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Buchschmuck

I.

Es war gar nicht so einfach für Terna; sie mußte auf einen schnurrigen Großvater achten, der so viele originelle Einfälle hatte und niemals begriff, warum man nicht mit dem oder jenem reden oder nicht dies und das thun könne, – ganz gegen Schick und Brauch.

Die Leute in der Stadt wußten bloß, daß er irgendwo Zollinspektor gewesen, daß er in Pension gegangen und voriges Jahr in seinen Geburtsort zu seiner Familie gezogen war.

Der älteren Generation stand er anders in Erinnerung. Kapitänlieutenant Grunth, ja wohl ... die heftige Grunth'sche Zeitungsfehde wegen notwendiger Reformen in der Marine, wobei es Chikanen und Skandale nur so hagelte. Da kam es, wie man sich denken kann; ein so unruhiger Kopf mußte heraus aus der Marine und ins Zollfach hinüber ... Nun galt es daheim in der Familie, ihn im Auge behalten, und die Enkelkinder schauten auf seine Wege, denn er ging wahrhaftig zu Freund und Feind, oft gerade konträr ihrem gewöhnlichen Umgang, und ließ sich auf alles Mögliche ein.

Großvater und Enkelin gingen mitten im Gedränge des Vormittagsverkehrs die Strandgasse entlang, durch die die Wagen rasselten. Der herbstliche Morgenreif war kaum erst auf der Sonnenseite vom Gehweg abgeschmolzen.

Besonders mit ihr – Terna – trieb der alte Herr seinen Spaß, wenn er that, als wolle er die grüne Mütze mit der Goldtroddel kaufen, die sie durch die Spiegelscheibe sahen. Und jedesmal erschrack sie, und sie mußte ihn anschauen, ob er es denn wirklich so meine. Sie konnte es ja nicht wissen, wenn er sie so ernst anblickte. Aber sie begann immer mehr Verdacht zu schöpfen, sodaß nun die Geschichte von der großen Messingspritze mit dem Schlangenapparat, die sie, wie er behauptete, im Frühling daheim im Garten haben müßten, nicht mehr so recht verfing. Diese großen fragenden Augen auf sich gerichtet zu sehen, das war es aber, was der Großvater dran genoß.

Plötzlich fing er an zu winken und jemanden zu rufen.

Terna hoffte im Stillen, ein Karren mit Aepfeln werde seine Aufmerksamkeit ablenken. Es schickte sich gerade nicht, mitten auf der Straße Aepfel zu kaufen, – für sie, die nun konfirmiert und erwachsen war! – aber ehe sie ihn, einen wildfremden Menschen so noch weiter anrufen ließ ...

Nein, jetzt winkte er gar und rief wieder:

»Willumsen – Kapitän Willumsen!«

Der Mann kreuzte mit einem Pack Papieren in der Hand durch das Straßengedränge und hatte sich gerade vor eine große Wagenladung Mehlsäcke geschoben, als er bei dem Ruf sich umsah.

»Kapitän Willumsen, erkennen Sie mich denn nicht?«

Es war etwas in der Handbewegung, das dem hastenden Schiffer plötzlich die Idee eingab, der Mann, welcher auf dem Trottoir dort winkte, sei vielleicht jemand, auf den man Rücksicht nehmen müsse. Er zog den Hut verbindlich ab, und die hohle Hand vor den Mund gesetzt, rief er, auf dem Sprung, wie er war, zurück:

»Weiß nicht, wo ich die Ehre gehabt?!«

»Ich aber, ich erkenne Sie ganz gut, Kapitän Willumsen. Sie erinnern sich doch an Havösund, – wie die Zollbehörde auf Ihr ganzes Fahrzeug Beschlag legen wollte.«

»Das ist am Ende doch nicht Zollinspektor Grunth?«

»Ja wohl, gewiß!«

»Verzeihung, Herr Zollinspektor: ich laufe nun gerade wieder mit der Zolldeklaration. Die Zollbehörde wartet, – ich muß weiter.«

