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Sechstes Kapitel

Müde von der angestrengten und nicht erfolgreichen Arbeit während der Messe, langte er zu Hause an. Er war sorgenbeladen und dachte nicht viel an sich selber, denn man mag sagen was man will, Liebesleid erfordert Muße, um ihn nachhängen zu können.

Mit schwerem Herzen begab er sich zu Willmar, den er eben so niedergedrückt zu finden fürchtete; wider alles Erwarten aber traf er diesen in einer freudigen Erregung, wie Samuel sie an ihm noch niemals wahrgenommen hatte. Frau und Tochter waren bei ihm, Alle schienen gerührt, und Samuel merkte, sobald er in das Zimmer trat, daß er mitten in eine Familienscene hineingerathen sei.

»Willkommen, Cousin!« rief die Mutter ihm entgegen, welche ihm diesen Titel nur selten gegeben hatte, »Sie kommen zu guter Stunde. Adele hat dem Vater Alles gestanden.«

»Ja!« unterbrach Willmar seine Frau, »und ich weiß, wie ehrlich Sie sich dabei genommen haben. Ich theilte in gewissem Sinne Ihre Wünsche und Ansichten in Betreff Adelens, aber – –«

Samuel glaubte zu träumen. Er begriff nicht, wie Adele plötzlich darauf gekommen sei, dem Vater mitzutheilen, was zwischen ihnen vorgegangen war, er begriff noch weniger, wie diese Nachricht den Eltern so unverkennbares Entzücken erregen, wie Adele selbst bei diesem Anlaß so freudestrahlend aussehen konnte.

Er wußte nicht, was er sagen sollte. »Sie sehen mich überrascht!« stammelte er endlich hervor, »in der That, ich wußte nicht, ich hoffte nicht –«

»O!« rief die Mutter. »Sie haben Adelen wirklich Unrecht gethan. Mit einer Tiefe, mit einem Herzen, wie Adelens, konnten Sie an dem Ausgang gar nicht zweifeln. Sie war die Freude unseres bisherigen Lebens, sie wird auch – –«

»Nicht wahr, Cousin!« nahm Adele nun das Wort, indem sie ihm die Hand reichte, »Sie stoßen die Hand nicht zurück, wenn sie auch die Feder führt.«

Samuel wurde immer verwirrter. Alle sprachen zugleich. Niemand ließ den Anderen zu Worte kommen. Es war ihm unmöglich, den Vorgang zu verstehen, zu begreifen, was geschehen war, daß Adele selbst ihm ihre Hand antrug. So oft er ihrer gedacht, hatte er sich vorgehalten, wie sie durchaus sein Unglück machen würde, und es hatte fest in ihm gestanden, daß sie seine Frau nicht werden könne, nicht werden solle, selbst wenn sie zu der Einsicht käme, daß ihre Liebe für Hellwig eine Verblendung gewesen sei. Jetzt, da er sie vor sich sah, da sie ihn so freundlich anblickte, da Alles so zufrieden und so heiter schien, ging das Herz ihm auf.

Er konnte nicht sagen, was ihn bewegte, es war Alles zu schnell, zu unerwartet über ihn gekommen. Nicht einmal die Hand ergriff er, welche Adele ihm darbot. Er sah sie und die Eltern ganz verwundert an und sagte dann kopfschüttelnd: »Es ist mir unglaublich!« – aber wer darauf achtete, konnte die Bewegung seines Herzens in den Worten hören.

»O!« rief Adele, »daß Sie grade Sie, Cousin! nun dennoch an mich glauben müssen, der Sie mir alle Fähigkeit, alles Talent so abgesprochen haben, das ist nebenher noch meine ganz besondere Freude.«

»Fähigkeit? Talent? Wie kommen Sie darauf, jetzt darauf?« fragte er wie Einer, der an seinen eigenen Sinnen irre wird.

»Wie ich darauf komme? – Sie wissen also noch nicht?«

»Was soll ich wissen? was um Gottes willen?« rief er.

