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Fünfzehntes Kapitel

Adele brachte den Sommer im schönen Frankenlande zu, Samuel arbeitete in seiner Vaterstadt in der gewohnten Weise. Im October, zur Zeit der Leipziger Messe, als Adele sich schon wieder winterlich in ihrer kleinen Wohnung eingerichtet, und seit Wochen den Cousin erwartet hatte, kam er zum ersten Male nicht.

Sie hatte überhaupt nicht viel von ihm gehört, es war nicht seine Sache, sich auf Freundschaftsbriefe einzulassen. Brauchte Adele seinen Rath, hatte er ihr einmal irgend eine Mittheilung zu machen, so hatten sie sonst einander wohl geschrieben. Auch nach ihrer Trennung in Leipzig waren zwischen ihnen ein Paar Briefe des Dankes und der Anerkennung gewechselt worden, dabei aber hatte es denn auch sein ruhiges Bewenden gehabt, und Adele hatte nicht weiter schreiben mögen, um dem Vetter nicht zur Last zu fallen, um sich ihm nicht aufzudrängen, wie sie's nannte.

Indeß sie hatte nichtsdestoweniger auf seine gewohnte Michaelisreise und auf ein Wiedersehen mit Zuversicht gerechnet. Als dann ein Tag entschwand und wieder einer, und die Zeit der Messe endlich ganz vorüber war, da verging ihr aller Muth. Kein Herbst, so viele sie deren auch schon in Berlin verlebt, war ihr so öde vorgekommen als eben dieser. Ihre kleine Wohnung, die zu schmücken immer ihre Lust gewesen war, erschien ihr, nun die trüben, nassen Tage kamen, fast wie ein Gefängniß. Sie mochte nicht mehr allein zu Hause sein, noch weniger allein spazieren gehen, und die Gesellschaft war ihr vollends eine Last. Wohin sie kam, hörte sie beim Beginn der Winterszeit, die Frauen nur vom Weihnachtsfeste sprechen, Jeder arbeitete für dasselbe, Jeder hatte Besorgungen dafür zu machen, sie allein hatte im Grunde Nichts zu thun.

Ihrer dichterischen Beschäftigung legte sie nicht mehr den alten Werth bei, denn sie hatte den Glauben an sich selbst verloren, den kein Schaffender entbehren kann. Sie schrieb wohl noch bisweilen, indeß es freute sie nicht mehr, es nahm ja Niemand mit dem Herzen an ihrer Arbeit Theil.

So ging ihr die Zeit vorüber, und Samuel verlebte sie in gleichem Mißbehagen. Nun sie einmal ein ruhiges Beisammensein gekannt, nun sie empfunden, was sie einander hätten werden können, dünkte Beiden die Einsamkeit viel schwerer als zuvor. Sie sehnten sich nach einander und wußten den Weg doch nicht zu finden, auf dem sie sich auf's Neue begegnen konnten.

Adele hatte daran gedacht, dem Vetter zu Weihnachten irgend eine Freude zu machen, zum Dank und zur Erinnerung an seinen guten Willen, ihr eine angenehme Reise zu bereiten, aber wie sollte sie ihn an eine Zeit gemahnen, deren er selber vielleicht nicht gern gedachte; denn er hatte es ja in seiner Hand gehabt, Adele in Leipzig zu behalten, es hätte ihn ja nur ein Wort gekostet, sie damals für immer an sich zu fesseln. So wenig jung sie war, so wenig prüde, immer blieb sie doch ein Weib dem Manne gegenüber, und im Grunde, was hatte sie ihm auch zu bieten? Er konnte ja andere Frauen finden, jünger, hübscher, reicher und glücklicher als sie. Er konnte schon lange selbst zu dieser Einsicht gekommen sein.

Samuel machte sich ähnliche Gedanken. Sie versteiften sich Beide in ihrer muthlosen Betrübniß, und je näher die Zeit des Weihnachtsfestes heranrückte, desto verlassener kam sich Adele vor.

Sie hatte sonst wohl den heiligen Abend in einer befreundeten Familie zugebracht, diesmal mochte sie sich nicht dazu entschließen. Wenn Alle dort so froh waren, wenn Jeder sich mit seiner Freude so naturgemäß auf seine Blutsverwandten angewiesen fühlte, dann fand sie sich erst völlig dort verwaist. War sie allein, so brauchte sie wenigstens keine Freude zu heucheln, so blieb ihr doch die Freiheit sich unglücklich zu fühlen.

