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XII.

Die Stadt hatte diesen Winter genug zu reden.

Erst war Frau Grunth geschieden. Dieser plötzliche traurige Todesfall, – als ob ein Blitz mitten in das Familienglück niedergefahren wäre, – während einer Schlittenpartie, die Doktors mit dem Konsul Wingaard nach ihrem Landhaus gemacht hatten.

Da gingen nun die Kinder ohne Mutter herum, und der Korpsarzt war wieder allein. Gar nicht zu verwundern, daß er davon wie zerschmettert schien, der Gegenwart von Menschen auswich und kaum mehr nach seinen Patienten schauen mochte, – so jäh und unvorbereitet hatte der Schlag ihn getroffen! –

Und dann hatte Konsul Wingaard mit seiner längst geplanten Reise ins Ausland Ernst gemacht. Und damit war dos öffentliche Gesellschaftsleben der Stadt für diesen Winter als null und nichtig zu betrachten ...

*

Der Großvater trug nun eine strengere Miene zur Schau und trat in allen Dingen mit größerer Autorität auf. Er redete nicht mehr die Leute an, noch lief er in einem plötzlichen Einfall auf sie zu, um ein Gespräch anzuknüpfen. Und er notierte sich genau alles, was er auf seinen Spaziergängen zu besorgen hatte, damit das und nichts anderes besorgt werde. Er hatte ein steigend ängstliches Gefühl, daß die Verantwortung für die Familie nun wieder auf seine greisen Schultern zurückfalle; – er hatte wohl gehofft, im Alter seine Ruhe zu haben, – doch es sah nicht danach aus. Der Sonnenuntergang schien recht wolkig zu werden, – dachte er schweren Herzens ...

Es war übrigens wunderlich mit dem Zeug, – – der Elastizität des Menschen, oder was es nun sein mochte.

Eine Nacht des Grauens wie jene, die hätte er in seiner Jugend oder als jüngerer Mann nicht überstanden und ausgehalten, – jedenfalls nicht ohne einen Schaden. Und nun – dennoch; – das mußte seinen Grund haben, – in irgend einer eingeborenen Ahnung von einer Fortsetzung, – daß hier nicht alles fertig und zu Ende sei, – nicht alles verloren durch einen Zusammensturz in diesem Endlichen – – –

– Er hörte den Sohn zur gewöhnlichen Zeit vom Brigadekontor heimkehren und im Entree den Mantel ablegen ...

– »Dein Geburtstag heute, Kirstinchen!« – gratulierte er und streichelte sie, als er eintrat. »Ich werde Terna Geld geben, damit sie Dir etwas kaufe.

»Ah – ah!« – er schöpfte mit einem gewissen Behagen Atem, während er im Eckzimmer auf und ab ging, – »es ist so reinlich hier! – es ist so luftig – ah! – Und Du, Terna, und Du, Kirstine, so niedlich und nett, – nicht ein Fleck auf Euren schwarzen Kleidern. –

»Liebe Kinder, wenn Ihr wüßtet, wie prächtig Ihr vor Euren Vätern dasteht, – und wie es hier gut und friedlich ist!«

Er setzte sich, den Ellenbogen auf den Tisch gestützt ... »So herrlich blank und rein, wohin man sieht,« – kam es wieder. »Daß Deine Finger vom Nähen ein bischen blau sind, Terna, und Du am Munde tintig, – Du bist doch ein rechtes Ferkelchen, Kirstine, – die Feder ablecken! – Aber darum seid ihr doch rein« ...

Er versank in Gedanken und der Großvater las und wendete die Zeitungen.

»Es ist jemand von Konsul Johnsen da und fragt, ob der Herr Doktor hinkommen will,« meldete das neue Stubenmädchen.

»So –, so –« er starrte mit einer Miene voll wachsender Unschlüssigkeit vor sich hin. »Nein, nein, – ich fühle mich nicht wohl, – nicht recht geeignet heute. Sag', ich sei verhindert, und sie sollen sich an Doktor Bökmann wenden, der meine Vertretung gegenwärtig übernommen hat.«

Der Großvater blickte schnell und ängstlich über die Zeitung auf den Sohn ... Es begann nun recht häufig vorzukommen, daß er sich seinen Pflichten entzog – –

»Du bist nicht wohl, Vater,« – sagte Terna; sie ging zu ihm hin und legte die Hand auf seinen Arm. »Du wirst so mager. Dürfen wir Dir nicht am Vormittag eine Tasse Bouillon kochen?«

»Mir kommt vor. Du bist selbst mager und mitgenommen; – das ist ein zu hageres und bleiches Gesicht für ein junges Mädchen von neunzehn, zwanzig Jahren« ...

Er faß und strich ihr das Haar und betrachtete sie –

»Du hast es nicht gut gehabt, nein, – hast eine traurige Jugend gehabt und vielleicht manches andere, wofür ich nicht Zeit noch Aufmerksamkeit hatte. Ihr solltet wohl nun emen Vater haben, dem Ihr Euch anvertrauen könnt. Das ist mir neu, wie so vieles andere. Aber es kann kommen, – kann noch kommen, – hoffentlich! –«

»Nein, danke, Kind, ich brauche keine Bouillon. Aber Du mußt in die Luft hinaus, – und heute für Kirstine Geschenke kaufen« ...

Er folgte den Töchtern liebevoll mit dem Blick, als sie durch die Thür hinausgingen. –

»Man ist nicht gewöhnt daran ... man ist nicht gewöhnt daran ... Es ist wie etwas Neues, – schon das, in seinem eigenen Haus sich in einen ehrlichen Stuhl setzen zu dürfen«, – murmelte er. »Und wirklich ganz etwas Neues, daß man Sohn und Töchter hat, für die man lebt.

»Nun verkaufe ich vielleicht das Landhaus, Vater«, – sagte er plötzlich. »Es ist wie ein Ring, der mir um die Beine geschmiedet ist. Ich bin nicht im stande, etwas auszurichten, ehe ich es nicht los bin, – den Schlüssel ausgeliefert und es der Vergessenheit überantwortet habe. Ich fühle ganz genau, das ist's, was auf mir liegt und lastet«. – –

... Nein, nein, – dachte der Großvater, als der Sohn gegangen war. Der Verkauf von Sollid, das ist wohl nicht das Heilmittel, auf das er hofft! ...

Da half nichts Aeußeres, keine Philosophie, – keine Abrechnung mit dem Verstand, nicht einmal bei seinem klaren Kopf. Er hatte sich von Gesetzen losräsonniert, die tief im Blute lagen und schliefen, – und nun drückten sie ihn hinab in das Dunkel der Schwermut.

»Lebensanschauungen,« – – das kommt mit dem Gehirn und geht mit dem Gehirn, – ist nun einmal bloß Menschenwerk, – tröstet meinen Sohn nicht! All diese moralphilosophischen Gedankengebäude, sie sind gut genug, wenn man sie nur hinter Zäunen halten und sie nicht Religion nennen will! – Das Wort von Verzeihung und Barmherzigkeit, das stammt aus einer Welt, die weit über unserer Logik liegt ...


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