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Einundvierzigstes Kapitel

Die Menge hatte sich schon längst verzogen. Einsam murmelte der Brunnen, nur Katzen und ein paar verliebte Pärchen strichen noch umher. Und ich stand noch immer da und wartete. Worauf? Daß sich all dies als Trug erweise? Auf mein Erwachen? Auf ein Wunder?

Nun rüttelt es mich auf: Ich stehe da und warte, wo es doch gilt, zu handeln! Denn morgen in der Frühe ist die Hinrichtung. Aber die vier Unglücklichen dürfen nicht sterben, diesen Martertod nicht sterben!

Rasch gehe ich nach Hause, um Matthäus Büttgemeister zur Hilfe zu bewegen. Aber er ist nicht daheim.

Nun fällt mir’s ein: zu Altmannstetter, dem Justitiarius. Der ist allmächtig.

Atemlos haste ich durch das enge Winkelwerk der Gassen, bis ich vor sein Haus gelange. Aus dem Fenster schimmert Licht. Gott sei Dank, er ist zu Hause.

Ich verweile einen Augenblick aufatmend und starre auf den kunstvoll geschmiedeten Türklopfer.

Im Hausflur drinnen riecht es seltsam traulich nach gesperrter Luft und Holzwerk. Irgendein verlorenes Erinnern steigt in mir auf. Hab’ ich mich nicht einst als Knabe beim Spiel mit meinen Kameraden hier im Flur versteckt? Aber das ist es nicht. Irgendein Bild, ein Duft, ein Ton . . . Ich weiß es nicht . . . Ach, wann werde ich erwachen?

Die Magd führte mich in eine geräumige Stube, die zum guten Teil von einem mächtigen, schön gekachelten Ofen ausgefüllt war. Ein paar verdrossene Familienbilder an den Wänden verschwammen in dem ungewissen Licht des späten Tages.

Altmannstetter begrüßte mich, und während er der Magd befahl, Wein zu kredenzen, schlug er Stahl und Stein und entflammte die Kerzen an dem kupfergeschmiedeten Hängeleuchter. Behaglicher Lichtschein erstrahlte und vereinigte die braune Wandverkleidung, die dunkel abgetönten Bilder, den schweren Teppich und die hell bemalten Ofenfliesen zu einem farbensatten, kunstvoll abgestimmten Bilde.

Und wie prächtig paßte er zu dem Gemälde, der hochwohledelgeborene, gestrenge Christoph Altmannstetter, mit seinem pelzverbrämten, dunkeln Rock, der goldnen Ehrenkette und dem würdevoll verkniffenen Gesicht.

Wie das Stilleben eines holländischen Meisters lag’s vor mir, und einen Augenblick durchzuckte es mich glückhaft: Sieh doch, was du einst an alten Bildern entzückt betrachtetest, das darfst du jetzt als Wirklichkeit genießen. Und da willst du noch klagen?

Aber der Ernst der Stunde drängte. Ich trug ihm mein Anliegen vor, und er hörte zu. Mit der Linken kraulte er die Katze, die sich an seinem Beine schnurrend rieb, und mit der Rechten hielt er den feingeschliffenen Pokal vors Licht. Das eine Auge zugekniffen; ich wußte nicht, war’s, weil das Farbenspiel ihn blendete, oder war es das prüfende Mißtrauen gegen mein Vorbringen.

Ich suchte ihm darzulegen, daß die Starschödel ihre unheilvolle Tat im Hungerwahn verübt und daß nicht die Juden, sondern Bazillen die Brunnen vergiftet hätten. Und gegen die unmenschliche Härte der Strafen führte ich an, was jedes Kind aus meiner Zeit zu sagen gewußt hätte. Er hörte zu mit jener Würde, wie sie nur der Beschränktheit eigen ist, wortlos, verständnislos.

Das zwanzigste Jahrhundert sprach zum siebzehnten. Wie konnte sich der Sprecher verständlich machen, wie der Hörer ihn verstehen? Eher hätte ich einem Pavian Isoldens Liebestod vorsingen können.

Als ich geendigt, erwiderte er trocken, das Urteil sei gesprochen nach Recht und nach Gesetz. Selbst die vier armen Sünder hätten sich dreingefunden, jedwedes Schandieren Mäkeln. und Rebellieren dawider sei vergeblich und verboten. Ich möge meine Hand von Dingen lassen, die ich offensichtlich nicht verstünde. Sonst geriete ich noch in Verdacht, daß ich Malefizverbrechen fomentiere. begünstige. »Und« – schloß er mit einem queren Blicke – »man spargieret streut aus, spricht herum. über Euch gar mancherlei.«

»Wenn Ihr das unvernünftige Tier hier karessieret« – sagte ich bitter und wies auf die Katze, die er streichelte –, »dann solltet Ihr Euch wohl auch der leidenden Menschen erbarmen.«

Doch bei seinem kalten Achselzucken besann ich mich und versuchte es auf andre Weise. Ich zog meinen blanken, silbernen Taschenstift hervor und ließ ihn vor ihm spielen. Staunen, Neugier und Begehrlichkeit mischten sich in seinen Blicken. Das Spielzeug versprach ich ihm, wenn er die vier Unglücklichen retten wollte.

Nun war der Handel abgeschlossen: Er versprach mir’s in die Hand, daß er die Begnadigung der vier Verurteilten bewirken werde.

Halb schaudernd, halb belustigt sagte ich zu mir: Wie ein Weißer unter Wilden. Wie einer, der für ein paar Glaskugeln einen Elefantenzahn einhandelt. Wirklich kein übler Tausch: für ein Spielding vier Menschenleben. Wartet nur, ich will mit euch noch weitere Geschäfte machen. Was werdet ihr mir erst für meine Flugzeuge und Ferngeschütze geben?

 


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