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III.

Vor der Treppe stand Wingaards Kabriolet und wartete. Er war, wie besprochen, um halb acht gekommen, Frau Stefanie zu des Konsuls Musikabend zu holen, – »lauter Auserwählte«, hieß es auf der Einladung.

Der Korpsarzt hatte für seine Person eine freundschaftliche Entschuldigung geschickt: – »quid Saul inter prophetas, oder er zwischen den Musikalischen; er hatte überdies einen Patienten zu besuchen; doch seine Frau! – Grüße, Grüße ... G. G.«

Klein Kirstine, die achtjährige und jüngste, war droben gewesen und hatte den Großvater gebeten, zum Abendessen zu kommen und, stark wie sie war, ihn über die Treppe mit heruntergezogen.

Man wartete mit dem Essen, bis Frau Stefanie weg sei; jedoch es zog sich hin und der Korpsarzt ging schon ein paarmal beim Kontor ein und aus.

Sörine, das Stubenmädchen, flog im letzten Augenblick über den Gang, um den Spitzenkragen zu glätten und Terna lag im Schlafzimmer drin auf den Knien und half der Mutter die Stiefel knöpfen ..

»Nein, steht nicht Kirstine mit der Puderquaste vor dem Spiegel!« – klang es von drinnen heraus ... Und das Notenheft ... und die Handschuhe, Terna! ...

Frau Stefanie zeigte sich endlich in ihrem neuen Theatermantel, bereit in den Wagen zu steigen ...

»Ich hoffe, Sörine, Du hast nicht vergessen, dafür zu sorgen, daß der Großvater weiches Brod hat,« sagte sie im vorübergehen.

»Na, Gunnar«, – sie reichte ihm die Wange zum Abschied, – »na, hast Du etwas an mir auszusetzen?« – sie schlug den Mantel beiseite.

»Immer fein, selbstverständlich.«

»I, das hört sich fast an, als wäre es Dir nicht recht, daß ich gehe.«

»Bewahre, bewahre; warum sollte ich denn nicht; – aber laß uns den Thee nur nicht kalt werden. Ich sage, unterhalte Dich, – unterhalte dich gut, – und grüße Wingaard von mir! ...

Sie verbarg ein verächtliches Zucken der Lippen, indem sie sich abwandle und sagte:

»Bist Du brav und legst Dich um neun Uhr nieder, Kirstine, so wird Terna Dir drei Theelöffel von meiner Himbeermarmelade geben ... Und Du, Ingwald, liege nicht die ganze Nacht und lies Romane! Lösche das Licht zur rechten Zeit aus!«

»Und schnarche und laß Dirs gut gehen!« ... hörte der Großvater den Jungen murmeln, während Stefanie, von ihrem Mann begleitet, zum Wagen ging.

Der Korpsarzt kam naß geworden von der Dachtraufe wieder herein und setzte sich hastig zu Tisch.

»Du Gunnar, es sieht aus, als ob sie dennoch die Konzession für die Pferdebahn bekämen, welche durch die Sandstraße führen soll ... Ganz entgegen dem Bericht des Stadtbaumeisters ... begann der Großvater.

»Ja wohl – .. Ja wohl ...«

»Da können wir ja bis zur Landzunge hinaus fahren«, – fiel Ingwald eifrig ein.

»Ja–a ... Gewiß ...«

In den festen markirten Zügen des Korpsarztes lag ein fremder Ausdruck, etwas zurückgedrängt Gequältes, während er etwas hastig sich bediente.

»Danke, danke, Terna; noch Thee; ich will noch in die Praxis ... Du mußt dem Hause vorstehen, so lang die Mutter so gehetzt ist« ...

Als sie mit einer neuen Schale kam, streichelte er sie über die Wange; Terna fühlte, wie nervös er war und machte ein dummes Gesicht, als begriffe sie nicht.

»Sörine sagt, daß die Mutter ihre langen Handschuhe von Wingaard bekommen hat,« – rief Kirstine.