»Das Lob,« nahm die Mutter das Wort, »das glänzende Lob, das man Adelen ertheilt.« Sie hielt ihm eine Zeitschrift vor, er sah auf der ersten Seite die Ueberschrift: »Des Dichters Genius, ein Roman,« und legte das Blatt schweigend aus der Hand.

»So!« sagte er, »also der Roman war's! der Roman ist erschienen! das ist ja schön!« Er hätte gern mehr gesprochen, etwas Anderes gesagt, aber der Hals war ihm wie zugeschnürt, und er dankte Gott, daß er noch so viel vorgebracht. Er hatte eine so süße Täuschung, eine so bittere Enttäuschung erlitten, und in Keinem der Anderen kam nur eine Ahnung davon auf.

»Das geliebte Kind hat Alles wohl vollendet!« sagte die Mutter. »Still geduldet, still gedichtet, und nun ihr Stern aufgeht, nun kommt sie, und legt den ersten, frischen Kranz den Eltern zu Füßen. Welch eine Seele hat dieses Mädchen!«

»Ja!« antwortete er, aber er sah so zerstreut dabei aus, daß sein Unbehagen auch die Anderen ergriff. Adele bemerkte es zuerst, und um ihm fortzuhelfen über diesen Augenblick, sagte sie: »Sie müssen mein Buch doch wenigstens sehen! da ist's! Nicht wahr, es sieht ganz stattlich aus?«

»Es ist schön gedruckt,« entgegnete er, und die Gelegenheit benutzend, fragte er, ob er nicht eines der Exemplare mit sich nehmen könne?

»Ich würde Ihnen eines zum Geschenk anbieten,« erwiderte Adele, »wären Sie nicht im Voraus ein Gegner meines armen Buches! Aber glauben Sie mir, nun ich weiß, was ich kann, wozu ich in der Welt bin, nun wird Alles besser werden, nun werdet Ihr Alle an mir Freude haben, denn jetzt bin ich glücklich.«

»Das gebe Gott!« rief Samuel, »das will ich Ihnen wünschen!« Damit drückte er ihr die Hand, die sie ihm darbot, nahm das Buch und ging hinaus.

Es verstrich der ganze Morgen, ehe er mit Willmar sprechen konnte. So ungünstig Samuel's Berichte waren, so ruhig nahm der alte Herr sie hin. Selbst als Samuel auf die oft gethanen Einschränkungsvorschläge zurückkam, fand er Willmar denselben weniger abgeneigt. Er sagte, mit Adelens so glücklich begonnener Laufbahn sei er in gewissem Sinne der materiellen Sorge für ihre Zukunft enthoben, während ihm neue und andere Pflichten, und andere Rücksichten auf sie, daraus erwachsen wären. Er könne und wolle in diesem Augenblicke Nichts beschließen, er werde die Sache nochmals reiflich überlegen, und dann wollten sie eine letzte, gemeinsame Entscheidung fassen. Heute, das müsse jeder Mensch natürlich finden, heute wolle er sich ganz dem Genusse überlassen, welchen der Roman seines Kindes ihm bereite.

»Der Roman! und immer der Roman!« brummte Samuel zwischen den Zähnen, als er das Buch ärgerlich neben sich auf dem Pulte liegen sah, wohin er es achtlos gelegt. Er schob es ganz nach hinten, und ging an seine Arbeit; aber unwillkürlich wendeten seine Augen sich wieder auf das Buch. Er griff mechanisch danach und fing zu lesen an. Schon die Dedication berührte ihn unangenehm.

»Dir!« – – stand in großen Lettern auf dem Umschlag, und in einer nicht ungewandten, aber durch ihren Pathos unklaren Prosa, war dies Werk dem Manne geweiht, der hinter den verhüllenden Worten und Gestalten der Dichtung, den göttlichen Kern gemeinsam erlebter Wahrheit, und die Zeichen eines unauflöslichen Bundes erkennen würde.

