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Vierzehntes Kapitel

Diese Voraussicht bestätigte sich nur zu sehr. Samuel hatte viel Schmerzen auszustehen, und da mit seinen Leiden seine Bedürfnisse sich steigerten, so machte Adele sich, ohne ihn zu fragen, zu seine Wärterin; denn sie sah sich mit Recht als die Veranlassung zu dieser Krankheit an. Um ihretwillen hatte er sich leichter gekleidet und erkältet, dann war er froh und aufgeschlossenen Herzens neben ihr gewesen, hatte in seiner guten Laune mehr getrunken als er pflegte, und mitten in dieser heiteren Aufregung war die Begegnung mit Hellwig gefallen, hatten Zorn und Abneigung und Eifersucht ihn auf einmal ergriffen und bestürmt.

Indeß so freundlich Adele ihn bediente, Anfangs wehrte er sich gegen ihre Pflege fast. Er sei es gewohnt, sagte er, mit sich selber fertig zu werden; sich selber wisse er als Kranker zu behandeln, Andere nicht. Er könne es nicht ertragen, daß man ihm ein Opfer bringe, es peinige ihn, daß Adele aus Dankbarkeit bei ihm verweile, sie solle sich nicht zwingen, nicht die schönen Tage so verlieren in der Krankenstube. Sie solle wirklich reisen und ihn liegen lassen.

Waren diese Aufwallungen übler Laune dann vorüber, so konnte er oft stundenlang auf seinem Kissen stille liegen, sinnend auf Adele und ihr Treiben blicken, und sich offenbar daran erfreuen, bis plötzlich der alte Mißmuth wiederkehrte, und er Adelens Abreise verlangte, die er doch zu fürchten schien, da er bisweilen der widerwärtigen Lage dachte, einsam in einem Gasthof krank zu sein.

Auch fochten seine Rede und seine üble Stimmung Adele gar nicht an. Sie blieb bei ihm, weil's ihr natürlich war zu bleiben, und alle Reizbarkeit des Kranken, alle seine Härte, flößten ihr nur den Wunsch ein, ihm helfen und ihn befriedigen zu können. Ob er ihr Unrecht thue, darüber sann sie gar nicht nach. Sie war zu liebevoll mit ihm beschäftigt, um an sich selbst zu denken, und grade weil's freiwillig war, erschien ihr Alles leicht und einfach, was sie für ihn that. Sie fragte sich nicht, was sie empfinde, was später werden würde? Sie fühlte sich zufrieden in der Erfüllung einer lieben Pflicht, wenn sie den Tag beendet, und äußerte Samuel einmal ein Wort des Dankes, so kam ihr das wie eine große Freude vor.

Samuel aber, der unthätig da lag, dachte und grübelte nur um so mehr. Es war zum ersten Male seit den Tagen seiner Kindheit, daß weibliche Liebe um ihn waltete, und sie erweichte ihm das Herz. Das aber grade war's, wogegen er sich wehrte. Hatte er es doch gesehen, wie mächtig noch immer der Einfluß war, den Hellwig auf Adele übte, hatte er es doch erleben müssen, daß sie ihn und sein Empfinden und alles Andere darüber ganz vergaß. Seine Nähe, seinen guten Willen, die Cousine zu erfreuen, die Heiterkeit, das Glück, die er an jenem Tage neben ihr empfunden, die Theilnahme, die sie ihm bewiesen, die Hoffnungen, die er froh gehegt, das Alles hatte sie gering geachtet, das Alles hatte sie zerstört, aus bloßer, blinder Abhängigkeit von dem unwürdigsten der Männer, wie Samuel in seinem Herzen Hellwig nannte.

Samuel konnte das nicht leicht vergessen, es Adelen nicht vergeben. Was sie auch für ihn that, immer rief es in ihm, es würde ein Ende haben, käme Hellwig jetzt herein. Wer wirklich Liebe empfindet, dem ist das bloße Mitleid des Geliebten eine Qual, und Samuel fand es auch ganz unerträglich, für Adele ein Gegenstand mit leidiger Barmherzigkeit zu sein. Er wollte sich nicht an sie, nicht an ein Gut gewöhnen, das er doch wieder lassen mußte, er wollte sich nicht eingestehen, wie wohlthuend ihm Adelens Nahe sei. Sich selber wünschte er es einzubilden, daß die Pflege der Cousine ihn belästige, daß er ein alter Junggeselle sei und bleiben müsse, weil seine Uebellaunigkeit ein Weib nur quälen würde, und vollends gar Adele, eine an Unabhängigkeit gewöhnte Frau.