»Na, sehen Sie ... Und Sie sind verheirathet und haben Kinder?«

»Sechs, in verschiedenen Stellungen,« – klang es durch das Wagengerassel; – »leben Sie wohl, Herr Zollinspektor!«

»Das hier ist meine Enkelin Terna, – Sie, ein schlimmes Mädchen, das dürfen Sie mir glauben. Ich habe hier in der Stadt einen Sohn verheiratet und –«

»Freut mich zu hören.«

»Nicht immer bloß Freude, Willumsen.«

»Ach nein! ... Doch ich muß mich empfehlen. Adieu!«

Terna athmete erleichtert auf. Aber nur, um ein paar Häuser weiter aus der Ruhe gerissen zu werden, indem sie sah, wie ihr Großvater ein paar lange, eilige Schritte zu einer hohen Gossenthortreppe hin that. An der anderen Seite der Treppe hingen im Erdgeschoß Thrankleider und isländische Wolljoppen von Brodersens Laden auf das Trottoir heraus. Da lagen auch grobe Steingutwaren und aufgerollte Kabel und allerhand Schiffsgeräthschaften aufgestapelt.

Der Großvater hat die Krämersfrau entdeckt, die erst halb angekleidet von der Küche her einen Ausflug zur Heringstonne gemacht hatte und nun Heringe in eine Holzschale zählte.

Der Großvater placirte sich oben auf der Stufe an das Geländer. Und so wurde die Frau mitten in ihren Erwägungen überrascht, ob sie sechs oder sieben Heringe nehmen sollte:

»Sie, Madam Brodersen, lassen Sie es nur bei sechs! – mit den Pfannkuchen nachher brauchen Sie sich nicht zu sorgen.«

Die Frau fuhr zusammen und schaute erschrocken auf; – sie hätte sich vom Zollinspektor um nichts in der Welt mögen in der Nachtjacke antreffen lassen. Sie faßte sich aber und sagte scherzend:

»Woher wissen Sie so genau, daß wir Pfannkuchen haben, Herr Zollinspektor?«

»Keine Kunst, das zu erraten. Es ist Samstag und Sie sind mit aufgekrämpelten Aermeln draußen und holen Hering. Glauben Sie denn, man weiß so was nicht, wenn man vierzig Jahre verheiratet gewesen? Sie müssen nämlich wissen, es war das an Samstagen der ewige Disput zwischen mir und meiner Frau, wegen der Pfannkuchen. Ich legte mehr Nachdruck auf die Eier und sie mehr aufs Mehl und die Zubereitung.«

»Wenn Herr Zollinspektor nie einen anderen Grund hatten, mit Ihrer seligen Frau uneinig zu sein ...«

»Na ... wir stritten uns übrigens auch über verschiedene andere Gegenstände; – doch sie hatte immer recht. Bei Ihnen ist's wohl auch so, Frau Brodersen, – daß Sie niemals mit Ihrem Manne streiten. Sie hätten denn recht?« –blinzelte er, – »Und verschieben es natürlich auf die Schlafenszeit, – bis Sie allein mit ihm sind?« – forschte er weiter. – »Denn ich sehe ja an allem, Sie sind eine Frau mit gutem Verstand.«

»Man versucht in allem sein Bestes zu thun, Herr Zollinspektor,« räumte sie ein. Das war ein wunderlicher Mann in seiner Unterhaltung.

»Man nennt das eine Gardinenpredigt. Aber wir zwei wissen es besser, Madam, nicht wahr, – daß die nämlich im Grund ganz nützlich sind?«

»O, – wenn sie nicht zu häufig kommen, schon,« lachte die Frau.

»Nein, nein; aber so im großen und ganzen doch recht von Vorteil. Wir haben es alle miteinander nötig, einmal dazwischen den Grundtext gelesen zu hören – was? – so ordentlich, – tüchtig.«

Madame Brodersens Blicken und Nicken zeigte ein tiefinniges Verständnis.