Am Morgen des heiligen Abends war das Wetter schlecht. Adele ging aus, einige Einkäufe zu machen, da sie seit Jahren eine arme Wittwe und deren Kinder zu beschenken pflegte, und obschon sie ihnen sonst ihre Gaben stets in's Haus getragen hatte, kam ihr diesmal der Gedanke, bei sich den Aufbau zu veranstalten. Es war nicht eine besondere Liebe für die Leute, welche sie zu dieser Aenderung antrieb, sondern eine nun doch plötzlich wieder erwachende und unbestimmte Scheu vor der Einsamkeit am Weihnachtsabende.

Sie kaufte einen kleinen Tannenbaum, Aepfel, Nüsse, Honigkuchen, Lichte, und der Tag ging ihr damit hin, den Baum zu schmücken. Am Nachmittage deckte sie den Weihnachtstisch, setzte den fertigen Baum hinauf, legte für die Wittwe und die Kinder die Geschenke hin, und wie sie nun dastand und Alles fertig hatte, und sich daran erfreuen wollte, da fiel eine herzbeklemmende Traurigkeit auf sie hernieder.

Es däuchte sie so hart, daß sie sich die Freude erkaufen wollen für den Abend, daß sie sich fremde Menschen suchen mußte, denen sie sich ein Liebes thun konnte, daß Niemand da war, zu dem sie hingehörte, an den eine Pflicht, ein dauerndes Band der Liebe oder der Verwandtschaft sie natürlich fesselte.

Sie saß am Fenster und sah hinaus. Schnee und Regen trieben durch die nassen Straßen, aber die Menschen schienen des Unwetters kaum zu achten. Jeder eilte, denn ihm stand eine Freude in Aussicht, Jeder hastete sich vorwärts. Hier trugen Handwerker kostbare Gegenstände, wohl verhüllt, an den Ort ihrer Bestimmung, dort ging ein junges Ehepaar, mit Steckenpferden und Trommeln und Puppen beladen, lachend seiner Wohnung zu, dort wieder brachte ein Mann aus niederem Stande die kleine Pyramide fröhlich heim, sich die bescheidene Dachstube festlich damit zu erhellen.

Und Adele saß und saß und sah hinaus, bis es ganz dunkel wurde. Sie konnte ihrer Traurigkeit nicht Meister werden, ihr graute zuletzt fast davor, sich ihre Einsamkeit zu beleuchten, wie sie's nannte. Indeß, als die Glocke dem nahen Thurme halb sechs schlug, durfte sie nicht länger säumen. Um sechs Uhr sollten ihre Gäste da sein.

Sie erhob sich und ließ sich Licht in's Zimmer bringen. Da eben, als sie die Vorhänge herunter ließ, klopfte es an ihre Thür.

»Sollten die Kinder mich falsch verstanden haben,« dachte sie, »und jetzt schon kommen?« – Sie mochte nicht hereinrufen, um den Kleinen nicht vorzeitig den Anblick des Baumes zu gewähren, sondern ging nachzusehen, wer da poche.

Ein Mann stand im Vorzimmer, dicht vor der Thür. Er war fest in einen großen Mantel eingewickelt, eine alte Reisemütze ging ihm tief auf Stirn und Nacken herab. Adele trat zurück, der Mann trat näher, ein Lichtstrahl aus dem Zimmer streifte sein Gesicht, und mit dem Ausdruck der höchsten freudigen Ueberraschung rief Adele: »Mein Gott! Samuel, wo kommen Sie denn her? Ich kannte Sie gar nicht –«

»In dem großen Mantel!« fiel er ihr in's Wort; »ja, ohne den reise ich nun einmal nicht wieder, nach dem Elende im Frühjahr.«

»Aber wo kommen Sie denn her in dieser Jahreszeit?« fragte Adele nochmals, während sie ihm mit eiliger Hand Mantel und Mütze abnehmen half und im Vorzimmer an einen Haken hing.

»Ich hatte hier zu thun,« antwortete er, »und wollte die Feiertage dazu benutzen, in denen ich zu Hause doch Nichts machen kann. Uebermorgen Abend will ich wieder fort.«

Er sprach die Unwahrheit, aber er sprach sie so natürlich, daß Adele es für Wahrheit nehmen mußte. Sie fühlte sich enttäuscht, und schämte sich des Entzückens, mit dem sie ihn empfangen hatte. Das machte sie plötzlich still. »Treten Sie doch ein!« bat sie mit merklich verändertem Tone, indem sie die Thür zu ihrer Stube öffnete.

Sie standen vor dem Weihnachtstische. »Ich habe auch meine Bescheerung hier! Sie kommen grade noch zur Zeit!« bemerkte sie.