Der Korpsarzt schluckte noch den Rest Thee hinunter und erhob sich, indem er seinen Rock zuknöpfelte ... »Ja, – ich muß mich beeilen.« Und als ob er einen Gedanken des Großvaters erriete, bemerkte er:

»Du findest wahrscheinlich, daß wir hier in der Stadt etwas vergnügungssüchtig sind, Vater – stecken derzeitig in einem Sturmwirbel von Musik und ich habe es nur meiner Praxis zu verdanken, daß ich nicht mitwirkte. Es schadet aber nicht, Interessen zu haben.« ...

Er schob den Stuhl unter den Speisetisch und ging. – In der Wohnstube drin mußte der Großvater nachher, wie er versprochen, mit Kirstinen Franzerfuß spielen. Und Kirstine hatte ungeheures Glück. Großvater verlor ein Oere nach dem anderen, das will sagen, zwei Pfeffernüsse jedesmal.

Ingwald war verdrießlich; er hatte heute abend zu einem Kameraden wollen, blieb aber dennoch sitzen und blätterte in des Großvaters alter »Dresdener Gallerie«, die er schon in- und auswendig kannte. – Nein wahrhaftig, er sah nicht ein, warum man gerade in diesem Lande leben mußte ... er wollte Techniker werden und so weit fortgehen, daß er nicht die Spur mehr von der Heimat merkte!

»Der Vater ist gar nicht in die Praxis gegangen« – bedeutete er Terna, – »er war nicht in seinem Zimmer, die Verbandtasche zu holen ... Er ist nur hinaus, um sich die schlechte Laune abzulaufen ... Wir sind eben alle verrückt hier im Haus.« ...

*

Der Großvater war um die Schlafenszeit in sein Zimmer hinaufgegangen, doch er hatte keine Ruhe. Er zündete sich die Pfeife an und fetzte sich zu seiner Lieblingslektüre, Macaulays Geschichte von England.

Er schob sich im Stuhl zurecht, schob sich nochmal im Stuhl zurecht; es war ungemütlich; er saß nicht gut, – die ganze Zeit über hörte er die Schritte des Sohnes unten im Kontor, auf und ab, auf und ab ... Und diese armen gequälten Kinder ...

Mißlich – mißlich ...

Und er selber drängt und schiebt sie hinein. Das soll hohes Vertrauen sein ...

Ja– a – sie hat ihre volle Freiheit, – kein verbotener Streuzucker auf dem Kuchen, der – Näscherei, die sie mit ihrem Wesen wohl noch über ihre Himbeermarmelade setzt ...

Teufelsweib! ...

Sein Blick blieb wie hypnotisiert an der blanken Spitze der Offiziersklinge hängen, welche beim Spiegel hervorschimmerte, als versenkte er sich in die Zeit, da er sie trug und so glücklich war in seiner Ehe ...

Er griff wieder zu seinem Macaulay, ertappte sich jedoch immer wieder dabei, daß er den Schritten unten lauschte.

Er zog die Uhr heraus ... Es war schon gegen halb elf. Man mußte ins Bett gehen.

*

Der Großvater hatte die Nachtmütze über den Kopf gezogen wie einen Gedankenauslöscher.

Er war in Morpheus' Reich eingegangen – schlief schwer und fest ...

Es rollte ein Wagen in seinen Traum hinein, rasselte auf den Pflastersteinen, – ein Wagen, der ihn anging ...

Plötzlich hielt das Fuhrwerk ...

Es plagte ihn, daß er aufwachen solle ... Ja freilich, das war ja Stefanie, die in Wingaards Kabriolet aus der Gesellschaft kam.

Er hörte, daß sie heiter von der Thorstufe herab dem Kutscher einen Gruß zurief –

Und nun läutete es ...

Das war Sörine, die endlich schwerfällig aus der Mägdestube kam und aufsperrte ... und die Schritte verloren sich in der Richtung von Stefanies Schlafzimmer.

Hm – Gunnar war auf ... kalkulierte der Großvater. Er war bestimmt auf ...