»Ach ja, ja, – nicht bloß die Mannsleute, die Frauenzimmer auch, die Frauenzimmer auch, – was, meinen Sie nicht? So ein bissel Aufharken hie und da, das reinigt den Grund; – man wird ausgekleidet in Behandlung genommen, ohne Schmuck und Putz, so zu sagen, in Adams und Evas Kostüm für einander. So daß die Vertraulichkeit bewahrt bleibt! – Um die handelt es sich, sehen Sie, zwischen Eheleuten. Kommt man erst auseinander, zum Beispiel bloß jeder in sein besonderes Schlafzimmer, so ... Na, bei Ihnen steht's wohl nicht so, wie, Madam?«

»Nein; wir sind nicht so vornehm – – wir! wie manch Andere.«

Terna stand wie auf Kohlen und starrte ununterbrochen auf die Kabelrolle; sie sah noch weiteren gefährlichen Aussprüchen entgegen.

Der Zollinspektor legte einen Augenblick seine Hand bedeutungsvoll auf den Arm, in welchem die Frau die Heringsschale hielt:

»Akkurat auch meine Meinung. Der erste Napoleon, der, was er auch sonst immer gewesen sein mag, doch auf jeden Fall ein gescheiter Mann war, meinte, ein solches Zusammenleben stärke die Moral. Aber es ist noch mehr als das, Madam. Glauben Sie mir, Sie, – viel mehr, ... so manches, wovon wir gar nicht wissen, wo eigentlich der Segen steckt. Und nachher – und nachher, – wenn wir dann älter werden und die Welt für uns schwerer wird, und kälter und einsamer, – Sie, da eine Brust zu haben, an die man seinen Kopf legen kann und zu wissen – wissen, – daß es keine Thürrahmen giebt, welche trennen, – und wenn das Eine fortgeht, so« ...

Der alte Mann wischte mit einer ihm eigentümlichen Geberde etwas feuchtes von der Wange.

Ternas Augen ruhten auf ihm mit einer Art von mitleidigem Forschen. Er wurde immer so wunderlich ergriffen, so oft es sich um die Großmutter handelte. Allein er erwähnte sie nie, noch sprach er von ihr. Nach ihr war Terna genannt worden, und darum war sie sein Liebling, sagten sie daheim.

»Ja, Madam, ... das sind extrafeine Heringe. Ich weiß das von meiner Schwiegertochter. Sie sagt, daß sie ihre Heringe immer hier kauft ... Und Sie, Sie haben auch erwachsene Kinder?«

»Zwei erwachsene Burschen, ja, und ein Mädchen. Sie weiß es, das Fräulein Terna; sie wurde diesen Herbst mit meiner Jeanette zusammen konfirmiert.«

»Gewiß«, – Terna schaute leuchtend, vertraulich, wie von Kindesbeinen bekannt, Frau Brodersen an, – »und sie seien mit einander auch in die Tanzschule gegangen, sie und Jeanette,« eiferte sie.

»Ja wohl; da liefen Sie freilich hier ein und aus, – seitdem aber!« – Frau Brodersen warf den Nacken ein wenig zurück.

Terna stand da wie das schlechte Gewissen. Das war's ja eben, daß ihre Mutter nicht wollte, sie solle mit Jeanette verkehren, jetzt, da sie konfirmiert war, und nun wurde ihr auf einmal so bange, der Großvater könne wieder eine von seinen »Ideen« kriegen und darauf verfallen, Jeanette zum Konditor mitzubitten, dann ging es zu Hause schlimm.

