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Dreizehntes Kapitel

Alles, was sie umgab, gewann dadurch einen anderen Anstrich. Ein Portefeuille, das sie einst von Hellwig erhalten, das erste Gedicht, welches er an sie gerichtet, alle diese Reliquien und Briefe, die sie auf Reisen selbst nicht von sich that, sie waren plötzlich ihres Heiligscheines beraubt, und sanken zu bloßen Erinnerungszeichen an eine entschwundene und nicht glückliche Zeit herab. Ihre ganze Vergangenheit ging für sie unter mit dem Glauben an ihre nichtendende Liebe; aber in demselben Augenblicke wendete ihr Sinn sich auf die Zukunft, und die Frage, was nun beginnen, tauchte in ihr empor. Sie hatte ein halbes Leben verloren in unfruchtbarer Sehnsucht, in einsamem Schmerze, was sollte und konnte aus der zweiten Hälfte ihres Daseins werden?

Selbst ihre schwarze Kleidung fiel ihr in dieser Stunde plötzlich wieder auf. Warum sollte sie die Tracht der Trauer, dies Zeichen der Entsagung beibehalten, da sie ihre Trauer und Entsagung als eine Frucht des Selbstbetrugs erkannt und also auch verworfen hatte. Nicht einen Tag länger wollte sie in ihrem bisherigen Wesen beharren. Samuel hatte es ihr oftmals vorgehalten, daß man in ihrem Alter noch nicht auf das Leben zu verzichten habe. Er hatte ihr seit Jahren den Mangel an Sorgfalt für ihre äußere Erscheinung stets zu einem Vorwurfe gemacht, sie wollte sich auch darin ändern, ein ganz neues Dasein wollte sie beginnen.

Noch am Nachmittage ging sie aus, die Umwandlung ihrer Toilette zu bewerkstelligen. Mit einer wunderbaren Empfindung schlang sie seit Jahren wieder einmal ein hellfarbiges Band um ihren Hals, ordnete sie ihr immer noch schönes blondes Haar in gefällige Locken um ihre Stirn. Sie mußte lächeln, als sie in den Spiegel sah, und unwillkürlich drängte sich ihr die Frage auf: was wird Samuel davon sagen?

Die Zeit wurde ihr lange bis zu seiner Rückkehr. Sie wollte spazieren gehen, aber es kam ihr gar zu traurig vor, wenn sie bedachte, wie heiter ihr gestriger Gang zu Zweien gewesen war. Sie gab daher die Promenade auf, und setzte sich an ihren Schreibtisch zur Arbeit nieder.

Indeß sie konnte den Faden der Dichtung nicht wiederfinden, obschon sie erst vor wenig Tagen sich noch damit beschäftigt hatte. Es lag eine so mächtige Erfahrung zwischen jenem Tage und dieser Stunde. Alles was sie geschrieben kam ihr jetzt unhaltbar vor, Alles erschien ihr als das blasse Produkt einer zur Convention gewordenen Lüge. Sie schämte sich des Irrthums, den sie in ihren Schriften durch so viel lange Jahre als eine Wahrheit hingestellt. Sie hätte alle ihre Bücher voll Entsagungslehren widerrufen, das Meiste ungeschrieben machen mögen.

Ihre Gedanken wechselten und wuchsen mit nie empfundener Schnelle. Es trieb sie, sich auszusprechen, sie zählte die Zeit bis Samuel kommen konnte, sie wollte ihm Alles sagen, Alles mit einem Male, er mußte ihr ja ansehen, was ihr begegnet, und daß sie frei geworden war, daß sie leben und glücklich werden wollte.

Endlich hörte sie Tritte. Es ging den Corridor entlang, aber auf dem Teppich merkte man es kaum. Drüben an der Thür machte es Halt. Das war Samuel. Er steckte den Schlüssel ein, nun ging er in sein Zimmer. Sie wartete eine kleine Weile. Jetzt konnte er kommen. Merkwürdig! er kam nicht.

Was er nun haben mag? dachte sie. Sie ging auf und nieder, musterte ihre Kleidung, setzte sich an das Fenster, dann an den Theetisch, und hatte die Augen doch immer nach der Thür gerichtet, zu sehen, wo er bleibe? – Endlich hielt sie dies Warten nicht mehr aus. Sie wollte ihn holen – aber kaum hatte sie den Drücker des Schlosses erfaßt, als sie ihn wieder losließ.

»Wie thöricht!« sagte sie und setzte sich auf's Neue, um mit einem Buche in der Hand noch ungeduldiger auf Samuel zu warten.

Nun! – Nun kam er! Nun schloß er die Thür drüben zu. Jetzt war er da, und: »Samuel!« rief sie ihm entgegen, »wo sind Sie denn so lange geblieben?«

Es lag so viel Freude und Ungeduld in ihrem Tone, er schien dieselbe aber gar nicht zu bemerken.

»Ich wäre bald gar nicht herüber gekommen,« sagte er, »und den ganzen Morgen schon habe ich mir Vorwürfe gemacht, daß ich Sie zu dieser Reise überredet habe.«

Auf Klagen und Mißmuth treffen, wo man Freude zu finden und zu bereiten wähnte, ist niederschlagend. Adele mußte das erfahren. Sie blickte den Vetter an, er sah verstimmt und leidend aus. Theilnehmend fragte sie, was er denn habe?

»Ich bin ganz elend und halb todt!« erwiderte er in derselben verdrießlichen Weise.

