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Zehntes Kapitel

Diesem ersten Tage voll niederschlagender Eindrücke, folgten ein Paar Wochen mühevoller Arbeit, bis man eine Wohnung gefunden und diese eingerichtet hatte. So bescheiden, so eng sie war, fühlten Adele und die Mutter sich doch erleichtert, als sie der unfreundlichen Gasthofsstube, den hochmüthigen Kellnern entronnen waren, und wieder unter eigenem Dache lebten und walteten. Aber mit der neugefundenen Ruhe stellten die Fragen und Sorgen sich ein, welche die körperliche Anstrengung nicht hatte aufkommen lassen.

Der Aufenthalt im Hotel, die Kosten der Uebersiedlung, die erste Einrichtung hatten fast die ganze Baarschaft der Frauen verschlungen. Wie ihr kleines Vermögen angelegt war, konnten erst im Neujahr wieder die geringen Zinsen erhoben werden, und es entstand die Nothwendigkeit, einen augenblicklichen Erwerb zu finden. Verschiedene Zeitungsanzeigen, in denen sich Adele als Lehrerin empfohlen, blieben erfolglos. Holting tröstete, daß sich im Winter Alles besser machen, daß Adele Schüler finden werde, aber man brauchte Geld im Augenblicke, und bis zum Winter war es lange hin.

Man muß Nahrungssorgen gekannt haben, um zu wissen, wie schwer sie drücken, wie bitter es ist, sie einzugestehen; denn so verwirrt sind die Begriffe der Menschen geworden, daß grade die Besten sich leichter zu Irrthümern und Verschuldungen bekennen, daß sie sich dieser weniger schämen als ihrer Armuth, selbst wenn sie unverschuldet ist. Allmorgendlich hörte und sah es Adele, mit welcher Angst die Mutter ihre schwindende Baarschaft zählte. Es ließ sich berechnen, wie weit sie bei der strengsten Sparsamkeit noch reichen konnte, ihr Ende war leicht abzusehen, und immer noch keine Aussicht auf Erwerb. Was man sich auch abzusparen suchte, es verschlug nur wenig, und die Kräfte beider Frauen empfanden die ungewohnten Entbehrungen nur zu bald sehr schwer.

Es mußte Rath gefunden werden! stündlich sagte Adele sich das vor. Es war ihr ewiger Gedanke, wenn sie in der drückenden Sommerhitze, auf die menschenleere Straße, in die gegenüberstehenden Häuser blickte, aus denen kein befreundetes Auge theilnehmend zu ihr herübersah. Es muß Rath geschafft werden! das wiederholte sie sich, wenn sie Abends mit der Mutter in den staubigen, luftlosen Wegen des Thiergartens umherging, vergebens auf Erfrischung, vergebens auf den Gruß eines Bekannten wartend.

Rath schaffen! Wie brannte der Gedanke in ihrem müden Kopfe, wie hetzten und jagten sich die Plane durch einander, sobald sie das Haupt zur Ruhe niederlegte! Aber was sollte sie thun? Sie hatte sich durch Holting verschiedenen Buchhändlern als Uebersetzerin anbieten lassen. Man hatte ihr Arbeit versprochen nach der Messe, und die Messe war erst spät im Herbste. Sie wollte Correcturen übernehmen, die Druckereien waren indessen alle wohl versehen, auch war's nicht üblich, dies Geschäft durch Frauen besorgen zu lassen. Es blieb ihr kaum eine Wahl, sie mußte den Roman beenden, und versuchen, ein Honorar dafür zu erhalten, so sehr der Gedanke an diese Thätigkeit ihr auch wiederstrebte.

Sie hatte es nicht vergessen, in welcher Weise Hellwig ihr entgegengetreten, wie man von anderer Seite bemüht gewesen war, ihr eignes Leben aus dem Roman herauszulesen, und dies arme Leben auf's Neue dem fremden Blicke ausgesetzt zu denken, ließ ihr keine Ruhe, nachdem Holting ihr kleines Manuscript verkauft. Sie fürchtete das Erscheinen des Buches, die ersten Recensionen, das Urtheil Hellwig's. Ohne daß sie's wußte, war sie wieder nur mit ihm beschäftigt. Ob er sie verfolgen, ob er sie loben, welche Züge ihres Wesens er in dem neuen Werke wohl erkennen würde, das waren Fragen, die sich fort und fort in ihr bewegten. Aber das Buch erschien, und Hellwig schwieg darüber.

