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Elftes Kapitel

Samuel's Verhältniß zu Adele war immer ein besonderes geblieben und hatte sich so wenig als er selbst geändert. Ausdauernd und gewissenhaft hatte er sein merkantilisches Ziel erreicht, und das Versprechen gelöst, das er einst Willmar bei seinem Eintritt in das Geschäft gegeben. Die Buchhandlung von Eugenius Willmar's Erben war neu erstanden, hatte wieder einen guten Namen gewonnen, ihr jetziger Besitzer fand sein Auskommen bei dem Geschäfte und es ließ sich, voraussehen, daß er bei seiner umsichtigen Thätigkeit es wohl auch weiter bringen werde.

In den ersten Jahren nach dem Tode Willmar's hatte die Arbeit ihm kaum Zeit zum Aufathmen gegönnt, und wenn er am Ende des Tages dann in dem kleinen Stübchen, das er neben dem Comtoir noch immer bewohnte, seine Bücher abgeschlossen, so hatte er manchmal dem Geschick gedankt, daß er allein sei auf der Welt, daß nicht die Sorge für Weib und Kind ihn belaste. Später aber, als er günstigere Resultate zu verzeichnen hatte, war die Einsamkeit ihm freilich weniger als eine Wohlthat erschienen.

Wenn er Abends aus der Ressource kam, die zu besuchen er sich gewöhnt, schien sein Zimmer ihm leer, seit die Sorgen daraus gewichen waren. Mochte die Aufwärterin es noch so warm gehalten haben, die Lampe noch so trefflich leuchten, es dünkte ihn kalt und dunkel. Er kehrte nicht gern nach Hause zurück. Die Pfeife, die, regelrecht gestopft, regelmäßig auf der gleichen Stelle stand, der Hausrock und die Pantoffeln, welche mit maschinenmäßiger Unfehlbarkeit auf demselben Platze lagen, ärgerten und quälten ihn. Er hätte was darum gegeben, hätte irgend Jemand, hätte ein Kind sie ihm verkramt, hätte er – – hätte er – – Adele dafür schelten können, daß sie sie zu besorgen versäumt. Ja! schelten mit Adele, das hätte er mögen, denn ihr grollte er in solchen Stunden.

»Welche Thorheit von ihr, Schriftstellerin zu sein!« sagte er immer und immer wieder, »für ihr Brod zu schreiben!« – Er konnte sie ja ernähren, er wollte ja so gern für sie arbeiten! für Weib und Kind! Warum mißgönnte sie ihm dies Glück? Warum mißgönnte sie es ihm, sich eine Familie zu gründen und Freude zu haben im Kreise dieser Familie?

Er war dann entschlossen ein anderes Weib zu suchen, er tadelte seinen Eigensinn, nannte es Herzensträgheit, daß er nicht von Adelen lassen wollte, und glaubte er endlich eine passende Gefährtin gefunden zu haben, dachte er daran, um diese zu werben, in die Ehe zu treten, so fragte er sich plötzlich wieder, was aus Adelen werden würde; und wieder schob er seine Verheirathung hinaus bis nach der nächsten Messe, bis nach der nächsten Rückkehr von Berlin.

Darüber war er zum alten Junggesellen geworden, wie Adele zur alten Jungfer, aber er hatte es niemals Hehl, daß er dies gegen seinen Willen bleibe, daß er eine Aenderung seiner Lage wünsche. Nur grade der Cousine mochte und konnte er es nie gestehen, weil sie ihm stets mit solcher Wärme den wandellosen Frieden ihres Daseins pries. Sie nannte die Einsamkeit, die Stille, welche sie umgaben, ihr höchstes Bedürfnis, und wirklich hatte Adele sich allmählich in den Glauben hineingelebt, daß sie für die Ehe, für die Sorgen und Mühen der Familie nicht geschaffen sei, und daß es Frauennaturen gäbe, die bestimmt wären, einsam durch die Welt zu gehen, weil ihre Liebeskraft sich früh verzehrte in einem großen, ganz ausschließlichen Gefühl.