Die Gestalten des Romanes indessen waren so oberflächlich und unvorsichtig in ihr Maskenkleid gehüllt, daß sie Niemand verborgen bleiben konnten, und über die Person des Dichters, der den Helden machte, war vollends kein Zweifel möglich. Ist es nun an und für sich ein mißlich Ding, wenn die Figuren einer Dichtung nur Abschriften bestimmter Individualitäten sind, weil ihnen diese Manier des Darstellens jede typische Bedeutung nimmt, und die Gefahr, an die Caricatur oder an die Häßlichkeit des Daguerrotyps zu stoßen, dabei kaum vermeidlich ist, so wird ein solcher Versuch doppelt bedenklich, wenn leidenschaftliche Abneigung oder Vorliebe die Feder führen, und das eigene Ich des Schriftstellers in den Rahmen der Dichtung hineingezogen wird. Es gehört das Genie eines Goethe dazu, sich selbst zum Ideal zu läutern, und es bedarf schon großer Selbstbeherrschung und einer durch Erfahrung gestählten Objectivität, soll nur eine typische Gestalt aus der eigenen Individualität geschaffen werden.

Jung, unerfahren, durch Leidenschaft geblendet, hatte Adele sich an die Darstellung ihrer eben erst durchlebten Zustände gemacht. Sie kannte wenig fremde Schicksale, darum kam ihr das eigene so unvergleichlich vor; sie kannte auch die Männer nicht, darum machte sie aus Hellwig's schlimmen Eigenschaften, Charakterfehler des Geschlechtes, und aus den guten Seiten seines Wesens Vorzüge, die kein anderer Mann besitzen sollte. Ihn ganz zu schildern, ein Bild seiner vermeintlichen Größe zu geben, hatte sie alle seine Gesinnungen und Aeußerungen übertrieben. Einfällen, welche er in seiner phantastischen Weise hingeworfen und ausgeführt, war die Bedeutung von Grundsätzen beigelegt, und dadurch das Porträt eines Helden entstanden, in dem die unvereinbarsten Eigenschaften sich verbinden sollten. Es war ein Ideal aller Vollkommenheiten, wie man ihm in den Romanen der Jugend begegnet, ein überirdisches Wesen, das eben darum sich im Leben nicht bewährte, und gelegentlich mit so genialer Nichtachtung von Recht und Unrecht auftrat, daß man ihm vor allen Dingen eine gesunde Vernunft und gesunde Moral statt aller anderen Eigenschaften wünschen mußte.

War Adele erschrocken, als sie an jenem Abende ihr Buch mit prüfendem Blicke betrachtet, so kam jetzt die Reihe des Schreckens an Samuel. Adele hatte sich in schlimmster Weise preisgegeben. Sie war in Uebertreibungen verfallen, die der übelsten Mißdeutung Raum gewährten, denn, um die Größe ihrer Hingebung darzuthun, war sie bis zu jener Verläugnung der eigenen Würde gekommen, die immer eine Schmach ist. Er konnte es nicht fassen, daß man diesem Werke Lob gespendet, er litt von dem Roman mehr als er es gedacht. Adele jammerte ihn, während die leidenschaftliche Empfindung ihrer Liebe ihn rührte, die sich in dem Werke verrieth, und niedergeschlagen fragte er sich, als er das Buch tief in der Nacht beendet hatte: »Warum liebt sie grade ihn? – Was wird aus ihr werden?«

Am anderen Tage war es die lobende Kritik die er zu sehen verlangte. Er mochte sie nicht von Adele fordern, und ging in das Kaffeehaus, sie dort zu lesen. Ein junger Mann, der Redacteur des Wochenblattes, legte sie eben aus der Hand.

»Hellwig spendet ja dem Romane Ihrer Cousine großes Lob!« sagte er lächelnd und reichte Samuel das Journal.

»Meiner Cousine?« fragte dieser; »was soll das heißen?«

»Pardon!« entgegnete der Andere, »ich wußte nicht, daß die Familie die Anonymität aufrecht zu halten denkt. Ich habe also Nichts gesagt, und bitte Sie nur, diesen Artikel von Hellwig über einen neuen Roman zu lesen.«

Samuel nahm das Blatt. Die Recension war nicht unterzeichnet, trug auch Hellwig's Chiffre nicht, aber da er diese oftmals wechselte, und meist ohne Unterschrift kritisirte, waren das keine verneinenden Beweise, und Hellwig's Styl war zu bekannt, um sich nicht Jedem unwiderleglich kund zu geben. Er rühmte die Composition in hohem Grade, beschäftigte sich ausführlich mit dem Charakter des Helden, den er in seinen gewagtesten Doctrinen und Handlungen mit gewandter Sophistik vertrat, nannte das entsagende, sich opfernde Mädchen ein Weib, wie jeder Dichter es gekannt zu haben wünschen müßte, und empfahl das Buch und den ungenannten Verfasser der größten Beachtung der Lesenden.

