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Drittes Kapitel

Mag dem sein wie immer, mag die Ansbacher Erzählung Mythus oder Wahrheit sein, ich trug mich schon seit langem mit der Absicht, in dieses Dunkel Licht zu bringen. Doch lag der Gegenstand weit ab von meiner sonstigen berufsmäßigen Arbeit; ich fand das Material nicht, noch fand ich Zeit dazu. Und so geriet die Absicht – die weit mehr ein spielerisches Unterfangen, denn ein ernster Plan war – in Vergessenheit.

Vor einigen Jahren nun betraute mich die Akademie der Wissenschaften zu München mit der Aufgabe, die Rechtsaltertümer von Stadt und Kreis Ansbach zu sammeln und herauszugeben. Nun wurde die Erinnerung an jenes längst vergessene Vorhaben wiederum lebendig, und ich beschloß, soweit es meine Zeit gestatten würde, dem merkwürdigen Gegenstande an Ort und Stelle nachzuspüren.

Die Aufgabe, die man mir gestellt hatte, war so umfangreich, daß sie einen mehrmonatigen Aufenthalt in Ansbach erforderte. Da mir aller Voraussicht nach auch viel Arbeit daheim bevorstand und da mir nichts verhaßter ist als die unwirtliche Nüchternheit der Hotelzimmer, so ging ich vor allem daran, mir ein behagliches Quartier zu sichern. Die Wohnungsnot war drückend, die Auswahl also gar nicht groß. Was ich sah, war wenig verlockend. Bald war es das mürrisch-verbissene Wesen der Vermieterin, bald die Dürftigkeit und Unsauberkeit der Stube, die mich abstieß. Schon wollte ich das Beginnen als aussichtslos aufgeben und mich mit meinem Hotelzimmer bescheiden, da rief mich der Apotheker an – ein freundlicher Mann, der offenbar meine Wohnungssuche bemerkt hatte – und gab mir den Rat, ich möge doch einmal bei Frau Professor Büttgemeister anfragen. Sie hätte zwar noch nie vermietet, aber einen Raum – den ihres Sohnes – habe sie bestimmt frei. Und den Mietzins könne sie auch ganz gut gebrauchen.

Ich begab mich sogleich zu dem angegebenen Hause. Es war dies ein sehr altes Gebäude, aber hell und geräumig. Frau Büttgemeister war eine Matrone von etwa siebzig Jahren. Ihre hohe, volle Gestalt war ungebeugt vom Alter. Ihr Antlitz, unter einer schweren Krone schneeweißen Haares, trug noch jetzt die Spuren großer Schönheit, doch war es überschattet von einem Zuge tiefer Schwermut. Anfänglich zeigte sie eine abweisende Miene, doch als ich ihr im Tone eines Bittenden, nicht eines Feilschenden, den Zweck meines hiesigen Aufenthaltes, dessen mutmaßlich nicht allzulange Dauer darlegte, wurde sie freundlicher und zeigte mir das freie Zimmer. Der Raum war nicht gar groß, aufs behaglichste eingerichtet, seine Fenster führten in einen halb verwilderten, verträumten Garten. Eine bessere Studierstube konnte ich mir gar nicht wünschen. Die Dame nannte mir einen Mietzins, den ich so gering fand, daß ich ihn aus freien Stücken erhöhte.

Ende August 1924 vollzog ich meine Übersiedlung nach Ansbach und machte mich sogleich mit großem Eifer an die Arbeit. Stoff bot sich mir in überreicher Fülle. Die Tage verbrachte ich auf der Suche darnach, abends unternahm ich nach alter Gewohnheit weite Spaziergänge. So kam es, daß ich meine Wirtin in den ersten Wochen fast gar nicht zu Gesicht bekam.

Die Bücher und die Manuskripte auf meinem Schreibtisch, das friedliche, arglose Leben eines Gelehrten, das ich führte, mochten mir ihr Zutrauen erworben haben. War sie anfangs bei jeder Begegnung wie ein Schatten verschwunden, so verweilte sie nun hie und da zu einem kurzen Gespräch zwischen Tür und Angel. Bücher, die ich ihr lieh – und die sie mir stets in Kürze zurückstellte, sorglich eingebunden – verlockten zu Gedankenaustausch. Und als die Tage mählich kürzer wurden, als die Herbstnebel hereinbrachen, da wurde es zur stillschweigenden Übereinkunft, daß ich allabends meine Wirtin auf ein Plauderstündchen besuchte.