Solchen Täuschungen begegnet man bei alternden Mädchen vielfach. Sie kommen dahin, sich als Auserwählte zu betrachten, als eine Art von Priesterinnen, die berufen sind, den Glauben an die höchste Liebesleidenschaft aufrecht zu erhalten in der irdischen Alltäglichkeit, unter den zahllosen Verbindungen von Mann und Weib, die, wie Jene geringschätzend es nennen, in der Ehe Nichts mehr suchen, als eine dauernde Anhänglichkeit und ein ruhiges gegenseitiges Behagen. Einsam und freudlos wollen diese alten Mädchen wenigstens die Genugthuung besitzen, besser zu sein als ihre glücklicheren Schwestern, und reiner und stärker zu empfinden als dieselben. Sie werden Nonnen des heiligen Herzens inmitten der Welt, inmitten des Protestantismus, und man hat kaum ein Recht, ihnen diesen Glauben anzutasten. Ihr Selbstbetrug ist ein Versuch der Selbsterhaltung.

War Samuel nun ohne Auge für Adelens verändertes Wesen, so bemerkte diese um so schärfer seine Schwächen, seine wachsenden Eigenheiten, und fast immer standen sie mit den ihrigen in Widerspruch. Er liebte die Wärme, denn er war mager und machte sich wenig Bewegung, Adele wanderte noch immer durch Feld und Flur und konnte die frische Luft nicht entbehren. Er scheute jeden Zugwind, Adelens Fenster standen immer offen. Sie hatte Widerwillen gegen alle strengen Gerüche, die Pfeife und die Tabacksdose waren ihm unentbehrlich geworden. Er mochte gern Thiere um sich haben, und seine Stube glich einem Vogelheerde, Adelen konnte es nicht still genug in ihrem Zimmer sein. Und wie sie, im Gegensatz zu diesen stillen Neigungen, da Reisen und den Verkehr mit Menschen liebte, so hätte Samuel, wenn er nicht zur Messe gehen mußte, niemals die Heimath verlassen. Er wußte sich Etwas damit, ein rechter ehrlicher Philister zu werden, besonders wenn Adele ihrem Schöpfer dankte, daß er ihr die volle Frische und Jugendlichkeit ihres Innern erhalten habe, ohne die ja ihr Talent verdorren müßte.

Sobald das Frühjahr kam, litt es sie nicht in der Stadt, und eben wieder hatte sie ihren Koffer gepackt, um fortzugehen, als Samuel auf seinem Wege nach der Messe, durch Berlin kam und wie immer sie besuchte.

Er fragte sie, wohin sie reisen wolle, sie antwortete, das wisse sie nicht.

»Sagten Sie mir nicht, daß Sie morgen aufbrechen würden?« fragte er weiter.

»Ja!« entgegnete sie, »aber das ist grade meine Lust, daß ich heute noch nicht zu bestimmen brauche, wohin ich morgen gehen will. Da Nichts mich bindet, so reise ich eben in die Welt hinein, und genieße dabei doppelt das prächtige Gefühl meiner Unabhängigkeit. Ich bin frei wie der Vogel in der Luft!«

»Merkwürdig!« entgegnete Samuel und schüttelte den Kopf.

»Was ist merkwürdig daran?« lachte Adele, die stets in heiterer Laune war vor dem Antritt einer neuen Reise.

»Daß Ihnen nicht graut vor dieser – Vogelfreiheit!«

»Cousin!« rief Adele abweisend, denn das Wort hatte ihr einen unangenehmen Eindruck gemacht, und Beide schwiegen, bis Adele sagte: »Sie haben mir ja immer so viel von dem Instinkte Ihrer Vögel erzählt. Der leichtlebende Mensch, und ich bin ein solcher, Gott sei Dank! ist noch mit demselben richtigen Instinkt begabt, wie der Vogel. Oeffnen Sie ihm einmal im Frühjahr das Bauer, und Sie werden sehen, was geschieht! – Nicht einer bleibt zurück! Nicht einer kommt Ihnen wieder!«

