig zu, so daß es deutlich war, daß es gerade der Großvater sei, den er damit meinte.

»Verzeihung, Herr Zollinspektor,« rief er dann plötzlich, – »sind Sie auch Einer von jenen, die X-förmige Brillen tragen, – solche, die gerade unter der Nase liegen« –

»Ja wohl, lieber Freund; – interessiert Sie denn das –?«

»In hohem Grad, Herr Zollinspektor, – ich bin fast geneigt, das zu einem Unterscheidungsmerkmal in der Charakteristik meiner Personen zu machen, – wenn ich die Sache nur ein wenig näher prüfen kann ... Ja, sehen Sie, mein Vater zum Beispiel, der geht mit Brillen, die nur den einen Bügel haben, weil der Blick nach abwärts gerichtet wird, – und darum unter anderem bekomme ich nicht die Erlaubnis, meiner Neigung zu folgen und zu studieren. – Man vertieft den Blick am liebsten in Apothekerpflaster und Tiegel und die Nützlichkeiten dieser Welt ... Aber haben Sie dafür das Porträt des Dichters Wergeland gesehen, wie der Blick über die Brillengläser hinweg späht und ausguckt? ... Das ist die angeborene Neigung, aufwärts zu schauen, frei und ungehindert, dem Himmel zu, nach etwas, das Geist genannt wird ... Zweierlei Naturen habe ich herausgefunden: – erdgebunden oder emporstrebend, – rücksichtgefesselt oder souverän. – Ich bin damit bei mehreren Optikern gewesen; aber die sind dumm; versichern wieder und wieder, das Glas müsse zentral zur Achse des Auges liegen, während ich frage, warum« ...

»Meinerseel, – nicht so dumm!« – brummte der Großvater, daß Sie sich aber nur nicht zu Grunde richten auf diese Distinktion hin; denn sie taugt wohl nicht sonderlich in die Wirklichkeit.«

»Da ist sie vielleicht gerade recht für diese jungen Hähne, die aufwärts über ihre Eltern hinweg sehen.« – meinte Terna.

Paul schaute sie erstaunt an und verbeugte sich tief.

»Ich glaube, ich muß nun dem Fräulein eine Quittung für die fünfhundert geben ... Am 9. September, wenn Du achtzehn Jahre alt wirst, sollst Du sie auf einem Silberteller bekommen.«

»Nein, wahrhaftig, – ich, ich kann Dich nicht recht erwachsen finden, und wenn Du Dich noch so sehr aufblähst.«

»Ja, richtig, – ich bitte um Entschuldigung, – ich vergesse immer, daß das Fräulein nun eine höchst überlegene Dame geworden ist, – jetzt, nachdem sie diesen Winter so sehr mitgenommen worden ... Dieser gewaltige Löwe, Fenger ... immer so, mit dem Monocle – durch und durch schauend« ... Er starrte sie mit schiefem Gesicht an und vorgebeugt durch das Loch seines Thorschlüssels.

»Gepfropft voll Wichtigkeit, das ist nicht bloß er!« lachte sie ihn aus.

Paul Höeg trat plötzlich zu ihr hin an den Nähtisch und flüsterte:

»So ist's recht, Terna! – nimm Du nur auch Partei für die zu Hause und für alle drei Tanten, – schnattere mit der Stadt – und werde eine Gans wie die anderen!« ...

Er nahm seinen Hut und mit einem möglichst freundlichen Gruß zum Großvater hinüber lief er davon.

Am Nachmittag zwischen fünf und sechs Uhr wurde Frau Stefanie mit dem Dampfschiff zurückerwartet, und es war nun ein ganz anderer Zug in der Sache, fand der Großvater. Gestern abend war der Sohn so niedergeschlagen und schweren Sinnes ein und aus geschlichen, daß im ganzen Hause schwüle Luft herrschte.

Der Korpsarzt war heute von früh morgens an thätig gewesen, hatte Krankenbesuche gemacht und war heimgekommen ...

Er mahnte Terna und Kirstine, daß sie sich bereit halten sollten, mit ihm zu gehen und die Mutter auf der Brücke in Empfang zu nehmen, und beim Kaffee fragte er auch den Großvater, ob er sie begleiten wolle. Es sei an diesen Frühlingsabenden ja so viel Leben und eine Menge Menschen unten, um die Dampfschiffe zu sehen ...

Gerade dieser Eifer, die Sache feierlich zu gestalten, konnte im Großvater Bedenken hervorrufen. Dachte der Sohn vielleicht just an das mögliche Gerede – war seine Absicht, dem Klatsch die Spitze abzubrechen und ihn abzulenken durch ein so vollständiges Erscheinen der Familie auf der Brücke?