War aufgeregt drunten herumgegangen, hin und hergewandert und hatte nun, als er den Wagen hörte, das Licht ausgelöscht und sich eingeschlossen.

... War dagestanden, bebend, und hatte sie von der Soirée heimkommen hören, animiert und erregt ... und hatte den Thürschlüssel gefaßt, ob er ihn umdrehen solle, – und – war nicht im Stande gewesen, sie zu sich hereinzunehmen, direkt vom Champagnerrausch beim Anderen, – hin und her gerissen von Verliebtheit und Haß – wollte nicht sehen ...

Erinnere mich seiner von Kindheit auf ... etwas gewaltsam ehrsüchtig. Um so heftiger als er dafür keine Bethätigung findet ...

Als der Schlaf den alten Herrn wieder packte, bildete sich das alles in seiner Vorstellung zu einem blaugekleideten, blondhaarigen Buben um, der zwischen Schule und Heim hin und her trottete ...

*

Es war gedrückt und still unten bei dem späten Frühstück am Sonntag morgen. Frau Stefanie litt an Migräne. Sie lag im Schlafrocke auf dem Sopha der Wohnstube, wahrend man ihr Zimmer lüftete und in Ordnung brachte, und nahm Naphtha und roch an Ammoniak.

Sie seufzte und stöhnte, wenn sie drin im Speisezimmer, dessen Thür offen stand, an die Schalen und Theelöffel rührten ...

»Ach, Gunnar, ich halte es nicht aus ... Es existiert doch irgend etwas, das Du mir geben kannst, wenn Du etwas Mitleid hast. Du hast Chloroform oder – Morphium« ...

»Gegen schlechten Champagner – nein ... den muß die Zeit verdampfen lassen und die Geduld abbüßen,« – klang es kurz.

Das Wohlbehagen der Erinnerung erwachte in ihr, während sie lag und klagte ...« Nein, man bekommt nicht schlechten Champagner bei Wingaard, Gunnar ... Elegante Gesellschaft ... so wie es nur bei einer Künstlernatur und einem Mann von seinem Geschmacke möglich ist.«

Es klirrte plötzlich drinnen auf dem Tisch, weil der Korpsarzt seine Tasse so heftig niedersetzte ...

»Elender Kaffee ... Aufwaschwasser! – Dem Vater und mir so was vorzusetzen!« – stieß er hervor.

»Hu – u, der Lärm; es ist gerade, als wollte der Kopf zerspringen ... Du mußt mir etwas schaffen, Gunnar, daß ich bis abends wieder frisch bin – – Ich muß, muß, – es ist die vorletzte Probe. Das Konzert ist auf nächsten Donnerstag festgesetzt ... O – ah!« ... Sie roch in ein paar langen Zügen an einem eleganten Flaschchen mit Ammoniak ... »und Ball nachher ... Terna hätte ja eigentlich diesen Winter schon mitthun sollen, aber es ist unmöglich, bis zu dieser Zeit ein Kleid fertig zu bekommen ...«

»Terna soll auf den Ball!« – donnerte es, sodaß der Großvater das frohe Gefühl von alten Tagen und klarem Schiff wieder bekam.

»Oh ... ah!« jammerte sie, – »Du müßtest das Ballkleid vom Himmel herab holen; denn alles, was in der Stadt nähen kann, ist schon in Anspruch genommen ... Ueberdies, es wird Terna nur gut thun, wenn sie sich die spitzen Ellbogen und die Ecken vorher ausmachst!«

»Terna geht auf den Ball!« – brach es los, und der Korpsarzt fuhr vom Tisch auf.

»Daß Du nicht etwas mehr Rücksicht auf mich nehmen kannst, Gunnar, – in dem Zustand, in dem ich hier liege« ...

»Als wenn nicht Zeit genug gewesen wäre, dran zu denken, daß sie diesen Winter hinauskommen soll ...!« fertigte er sie ab.