Vergebens sagte Adele sich, dieses Schweigen komme ihr erwünscht. Kein Angriff, kein noch so harter Tadel hätte sie mehr verwundet, als die Gewißheit, nicht mehr von ihm beachtet zu werden, vergessen zu sein von ihm. Das Frauenherz hat eine so unglückliche Anlage und Neigung zur Beständigkeit in seinen Schmerzen, und jeder Anlaß wirft es in den alten Kampf zurück, jeder Sieg in demselben macht es müder, das heißt leidensfähiger.

Adelens neue Dichtung war ein Fortschritt gegen ihr erstes Werk, gegen den wilden Aufschrei einer unterdrückten Leidenschaft. Sie hatte ein bescheidenes Thema gewählt, ihre Einsicht und ihre Darstellungskraft konnten die Gränzen desselben erfüllen, und da sie persönlich ruhiger geworden war, da sie manch schwere Stunde an sich vorübergehen sehen, gelang es ihr, durch einfach rührende Schilderungen namentlich den Lesern ihres Geschlechtes zu gefallen, die in einer Dichtung der Wiederspiegelung ihrer eigenen kleinen Erlebnisse und beschränkten Empfindungen zu begegnen wünschen. Der Verleger des Romans machte kein übles Geschäft damit, die Kritik bewies sich nachsichtig, denn die Arbeit war nicht geeignet, Rivalität und Neid zu wecken, und da Holting und seine Freunde, denen Adele persönlich lieb und achtungswerth geworden war, ihr förderlich zur Seite geblieben, so stellte sich bald zu ihren Gunsten die Ansicht fest, sie habe ein angenehmes Talent, und ihre Romane wären für Frauen eine leichte, einfache Lektüre.

Von diesem Zeitpunkte ab, gewann Adelens Leben äußerlich eine bessere Gestalt. Die Mutter hatte sich erholt, Adele konnte jährlich einige hundert Thaler erarbeiten, und nach den Sorgen und Entbehrungen, die man erduldet, mußte ihre jetzige Lage ihnen als eine Art von Wohlhabenheit erscheinen. Zufrieden der Mutter helfen zu können, vergöttert von der dankbaren Zärtlichkeit derselben, genoß Adele die Genugthuung, den Wechsel ihrer Verhältnisse nur sich selber zu verdanken.

Da man sie nicht mehr in Noth sah, kam man ihr unbesorgt entgegen, und Mancher, dessen Rathschläge sie einst entmuthigt, wünschte ihr jetzt Glück, daß sie seinen Ansichten gefolgt, und zu so gutem Ziel gekommen wäre. Die Freunde ihrer Familie wurden wärmer für sie, der Buchhändler, der sie bei ihrer Ankunft vornehm zurechtgewiesen, stellte sie in seinen Zirkeln als eine Dame vor, an der er immer vielen Antheil genommen, der er die ersten Wege in der Residenz gebahnt habe, und Adele war zu gutmüthig, und auch zu müde, um die Wahrheit solcher Behauptungen auch nur innerlich zu untersuchen. Sie ließ Jeden gern gewähren, da man sie gewähren ließ.

Was sie in der Jugend erstrebt, das war ihr jetzt geworden. Sie lebte in der Residenz, war Herr ihrer Handlungen, und hatte, wenn auch keinen berühmten, so doch einen mit Theilnahme genannten Namen. Sie besaß einen angenehmen Umgang, den ihre schriftstellerischen Arbeiten ihr erworben hatten, sah wackere Männer um sich, von denen sie Belehrung mancher Art empfing, und da der Mensch nur zu gern und leicht seinen Erwerb und seinen Beruf mit einander verwechselt, so meinte Adele in ihrer litterarischen Thätigkeit auch ihren eigentlichen Beruf gefunden und erfüllt zu haben. Ein erfüllter Beruf und ein gelungener Erwerb aber sind zwei sehr verschiedene Dinge, und ganz verschieden in der Wirkung, die sie auf den Menschen äußern. Der Künstler, welcher seinen rechten Beruf gefunden in der Kunst, hat damit die leichte Lebensluft gewonnen, die ihn fortträgt über jedes Ungemach. Sorgen, Noth, Kränkung, Schmerz, den Verlust des Geliebtesten, er kann sie vergessen in der göttlichen Lust der schöpferischen Arbeit; und ist sie beendet, gewinnt die Außenwelt Raum, an ihn heranzutreten mit ihren Mühen und Lasten, so bleibt ihm jener erhabene Muth, der Alles überwindlich glaubt, und mit dem gewaffnet, der Mensch sich in jedem Augenblicke als freie, selbständige Macht empfindet und genießt.