Er war nicht so leicht herauszubekommen, beschäftigt wie er selbst war, die Zimmer mit Frühlingsgrün ausschmücken zu lassen und Sörine dazu zu bewegen, daß sie zum Abendtische kleine Leckereien besorge.

– Der Korpsarzt hatte sich schon gegen fünf Uhr zum Landungsplatz begeben; er lief herum und sah nach den Dampfschiffen aus und plauderte mit diesem und jenem.

»Erwarte meine Frau, die zum Konzert des Musikvereins hineingefahren ist ... Sie hatte gerade nur Zeit, gestern abend das letzte anzuhören – und dann wieder zurück« ...

Ein Pfiff, und das Dampfschiff zeigte sich endlich zwischen den Holmen. Als es sich näherte, gewahrte der Doktor seine Frau, grüßte und schwang seine Militärmütze, während die kleine Kirstine alle ihre Kräfte verwendete, um mit dem Taschentuche zu winken.

Dem Großvater war das Gedränge zuwider, und er suchte vorsichtig einen minder exponierten Platz.

»Da steht meinertreu auch Anders Wingaard an der Reling ... und Frau Grunth – harmonisierend und sympathisierend ... Das ist bei Gott die Unschuld aus der Kleinstadt,« – hörte der Großvater hinter sich Bankkassierer Ede spotten.

Er bahnte sich plötzlich Weg zu Terna und Kirstine, die sich allein befanden, während der Korpsarzt auf der Landungsbrücke stand und die Ankömmlinge empfing.

»Zufrieden mit dem Ausflug?« – rief er, indem er mit Wingaard einen Willkommengruß wechselte und seiner Frau den Arm bot.

»Sieh – da fährt mein Wagen gerade zur Brücke,« – bedeutete Wingaard, – »nehmen Sie ihn, ich gehe« – –

Es flog ein Zug von Unwillen einen Moment über Stefanies Gesicht, etwas wie: – nun war sie wieder hier, wo sie zu Fuß gehen sollte!

»Was meinst Du, Stefanie,« – sagte der Korpsarzt und ließ plötzlich ihren Arm los, – »willst Du lieber fahren?«

»Ich bin so müde, Du« ... versicherte sie und sah dabei dankbar zu Wingaard hinüber.

»Nun dann hinauf, dann hinauf, – und Du auch, Terna, und Kirstine dazu ... Der Großvater und ich gehen. Ich muß ohnehin zu Gregersen hinauf; es herrscht dort Keuchhusten.« Er ließ vom Packträger den Koffer auf den Bock heben.

Beim Wegfahren spannte Frau Stefanie einen neuen roten Schirm auf, – der Sonne wegen ziemlich überflüssig – und der Großvater bemerkte darunter noch das letzte Nicken, das Wingaard galt.

– Daheim beim Abendessen kostete Stefanie bloß und stocherte mit der Gabel in den guten Sachen herum, die Sörine aufgetrieben. Sie hatte sich an Bord mit Champagner und Selterswasser die Seekrankheit wegkurieren müssen, – war müde und matt von der Reise und der Luft und all dem, was sie in dieser kurzen Zeit erlebt und gehört hatte.

... »Nein, der Frühlingsmantel, Mutter, – das herrliche Seidenfutter!« – rief Kirstine; sie stand dabei und drehte und wendete ihn und liebkose die Seide mit der Wange.

»Ja, er ist schön ... Und ich kam dazu so merkwürdig billig, Gunnar! Er hing als Modell in einem Ausverkauf, – kaum der halbe Preis ... Ach, hol' doch den Sonnenschirm herein, Kirstine, – den mußte ich von Wingaard annehmen; der Schirm sollte durchaus zum Mantel passen. Seht nur den geschnitzten Elfenbeingriff an« ...

Der Korpsarzt schob ihn sanft von sich ... »Ja ja, Faniechen; jedoch alles andere hat momentan nicht so viel Interesse wie ein kleiner Finger der Frau selbst, die heimgekommen ist.«

»Nachdem ich herumgejagt und gefahren, so daß ich immer noch segle und schaukle,« sagte sie und reckte sich nach hinten ... »Großartiger Ausflug, flott, fesch, bedient von allen Seiten, – nur am Glockenstrang zu ziehen – – Und dann in der Hauptstadt herumzugehen – die Veränderung! ... Das erste, was ich auf der Brücke hier sah, war Dein altmodischer abgenutzter Frühjahrsrock, – Du mußt Dir jetzt wahrhaftig einen neuen spendieren« ...

»Und siehst Du, Mutter, wie wir für Dich alles mit Grün geschmückt haben,« rief Kirstine.

»Ja–a, Birkenreiser« ... kam es schlummermüde und mit unterdrücktem Gähnen als Antwort.


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