Gustav Leutelt
Die Könighäuser
Gustav Leutelt

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17.

Johannes war es nicht, der als Nächster über den bewußten Dielenbrettern an der Stirnseite des Ascherhofes aufgebahrt lag. Das ist der Katharine geschehen, und die hatte sich schnell und heimlich davongemacht, kaum, daß sie noch ein Eckchen der Weihnachtsfreude mit sich genommen. Gesund, wenn auch früher als sonst, war sie am zweiten Feiertage nach ihrem Lager gegangen, weil ihr heute gar so schläfrig sei, und nie mehr aufgestanden. Nicht einmal die Augen brauchte man der Entseelten zuzudrücken, als ob sie ihre Leute auch dieser letzten Notwendigkeit hätte überheben wollen.

Johannes empfand es tief, daß er diese zweite Mutter verloren hatte. Mußte er es sich nicht gestehen, daß der Einfluß der Verstorbenen auf ihn fast nachhaltiger gewesen sei, als jener des blassen, 257 mutlosen und leidensreichen Weibes, das er als seine wirkliche Mutter verehrte? Was ihr Wirken noch nebenbei für den Ascherhof bedeutet hatte, das war nicht hoch genug anzuschlagen.

»Solche Weibsbilder werden heutzutage immer seltener,« meinte der Helmshofbauer und Johannes nickte trübe dazu.

Das war ein rechtes Wort gewesen, trotzdem es die Tugenden der Toten nicht nannte: die Opferwilligkeit, die nur an andre denkt und der eigenes Behagen immer zuletzt möglich erscheint; jene Zartheit des Mitfühlens, deren Mangel kein Bildungsgrad ersetzen kann und die hinter dem ungelenken Wort öfter emporkeimt, als aus manchem Phrasenschwall; nicht zu gedenken all der unerschütterlichen Rechtschaffenheit und Pflichttreue der Geschiedenen. Ja, diese Weiber werden immer seltener; freilich auch die ihnen entsprechenden Männer.

Johannes hatte diesen Winter viel zu schaffen. Er war für den Bau eines neuen Schulhauses eingetreten; denn das alte, morsche Holzgebäude unten im Dorf konnte die Kinder von Friedrichswald nicht mehr fassen. Er wurde deshalb angefeindet, setzte gleichwohl mit seinem Anhange den Plan in der Vertretung durch und achtete es wenig, daß die geschlagenen Widersacher hinterdrein Unkraut säeten. 258

Auch die Errichtung der Brettsäge gab zu tun. Johannes mußte einen Knecht aufnehmen, um noch während des Winters Steine und Bauholz zuführen zu können. Er hatte den lähmenden Schreck, der ihm in jener dunklen Sommernacht angeflogen war, abgeschüttelt. Mit dem Blechtäflein der Versicherungsgesellschaft Konkordia, das er an die wurmstichigen Balken des Einschichthauses genagelt, war ihm bereits ein Teil seiner Ruhe wiedergekommen und das ungestörte Fließen der folgenden Wochen tat das Seinige, um auch jenen Furchtgedanken, als könne der Emilian ihm nach dem Leben trachten, zurückzudrängen. Freilich, der Traum der Nacht trieb ihm oft den Angstschweiß auf die Stirn und dagegen half auch die Konkordia nicht.

Diese wunderlichen, ewigkeitlangen Ängstnisse der Nächte und die folgenden, ruhelosen Stunden der aufgeschreckten Seele . . .!

Aber am Tage nachher sah die Welt doch wieder durchaus anders aus und im Entschließen und Handeln behielt der Tag je länger, je mehr recht. Die Sägemühle wurde doch gebaut und aus dem Friedländischen ein tüchtiger Brettschneider verschrieben.