»Sie irren, Adele! Es sind mir viele wiedergekommen, denen ich das Fenster öffnete.«

»Ja! Im Winter! aus Noth!« meinte Adele. »Die Noth hat überhaupt mehr Antheil an den häuslichen Tugenden und guten Eigenschaften, als man denkt! Die Vögel sind wie die große Masse der Frauen. Sie suchen ein Unterkommen gegen Frost und Hunger, und sind liebevoll und treu aus Angst vor Noth!«

»Wie hart und ungerecht gegen Ihr eigenes Geschlecht!« sagte Samuel.

»Die Männer nennen es immer Härte,« entgegnete sie, »wenn eine Frau den Muth hat, aufrichtig über ihr Geschlecht und seine Erniedrigung zu sprechen. Die Frauen und die Ehe sind eben das, wozu eine Welt ohne Liebe und eine Welt voll Sklaverei sie machten. Glauben Sie mir, Samuel, in jeder Stunde preise ich meinen Schöpfer dafür, daß er mir mit meinem Talente die Möglichkeit gegeben hat, so wie gegen mich selbst, auch gegen Andere wahr zu sein.«

Samuel kannte Adele. Die Heftigkeit, mit der sie sprach, mußte ihre Ursache in irgend einem Schmerze haben, und er gehörte zu den Menschen, denen es nicht darauf ankommt, daß man ihnen Recht giebt, vorausgesetzt, daß sie im Rechte sind. Er antwortete Adelen auch nicht auf ihre Aeußerung, und zu einem anderen Gegenstande übergehend, wiederholte er die Frage, ob Adele wirklich keinen Reiseplan entworfen habe?

»Auf mein Wort nicht! ich habe fast niemals einen Reiseplan gemacht!« betheuerte sie. »Im vorigen Jahre träumte mir die Nacht vorher, ich stände mit alten Freunden auf dem Stolzenfels, und wir waren heiter und fröhlich mit einander. Das bestimmte mich nach dem Rhein zu gehen. Ihnen mag das wunderlich erscheinen, mir ist's natürlich. Ich suche nichts Besonderes auf meinen Reisen, erwarte überhaupt nicht viel vom Leben, und so finde ich wohin ich komme meine Rechnung. Ich könnte eben so gut mit Ihnen auf die Messe reisen, als in die Alpen gehen, oder an das Meer.«

»So kommen Sie mit mir!« sagte Samuel.

»Das wäre freilich originell genug! Eine Vergnügungsreise nach der Leipziger Messe im neunzehnten Jahrhundert!« meinte Adele.

»Nein! wirklich kommen Sie mit Cousine!« wiederholte Samuel scherzend; und als sie ebenfalls scherzend fragte, was er ihr dort zu bieten habe, fing er im Ernste an darüber nachzudenken.

Er fragte sie, ob sie Leipzig und seine Umgebungen kenne, sie verneinte es. Eben weil es ihrem Wohnorte so nahe lag, hatte sie sich nie dort aufgehalten; aber um so besser war Samuel dort zu Hause. Er schilderte ihr die Annehmlichkeiten des Ortes, kam auf seine Lehrzeit in Leipzig zurück, Beide vertieften sich in die Vergangenheit, ein paar Stunden wurden in guter Stimmung verplaudert, und erst als man sich trennte, bemerkte man, daß Adele immer noch keinen Entschluß gefaßt habe.