Sie wurde sehr gesprächig, als sie wieder auf die Straße hinab kamen, und eifrig darin, den Großvater über die Verschiedenen klaffenden Umgangsverhältnisse der Stadt zu orientieren, wer zu dem Kreise gehörte und wer zu jenem, und insbesondere über die Brodersen in der Strandjade, die so schrecklich lieb seien, und – und – es war uns so ärgerlich, so gräßlich zuwider, daß – – –

Die Häuserreihe begann sich zu lichten, und an dem stillen Herbsttag schimmerten Stücke des blanken Meeres zwischen den Gebäuden durch. Sie hatten draußen beim Schlosser Fahlberg zu thun; er sollte des Großvaters Chiffonière machen, die übersperrt worden war.

Das wurde eine tüchtige Tour, – die Sögade hinaus und den Bakkevej hinauf und dann über die ganze langweilige obere Stadt zurück.

Als Terna daheim wieder die Steintreppe hinanlief, zeigte die Uhr des Kirchturmes, der seine Fensterluken und sein grünschwarzes Zinkdach und seine Spitze hinter dem Marktplatze erhob, fast zwei. Man aß beim Korpsarzt erst gegen drei Uhr zu Mittag, je nachdem er eben von seiner Vormittagspraxis oder dem Brigadebureau abkommen konnte.

Terna hatte schon die Ueberkleider abgelegt, während der Großvater noch die Galoschen im Entree abschnallte, und wollte schon ins Zimmer hineinfahren, hielt aber inne und horchte ... Es wurden drinnen auf dem Klavier ein paar Töne angeschlagen.

»Ah, Wingaard« ... entschlüpfte es ihr leise und als habe es sie unangenehm berührt. Der Blick glitt hastig zu dem Haken, auf dem des Vaters Militärmütze zu hängen pflegte, wenn er heimgekehrt war. Ja, da war sie auch.

Terna stand und lauschte wieder einen Moment ...

Da erklang von neuem ein Akkord, und still und niedergeschlagen verschwand sie in der Speisestube. –

Der Großvater stutzte ein wenig und der Unterkiefer blieb nachdenklich herabgezogen, während der alte Herr, ehe er die Thür öffnete, sorgfältig durch sein graues Haar fuhr und am Halskragen ordnete und richtete.

Als er in das teppichbelegte, gemütliche Eckzimmer trat, hatte sein Gesicht einen lebhaften, hellen Ausdruck gewonnen.

Hier wiegte sich sein Sohn, der Korpsarzt, einen Fuß übers Knie gelegt und die Zeitung zusammengelegt in der Hand, im Schaukelstuhl, während der Freund des Hauses, Konsul Wingaard, der passionierte Leiter des Musiklebens der Stadt, die eine Hand auf den Tasten, halb zur Hausfrau auf dem Sopha hingewendet, vor dem Piano saß. Er schob sich einen Moment höflich vom Sessel und die Frau rief freundlich:

»Setze Dich hierher, Großvater, zu mir auf das Sopha ...«

»Von Ihnen also hängt das ganze Arrangement ab,« – nahm Wingaard das Gespräch wieder auf, – »von dem guten Willen oder, laßt uns sagen – der Laune der gnädigen Frau, ein kleines Opfer zu bringen.«

Es war etwas vom Musiker in der nervösen Haltung und in dem weichen schwarzen Haar, und viel von dem routinierten, noch jugendlichen Gesellschaftsmenschen, der pro forma in die Firma des Vaters aufgenommen war und den Titel Konsul trug.

»Warum sich nicht lieber an Frau Organist Gierlöw wenden, oder an Fräulein Holk, die Sängerin, die beide aus ihrer Kunst eine Profession machen,« – wendete die Frau leicht hinwerfend ein.

»Warum?« – seine Finger spielten unbewußt über die Tasten hin, – »warum? – Sie jagen nach Komplimenten. Weil Frau Gierlöw und Fräulein Holk, wie Sie recht gut wissen, wohl helfen können, ein Konzert auszufüllen; aber die Sache tragen, – arrangieren, an der Spitze stehen.« – Er schüttelte den Kopf. – »Also, ja oder nein, Frau Grunth; Sie weichen mir nicht aus.