In diese Arbeiten hinein fiel etwas gar Unliebsames. Johannes hatte ein rechtes Vergnügen darüber empfunden, daß er seinem Freunde ein neues Schulhaus erstreiten konnte und der Lehrer schien diese 259 Freude zu teilen. Kurz nach der Grundsteinlegung aber wurde der Lehrer ebenso zurückhaltend und teilnahmslos, wie er früher vertrauend und voller Pläne gewesen war.

Das ging so eine Zeit und nach seiner Art drang Johannes nicht in den Verstimmten, daß er sich eröffnen möge. Der kam auch schließlich selber und frug den Bauer, ob er ihm nicht den Brettsägenbau zeigen wolle.

Natürlich mochte jener und die Männer gingen nach dem Oberdorf. Als sie aus dem Walde heraustraten, stieß ihnen der Frühlingswind in den Nacken und die dürren Blätter des Vorjahres, die hinterdrein wehten, trieben gleich darauf vor den beiden ihr Haschespiel über die Klamtwiesen.

Der Lehrer schaute den rascheligen Tanzgesellen eine Weile nach, dann sagte er ganz unvermittelt:

»Wer mir das noch im vorigen Jahr gesagt hätte!«

»Was denn?«

»Daß ich von Friedrichswald fort muß.«

»Ihr? – Und müssen?«

»Müssen und nicht müssen; wie man es eben nimmt.«

»Aber sagt mir doch . . .«

»In meiner Vaterstadt ist die Stelle eines Oberlehrers frei und ich werde sie erhalten. – Nein! sagt nichts; daß ich Euch allein lasse, meint Ihr ja. – – 260

Erholt Euch jetzt, König. Hier sind wir schon an der Baustelle.«

In der Grube pickten die Steinhämmer, um die Quadern der Radstube genau zu fügen; die beiden Handlanger wurden auf einmal beinahe fleißig und der Polier stieg eben mit dem Zollstab aus der Unterwelt hervor und begrüßte den Bauherrn.

Johannes sprach einige Worte mit dem Manne. Er war darauf jedoch so zerstreut, daß er vergaß, seinem Freunde den Bau zu zeigen und ging weiter. Der Polier aber versenkte das Zollmaß in den arg beschmierten Stiefelschaft und brummte vor sich:

»Den hat aber was heute.«

Es hatte ihn wirklich etwas und den Lehrer hatte es auch. Johannes stieg den Waldweg so hastig hinan, als gelte es, eine Zeitversäumnis gut zu machen und der Freund hinter ihm bemühte sich, Schritt zu halten und zur Fortsetzung seiner Rede zu kommen. Das letzte war nicht so leicht und ohne den Frühlingswind, der oben auf dem Holzschlage die beiden anfiel und den Bauer aus dem Versunkensein weckte, würde es noch Weile damit gehabt haben. So aber brauchte der Nachfolgende nur einmal tief Atem zu holen und konnte beginnen:

»Es ist mir schwer genug geworden, und nicht allein wegen Euch da. Ihr dürft auch nicht denken, daß Tüchtigsein dem Supplikanten die Stelle 261 einträgt. Ein Vetter von mir ist durch seine Partei in den Rat der Stadt gekommen und manch guter Freund ist mit ihm in die gnadenspendenden Stellen gerückt. Deren Wort von wegen meiner Person hat er schon und ich habe mich wohl geschämt und schäme mich noch, daß der Mensch auf solche Weise vorwärts kommen soll, muß aber doch zugreifen meiner Kinder wegen. Fritz hat schon das Alter fürs Gymnasium und Rudolf ist kaum zwei Jährchen hinter ihm. Sagt selbst, ob der Geldbeutel eines Lehrers zwei Gymnasiasten aushält. In der Stadt ist die Lateinschule nur eine Gasse weit weg und was hier kaum möglich erscheint, wird dort ziemlich leicht. Ist's nicht so?«

Noch vieles redete der Lehrer und Johannes hörte ihm trübe zu und dann gab er ihm in allem recht, wenn auch schweren Herzens.

