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Neunundvierzigstes Kapitel

Am nächsten Morgen führten sie mich in den großen Saal der Schranne. Es war derselbe Saal, wo gestern der Bürgermeister mit dem Magistrat die Vorführung des Telefons erwartet hatte.

Auch heute war der ganze Magistrat versammelt. In voller Amtstracht. Auf einem Tischchen lagen die corpora delicti: die Trümmer der Glühlampen, des Flugzeuges und die Maschinenmodelle.

In einer Ecke wartete, das Haupt vermummt, der Henker.

Eine Weile mußte ich die Augen schließen, geblendet von der ungewohnten Helle. Denn ich kam aus einem finstern Kerkerloch.

Dann sah ich mir alles an. Recht genau, ja gierig. Wie jemand, der vor einem langen, harten Gange noch einmal einen tiefen Trunk tut.

Wie deutlich sich meinen aufgeschloßnen Sinnen alles einprägt! Jede Maser an dem Holz der Wandverkleidung, die zerzausten Gänsekiele in dem großen Tintenfasse vor dem Ratschreiber und an dem Stuhl des Vorsitzenden das Schnitzwerk, wovon zwei Schnörkel abgesplittert waren. Und die Gesichter.

Wie oft hatte ich als Knabe oder Jüngling versucht, im menschlichen Gesicht zu lesen. Vergeblich; das Antlitz des modernen Menschen ist verschlossen. Aber diese hier, so unnahbar sie schienen, in ihre Amtswürde verkrochen, verrieten gleichsam wider Willen ihr Geheimnis, Tiergesichter!

Gleicht denn nicht dieser kleine, dicke Peter Vorrat einem Ferkel wie aufs Haar, der Martin Bilfinger einem lüsternen, boshaften Affen, der Liberatus Rodemacher einer nachdenklichen Kropfgans? Und der Vorsitzende Doktor Scultetus glotzt würdevoll gutmütig wie ein Ochse.

Nichts Menschliches, nichts, wo das Auge Trost und Ruhe fände. Nur die Schwalben, die durch die offnen Fenster aufgeregt zwitschernd hin- und herschießen; sie rüsten zum Aufbruch. Nach dem Süden, nach dem blauen Meer, nach der blauen Ferne . . . Dort, wohin auch ich vor ein paar Stunden ziehen wollte . . . Es schießt mir dunkel in die Augen, und ich will das Gesicht in meinen Händen bergen. Doch sie sind gefesselt.

Nun beginnt das Verhör. Mit der herkömmlichen Frage, warum ich wohl glaube, daß ich hier stehe.

»Die Frage kann ich zurückgeben; die muß ich selber stellen.«

Ich erhielt Bescheid.

Man legte mir zur Last, daß ich Hexerei getrieben, daß ich Konradins Tod verschuldet, daß ich Agathe umgebracht, daß ich »verwichnen Tages zur Nachtzeit als ein Hexenmeister ausgeflogen und mich an den Rathausfenstern im ersten Stockwerk als ein erschröckliches Gespenst gezeiget« und daß ich im Bunde mit den bösen Mächten den Tod ihrer Gestrengigkeiten doctorum Lansii und Heidegger vorsätzlich bewirket.

Und es begann ein Hinundhergefrage, um mich »in der Güte zu einer Geständnus der Wahrheit zu vermögen«. Sie nennen das in ihrem Amtsstil »spaßhaft förscheln«.

Als dies nichts fruchtete, sagte Altmannstetter, indem er gelangweilt zum Fenster blickte: »Moviere, daß Inkulpat ad locum torturae cum praeextensione instrumentorum torturalium geführt Ich beantrage, daß Beschuldigter in die Folterkammer unter Vorweisung der Folterwerkzeuge geführt. und dort angegriffen werde.«

»Ja«, fiel der Arnold Hecht ein, »er möge auf gebundnen Stuhl gesetzet, ihm die Daumschrauben appliziert und angedruckt werden.«

Der Inquirent Doktor Scultetus rückte sich zurecht. »Wohl. Nunmehro prozediere ich zum artikulierten Verhöre.«

Und dem Ratschreiber diktierend, fragte er mich nach Vor- und Zunamen.

Sodann: wo und wann ich geboren sei.

Während er die Frage dem Schreiber diktierte, ertönten drunten auf der Straße Kommandorufe, Hufgetrappel, Hornsignale und eine kriegerische Marschmusik.

Ein Reiterregiment in voller Kriegsausrüstung zog durch die Straßen, mit fliegenden Fahnen und klingendem Spiel.

Die Gassen und die Fenster dicht gedrängt und Händeklatschen, Jubelrufe, Tücherschwenken.

Die strengen Amtsmienen der Räte glätten sich, die meisten eilen an die Fenster.

Im Gedränge nähert sich mir Büttgemeister wie zufällig und flüstert mir hastig zu: »Sagt nicht, daß Ihr aus der Zukunft stammet. So Ihr das saget, ist’s um Euch geschehen. Ihr seid geboren anno sechzehnhundert zu Haarleem als meiner Muhme Sohn. Merkt Euch’s. Bis zu den Staaten ist es weit, und feindliche Heere stehn dazwischen. Dazu noch Eure fremde Mundart. Man wird Euch’s glauben. Und ich will es bezeugen.«

Der Großmütige. So lohnt er mir, daß ich ihm die Braut entrissen, daß ich ihm gestern nach dem Leben stellte. Das soll ihm nicht vergessen werden.