»Nun!« sagte Samuel, »also Sie kommen mit nach Leipzig!« – Dabei sah er so vergnügt aus, daß Adele über ihn lachen mußte, und fortgezogen von seiner guten Laune, antwortete sie: »Warum denn nicht? Es gehen ja von Leipzig Wege in alle Welt!«

»Topp!« rief er und reichte ihr die Hand. Sie schlug ein. »Um halb acht Uhr werde ich Sie holen!« sagte er noch, als er schon in der Thür stand, und sie schieden mit einem scherzenden »Auf Wiedersehen!«

Beiden aber kam die Sache gar nicht mehr so spaßhaft vor, als Jeder sich allein befand. Samuel begriff es nicht, wie er auf den tollen Einfall gekommen, der Cousine diesen Vorschlag zu machen. Er hatte in Leipzig alle Hände voll zu thun, den ganzen Tag blieb ihm kaum eine Stunde übrig während der eigentlichen Buchhändlermesse, und Abends war er dann seit Jahren mit den Geschäftsfreunden im Wirthshause zusammengewesen. Wo sollte er die Zeit hernehmen, ein Frauenzimmer umherzuführen, den Liebenswürdigen zu machen? Er besann sich, ob er nicht einige Damen in Leipzig kenne, mit denen Adele sich behagen dürfte; aber zu seinem Aerger wurde er gewahr, daß er die Geselligkeit vernachlässigt und keinen Familienumgang habe in der Stadt. Es war das erste Mal in seinem Leben, daß er mit einer Frau auf Reisen gehen sollte, und je länger er es überlegte, um so größere Schwierigkeiten stellten sich ihm dar. Was sollte er mit Adelen machen? wie sollte er sie amüsiren?

Er dachte an das Theater, an Restaurationen, in die man Frauen führen könne, es fielen ihm sogar die Modemagazine ein, und ob er der Cousine dort wohl Etwas kaufen könnte; dabei aber traf sein Blick den eigenen Reisemantel, der an dem Nagel an der Thür hing, und seine Gedanken nahmen plötzlich eine andere Wendung.

Er stand auf und besah den Mantel, obschon er ihn wohl kannte, denn er hatte ihn seit der Universität getragen, indeß besehen mußte er ihn doch. Die vier Kragen hatten noch keinen Fehler, es waren ihrer aber fünf gewesen, und es hatte ihn genug verdrossen, als er einst den fünften opfern mußte, die Aufschläge an den Aermeln zu erneuern. – Die Aufschläge sahen noch sehr gut aus – nur unten war er vielfach ausgebessert. Samuel setzte die Brille auf und untersuchte die Stellen. Er konnte sie kaum finden. Es war solch starkes Tuch! »Ein Tuch, wie man's jetzt gar nicht haben könnte,« sagte er, »ein Tuch, das Kind und Kindeskinder tragen könnten.« Er strich es mit der Hand, er knipste mit den Fingern die Stäubchen davon fort, er that dem guten, ehrlichen Mantel alles Liebe.

Sie waren ja mit einander alt geworden, Samuel und der Mantel, er hätte keinen Zobelpelz dafür genommen. Es war ein Prachtstück! noch immer ein wahres Prachtstück, wie an dem Tage da er ihn gekauft. Er erinnerte sich desselben deutlich, und des Stolzes, mit dem er ihn zuerst sich umgehängt. Er hing ihn wieder um, trat vor den Spiegel, wendete sich vorwärts, rückwärts, einmal und noch einmal, schüttelte den Kopf, und – – nahm den Mantel seufzend von den Schultern. Er hatte ihn so lieb, er wollte ihn tragen als Abendmantel und bei schlechtem Wetter, bis an sein Lebensende tragen. Er dachte mit Rührung daran, aber – jetzt – jetzt zur Reise mußte er einen anderen haben! Er konnte ihn nicht behalten, es war unmöglich, wenn er mit einer Dame reiste.

Es fiel ihm ordentlich ein Stein vom Herzen, als er sich das eingestanden, als er's herausgebracht hatte! Und als schämte er sich des Treubruchs an dem alten guten Mantel, so eilig verließ er das Gemach, ohne den Mantel nur noch anzusehen, da er entschlossen war, sich einen Reise – Paletot zu kaufen. Indeß es blieb nicht bei dem Paletot. Die graue Tuchmütze sah wie ein Klingelbeutel aus gegen den neuen, ganz modernen Rock, und die Aermel des Rockes waren so kurz und so weit, daß man nothwendig Handschuhe dazu haben mußte. Handschuhe zu tragen, wenn es nicht irgend eine kirchliche oder sonstige Feier galt, hatte Samuel, so sehr er sonst die Wärme liebte, immer als eine unmännliche Verweichlichung betrachtet; aus dem verdammten neuen Rocke sahen aber die Hände gar zu lang hervor – man mußte sie bekleiden, und wärmer war's denn doch in jedem Falle. Die Handschuhe waren indessen lange nicht das Schlimmste!