Jeder Tag, den sie länger neben ihm verweilte, steigerte seinen inneren Zwiespalt. Er durfte die Vorstellung sie einst zu missen, gar nicht mehr in sich aufkommen lassen. Bald ersehnte er seine Herstellung und es zog ihn zu seinem Geschäfte zurück, als werde er durch dasselbe seine Ruhe wiederfinden, bald erschrak er über seine fortschreitende Genesung. Und als müsse er den Kelch der unabweislichen Entsagung nur je eher je lieber an die Lippen setzen, so entschieden erklärte er eines Abends, an dem Adele ihm ruhig lesend gegenüber saß, er fühle sich jetzt völlig hergestellt, er werde morgen ausgehen.

»Ausgehen?« fragte Adele mit Erstaunen, »der Arzt hat's Ihnen aber noch verboten für die nächsten Tage.«

»Ach!« entgegnete er, »das weiß ich besser als der Arzt. Wollte ich seine Erlaubniß abwarten, so käme ich noch lange nicht hinaus. Ich kenne mich und diese Krankheit. Es hat Nichts weiter auf sich sobald das Fieber fort ist, und ich muß an mein Geschäft, Sie müssen an das Ihre. Ich habe Ihnen ohnehin schon viel mehr Zeit gekostet, als ich entschuldigen oder gar vergelten kann.«

»Samuel!« rief Adele, zum ersten Male beleidigt und erzürnt über seine Worte, »was habe ich Ihnen denn gethan?«

Er blickte sie an, es war Etwas in ihrem Wesen, das er zuvor noch nie an ihr gesehen hatte. Es zog ihn fast gewaltsam zu ihr hin, aber er hatte sich gegen sein Gefühl gewaffnet, er hatte sich es zugeschworen, den verlockenden Empfindungen seines Herzens Widerstand zu leisten.

»Gutes haben Sie mir gethan, Cousine!« sprach er sich selbstbezwingend, »Nichts als Gutes! Ich danke es Ihnen auch von Grund des Herzens; aber, wie ich Ihnen sagte, es hat mir die ganze Zeit nicht Ruhe gelassen, daß ich Sie von Ihrer Arbeit abhielt. Sie sollen und müssen an Ihre Arbeiten zurück. Morgen gehe ich aus, und dann – –«

»Ja!« unterbrach ihn Adele, »dann freilich kann ich morgen reisen!« – Aber jedwedes Wort von Samuel hatte sie gekränkt.

Sie hatte sich an ihrem Platze und in ihrem Berufe gefühlt, als Pflegerin des Vetters, der sich ihren Eltern und ihr selbst, so treu und liebevoll gezeigt ein ganzes Leben durch, den sie mehr schätzte, der ihr werther war, als sie's bisher gewußt. Wie konnte er sie mit solcher Härte daran mahnen, daß sie in gewissem Sinne nur eine Fremde neben ihm war, und nur ein Zufall sie hier an ihn gefesselt hatte?

Alles was sie während seiner Krankheit als Folge derselben ruhig hingenommen, erschien ihr plötzlich in ganz anderem Lichte. Sie begann zu fürchten, ihr Bleiben, ihre Pflege wären dem Vetter wirklich unerwünscht gewesen, er hätte ihre Abreise wirklich schon lange gern gesehen.

Eine zornige Scham bemächtigte sich Adelens, aber sie ließ dieselbe den Vetter nicht bemerken, und kaum hatte sie ihre Absicht zu reisen ausgesprochen, als Samuel schnell zustimmend erklärte, es freue ihn ihr Entschluß, denn er würde sich ein Bewissen daraus machen, sie noch länger festzuhalten, es werde ihm eine Beruhigung sein, wisse er sie erst wieder an einem ihr lieberen Orte.

Indeß er war nicht minder zornig als Adele. Es kränkte ihn, daß sie wie er es meinte, die Gelegenheit sich von ihm zu trennen, sogar schnell ergriffen. Nicht eine Stunde wollte er sie länger halten, sollte sie gegen ihre freie Neigung bei ihm bleiben. Er wollte vielmehr Alles thun, was nur in seinen Kräften stand, ihre Abreise zu beschleunigen und sie ihr bequem zu machen.

Beide waren schweigsam, Beide dachten an die Trennung, und an das, was nachher kommen würde, obschon Keiner von ihnen sich von diesem Nachher ein Bild zu machen wußte. Nur traurig und lang und öde kam es ihnen vor.

Als es sieben Uhr schlug, stand Adele auf und sagte, sie müsse packen gehen, weil der Eisenbahnzug so zeitig abfahre.