Er hatte tief genug in die Verhältnisse des Freundes hineingesehen, um dessen Martyrium würdigen zu können. Wie hatte der Mann gekämpft gegen das Formenwesen, das man der Schule aufzwingt und das Unverstand und Böswilligkeit dem Lehrer ins Schuldbuch schreiben wollen, dem – Schulmeister. Was hatte es geholfen, daß er Verordnungen nur gelten lassen wollte, wenn sie seinen Stand nicht einschnüren und dem Kinde nützen? Er konnte ja doch immer gezwungen werden. Seine Schule, seine 262 geliebte Schule immerfort leiden sehen zu müssen: hier von den Demagogen als Verdummungsanstalt des Volkes verlästert; dort vom Adel und dem größten Teile des Klerus als die Brutstätte der Revolution und des Unglaubens angefeindet und von breiten Volksschichten als lästige Urheberin einer drückenden Steuerlast betrachtet, das schuf ihm beständig Kummer. Er hatte ehrlich gekämpft, für sich aber nichts erstritten, als die kleine Stelle oben im Gebirge und einige Achtung unter den Dorfleuten und der freigesinnten Kollegenschaft der Nachbargemeinden. Und jetzt sollte er auf jene Beförderung verzichten, weil seinem Zartgefühl dieser Glücksweg nicht geradeaus genug ging? Das konnte wohl, das durfte wohl nicht sein.

Und Johannes gab solchen und ähnlichen Gedanken Worte und erlangte damit, daß der Lehrer wieder heiterer wurde, als sei ihm eine große Last abgenommen.

Die beiden wendeten in ihrem Gespräch noch dies und das her und hin und kamen schließlich auf die Zukunft der Dorfgemeinde.

»Ich halte dafür,« sagte der Lehrer, »daß der jetzige, freie Sinn noch eine gute Weile auslangt, sofern Ihr die Leute zusammenhaltet; denn so bestärkt einer den andern. Laßt Ihr aber jeden allein seiner Wege gehen, dann haben die Widersacher es leicht, 263 ihn an sich zu ziehen. Mich dünkt, sie sind schon an der Arbeit. Wenn man daran geht, die Kosten des Schulbaues umzulegen, könnt Ihr wohl die Probe auf das Exempel sehen. Das darf Euch übrigens nicht bange machen; Ihr werdet ja die Dinge in der Hand haben.«

»Wie das?«

»Wenn ich Euch in den Ferien besuchen werde, dann könnt Ihr bereits Vorsteher von Friedrichswald sein.«

»Ach, geht!«

»Es ist wenigstens der Wille der Leute, Euch zu wählen. Ihr wißt ja, daß der alte Mann unten selbst einem andern den Platz räumen mag.«

Der Lehrer mochte mit Absicht die Rede auf diesen Punkt gelenkt haben; denn er blickte jetzt forschend auf die Züge des andern. Johannes war in der Tat betroffen, nicht der eben vernommenen Nachricht wegen, die ihm aus Scherzworten und halben Redensarten seiner Anhänger längst entgegengeflogen war, sondern darüber, daß es schon Ernst mit jener Bürde werden sollte, in so kurzer Frist und während er noch immer nicht mit sich im Reinen war. Der Furcht vor der kommenden Würde gesellte sich eben eine zweite, tiefergehende Bangnis, die er auch dem Freunde nicht einzugestehen wagte. Dieser sah wohl, wie es in ihm kämpfte und bot schnell an Gründen 264 auf, was er vermochte, um den Schwankenden zu gewinnen: Welch ein Wohltäter er der Gemeinde zu werden vermöchte, wenn er den einmal erweckten Freisinn der Leute zum Guten führen wolle, und ob es ihm denn nicht gelüste, seinem Namen ein gutes Angedenken zu schaffen bei Kindeskind und Enkel. Es gelang dem Lehrer auch mit solchen Reden, das Gesicht vor ihm aufzuhellen, aber eine Zusage konnte er dem Bauer diesmal nicht entlocken. Das machten die Kummergeistchen, die helltags um den Johannes schwärmten, von dem verfallenden Einschichthause her und aus dem großen Hofe herauf, dessen Dächer hinter der rauchgeschwärzten Hütte aus der Erde stiegen.