Der Redacteur schien zu einer Unterhaltung geneigt, Samuel aber entzog sich derselben. Ein Offizier, der sich an dem Tische niedergelassen, nahm das Journal auf, sobald Samuel es fortgelegt hatte.

»Ah! der Genius des Dichters!« sagte er, neigte sich gegen Samuel, und fügte hinzu: »Wird sehr gelobt! macht großes Aufsehen hier! Natürlich!«

Er erhielt keine Antwort auf seine Bemerkung. Samuel hörte es nicht mehr, als der Lieutenant zu erzählen begann, was man gestern bei der Generalin davon gesprochen, und wie er selber Fräulein Willmar sein Compliment zu machen denke.

Der Redacteur fragte, wie man den Roman denn aufgenommen in dem Kreise?

»O! Natürlich mit Entrüstung! Sie nannten's eine Effronterie, und – unter uns – stark ist's von einem Frauenzimmer doch, so seine eigene Aventure zu schreiben. Aber das ist Fräulein Willmar's Sache, und Feuer ist darin! viel Feuer! viel Imagination! Immer werth, sie kennen zu lernen.«

»Und Emanuel's Nachfolger zu werden?« neckte der Redacteur.

Der Lieutenant strich sich den blonden Bart und sah seitwärts in den Spiegel. »Sie ist hübsch,« sagte er, »Nase à la Roxelane! das ist selten hier! kommt von der Großmutter. Gutes, altes Geschlecht, aus der Normandie und ohne Vorurtheile!«

Wie in dem Kaffeehause, bildete der Roman die Unterhaltung in der ganzen Stadt. Wohin man kam, sprach man davon. Jeder las ihn, Niemand zweifelte daran, daß Adele die Verfasserin sei, aber Alle wollten es aus ihrem eigenen Munde hören. Das Willmar'sche Haus hatte seit Jahren nicht so viel Besuch gehabt, die Familie kam ganz aus der gewohnten Lebensweise. Adele hörte nur die Lobsprüche, die man ihrem Talente zollte, nicht den Tadel, den man überall erhob, gegen ihr Heraustreten aus der vorgeschriebenen, engen Bahn der Weiblichkeit und Häuslichkeit. Sie hatte einige Wochen lang förmlich einen Zirkel von Gästen um sich her, man fing an, Abends den Theetisch immer für dieselben bereit zu halten, Adele war heiter, wendete Sorgfalt auf ihre Kleidung, was sie lange nicht gethan, und trug, durch die Wärme des ersten Erfolges verleitet, die Dornenkrone ihrer unglücklichen Liebe bald als ein Diadem, auf das sie stolz war. Hatte sie Anfangs geläugnet, daß sie die Verfasserin des Romanes sei, so widersprach sie später nicht, wenn man Hellwig als das Original ihres Helden bezeichnete, die Thatsachen legten das unabweislich dar, und die Frage: was ist Dichtung, was Wahrheit? beschäftigte die Neugier der Menschen bald ausschließlich. Adelens Verhältniß zu Hellwig wurde aufs Neue besprochen, auf's Neue und viel schärfer beurtheilt als zuvor. Die Mütter geriethen in Harnisch; ein Paar junge Männer witzelten über Adele wie der Lieutenant, die Mädchen wurden es auch müde, von Fräulein Willmar's dichterischem Talent zu hören. Sie waren eben so unterrichtet als Adele, schrieben eben so gut als sie, ja Manche hatte viel bessere Schulcensuren für den Styl erhalten als Adele, und talentvoll waren die Meisten, sei es für Musik, für Zeichnen oder für die Poesie. Sie hatten nur die Muße nicht, sich auszubilden, weil die Eltern darauf hielten, daß sie sich im Hause nützlich beschäftigten. Man nahm allmählich Alles zurück, was man an der Dichtung gerühmt, um sich gegen den Ursprung ihres Motives und gegen Adelens Persönlichkeit auszusprechen.