»Und das sagt er, Großvater! nachdem er selbst es war, der mich in die ganze Geschichte hinein getrieben und gezwungen. Als wenn es nicht Deine eigene Schuld wäre, Gunnar, wenn hier im Hause etwas versäumt wird!«

»Ich sage, Ternus erstes Eintreten in die Welt soll nicht – wegmusiziert werden!« – donnerte es nach ein paar heftigen Schritten durchs Zimmer, rund um das Zimmer von drin heraus.

Es ging wie ein Ruck durch Frau Stefanie, und es fiel ein wunderlich hastiger Blick von ihr auf ihn. Sie reckte sich ein wenig empor auf den Ellenbogen und bemerkte spitzig:

»Der große Cavalier, der sich für das musikalische Talent seiner Frau einsetzte, scheint plötzlich ganz aus der Stimmung gekommen zu sein« ...

»Ich rede von Terna, – habe mich auf gar nichts anderes eingelassen,« – unterbrach er brutal.

Frau Stefanie fiel erschöpft auf das Kopfkissen zurück.

»Ingwald soll gleich ein Billet hintragen, daß ich heute Abend nicht zur Probe kommen kann. – Ich bin am liebsten die ganze Sache los.«

»Terna geht auf den Ball. Im Uebrigen, sage ab, sage zu ... Ich kann es ertragen; ich bin unmusikalisch, wie Du weißt.« –

»O Gott, er verhöhnt mich, tritt mich mit Füßen« ...

»Vater! ... Die Mutter bekommt Krämpfe«, – rief Terna.

»Na aber, Stefanie! – Na!« – erinnerte der Korpsarzt eindringlich. – »Gieb doch nicht nach, – hörst Du ...«

Er lief in das Kontor und kam mit einer Medizin zurück, die er ihr in Tropfen zuzählte.

»So, so, – nimm die Geschichte nur nicht so furchtbar ernst ... Na, na, erleichtert es nicht« ...

Frau Stefanie antwortete bloß mit Zuckungen, bis sie endlich Luft bekam und in einen verzweifelten Schrei und halb ersticktes Jammern ausbrach.

»So fass mich doch an, daß ich Dir ins Schlafzimmer hineinhelfe« ...

Sie lehnte es mit Zorn und Unwillen ab.

»Wenn ich Dich erst durch eine Morphiumeinspritzung beruhigt habe, so wirst Du schon sehen, Faniechen!« – sprach er begütigend.

»So, so, ja – das ist recht, – stütze Dich ... Je früher wir das Morphin bekommen, siehst Du,« ... sagte er tröstend, wahrend er sie ins Schlafzimmer führte.

»Nun ist der Vater wieder gut,« – meinte Kirstine.

»Halte Deinen Mund,« – fuhr Ingwald sie an.

Der Großvater fühlte die scheu versteckten funkelnden heißen Blicke des Knaben auf sich gerichtet. Es war etwas so Ratloses in diesen Augen, – etwas so weit über seine Jahre Bewußtes.

»Wenn ich nur nicht auf diesen Ball zu gehen brauchte,« flüsterte Terna.

»Ja, und sie behält ihren Willen!« –murmelte Jugwald verbissen.

Der Großvater stand unruhig und trommelte auf den Fensterrahmen. Er trug seine traurigen Eindrücke zu den Beiden da hinüber, von dem Einen zum Anderen, die mit schweren Ahnungen auf den jungen Gesichtern da saßen, – unsicher, als ob der Fußboden, – sogar der Grund, auf den sie traten, – geborsten wäre ...

Die peinliche Stimmung des Vormittages schwand, als der Korpsarzt endlich wieder mit einem heiteren Antlitz eintrat ... Alles müsse im Hause ruhig sein, – die Mutter solle schlafen, – dürfe nicht gestört werden, wenn sie bis heute abend zur Probe frisch sein solle ...

»Du kommst auf den Ball, Terna,« – warf er leicht hin.

Schon am Nachmittag war Terna auf dem Weg hinauf zur Jungfer Langwig auf der Schanze über der Seilerbahn, um sich zu erkundigen, ob sie kommen könne, um das alte grüne Seidenkleid der Mutter für Terna in eine Balltoilette umzuändern. Jungfer Langwig war gewiß frei.