 

Der Lehrer ging an seinen neuen Bestimmungsort und es kam, wie er gesagt hatte. Johannes sollte gewählt werden, wenn er darein willigte. Er hatte es nicht vermocht, die Abordnung seiner Anhänger abzuweisen und nur einige Vorbehalte gemacht; die Männer wollten auch die nicht gelten lassen.

Nun sollte er richtig die Schlacht wagen; es war aber der Freund nicht mehr da, den Kampf mit klugem Wort zu leiten und den Kämpfer anzufeuern. Und sein Gegner und Mitbewerber hieß Emilian König und auch er hatte seinen Anhang. Noch 265 war der freilich ohnmächtig, aber das konnte anders werden.

Der Schulbau mußte zuvörderst herhalten und wurde ganz auf das Konto des Johannes König geschrieben; und es war ja die Straße noch nicht einmal bezahlt. »Steuerträger, hütet euch! Was für Lasten wird der aufbürden, wenn er erst das Heft in der Hand hält.«

Das ging so um und machte manchen schwankend. Wenn ein solcher aber wieder dem Ascherbauer ins Auge gesehen und seine bescheidenen Worte gehört hatte, mochte er dem Geflüster doch nicht glauben und fiel wieder dem schlichten Manne zu.

Mit den Wählern wollte es also nicht gehen. Da mußte schon der Johannes selber dran.

Es schlich bis an den Ascherbauer heran, in anonymen Briefen und halben Worten, in Wendungen und Mienen und Achselzucken und im stinkenden Morast der Verleumdung.

Hei! welche Deutung erhielt der Ankauf der Klamtbauerngründe: Johannes der Wucherer, der Leuteschinder, der Güterschlächter! Es war zum Verzweifeln.

Und dann stießen die Angriffe gegen die Vorfahren des Mannes. Der Vater, hatte er es nicht vortrefflich verstanden, die grüne Kuh zu melken? 266 Und gar der alte Ascher, von dem wäre viel zu sagen gewesen.

Bis daher hatte Johannes ausgehalten; jetzt vermochte er es nicht mehr. Er schrieb den Leuten, daß er die ihm zugedachte Ehre ausschlagen müsse und blieb fest, ob sie ihn auch bestürmten. So glaubte der Geängstigte, sein Lebensschifflein wieder in den Hafen lenken zu können. – Armer Johannes!

Aber auch dem Emilian geriet es nicht zum Heile. Der Helms-Heinrich war wütend, daß der Feuerzündler obenauf kommen sollte und ging ungeheißen und flüsterte in die Ohren und verhütete dadurch wirklich, daß das Vorsteheramt in den Richterhof kam.

Schon vor den Ferien konnte Johannes dem Freunde mitteilen, daß der Lahmbauer zum Vorsteher von Friedrichswald erwählt worden sei, und er fügte dem Schreiben noch die Bemerkung bei, daß der Emilian darüber einen schweren Groll auf den Bruder seines Weibes geworfen habe. Er konnte es freilich nicht wissen, daß der Grimm des Enttäuschten sich in weit höherem Maße gegen ihn selbst wendete, weil dieser glaubte, der Vergeltungsschlag des Helms-Heinrich sei vom Ascherhofbauer ausgegangen. Je verschlossener die Lippen der Leute um den Emilian her wurden, desto höher wuchs der Haß aus dem Herzen des Mannes empor, und wenn ihm das Gift 267 jenes Höllengewächses nicht stündlich von den Lippen floß, der Johannes brauchte darum nicht froh zu werden.