»Also denn: nein.«

»Das ist zum Rasendwerden.« – Er sprang auf. – »Was meinst Du dazu, Grunth?«

Die Frau hob ihre schön bewimperten Augen von der Stickerei auf, in der sie herumstichelte.

»Ja, was meinst Du dazu, Grunar?« – fragte sie freundlich, – eine momentane Schadenfreude blitzte in ihrem Blick auf.

»Bewahre, Du wirst mich doch nicht zum Wauwau machen wollen, der Dich hindert,« – fiel der Korpsarzt gelassen ein. »Im Gegenteil; ich sehe gar nicht ein, weshalb Du nein sagst. Bei dem musikalischen Interesse, das Stefanie hat,« – appellierte er an den Großvater, – »bin ich jedenfalls nicht im stande, einen Grund zu finden, warum sie nicht erlauben soll, daß Wingaard ihren Namen auf die Einladung setzt – und meinethalben auch auf die Plakate und in die Zeitungen, – als jene Kapazität, auf die man diesen Winter für die Konzerte rechnen kann. Warum zum Henker sein Licht unter den Scheffel stellen!«

»Ich kann dein Interesse für unser Musikleben nur bewundern, Gunnar ... Bedenken Sie, er ist nicht musikalisch,« fügte sie bei. Es lag etwas im Ton, fast wie ein Vibrieren von Spott, als die dicht befranzten Augen wieder die Stickerei suchten. Der auffallend klare Teint hatte einen kleinen Anstrich von Gallsucht und die hohen fleischigen Wangen begannen heiß zu schimmern.

»Ach nein« ... der Korpsarzt machte einen kurzen Ruck nach hinten, – »ach nein ... es ist mir meinertreu nur um Dich zu thun, – ganz um Dich persönlich; – lass' uns nicht nach höheren Motiven in den Wolken suchen, – ganz einfach bloß, daß Du zu Deinem Recht kommst, Stefanie!«

Wingaard blieb vor Flau Grunth stehen und stützte die Hand auf die Tischplatte:

»Sehen Sie nun ... alle privaten und öffentlichen Argumente sammeln sich um Sie! – Aber natürlich, die Gnädige ergiebt sich nicht wegen solcher Bagatellen ... Doch könnte man die Laune nicht – auf einen besseren Weg bringen – wie?« – Er schlug lustig pfeifend ein paar Töne von einem Klavierkonzert an ... »Durch so ein Argument – was? – Also kraft einer Stimmung, einer Laune, eines Animus, – all der Gründe, die auf eine Künstlernatur wie die Ihre wirken ... nun, wollen Sie mitthun?«

»Langweilig wäre es nicht,« – lispelte sie mit etwas wie versteckter Lustigkeit unter den Augenlidern.

– »Aber Sie sind eben nur gar zu leichtsinnig, Wingaard. Es ist wahrhaftig nicht so einfach für so eine arme Frau,« sagte sie schönheitsbewußt und wie müde – »Sie locken und pfeifen, und mein Mann schiebt nach« ...

»Warum in aller Welt dann nicht mitgehen!«– rief Wingaard.

»Es bleibt einstweilen bei dem Nein, das ich gesagt. Wissen Sie, das giebt einem ein so gutes Gewissen.«

Sie saß und sah auf das Muster herab und legte den Kopf prüfend auf die eine Seite und auf die andere.

»Sehe nicht ein, was dies mit dem Gewissen zu thun hat. Wenn du nur Lust hast, dann« ... äußerte der Korpsarzt in die Luft hin.

»Du bedenkst nicht, daß ich zu Proben müßte, – bald dahin, bald dorthin, zu allen Stunden, sowohl nachmittags wie abends. – Und das Haus, Gunnar! »Ach, das Haus ... deswegen« ... er zog etwas rüde die Worte. »Du, weißt, Du kannst Dich ungehindert bewegen, wie Du willst, nach dem vollkommensten Gesetz der Freiheit.« –

»Ja, das quittiere ich Dir noch,« – murmelte sie; es zog sich ein eigener Ausdruck um die Linien des Kinns, das seine etwas volle Rundung am Spitzenjabot abzeichnete.