»Ich sehe!« antwortete er; aber auch er fand sich in seinen Erwartungen betrogen. Er hatte darauf gerechnet Adele allein zu finden, nun sah er den aufgeputzten Weihnachtstisch, und mit einer unverkennbaren Befangenheit sagte er: »Sie erwarten Gäste, Freunde, ich störe Sie wahrscheinlich. Ich wäre nicht gekommen, hätte ich das vorausgesehen.

Adele versicherte ihm, das sei nicht der Fall, es käme nur eine Wittwe mit ihren Kindern zu ihr; er sei ihr sehr willkommen, nur müsse er ihr gestatten, sich jetzt noch mit dem Baume zu beschäftigen, da sie die Kinder auf der Treppe höre. Er bat sie, sich durch seine Anwesenheit nicht abhalten zu lassen, und setzte sich ruhig auf das Sopha nieder; aber Beiden war die ganze Scene unbehaglich.

Er sah ihr zu, wie sie die Lichter anzündete, wie sie nochmals Alles auf den rechten Platz schob; er half ihr auch zuletzt dabei, er besah die Sachen, weil sie ihm dieselben zeigen wollte, er nahm sogar die Klingel und gab das Zeichen zur vollendeten Bescheerung, da Adele ihn klingeln hieß; aber es ging ihm Alles nicht von Herzen. Selbst der Eintritt der Kinder, ihr lauter Jubel, der Dank der Mutter, die Freude von Adelens Dienerin, thaten ihm nicht wohl. Ihm half das Alles nicht, er wußte nicht woran er mit Adelen war. Er sah ihre innere Bewegung, sah, wie sie mit leichter Hand die Thränen sich von den Augen wischte, er war auch selber so gerührt, daß ihm das Weinen nahe war, indeß er wollte sich nicht rühren lassen von den Leuten, deren Fortgehen er wünschte, von einer Scene, deren Ende er kaum erwarten konnte.

Adele merkte seine Ungeduld, seinen Mißmuth, und grade darum beschäftigte sie sich doppelt liebreich mit der Mutter und mit ihren Kindern. Es war ihr, als werde die Weihnachtsgabe werthlos, als verliere sie ihre ganze Bedeutung, wenn der Gebende nicht mit ganzem Herzen bei dem Feste sei; und als müsse sie die Theilnahmlosigkeit des Vetters zu ersetzen suchen, so ausschließlich überließ sie sich den Kleinen.

Sie probirte ihnen die warmen Schuhe, die kleinen Jacken an, sie lehrte sie das Spielzeug benutzen, welches sie ihnen ausgesucht, sie half ihnen die Früchte vom Baume pflücken und überlegte mit der Mutter, wie der Kleiderstoff für Jeden am besten zu verwenden wäre. Die Armen sollten's nicht entgelten, daß ihre Beschützerin sich nicht heiter und von banger Unruhe gepeinigt fühlte.

Endlich nach einer Stunde, schickte die Wittwe sich zum Aufbruch an. Adele und ihr Mädchen packten für sie die Sachen in einen Korb zusammen, die letzten Nüsse und Aepfel wurden vom Baume abgenommen, die Mutter und die Kinder dankten und dankten wieder, Adele küßte die Kleinen noch, und nun sollten sie denn fort.

Als die Wittwe an der Thür war, ging Samuel an sie heran und drückte ihr Etwas in die Hand. Sie starrte es sprachlos an, es war ein Goldstück; aber er schob sie fast mit Gewalt hinaus, er mochte ihren Dank nicht hören, war's ihm doch, als habe er's ihr nur gegeben vor Freude, daß sie endlich gehen, daß die Cousine nun endlich frei sein würde.

Daran war jedoch noch lange nicht zu denken. Zwar wendete Adele sich jetzt zu ihm, und setzte sich mit ihm auf das Sopha, indeß das Mädchen ging im Zimmer hin und wieder, die Lichte des Baumes auszulöschen, die gestörte Ordnung herzustellen. Er hätte auch ihr gern ein Goldstück geben mögen, wäre sie nur fortgeblieben.

Adele erzählte ihm währenddessen die Geschichte jener Wittwe, und schilderte ihm den hülflosen Zustand, in welchem sie dieselbe einst gefunden hatte. Er mußte zugeben, die Geschichte war sehr traurig und sehr rührend, indeß was kümmerte sie ihn denn grade jetzt?