Das Zimmer, wo sie mich empfing – es war nebst einer Schlafkammer ihr einziges – war fast überfüllt mit altem, schweren Hausrat, der sich als letzter Rest weitläufigen Reichtums hier zusammendrängte.

Unter den Gemälden fielen mir zwei Bildnisse auf.

Das eine stellte einen Mann von einigen dreißig Jahren dar, in der Tracht des 16. oder 17. Jahrhunderts.

Aus der blauen Luft des Grundes leuchten die stolzen Gesichtszüge in warmer Tönung hervor. Er ist bekleidet mit einem Wams aus rötlichem Damast und mit einem pelzbesetzten Überrock aus schwarzem Tuch, der vorn am Hals das feingefädelte Unterzeug sehen läßt. Die eine Hand ruht auf dem Rand des Bildes, die andre spielt mit einem Glase, worin Nelken stehen. Im Hintergrund ein Fernblick auf beschneites Hochgebirge.

Das lebendig erfaßte Wesen der Persönlichkeit, die feinsinnige Charakteristik der Hand, der wunderbare Zusammenklang der Farben, die sprechende Lebensfülle der ganzen Erscheinung – dies alles machte das Bild zu einem Meisterwerke ersten Ranges.

Das Bild war nicht signiert.

Das andere Bildnis trug das Signum Lenbachs. Der Konterfeite war auch hier ein junger Mann von etwa dreißig Jahren.

Was mir an den Bildern auffiel, war die erstaunliche Ähnlichkeit der beiden Köpfe, zwischen denen doch zehn Generationen lagen. Um so anziehender war diese Ähnlichkeit, um so verwirrender, als der Gesichtsausdruck auf beiden Bildern völlig verschieden war.

Der alte Kaufherr, Aldermann oder was er sonst gewesen, sah weltfreudig und hochmütig drein, und darüber schwebte gleichsam ein Ausdruck fast bestürzten Staunens.

Dagegen trug sein später Doppelgänger auf dem andern Bilde die feindlich versunkne Miene eines düstern Schwärmers.

Dies der Grundton. Und die Obertöne – ich meine die flüchtige Stimmung gleich den Lichtern und den Schatten, die über eine Landschaft huschen, nach deren Wiedergabe es den darstellenden Künstler drängt aus spielerischer Laune oder aus der Notwendigkeit inneren Erschauens – diese Obertöne waren die Verzückung eines Menschen, der besessen ist von einer vermessenen Idee.

Frau Büttgemeister erläuterte: Das alte Bildnis stelle einen Ahnen ihres Gatten dar, Matthäus Büttgemeister, der um die Zeit des Dreißigjährigen Krieges als Ratsherr zu Ansbach lebte. Offenbar ging er just auf Freiersfüßen, der wohledle Ratsherr. Daher die Nelken auf dem Bilde. Nelken bedeuten in der Blumensprache jener Zeit glückliche Liebe. Aus alten Familienpapieren ginge hervor, daß das Bild aus dem Jahre 1632 stamme. Wer es verfertigte, blieb unbekannt.

Und auf dem andern Bild . . . das war ihr Sohn Erasmus. Ihr einziges Kind – gewesen, kam es nach mit tonlos-müder Stimme. Ich wagte keine weitere Frage.

Vergeblich zog ich all meine kunstgeschichtlichen Kenntnisse zu Rate, um zu ergründen, wer der Maler des alten Bildes gewesen sein mochte.

Wäre nicht überliefert, daß es aus dem Jahre 1632 stammte, so hätte ich es Memling oder Hans Holbein dem Jüngsten zugeschrieben. Denn nicht nur die Faktur, sondern auch manche Requisiten deuteten auf diese beiden Meister. So die Charakterisierung der Hand an Memlings Anton von Burgund, die Grundierung und der Hintergrund wieder an Holbeins Bildnis des Bonifazius Amerbach, die Nelken an seinen Georg Gyze.

Aber Memling und Holbein lebten ja ein Jahrhundert vor der Entstehung des Bildes.

Wer konnte es gemalt haben? Adam Elsheimer?

Er war der größte deutsche Maler jener Zeit, der einzig bedeutende, und manches an diesem Bilde konnte flüchtig an die Studien erinnern, die ich in seinem Skizzenbuch – im Städelschen Institut zu Frankfurt – gesehen hatte. Aber Elsheimer war schon 1600 gestorben.


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