Samuel hatte kaum den Paletot anversucht, als er mit Schrecken an die Pantoffeln Kasem's denken mußte. Der Paletot zog ihm ein Bedürfniß nach dem anderen auf den Hals. Wohin er faßte, fehlten ihm die Manteltaschen, die guten, großen Manteltaschen! Er machte dem Kleiderhändler Vorstellungen. Der zuckte die Schultern: »Es ist unmöglich, andere Taschen anzubringen!« sagte er, »man trägt sie nicht!«

»Aber wo soll ich meine Pfeife lassen? wo lasse ich meinen Tabacksbeutel? meine Dose?«

»O! Die Dose hat hier Platz!« bedeutete der Andere.

»Und die Pfeife! die kleine Pfeife? der Tabacksbeutel?«

»Rauchen Sie denn nicht Cigarren unterweges? Es ist ja viel bequemer? Ich habe vortreffliche importirte Cigarren! und diese Etuis sind sehr praktisch und comfortable dazu! ächtes Manillageflecht. Uebrigens habe ich die kleinen Handsäcke von wasserdichtem Leder – –«

Samuel war niedergeschlagen und verwirrt, da ihm die Taschen fehlten. Urplötzlich fielen ihm alle die Gegenstände ein, die er ihnen anzuvertrauen pflegte: das Taschentuch, die Brille, das Notizbuch, die Zeitung und die Kleinigkeiten alle! Es machte ihn ganz rathlos! Die Reise kam ihm wie eine Unmöglichkeit vor, ohne seinen Mantel, ohne seine Taschen. Er sah die Folgen seiner thörichten Untreue schon alle klar und deutlich vor sich. Er sah, wie dies und jenes ihm verloren ging, wie er bald dies, bald das zu suchen hatte, und in dem wirklichen Zorne, in dem er sich gegen sich selbst befand, kaufte er zu seiner eigenen Strafe, was man ihm nur anbot. Er nahm die Cigarren, das Etui, die Reisetasche. Er nahm Alles, Alles! Er wollte es büßen, daß er sich verleiten lassen, von seinen guten alten Gewohnheiten abzuweichen, den guten alten Mantel hintanzusetzen.

Mit keinem Auge sah er die Stücke weiter an, als man sie ihm nach Hause brachte. Er hatte fast den ganzen Abend mit diesen Einkäufen zu thun gehabt, und war nun froh, daß er's beendet hatte. Es war überhaupt eine Unruhe, ein Unbehagen über ihn gekommen. Er schlief nicht gut, träumte wüste Dinge von Reisen in die weite Welt, auf denen ihm sein armer, verstoßener, alter Mantel immer wie ein Schatten nachlief, und als er dann erwachte, war es heller Tag und hohe Zeit zum Aufbruch.

Hastig fuhr er in die Kleider. Er durfte an den Mantel gar nicht denken, den er dem Wirth zur Aufbewahrung anvertraut; aber er kannte sich selbst nicht wieder, als er angekleidet noch einmal zurücksah in das Zimmer und sein Bild ihm aus dem Spiegel entgegentrat. Er kannte sich wirklich selbst nicht wieder! Er sah vortrefflich aus! Er sah ganz vortrefflich aus! Es machte ihm ordentlich Vergnügen. Keine Dame, auch die eleganteste nicht, brauchte sich seiner zu schämen! Er gefiel sich sehr, er war mit sich zufrieden, wie noch nie zuvor. Er hätte sich es gern gestanden, daß er noch ein hübscher Mann sei, aber so hoch verstieg er sich doch nicht, und nur daß er im allerbesten Alter und recht gesund und kräftig sei, das empfand er mit Vergnügen, als er sich in die Droschke setzte, Adele zur Reise abzuholen.