Als endlich, endlich nun Alles fortgeräumt war, und nur noch der leere Baum auf dem Tische in des Zimmers Mitte stand, als der Thee vor ihnen aufgetragen worden und das Mädchen sich entfernt hatte, athmete Samuel auf. Nun waren sie doch wenigstens allein; aber es war, als solle ihm heute einmal gar Nichts helfen, Nichts nach Wunsche gehen.

Adele hatte sich so sehr in die Noth und das Elend hineingesprochen, denen sie unter den arbeitenden Ständen begegnet war, daß es schien, als habe sie in diesem Augenblicke kein anderes Interesse, als eben dies allein. Samuel verwünschte all' die Krankheiten, und all' den Mangel, obschon er nur mit halbem Ohre darauf hörte, bis in ihm mit Einemmale der Gedanke aufstieg und sich befestigte, Adele wolle ihn nicht zu Worte, nicht zu einer Erklärung kommen lassen. Denn daß er in dieser Jahreszeit nicht um der Geschäfte willen nach Berlin gegangen, daß er zu ihr gekommen, daß er um ihretwegen da sei, das wenigstens mußte sie doch einsehen, wie er meinte. Er verstand sich wenig auf die Frauen, er merkte nicht, wie ängstlich Adele sich an ihren Erzählungen fest hielt, um keinen anderen Gedanken in sich aufkommen zu lassen, um nicht in helle Thränen auszubrechen. Ein alter Liebender schreckt von Hindernissen zurück, die ein Jüngling in seiner Sicherheit kaum merken würde; aber die Leichtigkeit des Liebeforderns und Gewinnens ist eben auch nur ein Vorrecht der jugendlichen Zuversicht zum Leben.

Darüber ging der Abend hin. Je länger sie beisammen saßen, je mehr vertieften sie sich in Dinge, die ihnen nicht im Entferntesten am Herzen lagen, bis es Beiden fast unaushaltbar wurde und Samuel im Gefühle seines Unbehagens sagte, wenn er morgen sein Geschäft beenden könne, so reise er vielleicht schon morgen Abend wider fort.

»O!« dachte Adele ärgerlich, »wenn er reisen will, so mag er gehen; er hat ja doch empfinden müssen, wie seine Ankunft mich erfreute!« – Aber sie sprach auch das nicht aus, sondern bemerkte vielmehr ruhig, im Winter sei man zu Hause allerdings viel besser aufgehoben, als im besten Gasthof.

»Und doch reisen grade in der Weihnachtszeit so Viele!« sagte Samuel.

»Ja! zu ihren Familien!« entgegnete Adele.

»Seit dem letzten Weihnachtsabend in Ihrem Vaterhause habe ich nie wieder einen Weihnachtsbaum gehabt, war ich jede Weihnachten allein!« erzählte er.

»Das ist traurig!« antwortete sie; »indeß nach meiner Mutter Tode habe ich auch nie wieder ein frohes Weihnachtsfest erlebt. Man ist so überflüssig an dem Tage im Kreise einer fremden, in sich zufriedenen Familie.«

Samuel nickte zustimmend. »Es war eigentlich eine Selbsthülfe,« fuhr sie fort, »daß ich heute hier den Baum aufbaute; ich that es auch zum ersten Male.«

Er gab ihr keine Antwort. Aufgestützt saß er neben ihr, und sah gedankenvoll vor sich nieder. So hatten sie schon manch liebes Mal neben einander gesessen, und immer, immer hatte ein unerklärliches Etwas zwischen ihnen gestanden und sie von einander gehalten. Es mußte doch einen Namen haben, mußte doch zu bannen sein, dachte sich Adele. Sollten sie denn Beide darum ihr Leben ganz verlieren?

»Cousin!« fing sie mit einem Male lebhaft an, und wußte doch nicht gleich das rechte Wort zu finden.

Er fuhr aus seinem Sinnen auf, und fast erschrocken über ihren Ausruf, fragte er: »Was wünschen Sie, Cousine?«

»Samuel!« fing sie wieder an, »es ist merkwürdig, daß –«

»Was denn?« unterbrach er sie.

Die Zwischenfrage störte ihren ganzen Vorsatz, und ungeduldig rief sie: »O! es ist aber doch zu dumm!«

Er sah sie verwundert an. Ihre Wangen waren roth vor Aufregung, ihre Stimme schwankte, die Thränen traten ihr in die Augen.