»Wohin werden Sie sich zunächst wenden?« fragte Samuel.

Sie war betroffen, denn sie merkte, daß sie noch gar nicht an ihr Reiseziel gedacht, und gewaltsam den Scherz des Abends wieder aufnehmend, an dem sie die gemeinsame Tour mit Samuel besprochen, sagte sie: »Sie wissen's ja, ich habe nie ein Ziel, ich gehe eben in die weite Welt!«

Aber das Wort schnitt ihr heute in das Herz, und kaum in ihrem Zimmer angelangt, brach sie mit dem Ausruf: »In die weite Welt, immer in die weite Welt! und immer, immer allein!« in bittere Thränen aus.

Stundenlang saß sie auf demselben Platze. Sie forderte kein Licht, sie aß auch nicht zur Nacht. Ihre ganze Vergangenheit wurde wieder vor ihr lebendig. Was hatte sie besessen und verloren? Nichts war ihr geblieben von dem Glücke ihrer Jugend. Die Eltern, der einzige Bruder, an dem sie einen Lebenshalt besessen haben würde, waren todt, vor der Erinnerung an Hellwig, an ihre Irrthümer schreckte sie zurück. Ihr sogenanntes Talent? – Es hatte sie nicht glücklich gemacht, nicht sie, nicht Andere voll befriedigt. Wofür hatte sie gelebt, was hatte sie gehabt durch alle diese Jahre, woran ihre Seele den rechten Trost gefunden? Samuel war der Einzige gewesen, der treu zu ihr gehalten. Nach der Zeit seines Kommens hatte sie seit Jahren ihre Zeit eingetheilt, auf ihn hatte sie gebaut, ihn hatte sie geliebt! – ja, geliebt!

Sie hielt inne, ihr eigenes Geständniß überraschte sie. Sie konnte es kaum glauben, sie mißtraute ihrem Herzen; aber so war es, das war es! Sie hatte Samuel geliebt, schon lange geliebt. Seine schlichte Treue, seine ruhige Beharrlichkeit, sein einfaches, rechtschaffenes Wesen hatten ihr die höchste Achtung eingeflößt, hatten ihre Neigung ihm gewonnen, und sie würde das nicht verkannt, würde es sich mit Freuden eingestanden haben, hätte sie sich nicht so fest gelebt in dem Glauben an die einzige, unwandelbare Liebe, hätte sie diese nicht in ihren Dichtungen stets als den höchsten Idealismus, als die höchste weibliche Tugend hingestellt.

Sie war in wundersamer Stimmung. Bald grollte sie sich und ihren Schriften, und schwur sich, keine Zeile mehr zu schreiben, bald mußte sie lachen über sich und Samuel. Wie hatten sie sich so verblenden können? Weshalb hatte er nicht gesehen, daß sie ihn liebte, daß sie zu ihm gehörte? weshalb hatte er es ihr denn nicht gesagt? – Jetzt gleich wollte sie zu ihm, ihm Alles selbst bekennen, sie war ja alt genug, um wahr zu sein.

Indeß, als sie dann gehen wollte, fand sie es unmöglich. Es war schon spät, Samuel war krank, er schlief gewiß seit Stunden. Sie dachte mit solcher Liebe an seinen stillen, sanften Schlaf.

Aber Samuel schlief nicht, sondern er lag wach auf seinem Lager. Er hätte weinen können, wäre das in seiner Art gewesen. Das also war das Ende dieser Reise, auf die er sich gefreut, auf die er, er konnte sich es nicht verbergen, seine Hoffnungen gebaut. Liebenswürdig hatte er sich machen wollen, daß es Adelen wohl werden sollte neben ihm, gefallen hatte er ihr wollen, und nun hatte er da gelegen, ein kranker, mißlauniger, elender Mensch.

Bald dachte er: hätte ich nur den Mantel mitgehabt! bald wieder: wäre nur dieser Hellwig nicht gekommen. Wie glücklich war er gewesen auf der Reise, wie sicher und zuversichtlich hatte er gehofft, als Adele so heiter bei dem Restaurant gewesen war. Aber schon einmal hatte er eine ähnliche, schmerzliche Enttäuschung erlitten; einmal, vor langen Jahren schon, da hatte er es auch geglaubt, sie liebe ihn, die Eltern verkündeten ihm der Tochter Wahl; und dann, wie schnell war er dann herabgestürzt von der Höhe dieser Zuversicht. Das sollte ihm nicht zum zweiten Male begegnen! Nicht zum zweiten Male wollte er als ein leichtgläubiger Verschmähter vor ihr stehen.