Es war weit droben in der Vorstadt und der Großvater wollte Terna begleiten; er habe das Bedürfnis sich Bewegungen zu machen.

Der Großvater schritt schweigend einher und schaute auf die Spitze seines Stockes nieder ...

»Wer nur seine Gedanken los werden könnte, Kind!« ...

Sie waren schon tief in der Kirchstraße und wollten oben an der Ecke bei der Schwanen-Apotheke vorüber, als Terna den Großvater am Aermel zog, um ihn auf das andere Trottoir hinüber zu bekommen, und zu eilen begann.

»Nein, bitte ... Aber so bleib' doch ein bischen stehen, Terna!« – klang es ganz hell und höchst vertraut von den alten breiten Steinstufen der Apotheke her. Ein junger Mann lief ihnen entgegen und folgte barhaupt über die Straße.

»Ja, ich bin wieder daheim, – Freude im ganzen Haus, – so lang, bis ich den Vater um Geld bitte, um wieder abzureisen. Sie glauben alle, ich will nun dableiben und in der Apotheke stehen und Tropfen zählen und darob ist Seligkeit im Himmelreich.

»Das ist Paul Hoeg, – Du weißt, Großvater, – Apotheker Hoegs Sohn« ...

»Ich bin so frei mich vorzustellen, Herr Zollinspektor. – Ja wohl, wie Sie vielleicht gehört haben, der Apotheke einziger Sohn und Unglück. Durchgefallener Student und Pharmazeut leider mit Auszeichnung« ...

»So, so, so ... Sohn des Apothekers Hoeg, ... und der Amtmann Hoeg Ihr Onkel, wie? ... Und der Oberzollbeamte in Kristiansand ... kenne die Familie gut« ...

»Nicht ganz, Herr Zollinspektor, – darauf möchte ich meinen Kopf verwetten ... nicht ein Oppositionsmensch in der ganzen Linie ... Man wird als bare Luft betrachtet, so lang man nicht eine Staatsstellung hat, ein Amt ... oder eine privilegierte Apotheke. Aber dann, – dann sind wir Hoegs! – Und ich bin leider weit vom Stamme gefallen« ...

Der Großvater lächle und drohte ihm mit dem Stock, während er stehen blieb, um sich zu verabschieden.

»A propos, Terna, Du hast wohl nicht am Ende jetzt die fünfhundert, wie?« ... Sprach Paul. Er blinzelte dabei mit den Augen und hob merkwürdig geheimnisvoll die fünf Finger in die Luft.

»Hei, kannst Du mir nicht sagen, ob Du bald wieder abreisest?«

»Schau, schau, Du hast Dich wahrhaftig heraus gemacht; nun giebst Du ja Antworten! Früher warst Du alleweil gleichsam bloß Augen ohne Mund ... Freilich, freilich – ich reise schon Dienstag nachmittag. Darum gestattete ich mir auch, das Fräulein so weit die Straße hinauf zu begleiten ... Im übrigen jedoch auf Wiedersehen im Frühling«, grüßte er.

»Hübscher, gescheiter Bursche, wie?«

»Der – hübsch?«

»Es ist Leben in dieser Visage ... Macht den Eltern wohl Faxen vor, aber ... solide Stellung – eine privilegierte Apotheke zu übernehmen« ...

»Das thut er nie. Den kriegt man zu nichts, wozu er nicht Lust hat.«

»Aber was für einen Unsinn hat er Dir da mit den Fingern vorgemacht?«

»Ach Gott«, – sprach sie kleinlaut, – »nur irgend eine Frozelei. Er plagt mich damit, seit meinem zehnten Jahre. Zu dumm –«

»Ist er so ein Quälgeist, der Bursche?«

»Ja, ein sekanter Mensch; das war er sein Lebtag ... Er verfiel auf alles Mögliche, schlich sich her und flocht uns kleinen Mädchen die Zöpfe zusammen, so daß wir mit den Köpfen nicht auseinander konnten.«

»Ja, aber was meinte er mit diesen fünfhundert?«

»Gott, das war wegen einer Bibelstelle, die wir einmal gelesen: »wer seinen Bruder Racker nennt, der soll des hohen Rates schuldig sein« ...