»Was ist zu dumm?« wiederholte er, und mit einer ungewohnten Heftigkeit stieß sie die Worte hervor: »Es ist doch gar zu dumm, daß ich mit meinen drei und dreißig Jahren einem Manne eine Liebeserklärung machen soll!«

Samuel sah sie groß an. Sie war aufgestanden, er that es auch. »Ich weiß nicht,« sagte er, und stockte – »Sie wissen nicht?« sprach Adele, »Sie wissen noch nicht, daß wir uns doch endlich heirathen müssen?«

»Adele!« rief Samuel, »was sagen Sie? – Sie wollen mich also haben? Mich?«

»Aber um Gottes Willen, wen denn sonst?« entgegnete Adele, und während ihr Mund lachte, stürzten ihr die großen Thränen aus den Augen. »Ich hab's genug gebüßt, daß ich Sie einst verschmäht!«

»Ist's möglich!« rief er, und griff in seiner Verwirrung nach der Dose, um sie gleich wieder erschrocken einzustecken.

Er stand ihr immer noch gegenüber und sah sie mit staunendem, ungläubigem Blicke an. Mit einem Male ging er zu ihr, und erfaßte ihre beiden Hände.

»Mich wollen Sie heirathen? Mich?« – fragte er, und ohne ihre Antwort abzuwarten, fuhr er fort: »Sehen Sie, Adele! ich bin ein alter Junggeselle, ich bin grämlich, Sie haben es ja selbst erfahren im Sommer, und auch heute wieder. Ich quäle die Menschen, ich quäle mich auch selber. Ich habe so üble Angewohnheiten, ich kann nicht leben ohne meine Pfeife und meine Dose und meine Vögel und – –«

»Nicht ohne Ihren alten Mantel!« lachte Adele.

»Nein! auch nicht ohne den alten Mantel!« sprach er ihr nach. »Es ist eben auch Nichts mit mir zu machen, keine Ehre mit mir einzulegen, ich bin altmodisch geworden, und verknöchert in der langen Einsamkeit, das weiß ich Alles, Alles! – Und doch!« rief er, »wenn ich es glauben dürfte, wenn es wahr wäre, und Sie könnten mich lieben, jetzt, so alt, so grämlich wie ich bin!« – Er hielt inne:

»Ach, Adele!« rief er, »ich wollte ein Weib, das mich liebte, auf meinen Händen tragen! Ich –«

Sie ließ ihn nicht weiter sprechen. »Vergieb mir! vergieb mir!« sagte sie weinend. »Ich will vergüten, was ich Dir und mir so lange an Glück geraubt!«

Er breitete die Arme aus, sie legte sich still an sein Herz. So hielt er sie lange wortlos umfangen.

Mit einem Male hob er ihren Kopf in die Höhe, und sagte: »Und mit allen meinen Fehlern und Gewohnheiten willst Du mich haben?«

»Mit allen, allen!«

»Und Du – des Dichters Genius –« fragte er weiter – »Du wolltest herabsteigen von Deiner Höhe, in das Haus eines gewöhnlichen Mannes, um –«

»Um der gute Geist Deines Hauses und Deines Lebens zu werden!« sprach sie mit einer Wahrheit und einer Hingebung, die ihm das Herz erschütterten und erwärmten.

»Nun!« rief er, und seine Worte klangen wie ein Gebet, »so sei denn aller Segen des Lebens mit uns in dieser Stunde, und möge jeder Weihnachtsabend uns fortan zu einer immer neuen Liebesweihe werden.«

Als die erste Erschütterung überwunden war, und Adele sich von seiner Brust erhob, sah sie nach dem Weihnachtsbaume hinauf: »O!« rief sie, »der soll jetzt noch einmal leuchten! und hell leuchten! Dir und mir!«

Und mit eiliger Hand zündete sie schnell die Kerzen alle wieder an. Als die Lichter brannten, und sie Hand in Hand wie Kinder, und doch die Seele voll von Erinnerung und Hoffnung, voll von vergangenem Schmerz und voll von froher Liebe, vor dem Baume standen, schien Samuel plötzlich ein Gedanke zu kommen Er streifte einen Ring vom kleinen Finger, es war der schlichte Trauring seiner Mutter. Den legte er still nieder auf den Tisch.

»Sieh!« sagte er, »es ist Alles, was ich heute für Dich habe, aber alle meine Liebe hängt daran, und den nächsten Weihnachtsabend –«

»Den feiern wir bei Dir, in Deinem – nein! in unserem Hause!« rief Adele und umschlang den treuen Mann.

Und so geschah's! Der alte Junggeselle wurde ein glücklicher Gatte, des Dichters Genius ein liebevolles Weib, und jeder Weihnachtsabend ist ihnen seitdem noch ein freudige Erinnerung gewesen an die Befreiung und Erfüllung ihrer Liebe und ihres Lebens, wie er es allen treuen Herzen werden möge!

 

* * *


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