Eine Dame zur Reise abzuholen! Es machte Samuel einen ganz besonderen Eindruck! er genoß sich selbst in dieser Vorstellung.

Ein Mensch aber, der unschuldige Freude an sich selber findet, ist immer liebenswürdig! Adele sah ihn ganz verwundert an. Auch ihr erschien er als ein Anderer, und jetzt erst kam ihr der Gedanke, wie sonderbar es sei, daß sie mit Samuel reise; jetzt erst, da sie ihn so munter und vergnügt vor sich erblickte, fiel es ihr ein, war ihre Freunde davon denken würden? Indeß sie nannte den Einfall augenblicklich einen thörichten. Sie war über dreißig Jahre alt, Samuel hatte die erste Hälfte der Vierziger durchlebt, sie waren eben keine Kinder mehr, und doch war's ihr befremdlich, doch befing es sie, daß Samuel sie holen kam, daß sie mit ihm die Reise machen sollte.

Aber es war ihr gar behaglich, daß sie nicht allein ihr Haus verließ, daß sie nicht allein zum Bahnhof kam, daß Jemand für sie sorgte. Es mahnte sie an längst entschwundene Zeiten, da Elternliebe sie umgeben hatte, und wie ein Traum der Jugend kam ein weiches Empfinden über sie. Sie forderte kleine Dienste, verlangte Auskunft, nur um es zu genießen, daß Jemand bei ihr war, zu dem sie hingehörte. Sie schien es ganz zu vergessen, wie glücklich sie sich sonst geschätzt, gar keines Beistandes zu bedürfen.

Die Reisestunden entschwanden ihnen schnell. Adele ertrug das Tabackrauchen, Samuel die geöffneten Fenster ohne alle Mühe. Er hatte für eine Frau zu sorgen, wie konnte er da an sich selber denken. Selbst die guten großen Manteltaschen vermißte er nicht einmal, denn Adele wußte ihm die Sachen im Wagen so zu ordnen, daß er Alles nur zu nehmen hatte. Sie waren Beide wohl zufrieden mit einander.

Im Gasthofe die gleiche Zufriedenheit. Samuel war dort wohlbekannt und wohlbedient. Adele hatte für Nichts zu sorgen, er dachte an Alles, es fehlte ihr an Nichts. Den Abend ließen seine Geschäfte ihn noch frei, er wollte ihn für Adelens Unterhaltung nützen. An seinem Arme sah sie die Stadt, besuchte sie das Theater; es kam ihr Alles viel amüsanter vor als sonst. Sie war in bester Laune, als Samuel ihr den Vorschlag that, bei einem Restaurant zu Nacht zu speisen.

Es war voll in allen Zimmern, nur in einem der Seitencabinette fanden sie noch einen Tisch für vier Personen frei. Ueberall saßen die Leute umher, viele Männer hatten Damen bei sich, sie waren meist in schöner, heiterer Toilette, und seit Jahren zum ersten Male verdroß Adele ihre schwarze Kleidung. Ihr selber lag gar Nichts daran, es war ihr nur um Samuel. Sie mußte so trübselig aussehen neben all den Anderen, und auch neben ihm, obschon sie doch viel jünger war als er. Ganz unwillkürlich gab sie den Gedanken Worte.