Wingaard begann von neuem zu pfeifen.

»Nur hierher zum Klavier, gnädige Frau .. Spielen Sie ein Stückchen davon« ...

»Bestimmen Sie, bestimmen Sie gleich die Proben,« – unterbrach der Korpsarzt. »Ich muß rasch nach Tisch fort, – muß pünktlich speisen.«

Der Großvater erhob sich hastig unter dem Eindruck dessen, was er in seinem Herzen den Unverstand des Sohnes nannte. Sie förmlich hineinzunötigen! ... Doch er faßte sich wieder und vertiefte sich darein, seine Uhr mit dem Schatten und dem Mittagsstrich zu vergleichen, den er auf den Fensterpfosten gezeichnet hatte.

»Da sehen Sie, Wingaard, was aus meinem Willen wird,« – klagte sie. »Thue ich nicht mit, so mache ich Gunnar zum Wauwau und allem möglichen.«

Wingaart trällerte gedämpft und genoß so vor sich hin ... »Es singt förmlich in mir, wie Sie das Adagio spielen – weich, diskret – wie über Sammet ... Und in dem großen Saal, sehen Sie« ...

»Auf diesem jämmerlichen Nannestad'schen Instrument? – Nein, ich spiele nicht. Sie verschafften mir denn Großhändler Jacobsens Flügel.«

»O, das soll geschehen, das soll geschehen – alles. Und nun« – er griff nach dem Hut – »wann setzen wir die erste Probe an? – Morgen – übermorgen?« ...

Frau Grunth legte die Stickerei weg und begleitete ihn hinaus.

»Morgen um drei Uhr also«, – klang es von draußen herein. – »Doch Sie versprechen, Wingaard ... Sie machen mich nicht ängstlich und nervös ... Und keine Schelte, wenn ich zu spät, komme, hören Sie?« ...

Die Entreethür schnitt den Laut ab.

Der Korpsarzt saß und wiegte sich im Schaukelstuhl, der ein kurzes Geknarr hören ließ, und zog die zusammengelegte Zeitung durch die Hand. Sein Blick glänzte vor unterdrücktem Hohn.

Des Großvaters Miene wurde plötzlich unruhig. Er kannte diese Augen, – die von Zorn erfüllten stummen Blaublitze. – Gerade wie die der Mutter, wenn sie so recht verstockt ward ...

»Es hält merkwürdig Stich, Gunnar«, – sagte er ruhig, während er die Uhr in die Tasche steckte und hinaus ging, – »nur abziehen oder hinzuzählen, nach dem Kalender, so haben wir die genaue Zeit aus der Sonnenuhr.«

Aus dem Speisezimmer heraus, dessen Thür halb offen stand – man trug gerade das Essen auf, – hörte er Ingwald dem Stubenmädchen heftig antworten!

»Geht es Dich an, was Wingaard wollte« ...

Des Knaben Stimme fauchte förmlich. Als Ingwald aber den Großvater erblickte, hielt er ein und begann eifrig den Riemen von den Schulbüchern zu schnallen.

*

Nach Tisch war der Großvater in sein Zimmer gegangen, um sein Mittagsschläfchen zu halten. Er hatte gebeten, daß ihm der Kaffee hinaufgebracht werde. Er war müde und pfahl von dem langen Morgenspaziergang und aufgeregt von den Dingen unten in der Stube, von der schwülen Empfindung eines, sozusagen niedrigen, gedrückten Barometerstands, dem Gefühl, daß die Luft gleichsam heißer war als die Worte.