Adelen fehlte diese Kraft. Sie besaß das Geschick und die Fähigkeit der Darstellung, aber sie war kein Künstler, kein Dichter. Sie arbeitete gern und liebevoll, indeß das Schaffen war ihr eine Zerstreuung, keine Befriedigung, es füllte ihr Dasein in keiner Weise aus. So lange ihre Mutter lebte, und die Sorge um dieselbe sie vielfach hinnahm, konnte Adele sich über ihren Zustand täuschen. Aber Frau Willmar starb nach einigen Jahren, und plötzlich empfand ihre Tochter, daß sie allein stand in der Welt.

So viel Theilnahme ihre Freunde ihr bewiesen, so sehr ihre Bekannten sich bemühten, sie ihren Verlust und ihre Einsamkeit nicht schwer empfinden zu lassen, es mißlang. Das Leben in der Geselligkeit hatte durch die Gewohnheit seinen Reiz für Adele verloren, sie fühlte das Bedürfniß nach einer ausschließlichen Anhänglichkeit; aber hatte ihr Herz sich einer Freundin, einem Freunde zugewendet, so traten neue Verbindungen an dieselben heran, und Adele fand sich, wenn nicht vergessen, so doch nicht mehr nothwendig in dem erweiterten Kreise. Die Einen verheiratheten sich, und verlangten von der Freundin ein Aufgehen in den Interessen der neugegründeten Familie, wie nur die Familienglieder selbst es leisten können; die Anderen verließen wie Holting den Ort, und Nähe und Ausschließlichkeit sind Bedingungen für den Genuß der Freundschaft. Sah man Adelen traurig darüber, so nannte man sie sentimental, wagte sie sich zu beklagen, so tadelte man ihre ungerechten Forderungen. Der Gesättigte vergißt es leicht, wie weh der Hunger thut, und welche Hand ihn nährte, als er ihn empfand.

Adele mußte es geschehen lassen, daß man sie der Empfindsamkeit und übertriebener Ansprüche beschuldigte, daß erst Einer und dann der Andere scherzend sagte, die Eigenschaften der alten Jungfer bildeten sich in ihr aus, sie werde egoistisch. Das machte sie scheu, den Menschen ihr weiches Gemüth, ihr tiefes Liebesbedürfniß zu zeigen, und auf sich selbst zurückgewiesen, zog sie sich in sich selbst zurück. Sie wollte aufhören, mit dem Herzen zu leben, nur ihren Verstand wollte sie entwickeln, ihren Geist bereichern, und es lernen, sich selbst genug zu sein. Solche Vorsätze zu fassen, ist eine Eigenthümlichkeit alternder Mädchen, und das Leben nach diesen Vorsätzen prägt ihr ganzes Wesen um.

Plötzlich bemerkten ihre Freunde, und bemerkte Adele es selbst, daß sie in der That gealtert hatte. Sie schalt sich über die Sorgfalt, welche sie, seit sie in Berlin gelebt, auf ihr Aeußeres gewendet, es schien ihr eine so vergebene Mühe, ein unverzeihlicher Aufwand von Zeit zu Geld; und wenn sie Anfangs nur die hellen Farben und den wirklichen Putz von sich abthat, so kam sie bald dahin, sich eine ganz schmucklose schwarze Tracht zum Gesetze zu machen. Die Kleidung aber, in welcher der Mensch sich bewegt, übt einen rückwirkenden Einfluß auf ihn aus. Wer sich durch seine äußere Erscheinung von den Menschen unterscheidet, fühlt sich auch innerlich bald von ihnen verschieden, und die Sonderung, die man aus freier Wahl beginnt, wird zu einem Zwange, dem man sich bald nicht mehr zu entziehen vermag.

Mit ihrer Kleidung wurde auch ihr ganzer Ausdruck ernster und strenger, die Verwandlung konnte Keinem leicht entgehen. Nur Einer bemerkte diese Veränderung nicht, weil er, so oft er Adele wiedersah, sie immer nur mit dem Auge wohlwollender Erinnerung und liebevoller Neigung betrachtete.


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