»Sie waren doch aber gestern auf der Reise und den ganzen Abend wohl und munter?« wendete sie ein, und suchte zu errathen, was Samuel geschehen sei; denn daß Krankheit allein ihn so unwirsch gegen sie mache, fiel ihr zu glauben schwer.

Er ließ aber keinen anderen Grund des Unmuths merken, sondern sagte: »Freilich war ich wohl! Ich habe mir auch Alles nur selber zuzuschreiben! Warum wollte ich den Jüngling und den Dandy machen? Warum wollte ich auch« – Er brach plötzlich ab, und rief: »Aber lassen wir das! Sie sehen, mir ist nicht gut, das kann nun doch Nichts weiter helfen.«

Adele schwieg eine Weile, sie hoffte, er werde sich zerstreuen. Indeß er ging im Zimmer auf und nieder, blieb ein paar Mal stehen, als wolle er sprechen, und beharrte dennoch wieder in seinem mißmuthigen Schweigen, so daß Adele sich gedrungen fühlte, das Gespräch noch einmal zu beginnen, und wirklich besorgt um ihn, wiederholte sie die Frage: »Aber, lieber Samuel! was fehlt Ihnen denn eigentlich?«

Er fuhr auf. »Sie fragen mich, was mir fehlt?« rief er, trat dicht vor Adele hin, und blickte ihr scharf in das Gesicht. Dann wendete er sich eben so plötzlich von ihr ab, und offenbar seine beabsichtigte Antwort unterdrückend, sagte er: »was mir fehlt? – mein alter, ehrlicher Mantel hat mir gefehlt. Hätte ich mich nicht zu dem verrätherischen, verdammten Paletot entschlossen, hätte ich die alte Reisemütze aufgehabt, die mir den Hinterkopf erwärmte, so wäre ich gesund geblieben, und hätte jetzt nicht einen so schlimmen Hals und Fieber in allen meinen Gliedern. Man muß in meinen Jahren keine Kunststücke mehr machen.

Adele hätte lachen mögen über seine Sehnsucht nach dem Mantel, über seine Erbitterung gegen den neuen Paletot, hätte sein Zorn nicht offenbar ihr selbst gegolten, und bemüht, ihn zu erheitern, ehe sie eine ehrliche Erklärung seines Unwillens begehrte, sagte sie: »Sie machen sich älter als Sie sind, Cousin! In Ihrem Alter ist ein Mann noch immer jung!«

»Besser, man macht sich zu alt als zu jung!« antwortete er ihr kurz.

Adele war betroffen. »Cousin! soll mir das gelten?« fragte sie.

»Ihnen? Ich dächte, Sie hätten sich wohl vor der Zeit schon alt gemacht mit Ihrer dichterischen Laufbahn!«

Noch einmal fand Adele sich zurückgewiesen. Es fing an ihr wehe zu thun. So hart und rauh hatte sie den Vetter nie gesehen, so lange sie ihn kannte.

»O!« sagte sie, »und grade heute hatte ich mich so schön gemacht!« Sie hatte sich bei diesen Worten scherzend vor ihn hingestellt, daß er sie ansehen mußte, aber der Blick, mit dem er's that, war theilnahmlos und mürrisch.

»Ja!« bemerkte er, »ich sehe, Sie haben Locken und ein Rosa Band! Glücklicher Weise erkältet man sich damit nicht. Das will nichts Großes sagen.«

»Ich dachte, Sie sollten mich sehr darum bewundern, ich wollte Ihnen eigens damit gefallen, Vetter!«

»Mir?« fragte Samuel mit bitterem Spotte, aber in demselben Augenblicke schien er den verrätherischen Ausruf zu bereuen, und zu seinem verdrießlichen Tone übergehend, sprach er: »Es ist doch um des Teufels zu werden, ich habe grades Wegs ein Fieber, und der Hals ist mir wie zugeschnürt.«

Er räusperte sich, versuchte, Gesichter schneidend, von dem Wasser zu trinken, das auf dem Tische stand, und sagte dann: »Und dazu Geschäfte bis über die Ohren! und Sie dabei! ein Frauenzimmer, das ich amüsiren soll!«

»Wie unliebenswürdig!« tadelte Adele, »bin ich denn so vergnügungssüchtig?«

»Vergnügungssüchtig oder nicht!« entgegnete er ihr, »Sie sehen's, ich bin krank, Adele! Ein Kranker taugt für Andere nicht. Folgen Sie mir, – reisen Sie lieber morgen ab.«

»Samuel!« rief Adele, »so schicken Sie mich fort?« – und ihr Herz sträubte und empörte sich dagegen.

»Aber um des Himmels Willen, was wollen Sie denn hier beginnen?« wendete er ein. »Ich fühle es, entschieden fühle ich es, ich werde mich legen müssen. Ich sage es Ihnen, ich bin ernstlich, ganz ernstlich krank. Was wollen Sie denn also hier?«

Adele sah ihn an, sie hatte ihn lange schon durchschaut. »Sie pflegen will ich, Vetter!« sagte sie freundlich, indem sie ihm die Hand bot.

Er that, als merke er es nicht; auch auf ihr Anerbieten erhielt sie keine Antwort. Samuel zog sich bald zurück. Der Arzt wurde geholt, und noch an demselben Abend erklärte er, daß er ein entzündliches Fieber für den Kranken fürchte.


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