Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwölftes Kapitel

Am anderen Morgen hatte Samuel keine Muße. Er mußte früh an sein Geschäft, Adele sollte ihn erst spät am Tage wiedersehen. Sie war damit auch wohl zufrieden, denn sie hatte sich vorgenommen zu arbeiten, wie sie's selbst auf Reisen an jedem Tage that, an dem sie ihren Gedanken eine bestimmte Richtung zu geben wünschte; aber sie blieb zerstreut und das Schreiben wollte ihr nicht gelingen.

Hellwig's Erscheinung stand ihr immer vor den Augen. Dieser geputzte Mann, mit der gezierten Vornehmheit, mit den übersättigen und doch genusseslüsternen Mienen, das also war Hellwig! – Sie hatte ihn nur wiedererkannt, um ihn fast bis zur Unkenntlichkeit verwandelt zu finden. Jetzt begriff sie die Aenderung seiner Gesinnung, die sich dem Publikum in Hellwig's Schriften in so ausfälliger Weise kundgethan hatte. Jetzt zweifelte sie nicht mehr, daß er sein Talent verloren, daß träge Genußsucht ihn herabgezogen habe.

Und diesen Hellwig hatte sie geliebt! so sehr geliebt! Er war ihr Ideal gewesen und war es auch geblieben. Sie konnte den Gedanken kaum ertragen. In das Fenster gelehnt, schaute sie auf die Straße hinaus, ohne irgend einen Gegenstand mit dem Auge zu erfassen.

»Armer Samuel!« seufzte sie mit einem Male, und als sie das Wort von ihren Lippen hörte, wußte sie sich kaum zu sagen, wie sie zu dem Ausrufe gekommen war.

Zufällig blickte sie nach der Uhr. Es war schon Mittag. Jetzt mußte er an der Börse sein. Gestern waren sie noch mitsammen auf dem Wege gewesen um dieselbe Zeit. Wie gut, wie rücksichtsvoll er sein konnte! wie freundlich er für sie gesorgt hatte am vorigen Tage! Und sie hatte es ihm so schlecht gelohnt, sie hatte ihm die ganze Heiterkeit verdorben.

Daß man der Liebe so große Opfer bringt und so wenig Selbstüberwindung hat zum Besten eines Freundes! dachte sie; denn ein Freund, ein treuer Freund, das war ihr Samuel. Was mochte er denken, als er sie von der Begegnung mit Hellwig so erschüttert sah? Was mochte Hellwig gedacht haben, da er sie in Samuel's Begleitung gefunden hatte.

Die Vorstellungen, die Fragen wirrten sich durcheinander, es machte sie ganz fieberhaft.

»Bin ich denn zwanzig Jahre?« fragte sie sich ärgerlich und wollte sich auf's Neue an den Schreibtisch niedersetzen, als es an ihre Thüre klopfte und auf ihren Anruf Hellwig in das Zimmer eintrat.

Mit Befremdung wich sie zurück, als er ihr nahte. Er konnte sich das nicht verbergen, und im Tone eines Vorwurfs sagte er: »So sehen wir uns wieder! So, Adele! empfangen Sie den Freund?«

Sie vermochte ihm nicht gleich zu antworten. Seine Rede, seine Miene, seine Haltung berührten sie unangenehm, aber sie konnte das Auge nicht von ihm wenden, und den Blick fest auf ihn gerichtet, brach sie endlich in die Worte aus: »Sie hatte ich nicht zu sehen erwartet! Was führt Sie hierher?«

Auf einen solchen Empfang war er ganz unvorbereitet. »Adele!« rief er, »sind Sie es, bist Du es, die also redet zu dem Geliebten ihrer Jugend?«

»Hellwig!« unterbrach sie ihn, »die Zeit der Leidenschaften und der Täuschung liegt hinter mir. Was soll dies Wiedersehen mir und Ihnen Hellwig?«

Er verlor die Fassung vor ihrer kalten Ruhe, es schien ihm, als werde ihm das schwerste Unrecht angethan, aber er raffte sich zusammen. –»Mir das? mir das, Adele?« fragte er aufgeregt. »Mir das, da ich als ein Bereuender, ein Bittender, zu Dir komme? – Ja! als ein Bittender, ein Glückberaubter,« fuhr er fort. »Ich glaube noch an Dich, Adele, ich hoffe noch auf Deine Liebe!«

»Still! still! Verrathen Sie Ihr Weib nicht! An einem Verrathe dünkt mich war's genug!«

Sie wendete sich mit Widerwillen von ihm ab, er ging ihr nach und ergriff ihre Hand. So hielt er sie neben sich fest.