Doch ich achte kaum auf seine Worte. Ich blicke hinunter auf die Gasse, auf die Menge, auf die vorbeiziehenden Reiter. Unklar schwirrt mir’s durch den Sinn: Ferdinand der Zweite, in der Burg zu Wien, bedrängt von seinen Ständen. Ferdinandule, non subscribes? Da reiten mit klingendem Spiele Dampierres Dragoner durch den Burghof, und die Aufrührer fliehen.

Musik, Verheißung, Freude, Rettung!

Und in das aufwühlende Pfeifenschrillen, in die Fanfaren der Trompeten, in das Geklirre und Gewimmel tönte mir eine andre Melodie. Ein andrer Marsch, der eine andre Kriegerschar begleitet, jenes alla marcia der Neunten Symphonie, da uns der Herzschlag stockt in süßem Schrecken, um die frohe Botschaft zu vernehmen, da sie herangedonnert kommen, die Himmelslegionen, da sie uns nahen, die Künder aller unsagbaren Hoffnung, die Herolde der Seligkeit. Und Hufgetrappel, Pallaschklirren, Trommelwirbel, Pfeifenschrillen und die Musik in meinem Herzen vereinigt sich zu einer wilden Vision, aus der es mir entgegenkeucht von Qual und Jammer, Blut und Tränen, aus der es mir entgegenlächelt wie endliche Erlösung, wie ferne Seligkeit.

Vorbei ist das Getümmel, stille war’s und Ruhe auf den Gassen.

Nüchternes Schweigen herrscht im Saale. Sie setzen sich an ihre Plätze und hüllen sich aufs neue, gleichsam fröstelnd, in ihre Amtsmienen.

»Wann Er geboren, will ich wissen, und wo?« fragte mich der Inquirent mit harter Stimme.

Als ich gleichmütig erwiderte, ich sei geboren im Jahre 1878, als sie losfuhren mit derbem, boshaftem Gelächter, da sagte ich ihnen alles, erzählte, aus welcher Welt ich stamme, schilderte, gepeitscht von namenloser Sehnsucht, alle Schönheit, alle Größe meiner Zeit.

Lautlose Stille herrschte. Verschwunden waren sie, die Amtsgesichter, gläubige Kinder lauschten einem Märchen, und aus ihrem Antlitz strahlte das Leuchten unsterblicher Hoffnung.

Noch lange, als ich schon geendigt hatte, dauerte das entrückte Schweigen. Dann sahen sie einander an, erröteten verwirrt, beschämt.

Altmannstetter brach die Stille, heiser, mit gezwungnem Spotte, indessen er verstohlen mit meinem Taschenstifte spielte.

»Vir dicax ac jocosus. Ein gesprächiger und spaßhafter Herr. Jetzo agieret er den Narren, damit er der Tortur entrinne.«

»Wir wöll’n ihm schon«, so fiel der Knieperode giftig ein, noch immer die Röte der Verlegenheit auf dem Gesichte, »wir wöll’n ihm schon seine speilzahnige Loquazität benehmen. Im spanischen Reiter, da tun sie gemeiniglich weniger perorieren und desto mehr die Wahrheit eingestehn.«

»Saget doch« – so meldete sich Matthäus Büttgemeister –, »wenn all dies wahr ist, dann muß Euch ja unsre Zukunft offenbar sein. Erzählet uns doch etwas von den weitern Kriegsbegebnissen. Wann wird sie sein, die nächste größere Impresa, Kriegsunternehmung, Schlacht. und wo und welches ihr Sukzeß?«

»Gewiß weiß ich das: am sechzehnten November bei Lützen. Die Schweden werden siegen. Doch wird ihr König fallen.«

Als sich die Bestürzung legte, sagte Büttgemeister schüchternen Tones: »So halte ich denn dafür, daß dieses responsum ad protocollum notetur Diese Antwort zu Protokoll genommen werde. und daß wir mit dem fürderen processu bis zu bemeldtem dato innehalten. Sind so nur etzliche Wochen. Trifft die Prophezeiung ein, dann wollen wir uns in Demut vor dem Wunder Gottes neigen. Hat er gelogen, dann mag ihn die verdiente Strafe treffen.«

»Quod non«, Das nicht! war rings die Antwort.

»Warum nicht gar bis achtzehnhundertachtundsiebzig?« bemerkte Scultetus. »Verifizieren, ob er da wirklich auf die Welt kommt? Ihr treibt die Hospitalität zu weit, wohledler Büttgemeister. Das hieße platterdings, dreister Gaukelei das Wort reden. Wird infüro jeder Landstürzer oder Marodeur prätendieren, er komme aus Otaheit.«

»Aber ich vermeine«, sagte der gutmütige Rodemacher, »man solle Inquisiten nicht die Möglichkeit benehmen, seine Künste zu explizieren.«

»Ja, aber nur verbis Durch Worte. nicht re« Nicht durch die Tat. pfauchte der feige Bilfinger, »damit nicht wiederum Unheil geschieht.«

»Wollen lieber unsre eigenen expertos vernehmen«, brummte Scultetus, »sonsten erzählet er uns wieder einen Gallimathias.«

So wurde auch beschlossen und die Doktoren Schug und Unkmar als Sachverständige herbeigeholt. Die schüttelten die Köpfe rechts und schüttelten sie links und diskutierten, deliberierten, kontendierten, protestierten, revozierten, rekusierten, obtemperierten, argumentierten, daß ihnen unter den Perücken der Schweiß herabtroff, und bewiesen schließlich aus Aristoteles und Regiomontanus, aus Theopompus und aus Theophrastus haargenau, daß alle meine Künste nur Teufelsspuk und Blendwerk seien, wie denn auch füglich Gottes Strafgericht darüber waltete.

 


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