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Siebenundzwanzigstes Kapitel

Am nächsten Tage zeigte mir mein Wirt und Ahnherr eine Geige. Sein florentinischer Gewährsmann habe sie ihm letztwillig vermacht als Gegengabe für einen Ballen feinsten Brabanter Zeugs. Der Florentiner sei kürzlich verstorben, seine Erben übersendeten getreulich das Vermächtnis; soeben sei es eingetroffen.

Aus dem Begleitbrief scheine hervor, daß ein sicherer Geronimo Amati aus Cremona die Geige gebaut. Das müsse ein gar tüchtiger Meister sein, denn drüben der Leubelfinger, unterm Sebaldustor, der habe eine Viola da gamba aus der nämlichen Werkstatt und lobe sie höchlich.

Nun sei er, Matthäus Büttgemeister, des Fiedelstreichens unkund, habe nur zur Not gelernt, die Querpfeife zu traktieren. Wenn ich’s verstünde und es mir Plaisir bereite, möge ich mich mit der Geige verlustieren.

Mit freudiger Rührung griff ich nach dem edlen Instrument. Auch hier ein Wiedersehen. Auf dieser Geige hatte ich bisweilen als Kind gespielt, bis auch sie den Weg der Bilder, des Schmuckes und des andern Hausrats wanderte, ein Opfer unseres Verfalles.

Von allen Künsten hatte ich am leidenschaftlichsten Musik gepflegt. Wenn man sich wunderte, daß ich, ein Forscher und ein Rechner, es in der schwärmerischsten der Künste zu solch ungewöhnlicher Vollendung brachte, so mußte ich mich an Leibnizens Erklärung der Musik erinnern: Exercitium arithmeticae occultum nescientis se numerare animi – Eine geheime Rechenübung der Seele, die da zählet, ohne es zu wissen.

Ich ging im Zimmer auf und ab und spielte. Beethoven, Bach und Schumann und all die andern mir so teuern Meister, spielte, was das Abenteuer, was die Einsamkeit, das ferne, schmerzliche Gedenken, was die ungestümen Wünsche meines heißen Herzens forderten. Mit süßer Inbrunst gab ich mich den Tönen hin. Ach, sie waren ja das einzige, was mir geblieben war aus meinem frühern Leben. Und aus der edlen Geige tönte es wie Totenklage, wie der Jammerruf verlorener Seelen, wie der Schmerzensschrei der Mutter, die ihr Kind beweint.

Wie ich so geigend auf- und abschritt und achtlos einen Blick durchs Fenster warf, da sah ich unten auf der Straße einen ganzen Schwarm von Hörern, Hausmädchen, Dragonern, Häuslerinnen, Zunftgesellen, weißgelockte Greise. Und immer neue Ankömmlinge gesellten sich hinzu, durch die Töne angelockt und durch das seltsame Schauspiel jener stummen Menge, die verzückten Angesichts nach oben blickte, gleichsam durch ein unsichtbares Licht geblendet. Hier ein paar Ratsschreiber, die Aktenrollen unterm Arm, da ein Obrister eines Reuterregimentes, der sacht vom Pferde steigt und, auf den Degenknauf gestützt, andächtig horcht. Auch eine Sänfte, die vorbeigetragen wird, hält an, und hinter ihrem leichtbewegten Vorhang sehe ich ein holdseliges Antlitz.

Tiefes Schweigen herrschte, nur der Strahl des Brunnens auf dem Markte begleitete mein Spiel melodisch und bescheiden. Da standen sie und horchten, schweigend. Die harten Kriegsknechte starrten verlegen vor sich hin, mancher gab schüchtern mit der Hand den Takt, und andre wiegten ihr Angesicht, glückselig und ergriffen lächelnd. Wie ein altes, buntes Bildwerk lag’s vor mir, und halb scherzhaft fuhr mir’s durch den Sinn: Nun könntest du diese betörten Kinder wie ein zweiter Rattenfänger mit dir führen, in ihrer Seligkeit, in ihr Verderben.

Übermächtig war die Wirkung; gleichsam als ob vor einer Horde Wilder mitten in der Wüste ein Palast von nie geahnter Pracht erstünde. Und mir bleibt es unvergeßlich, wie die Kunst der lange heimgegangnen Meister, der Nachgeborenen, ihre urlängst abgeschiednen Ahnen nun berückte.

Wenn die Überklugen meinen, die Melodie sei zeitgebunden, hier ihre Widerlegung. Die Melodie ist ewig wie ein Schmerz und wie die Freude. Mir aber war’s ein unsagbarer Trost, zu sehen, wie der Geist durch die Jahrhunderte beglückend wirkt und friedebringend.


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