Es kam kein Schlaf auf seine Augen. Früh am Morgen stand er übernächtig auf, Adele nach der Eisenbahn zu geleiten. War sie dann fort, so blieb ihm Zeit für Alles, für seine Geschäfte, seinen Mißmuth, seinen Schmerz.

Er war nur eben fertig, als Adele ihn fragen ließ, ob er sich wohl befinde, und mit ihr gemeinsam das Frühstück nehmen wolle? Er ging hinüber, ihr Zimmer war aufgeräumt, der Frühstückstisch gedeckt. Samuel sah sich nach dem Gepäcke um, es mußte schon fortgetragen sein, und er wußte ihr dafür Dank, daß sie ihm für die halbe Stunde den Anblick der Koffer entzogen hatte, die ihn an ihre Trennung mahnen mußten.

Adele trat ihm heiter entgegen. Sie hatte sich Alles im Sinn zurechtgelegt, es war ihr so natürlich vorgekommen, ihren beiderseitigen Irrthum aufzuklären. Jetzt, da er neben ihr war, verging ihr plötzlich aller Muth.

Samuel saß schweigend an ihrer Seite, sie konnte das Auge nicht zu ihm erheben. Unwillkürlich sah sie auf den Zeiger der großen Stutzuhr, er rückte mit einer Schnelle weiter, die ihr unnatürlich däuchte. Sie machte dem Vetter das Frühstück zurecht, er nahm die Tasse aus ihrer Hand, und tauchte mechanisch das Weißbrod hinein.

»Das ist auch eine üble Angewohnheit,« sagte er. »Ich habe deren so viele, ich muß Ihnen recht beschwerlich gefallen sein.«

»O! gar nicht!« entgegnete Adele. »Es macht es eben Jeder wie's ihm recht ist.«

»Freilich! freilich! indeß es giebt doch gewisse Begriffe von Wohlanständigkeit!«

»Ja! freilich!« antwortete sie, und wieder war der Zeiger ein Ende weiter gerückt, und noch immer wußte sie nicht, wie sie's ihm sagen sollte.

»Ich habe Ihnen so viel zu danken, Cousine!« fing nach einer kleinen Pause Samuel wieder an.

»Gar nicht!« antwortete sie, »wofür denn?« und auch Samuel sah jetzt auf die Uhr.

Adelen schlug das Herz, die Augenblicke drängten. So oft hatte sie's erdacht, wie man eine Lösung wunderlicher Verhältnisse herbeiführt, wie man es fein und zart, und spannend und überraschend macht, sie hatte Glück in solchen Erfindungen gehabt, jetzt war Alles wie weggewischt, sie wußte sich selber nicht zu helfen.

»Cousin!« hob sie an, aber was sie sagen wollte, war viel zu lang. Nur fünf Minuten fehlten noch; sobald der Zeiger auf halb acht wies, mußte Samuel sie ja unterbrechen, mußte sie ja fort.

»Was wollten Sie sagen?« fragte er.

Adele besann sich. »Ich?« sagte sie.

»Ja! eben jetzt, Cousine!«

»Ich,« fing sie wieder an, –»ich weiß es nicht!« Da schlug's halb acht.

Mein Gott!« rief Samuel, »so spät!« – und in dem Augenblicke trat der Hausknecht ein, zu melden, daß die Droschke da sei.

Adele war schon aufgestanden, Samuel reichte ihr den Schawl, den Schirm, den Pompadour, er war ihr so behülflich, als sei's ihm lieb, daß sie nur gehe. Wenigstens schien es Adelen so, und dennoch meinte Samuel, sie haste sich doch gar zu sehr, das Zimmer zu verlassen, damit er nur nicht zu ihr sprechen könne. Des Mißverstehens war kein Ende zwischen ihnen, weil Jeder glaubte, der Andere müsse ja in seinem Herzen lesen.

Auf dem ganzen Wege empfanden Beide ihr Schweigen als ein wahres Unglück, aber Keiner fand das rechte Wort und Jeder grollte auf den Anderen.

Endlich, auf dem Bahnhof sprachen sie: vom guten Wetter, von den guten Wegen, von der Eisenbahnfrequenz im Sommer. Indeß es klang ihnen auch das Gleichgültigste peinlich und traurig in das Herz, und als der letzte Pfiff, das letzte Klingeln auf der Eisenbahn ertönte, trennten sie sich mit kurzem, stillem Abschiede, um recht von Herzen traurig zu sein, da sie geschieden waren.


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