»Es weiß gewiß keines von euch Mädeln, was ein Racker ist«, neckte er, »nein, – nicht einmal zu wissen, was Racker ist! – aller Verstand ist bei euch in die Haare geschossen ... Willst Du wetten, Terna?« fuhr er fort. »Ja, – um einen Kuchen, darum vielleicht; aber Du traust Dich nicht um fünfhundert Kronen zu wetten, – so sicher bist Du nicht, – auszuzahlen wenn wir erwachsen sind?«

»Sollte ich nicht wissen, was ein Racker ist,« dachte ich und da sagte ich: »O ja: ich trau' mich wohl.«

»Fünfhundert Kronen!« rief er und schlug ein. – »Nun also?«

»Ein Racker, das ist eine schöne Krähe mit blauen Federn, eine – Mandelkrähe«, erklärte ich getrost. »Ich werde lieber warten«, sagte er boshaft, »bis Du morgen den Lehrer gefragt hast.«

»Und seither hat er mich geneckt und gefordert und gequält, die ganze Schulzeit hindurch, so daß ich ganz unglücklich war, und oft schlich ich mich auf Umwegen an der Sparbank vorbei, um der großen, schrecklichen Apothekentreppe an der Ecke auszuweichen, die gleichsam nach zwei Seiten hin Wache hielt.«

»Jajaja«, nickte der Großvater, »Sorgen in jedem Alter, – durch und durch verschuldet von Kindheit auf« ...

»Ja, verstehst Du, Großvater, – es war ja nicht bloß das Geld. Aber daß ich so dumm antwortete, darüber hält er sich bis auf den heutigen Tag auf« ...

Sie waren nun auf der Schanzenhöhe, und der Großvater arbeitete sich hinauf mit dem eigentümlichen, etwas krummen Rücken, der wie ein Kraftbehälter war. Es gelang ihm, den Glöckner Fagerholdt einzuholen, der mit seiner Messingbrille, schwach und hinfällig, vor ihm daher pustete. Er erinnerte sich, daß sie beide mit einander in der Ortskirche waren konfirmiert worden.

Die zwei Alten blieben stehen und schöpften Atem.

»Sie haben auch nicht mehr lang zu machen, Fagerholdt«, – leitete der Großvater ein.

»Ne – hei, hehe – he – i, Herr Zollinspektor,« hustete er aus seiner flachen Brust herauf.

Sie thun wohl wie ich, Fagerholdt, – denken dran, wie Sie es anfangen müssen, um ruhig zu sterben. – Was ... kommen Ihnen nicht auch manchesmal solche Ideen?«

»Ja, Gott bessere mich armen Teufel,« – sprach Fagerholdt erschrocken; – »wenn einem der Gedanke kommt, so ... man hat ja doch Verschiedenes zu bereuen. – Wenn auch, Gott sei Dank, nicht gerade, daß man nach dem Gesetz etwas auf sich lasten hat; aber wir schleppen uns ja alle mit der Sünde.« – Er schaute hinab auf sein schiefes Bein. – Und jeder muß für seine Handlungen einstehen, für Gedanken und Worte.«

»Wissen Sie, ich, Fagerholdt, – ich mache mir nicht so viel aus dem, was ich gethan, – denn bin ich in dem Punkt mit den Menschen ausgekommen, so ist mir auch nicht vor unserem Herrgott bange, – es ist um weitaus besser, mit ihm zu thun zu haben.«

Fagerholdt riß den Mund auf.