Die Besuche, welche sich plötzlich eingefunden, verschwanden wieder, Adele Willmar wurde nicht nur der Gegenstand des übelwollenden Gespräches, sondern die ganze briefliche Correspondenz des Kreises beschäftigte sich mit ihr, und bald hatte Hellwig in seinem Wohnorte der Frage zu begegnen, in welchem Zusammenhang er denn mit dem Roman, den er so lobend angezeigt, und mit der Verfasserin desselben stehe? Seine Frau hörte davon, las den Roman, ward davon beunruhigt und verletzt, und Hellwig war nicht der Mann, das Lächeln seiner Bekannten, und den Unmuth seiner Frau geduldig zu ertragen.

Zum ersten Male seit seiner Heirath schrieb er Adelen wieder. Sein Brief zerriß ihr das Herz. Weit entfernt, sich und den Leichtsinn anzuklagen, mit dem er Adele an sich gefesselt, machte er ihr die härtesten Vorwürfe. Er sprach von dem Mitleid, mit dem er sich, ihrer Leidenschaft gegenüber, ihr zugewendet, von der Mißempfindung, dem Widerwillen, den ihr Roman ihm einflöße. Er nannte sie herzlos, weil sie ihr Empfinden selbst nicht achte, und bat sie, von einem Wege abzustehen, zu dem jede wirkliche Begabung ihr gebreche, wie der Roman es darthue.

Mindestens aber möge sie ihn aus dem Kreise ihrer Phantasiegebilde fern halten und ihn respectiren, wenn sie sich selber nicht zu respectiren wisse.

Der Brief war ein Erguß des aufgeregten Zornes, und ohne alle Rücksicht auf das Gefühl der Empfängerin geschrieben. Selbst Hellwig's Gattin, der er ihn gezeigt, hatte ihn zu hart gefunden und gebeten, ihn nicht abzusenden; aber Hellwig war zufrieden, seiner Frau genug gethan zu haben, seinen Freunden sagen zu können, daß er die Verfasserin jenes Romans in die ihr gebührenden Schranken gewiesen habe. Adele konnte ihm nichts mehr nützen, sie und ihr Leiden kümmerten ihn nicht mehr. Er tröstete sich damit, wenn sein Gewissen rege werden wollte, daß der Mensch, dem eine große Mission geworden sei, der, wie er, einen weiten Weg zu machen habe, der Blume nicht achten könne, die sein Fuß zertrete.

Hart und geringschätzend, wie er sich gegen Adele ausgesprochen hatte, wußte er unmerklich auch auf das Urtheil der Männer zu wirken, die in seiner Umgebung sich mit der Kritik beschäftigten. Der Roman verrieth allerdings kein ungewöhnliches Talent, hatte viele Fehler, und wäre der Nichtbeachtung oder einer flüchtigen Besprechung anheim gefallen, wie so viele andere. Jetzt fand er eine Aufmerksamkeit, die er nicht verdiente, und einen Tadel, dem das persönliche Uebelwollen seinen Stempel aufdrückte.

Adele war wie gelähmt, nachdem sie Hellwig's Brief empfangen hatte. Tagelang blieb sie in einer Betäubung, in einer förmlichen Apathie. Sie hatte den Brief selbst der Mutter nicht gezeigt, sie antwortete auf keine Frage. Frau Willmar sah, daß ihre Tochter Hellwig's Bild von der Wand genommen, daß sie die Papiere und Geräthschaften auf ihrem Schreibtisch zusammengepackt hatte, als denke sie denselben nicht mehr zu benutzen. Sie verließ die Stube nicht, und saß in dumpfem Brüten da, aus dem sie oft in einen Schlaf der Ermattung verfiel. Die Erschütterung, welche sie erlitten, war zu groß gewesen.


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