Seinen Düffelrock vertauschte er am Kleiderriegel im Vorzimmer mit einem bequemeren, um darin zu schlafen. In der Ecke des großen Sophas lag seine Kalotte und eine gehäkelte Decke. Er zog eine der schweren Gardinen vor, um das Licht zu dämpfen, und während er den Kopf auf dem von seiner seligen Frau gestickten Kissen zurecht legte, griff er nach einem angefangenen englischen Roman.

Die Nachmittagssonne fiel schräg über die große Chiffonière und blitzte schwach über die Silberbeschläge der beiden Meerschaumpfeifen auf dem Ständer, um dann langsam zu den Goldrahmen der Familienporträts emporzusteigen. Diese Stücke stammten aus seiner alten Wohnungseinrichtung.

Aus dem Halbschatten zwischen beiden Fenstern schimmelte ein langer Spiegel mit dickem Glas und eine Dekoration über zwei gekreuzten Marineoffiziersäbeln.

Es brannte behaglich im Ofen – – und der Roman wollte dem Großvater aus den Händen fallen. Er nahm ihn wieder auf und versuchte weiterzulesen, blieb aber mit der Hand unter der Wange liegen ..

In diesem halbwachen Zustande stieg die untere Partie vom Antlitz seiner Schwiegertochter vor ihm auf wie eine Vision ... dieses sonderbare Stück Antlitze das gleichsam zitterte und zuckte, wenn sie mit ihrem Mann sprach, und das sich zusammenzog wie ein versteckter Wille oder ein geheimer Sinn, ohne Verbindung mit dem oberen Teil des Gesichts. Es war, als ob alles sich löse und verwandle unten bei der Kinnpartie zu etwas Verschleiertem, das sich freute, spottete, trotzte ...

Der Großvater seufzte ...

Er sah wieder vor sich die aufflammenden blauen Blitze im Schaukelstuhl, die in dem geheimen häuslichen Krieg auf die verborgene Meinung der Frau Antwort gaben, – stumm, stolz und unzugänglich.

Der Großvater zog sich mit einer raschen Bewegung auf dem Ellbogen empor, so daß er hoch über dem Kissen zu liegen kam ...

Was war denn mit diesem Wingaard? ...

War es etwas von Bedeutung? ... oder war es ohne Bedeutung?

... Die Kinder hatten auch ihre Empfindung davon, das war nicht zu bezweifeln. Die kleine Kirstine schwätzte bei Tisch ganz allein, und Terna und Ingwald saßen scheu und stumm da. Der Knabe guckte wiederholt den Vater an und begann auf einmal so unnatürlich eifrig und laut vom Lateinlehrer zu reden ...

Man tauschte seine alte Spürnase nicht.

All diese entsagende Galanterie von Gunnars Seite, dies übertriebene Sichfügen und zu allem Jasagen ... War das Schwäche oder Stolz? – der nicht sehen wollte? –

Diese gekränkten stummen Blaublitze tief in der Seele drin, – er kannte sie, diese Augen ...

Der alte Mann lag halb im Traum und vergrub sich in sie.

Sie verwandelten sich in die Augen seiner dahingeschiedenen Frau ... leuchteten wie umgeben von Dunkel ... Er fühlte es an seines Herzens Zug, nun kamen sie, – diese stahlkalten Funken, – über ihn, – diese unbeherrschbaren Ausbrüche von etwas Zartem in ihr, das tötlich verwundet war, und das immer gerade in der Stunde tiefster, innerster Ergebenheit stumm hervortrat, so todeskalt, so wild traurig ... Dies Unüberwindliche, das ihn zurückstieß, ihn in Raserei versetzte, ihn mit Haß erfüllte, der Liebe war, – und immer wieder bat sie um Vergebung deshalb, und immer wußte sie zu verwischen und mit liebevoller Hingebung zu versöhnen ...

Er lag, den großen Kopf nach hinten gestreckt, während der Flammenschein vom Ofenloch über den Fuß des Bücherschranks hinirrte und die Dämmerung hereinsank.


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