»Sie können sich doch denken, daß dort eine ganz anders tiefgehende Liebe und Nachsicht zu finden ist als bei den Menschen, die von Vorurteilen verblendet sind. Sie sehen ja, wie sie einander tagtäglich verdonnern, die Leute, unter denen wir wandeln. Und da meine innersten Gebrechen von ihnen richten lassen ... Na da erginge es uns nett Fagerholdt!«

»Aber es steht doch geschrieben, daß wir vor den Brüdern bekennen sollen und nicht in Hoffahrt verfallen,« – kam es mit etwas erhobener Stimme.

»Nein, davor fürchte ich mich am allerwenigsten, Fagerholdt, das muß ich schon sagen. Akkurat wegen dessen, was ich nicht gethan.«

»Aja – a – ha, all die Liebe in Wort und Thaten, die wir unterlassen haben, dem Nächsten zu erweisen,« bekräftigte Fagerholdt in singendem Psalmenton.

»Ja wohl, das auch,« – kam es ungeduldig. »Aber sehen Sie, woran ich vor allem denke, das ist, wie ich es vor Gott verantworten soll, wozu ich mein Leben verwendet? – Habe ich mich seiner Gaben erfreut, in meiner Jugend geliebt und im Mannesalter gut und mutig gehandelt? Kann ich, der ich einen so gesunden und starken Körper hatte und Verstand genug, – kann ich in Wahrheit hintreten und ihm danken für diese Reihe von Freuden, die ich für Geist und Leib aus dem Leben ziehen und Anderen hätte bereiten sollen, – oder muß ich nicht mit jenem Zöllner« – er fiel mit Pathos in den Predigerton – mich vor die Brust schlagen und sprechen: »Herr, Du gabst mir viel zur Freude, doch ich hatte Mißtrauen zu Dir, und glaubte, Du meinst es nicht ehrlich und wolltest mich bloß in die Hölle locken – und siehe, darum verwarf ich die Freude und lauerte mir auf und hütete mich voll Vorsicht, daß es Dir nicht gelinge, irgendwo Deinen Haken einzusetzen. Ja, so böse habe ich armseliger Mensch von Dir gedacht, o Herr! Nun habe ich bloß die Tiefe Deiner Barmherzigkeit, um darauf zu bauen« ...

»Herr Zollinspektor, ich sehe schon, Sie wollen mir und meiner Art von Glauben an den Leib, – aber daß unser Herrgott einen redlichen, wenngleich schwachen Willen, der Sünde zu entgehen, so behandeln sollte, anstatt mit Wohlgefallen auf unseren Kampf gegen das Fleisch zu sehen, das – das ... Nein, es bleibt schon dabei, daß es die Kleinen und Demütigen sind, die das Reich erben werden.«

»Aber jene, die das Unglück haben, einen klaren Verstand zu besitzen, meinen Sie, die, die werden zur Hölle fahren!«

»Man könnte glauben, Sie treiben Scherz und Spott mit diesen Dingen, wenn man es nicht besser wüßte, Herr Zollinspektor,« – rief Fagerholdt ärgerlich aus.

»Ja – ja, es mag so scheinen« ... sagte der Zollinspektor grübelnd und mit einem Ausdruck steigender Wehmut, der Fagerholdt betroffen und ungewiß machte.

»Es geht eben jeder von uns seinen Weg, Herr Zollinspektor,« – äußerte er still und nahm den Seitenpfad zu seinem Haus, das dort auf dem Hügelrücken lag.

Der Großvater ging weiter und schwang nachdenklich seinen Stock.

»Du, der Mann da gab mir wahrhaftig eine Lektion ... ja eine Lektion ... Diese Dinge soll man nicht gegenseitig betasten« – – – – – –

Der Besuch bei Jungfer Langvig fiel befriedigend aus.

Beim Heimweg fühlte man dünnen Schnee oder Gisgraupen in der grauen Luft. Die Dämmerung verbreitete sich, und da und dort zündete man in der Stadt unten Licht an.

Der Großvater war in gemütliche Laune geraten, er erzählte Terna von den Jahren, da er auf Kauffahrteischiffen fuhr, während sie weit draußen auf dem Meer die roten und grünen Blitze des Leuchtfeuers zucken sahen.


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