»Wie das Leben in späteren Zeiten den Unterschied des Alters ausgleicht!« sagte sie. »Wie ein Kind kam ich mir neben Ihnen vor, als ich Sie zum ersten Male sah, und heute dünkt mich, als wäre ich Ihnen an Jahren weit voraus. Die Frau hat eine so kurze Jugend im Vergleich zum Manne.«

»Ja!« sprach Samuel, »wenn sie grundsätzlich auf ihre Jugend verzichtet, wie Sie's gethan haben. Sie wollten ja alt sein, mitten in der schönsten Lebenszeit! Sie – –« Er hielt inne und fügte dann hinzu: »Es hat Ihnen aber Nichts geschadet! Denn heute, Cousine, wo Sie einmal munter sind, heute sehen Sie wahrhaftig hübscher aus als in der ersten Jugend. Sie sind stark geworden, als kleidet Sie, und Sie sind – – Sie sind überhaupt ganz anders geworden.«

»Man wird eben ruhig und verlangt Nichts mehr!« entgegnete Adele, »und findet man dann einmal ein freundliches Entgegenkommen wie das Ihre, so ist man ganz zufrieden, ja ich möchte sagen glücklich. Ich bin heute wirklich so heiter, wie ich's lange, lange nicht gewesen bin.«

»Das ist ja sehr schön!« sagte Samuel gelassen, aber er blickte sie dabei so freundlich an, daß sie den Ausruf dabei nicht unterdrücken konnte, wie gut er sei, und als müsse seine ungewöhnliche Zufriedenheit sich auch in einem ungewöhnlichen Luxus offenbaren, bestellte er Champagner.

»Sie mögen ihn ja nicht!« bemerkte Adele.

»Nein! aber alle Poeten trinken ihn gern. Sie werden ihn doch lieben, Cousine?«

»O! kommen Sie nicht auf meine Arbeiten!«

bat Adele lachend, »dann ist der Friede aus. Sie haben ja die schreibenden Frauen immerdar verdammt.«

»Wenn sie Männer werden wollen!« sagte Samuel, »und weil sie das nicht können, in Unnatur verfallen. Sie, Adele, haben aber das nie gewollt. Es war ja nur ein Zufall, ein Unglück, daß Sie auf das Bücherschreiben kamen.«

»Das nun eben nicht!« wendete Adele ein, während Samuel die Gläser wieder füllte, und das seinige schnell austrank. Er wurde dadurch immer lebhafter und freier.

»Ich bleibe noch heute dabei,« sagte er, »Sie haben zwar ein ganz hübsches Talent, aber Sie haben ein viel zu gutes Herz zum Beobachten, zum Reflectiren, zum Seciren und Reconstruiren der Menschen. Und ohne den – verzeihen Sie mir – ohne den verdammten – –«

Er hatte das Wort noch nicht zu Ende gesprochen, als ein Herr mit einer Dame an den Tisch herantrat, die Tafelnden mit blinzelndem Auge betrachtete, und dann mit der Bemerkung: »hier Liebste! ist noch Platz!« seine Gefährtin zum Niedersetzen nöthigte.

Er mochte in Samuel's Alter sein, aber er war stark und seine Züge schlaff, obschon er durch die gesuchteste Kleidung seine Stärke und seine Jahre verbergen zu wollen schien. Alles an ihm war nach dem neuesten Schnitte, nach der letzten Mode. Von dem Brillantknopfe, der sein gesticktes Hemde zuhielt, bis zu der Kette, an der er das Lorgnon am Halse trug, schien jedes Stück einen besonderen Anspruch erheben zu wollen. Jede seiner Bewegungen war berechnet, und die ganze Art seines Auftretens und Sprechens verrieth sein Bemühen, sich neben seiner Gefährtin zu behaupten, deren ruhige selbstgewisse Haltung, trotz ihrer vorgerückten Jahre, noch Eindruck machen mußte.

Samuel und Adele hatten ihn augenblicklich erkannt. Es war Hellwig mit seiner Frau.

Ohne die Gegenübersitzenden zu beachten, langte er nach der Speisekarte und las der Dame das Register vor, die verschiedenen Gerichte mit Bemerkungen begleitend, in denen sich eine eben so besondere Vorliebe für die feine Küche, als Kenntniß der höheren Kochkunst darthaten.

Aber so theilnahmlos seine Frau diese Auseinandersetzungen an sich vorübergehen ließ, so unruhig wurde Adele. Der bloße Augenblick Hellwig's, der Ton seiner Stimme erschütterten sie.