»Adele!« sprach er immer lebhafter,«gestern als ich Dich wiedersah, nach den langen Jahren der Trennung, da war's mir, als leuchte mir wieder der helle Tag meiner glücklichen Jugend! Da wußte ich, was ich so lange entbehrt, und was ich einst besessen! Da fühlte ich, daß ich Dich niemals hätte lassen dürfen, daß ich Dich suchen, Dich wiedergewinnen müsse!«

Er schien eine Antwort erwartet zu haben; als Adele aber die Augen mit der Hand verdeckend, bei ihrem Stillschweigen beharrte, fuhr er mit wachsender Erregung zu sprechen fort. »Höre mich!« sagte er. »Du hast sie gesehen, Adele, diese Frau, neben deren trockenem Verstande ich verschmachte! Du hast das eisige Lächeln gesehen, das jeden Aufschwung meines Geistes lähmte. Ich bekenne Dir, was Keiner je von mir vernommen: ich bin nicht mehr ich selbst! Von Dir erwarte ich – – von Dir erwarte ich die Rückkehr meiner Jugend!«

Adele hatte ihm die Hand entzogen, die er noch immer in der seinen festgehalten. Sie war blaß geworden, aber ihre Stimme klang fest und ruhig. »Halten Sie ein!« sagte sie, »es wird Sie reuen, mir dies Geständniß gemacht zu haben, denn ich liebe Sie nicht mehr.«

»Adele!« rief er, »Adele! das von Deinen Lippen?« Er war in heftiger Leidenschaft, die Thränen standen ihm in den Augen.

»Schrecklich,« sagte Adele, »er belügt sich wieder selbst!« – Sie schauerte unwillkürlich zusammen, und ehe Hellwig ihr folgen konnte, hatte sie das Gemach verlassen und sich in ihr Nebenzimmer zurückgezogen.

Hellwig war allein. Er sah ihr nach, das Geschehene kam ihm ganz unmöglich vor. Er wollte ihr folgen, sie noch einmal sprechen. Sie sollte und mußte ihn hören, ihm vergeben und ihn wieder lieben. Aber der Schauer und der Ausdruck des Schreckens, mit denen sie sich von ihm entfernt, waren ihm nicht entgangen und ahnten ihn an seinen Platz. Er stand und stand, er klopfte endlich an ihre Thür, er rief sie leise und bat um ihre Rückkehr. Es blieb Alles still, und gedemüthigt wie noch niemals, verließ er das Zimmer und das Haus.

Auch jetzt konnte Hellwig den Vorgang noch nicht fassen, nicht fassen, wie er ihn herbeizuführen vermochte, und doch war das ganze Ereigniß die einfachste Folge seines ganzen Wesens.

Die Begegnung mit Adele hatte ihn ergriffen, wie Alles, was uns plötzlich die Erinnerung an lange vergangene Zeiten auferweckt. Er hatte erwartet, diese Aufregung von seiner Frau bedauert oder getheilt zu sehen; es würde ihm geschmeichelt haben, wäre ihre frühere Eifersucht dadurch lebendig geworden. Ihre Gleichgültigkeit, ihr besitzessicheres Lächeln hatten seine Eitelkeit verletzt, und mehr noch hatte es ihn gekränkt, daß sie ihn als einen Mann betrachtete, der keine Leidenschaft mehr einzuflößen oder zu empfinden vermochte.

»So gering also,« sagte er sich, »schlägt sie das Opfer an, das ich ihr einst gebracht, als ich Adelens Liebe hingab!« So wenig verstand sie, welchen Werth Adelens anbetende Verehrung ihm einst gehabt! Das war die Folge der bürgerlichen Ehe. Nur eine Ehefrau konnte glauben, daß man eine Leidenschaft vergessen könne, daß er Adele und sie ihn vergessen habe. Er wollte seiner Gattin zeigen, daß Adele ihn noch liebe, daß er noch Leidenschaft erregen und empfinden könne. Und warum sollte er es sich nicht gönnen, Adele wiederzusehen, da sie sich doch einen Namen, eine Position erworben? Wer wollte ihn hindern, ihr zu sagen daß er sie vermisse, daß sie ihm verzeihen und ihm bleiben solle für die Zukunft?

