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Siebenundvierzigstes Kapitel

Nun faßte mich erst eisiges Entsetzen. Nun hallte er mir nach, der Fluch, den er einst über mich gesprochen: »Wenn ich dir ein zweites Mal erscheine, vordem erschienen bin, so werde ich dir Bote deines unseligen Endes sein!«

Jetzt aber fort. Fort von dieser Stätte der Enttäuschung, des Todes, der Verzweiflung. Ich stürzte fort in irrer Hast. Barhaupt, ohne Mantel, hinaus in Nacht und Ungewitter.

Über der Stadt war der Himmel klar und ruhig. Doch Unruhe war noch auf den Straßen, trotz der späten Stunde.

Da standen sie in den Haustoren, verweilten in den Laubengängen und gingen auf und ab, erregt, geängstigt und erbittert, und konnten nicht genug erzählen von dem greulichen portentum, Wunder. dessen Zeugen sie gewesen, von Gottes Strafgericht, das sich in dem Gewitter furchtbar offenbarte und meine Hexenkünste schmählich zuschanden werden ließ.

Während ich längs der Häuserwände scheu vorbeischlich und mich in jeder Nische duckte, da hörte ich, daß der allbeliebte Bürgermeister Lansius, als er vor das Teufelskästchen trat, um durch die Ferne mit mir zu sprechen, wie vom Blitz getroffen tot zusammengebrochen sei, und mit ihm der gute Doktor Heidegger, der ihn gleichsam schützend am Arme hielt.

Ich irrte weiter, ziellos, haltlos, meines Wegs nicht achtend, durch die immer stilleren Gassen.

Nun ist alles menschenleer und ruhig. Vor mir liegt, massig aus dem Dunkel ragend, das Rathaus. Auf dem Zifferblatt der Turmuhr schimmert im Mondenschein die Inschrift: Quaelibet vulnerat ultima necat. Eine schwermütige Wahrheit: jede Stunde bringt uns eine Wunde, und die letzte bringt der Tod. Das paßt sehr gut zu jedem Uhrwerk, zu jedem Menschenwerk, zu jedem Menschenleben.

Schutzsuchend lehnte ich an einem Mauerpfeiler und wich zurück, von seiner Kälte angstvoll durchschauert. Aus den schwarzen Fenstern, aus den düstern Häusermassen starrt mich ungeheure Fremdheit an. Welche Rachepläne reifen jetzt hinter diesen Mauern gegen mich?

Düstere Gedanken umkreisten mich wie ein Gespenstertanz in Nebelschwaden, indes ich tief gebeugten Hauptes weiterschritt.

Wenn es einen Ahasverus gibt, der verurteilt ist zu wandern bis zum jüngsten Tage, dann gibt es auch Ihn, der jenes Urteil sprach, dann lebt der Gott, von dem die Bibel kündet. Ein eifervoller Gott, ein Gott der Rache? Der Allerbarmer? Oder die ewige Kraft, der alles gleich ist, Wahrheit, Irrtum, Gut und Böse; die »Summe der Gleichungen«, beständig, unabänderlich und unerweichlich?

Ich blieb stehen. Ohne es zu merken, war ich vor dem Hause Büttgemeisters angelangt. Die Tür zum Garten war halb offen. Verloren in mein Sinnen, trat ich ein.

Wenn es also einen Gott gibt, dann hat Konradin recht behalten. Alles muß so kommen, wie es »in Gottes Rat beschlossen«, und die Weltgeschichte der nächsten drei Jahrhunderte wird so verlaufen, wie es überliefert ist. Und ich will dem Rad der Weltgeschichte in die Speichen fallen!

Von mir aber ist nichts überliefert, meinen Namen meldet »kein Lied, kein Heldenbuch«. Also versunken und vergessen, spurlos verschwunden, nie gewesen! Das ist die Unsterblichkeit, die ich mir erhoffte!

Des Traumes muß ich mich erinnern, den ich in der ersten Nacht des neuen Lebens träumte, als ich versank in mystischen Gewässern, als das Haupt des Juden drohend über mir erschien und ich um Hilfe rief, grenzenlos verlassen, hilflos einsam in einer unbekannten Welt. Nicht umsonst sagt man: Träume der ersten Nacht bedeuten Wahrheit. Nun ist mir seine Wahrheit klar.

Und des Fluches muß ich mich erinnern, den der Jude über mich gesprochen: »Wie ich im Raume friedlos irre, so mögest du dich in der Wüstenei der Zeit verlieren, heimatlos und namenlos und hoffnungslos!« Ja, ich gleiche einem Wanderer, der wähnt, er habe die Wüste schon durchmessen, und schaudernd sieht, daß er im Kreise ging.

Vox clamantis in deserto! Ach, wie soll mein Schrei die Wüstenei durchdringen? Wie kann ein Ton von meiner Klage den Ozean der Zeit durchtönen? Wie kann ich Kunde von mir geben?

Irren Blicks sah ich empor. Zu den Wolken, die am schwarzen Himmel jagten. Sah auf zu ihnen, als wollt’ ich sie zu meinen Boten ausersehen. »Eilende Wolken! Segler der Lüfte! Grüßet mir freundlich mein Jugendland!« Und mußte schmerzvoll lächeln. Welch schwermütiges Gleichnis: Die Wolke, die im Windeshauch vergeht, sie soll die Kunde meines Erdenwallens fernen Geschlechtern übermitteln!

Wie kann ich Kunde von mir geben?

Angstvoll, hilfesuchend umklammerte ich einen Baumstamm. Meine Linde ist’s, die treue Freundin meiner Jugend, die einzig treue in drei Jahrhunderten. Wie unverhoffter Freundesgruß in bittrer Einsamkeit, so neigte sich zu mir ihr Wipfel.

In mir sprach es traumhaft, kindlich: Meine Maschinen sind zerstört, mein Werk ist hin, und alles fluchbeladne Menschenwerk vergeht. Aber die unschuldvolle Pflanze bleibt bestehn, wird weiter grünen, weiter blühen, sie wird Kunde von mir bringen.

Und mit zärtlicher Gebärde, wie ein verliebter Knabe, kerbte ich in die zarte Rinde die Anfangsbuchstaben meines Namens.

Kaum getan, stieg eine Vision aus meiner Kindheit in mir auf: Die Linde hier erkletterte ich – damals ein hoher Stamm mit mächtig breitem Wipfel –, erkannte die verwachsenen Buchstaben, und in entrücktem Dämmer sah ich mich selbst, so wie ich jetzt hier stehe, in alter, fremdartiger Tracht, einsam, verzweifelnd.

Das also ist die Kunde, die ich gebe, das ist alles, was von mir verbleibt: ein Nachtgesicht, das meine eignen Kinderträume ängstigt. Wiederum der schaudervolle Kreislauf!

Alles sinnlos, spurlos und vergeblich! Vor mir eisige Nacht und hoffnungslose Öde und hinter mir das grauenhafte Wunder.

Als riefe ich die unschuldige Kreatur zu Hilfe, so schmiegte ich mich an den Baum und weinte einsame, bittre Tränen, wie ein verirrtes Kind. Weinte, als gelte es, den schlafenden Schöpfer zu erwecken, als sollten meine Tränen bis zum Himmel dringen und dort vor seinem Richterstuhle Klage führen.

 


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