Sie konnte ihm nicht so nahe bleiben. Samuel beobachtete sie, das quälte sie noch mehr.

»Lassen Sie uns aufbrechen!« bat sie plötzlich leise.

Hellwig sah empor bei ihren Worten. Er drückte das Lorgnon in's Auge und ließ es eben so schnell herniedergleiten. Kurzsichtig, wie er's war, hatte er Adele erst jetzt erkannt. Er wechselte die Farbe, stand auf, als wolle er selber eine Bestellung machen, und entfernte sich.

Diesen Zeitpunkt benutzte Adele. »Ich bitte Sie,« sprach sie noch einmal und noch dringender als zuvor, »kommen Sie fort von hier, ich kann nicht bleiben.«

»Welche Schwäche, Adele! Bin ich nicht bei Ihnen?« wendete Samuel ein.

Sie fühlte den Vorwurf, den er ihr machte, kämpfte eine Weile mit sich selbst, dann erhob sie sich von ihrem Platze.

»Ich kann es nicht!« sagte sie bestimmt. Samuel mußte ihr nachgeben, und als Hellwig wiederkehrte, hatten die Anderen das Zimmer schon verlassen.

»Kanntest Du die Personen?« fragte ihn seine Gattin, nachdem er sich auf's Neue neben ihr niedergelassen hatte; denn es war ihr nicht entgangen, wie unruhig Hellwig geworden war.

»Ja!« sagte er, »es war die Willmar!« Und er blickte seine Frau scharf an, um zu sehen, welchen Eindruck diese Mittheilung ihr machen würde.

Sie schien ihr aber ganz gleichgültig zu sein. »So!« erwiderte sie mit einem leichten, spöttischen Lächeln, »das also war sie!« – und weiter sprach sie kein Wort davon, bis Hellwig ebenfalls lächelnd fragte: »Und das läßt Dich so kalt? Du bist also nicht mehr eifersüchtig?«

»Eifersüchtig?« wiederholte die Dame. »Dazu sind wir doch wohl zu lange verheirathet.«

»O!« meinte Hellwig, sich auf dem Stuhle wiegend, »Adele sieht noch gut aus, und in der That, es hat mir einen Choc gegeben, als sie mit einem Male vor mir da saß. Es ist etwas Eigenes um solche Verhältnisse! Ich fühlte eine Art von Zug zu ihr –«

Seine Frau zuckte mitleidig die Schultern.

Hellwig nahm das übel. Er konnte die Art und Weise nie vertragen, mit welcher sie bei solchen Anlässen auf ihn niedersah.

»Deine Verstandesrichtung,« bemerkte er, »weist freilich jeden Glauben an Leidenschaft zurück.«

»Ich bitte Dich,« entgegnete sie ablehnend, »spiele Dir doch keine Komödie vor. In Deinem Alter und einem poussirten Mädchen gegenüber, eine Leidenschaft!«

Sie schien von dem Gegenstande offenbar Nichts weiter sprechen oder hören zu wollen. Hellwig brach also ebenfalls ab, aber man konnte ihm anmerken, daß die Gleichgültigkeit ihn gereizt hatte, mit der seine Frau ihn und den Gegenstand behandelte. Er zerlegte, ohne aufzusehen, das Filet, welches der Kellner ihnen vorgesetzt, und trank mürrisch und schweigend den seinen Wein herunter.

Auch Samuel und Adele schwiegen bei ihrer Rückkehr zum Hôtel. Er war ergrimmt, sie traurig. Samuel konnte es nicht verschmerzen, daß Adele ihn genöthigt, vor Hellwig den Platz zu räumen; er ärgerte sich auch über den zerstörten heiteren Abend und den nicht ausgetrunkenen Wein. Adele beklagte ihr Schicksal, das treue Gedächtniß ihres Herzens, und nannte ihr Leben wieder einmal ein verlorenes. Aber es kam ihr dennoch vor, als habe sie dem Vetter Etwas abzubitten, da sie sich im Hotel verstimmt und wortkarg trennten.


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