Es waren nur Eitelkeit und Trotz gewesen, die ihn aufgestachelt, bald aber hatte seine Phantasie sich des Gegenstandes bemächtigt, und nicht gewohnt, sie zu zügeln, hatte er sich in Erinnerungen und Zukunftsträumen fortschreiten lassen, bis er selbst den Weg nicht mehr erkannte, von dem er ausgegangen war. Vorstellungen von Liebe, von Scenen voll Leidenschaft und Eifersucht, wechselten in seinem Innern mit einander ab. Er sehnte sich nach Aufregungen, er fühlte sich jung in diesem Verlangen, er hoffte mit der wiederkehrenden Jugend die Begeisterung und den Schwung jener jungen Tage wiederzufinden, und dies Alles sollte ihm Adele bringen, dies Alles wollte er ihr verdanken, die sich einst selbst zu seinem Genius geweiht. Ein ganzer Roman baute sich vor ihm auf, ein Roman dessen Held er war, der seine Gattin leiden machen sollte, und dessen gute Folgen ihm in jedem Falle zu Nutzen kommen mußten.

Das Herz hatte ihm ordentlich geschlagen auf dem Wege zu Adelen. Er hatte erwartet, daß sie ihm entgegeneilen, daß Alles vergessen sein würde vor seinem Blick, vor seinem Wort. Mit höchster Zuversicht hatte er auf Adelens unverwandelte Liebe gerechnet, und ihre Verachtung war vernichtend auf ihn herabgesunken.

Er nannte sich mit bitterem Zorne vergessen, zurückgestoßen, gekränkt in seinem heiligsten Empfinden. Er schalt den Wankelmuth der Frauen und ihre kalte Selbstsucht, er klagte sein eigenes Herz an, das immer noch zu lieben und zu glauben fordere, und es war ihm wieder einmal Ernst mit allen seinen Klagen, die er im Uebermaße seines Schmerzes nur zu bald dem Ohre seiner Gattin anvertraute. Zum zweiten Male, sagte er, flüchte er sich an ihr treues Herz, an dem er immer einen Hafen und sicheren Halt gefunden, wenn Adelens unklares Wesen ihn in den Strudel wilder Leidenschaft verlockt. Er hatte sich nur empört, um sich noch mehr gefangen zu geben, aber um so freier fühlte sich Adele nach diesem zweiten Wiedersehen mit Hellwig.

Es war ihr, als hätte sich ein schweres Gewölk von ihrem Horizont erhoben, als thue sich zum ersten Male ein Blick in eine klare, stille Ferne vor ihr auf. Nicht Hellwig allein hatte sich sein Leben lang im Selbstbetrug gewiegt, auch sie hatte sich in Irrthum und Unwahrheit bewegt, indeß die Täuschung, in der sie sich befunden, war nur zur Hälfte eine freiwillige gewesen.

Sie hatte an die Unwandelbarkeit der Liebe, an die unbedingte Treue, wie an eine Religion geglaubt. Was sie geschrieben, von der Ausdauer weiblicher Neigung, die noch an dem Unwürdigen, ja selbst an dem Verbrecher festhält, es war ihre heiligste Ueberzeugung gewesen. Nach diesem Grundsatz hatte sie gelebt, hatte sie sich unauflöslich an Hellwig gekettet, und sich und ihr Herz erstorben gewähnt in der einzigen Liebe ihrer frühen Jugend.

Aber was war aus ihr geworden, aus dieser unwandelbaren Liebe, da Adele Hellwig jetzt wiedergesehen? – Schreck und Pein hatte sie empfunden, als sie ihn unerwartet erblickt, Schmerz und Abneigung, da er vor sie hingetreten, in der Lüge, die ihm zur Natur geworden war. Sie mißachtete ihn in dieser Stunde, und die Liebe hielt davor nicht Stich.

Diese Erfahrung bewirkte einen förmlichen Umsturz aller ihrer Ansichten. Es erschreckte sie, als sie fühlte, wie kalt sie dem einst geliebten Manne gegenüberstand, als sie sich's nicht verbergen konnte, daß sie frei sei von jeder Abhängigkeit, von jedem Zusammenhange mit demselben. Sie glich in dem Augenblicke dem befreiten Gefangenen, dem nach seiner langen Haft in enger Zelle das Licht zu hell, die Luft zu kalt, die Welt zu weit erscheint. Sie wußte sich nicht zurechtzufinden in der neuen Freiheit, und doch konnte sie sich's nicht verhehlen, daß sie voll unbestimmter Freude auf dieselbe hinsah.


 << zurück weiter >>