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Achtes Kapitel

Je näher der Zeitpunkt derselben herankam, desto stiller wurde Willmar. Hatte er sonst es vorzugsweise geliebt, früh im Jahre den Garten zu beobachten, wenn die ersten Vögel sangen und das erste Grün sich blicken ließ, so rührte ihn jetzt dort jedes Schneeglöckchen zu Thränen, das sich zur Sonne hervordrängte, und er sagte dann leise: »Zum letzten Male! Im nächsten Jahre ist Alles umgewühlt, und Dampfmaschinen lärmen, wo ihr so ruhig blühtet, und so lange Jahre die Vögel sangen!«

Endlich verließ er sein Zimmer nicht mehr. So liebevoll die Frau sich um ihn mühte, mit so inbrünstiger Sorge die Tochter ihn umgab, es erheiterte, es erhob ihn nicht. Sprach ihm Samuel von den Geschäften, so wies er diese Unterhaltung von sich. Er sei nie ein Geschäftsmann gewesen, sagte er, er fühle das jetzt, und Samuel möge herzustellen suchen, was seit so langer Zeit verabsäumt worden sei. Er werde es ihm danken bis an's Ende, wenn das für ihn auch keine lange Dankverpflichtung sein sollte. Noch deutlicher verrieth sich sein Glaube, daß er den Umzug nicht überleben könne, wenn Adele vor ihm ihrer Zukunft in Berlin gedachte, wohin man beschlossen hatte, sich zu wenden. Er redete dann von den Einrichtungen, welche Mutter und Tochter für sich zu machen haben würden, seiner selbst aber erwähnte er dabei niemals, und bald drängte sich den Seinen eine solche Besorgniß über seinen Zustand auf, daß sie ihn beschworen, den Arzt zu Rathe zu ziehen. Willmar verweigerte es, er fühle keine Schmerzen, betheuerte er, aber seine Kräfte schwanden sichtlich, und man fing an, die Abreise zu ersehnen, weil man sich von derselben eine Besserung für den Vater versprach.

In der letzten Woche des März waren die Tage ungewöhnlich warm und schön. Die Sonne breitete sich über den Garten aus, jeden Halm erquickend. Die Vögel sangen um Mittag, daß es erheiternd in jede Seele tönte, und Jeder hinausfloh aus den winterlichen Räumen in die freie, frischerwachte Welt. Selbst Willmar schien davon ergriffen zu werden. Seit langer Zeit zum ersten Male stieg er die Gartentreppe hinab, und Adele, welche in einem der hintern Zimmer damit beschäftigt war, die Familienbilder verpacken zu lassen, sah, wie er sich nach der Wildniß hinbegab.

So traurig es sie gemacht, als sie die Bilder der Großeltern von den Wänden genommen, welche seit fünfzig Jahren dort gehangen, so weh es ihr gewesen, als sie das schöne Bild eingepackt, das sie und ihren Bruder als fröhlich spielende Kinder zeigte, so rief sie doch ein erleichtertes Gott sei Dank! als sie den Weg sah, den der Vater einschlug.

Die Wildniß war ein kleines Tannenwäldchen, das der erste Besitzer des Hauses, bei der Geburt seines Sohnes pflanzen lassen. Der Sohn hatte als Knabe in der kleinen Schonung gespielt, und dann im reifen Alter seine Lust daran gehabt, wie diese seine Zeitgenossen ihn überragten, wie sie ihn überdauern würden. Er hatte in der Mitte eine hübsche Lichtung machen lassen, und in guten Tagen mußte sein Geburtstag, der in des Sommers Höhe fiel, stets in der Wildniß mit fröhlicher Gesellschaft begangen werden. Es war des Vaters Lieblingsplatz, und daß er zu diesen Bäumen ging, wie er es sonst im Frühling that, um die Mittagswärme auf der harzduftigen Lichtung zu genießen, schien der Tochter ein Zeichen neuer Lebenslust zu sein. Sie wollte ihm folgen, aber ihre Arbeit hielt sie fest, und jedes praktischen Thuns ungewohnt, bedurfte sie noch längerer Zeit, sie zu beenden.

So waren zwei Stunden verstrichen, die Bilderkisten waren hinabgetragen in das Haus, als es Adelen plötzlich auffiel, wie der Vater so lange unten bleibe. Er war gegen seine Gewohnheit ohne Mütze hinausgegangen, sie lief auf sein Zimmer, dieselbe zu holen, und eilte in den Garten hinab. Am Pavillon rief sie ihm zu, wo er denn sei? Es antwortete ihr Niemand. Sie ging vorwärts, trat in die Lichtung; da saß der Vater auf der Rasenbank und schlief. Er hatte den Kopf gegen den Stamm einer Tanne gelehnt, das warme Sonnenlicht umglänzte ihn mit seinem schönen Scheine, so daß er wohl und wie verklärt erschien. Ein Paar frühe weiße Schmetterlinge gaukelten über seinem Haupte, und eine der schlanken, grünen Eidechsen, die der Sonnenschein hervorgelockt, glitt leise über seinen Arm, hielt still auf seiner Hand, und sah Adele mit den klugen, klaren Augen an, als frage sie, weshalb sie komme, den Schläfer zu stören?

»Daß er's nicht merkt!« dachte Adele, als sie die kleine Lacerte gewahrte, und wollte hinzutreten, das Thierchen zu verscheuchen, und dem Vater leise die Mütze aufzusetzen, da fiel ihr plötzlich ein fremder Zug, ein Ungewohntes in des Vaters stillen Zügen auf.

»Vater!« rief sie bange, »Vater!« wiederholte sie noch ängstlicher und nahm sein Haupt in ihre Hände, um mit dem Aufschrei: »Herr Gott, mein Vater!« in die Knie zu stürzen.

Willmar hatte still geendet. Unter den Bäumen, die am Tage seiner Geburt gepflanzt worden, unter denen der Knabe gespielt, der Mann sich gefreut, war er sanft und friedlich eingeschlafen im warmen Strahl der vollen Frühlingssonne.

Vier Tage später, am ersten des Aprilmonats, machte der allgemeine Wohnungswechsel mit seiner Unruhe sich in der Stadt bemerkbar. Vor einigen der Nachbarshäuser hielten große Wagen, die man mit Mobilien belud. Geschäftige Arbeiter hasteten sich; man rief, man schalt, die Eigenthümer feuerten zur Eile an, denn Jeder strebte, die alte Habe unter das neue Dach zu bringen, das losgelöste Dasein an neuer Stelle zu festigen.

Auch vor Willmar's Hause hielt ein Wagen, aber er war schwarz verhängt, und Alles war still in seiner Nähe. Mutter und Tochter standen weinend an dem Fenster in des Vaters Zimmer, dem letzten Orte, an dem noch keine Spur des Fortgehens sichtbar war. Man hatte die seit Tagen gepackten Kisten und Kasten im Flur auf die Seite gerückt, um Raum zu gewinnen für die Leichenträger, die eben die Treppe hinabgeschritten waren mit dem Sarge des Vaters. Die Frauen sahen, wie man ihn emporhob, wie schweigende Freunde ihn tiefbewegt umringten, und als vom Nachbarhause die Leute ihrer fahrenden Habe heiter zu dem neuen Wohnsitz folgten, da zog von dem Willmar'schen Portale auch langsam der Todtenwagen fort, den müden Mann aus dem Hause, das nur wenige Stunden noch den Seinigen gehörte, zum Erbbegräbniß der Familie, zu dem letzten stillen Hause zu geleiten, aus dessen Mauern kein fremder Käufer ihn vertreiben konnte.


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