 

Um den Ascherhof flattern noch immer die Kummergeistchen und suchen und finden ihre Schlupfwege ins Innere. Der Besitzer freilich glaubt eine Mauer um sich gebaut zu haben, und noch geben sich die Unruhigen den Anschein, als sei die vorhanden und ihr Vordringen gegen den Mann verwehrt. Aber das Kind ist den Angriffen der Schar ausgesetzt und man merkt die Folgen. Es merkt sie auch der Johannes, aber er schließt falsch und will den Doktor holen. Wie käme auch an die Jungfrau irgend ein Gram?

Was Kummer! Hat den vielleicht der alte Ahorn auch, weil es nächtlich in seinem Laube so geistert und an dem Dachfenster und sogar – hinter – – dessen Scheiben? . . . .

O diese Nächte! – O dieses bitterlicheWeinen! . . .

Er wurde heuer vor der Zeit gelb, der Baum, und das mußte ja seine Ursache haben. Wenn es der Kummer nicht war, was sollte es denn sein? Und heute Nacht sprach der Gilbende durch das Rascheln der fallenden Blätter hindurch gegen das Fenster:

»Also auf morgen, Marie.«

Und die Scheiben schlossen sich auch dann nicht; sie mußten die Kühlung der Nacht hereinlassen zu 268 dem fieberheißen Mädchengesicht und den gerungenen Händen, die der Gottesmutter hinter den Sternen entgegengestreckt wurden mit der Gebärde der Verzweiflung.

Und als der Morgen anbrach, war er schön und klar und kannte kein Leid. Das hatten ihm ja die zwei Menschen vorweggenommen, die in der dumpfen Bauernstube den Aufgang des Trostes herbeisehnten: der starre Mann und das vor ihm knieende Mädchen, das die Schuld zu Boden drückte.

Erst war es der Schreck, der den Johannes lähmte, dann kam der Zorn und dann das tiefe Erbarmen mit dem Kinde, und dann – kamen die Tränen.

Habt ihr je einen Mann weinen gesehen?


Was machten im Richterhofe an diesem Morgen die Knechte und Mägde ihre Hälse so lang? Auch dort hatte jemand vor dem Bauer gekniet, aber nicht lange. Die Hausmagd hatte es der Stallmagd gesagt und diese den Knechten; also mußte es auch wahr sein.

Der Karl hatte wirklich nicht lange knien können; der Hohn des Pflegevaters trieb ihn nur zu bald empor.

»Bemühst dich schon um eine Herrin für den Richterhof? Ist schön von dir, wenn's auch nicht 269 Not hat; sind ja noch ganz rüstig beisammen. Das Warten verschlägt euch doch nichts?«

»Ich bitt' Euch! – –«

»So Probejährchen fünf oder zehn wird doch die inbrünstige Liebe vertragen? Ja, und wenn nicht – du kriegst dann noch eine Junge.«

»Aber wir können nicht mehr warten.«

»Der Tausend! So eine ist die Prinzessin? Hat die den Richterhoferben sicher nehmen wollen?«

»Vater!«

»Was denn, Junge? Wirst doch nicht glauben, daß du schon die Schürzen kennst? Weiberfleisch ist weich und tückisch zugleich. Ich muß wohl noch die Augen für dich offen halten.«

»Sagt über mich, was Ihr wollt. Schlagt mich, tretet mich, aber laßt die Marie aus dem Spiele.«

»Hi hi hi! Bist doch in die Christenlehre gegangen und weißt, wie die heißen, welche sich ohne das Sakrament wegschenken.«

Jetzt hatte der Bursch bereits gestanden und vor der wilden Drohung, die aus seinen Augen hervorbrach, blieb dem Emilian doch das Schimpfwort im Halse stecken. Das war freilich wieder nur ein Augenblick, dann fuhr es dem Bauer in die Glieder, daß er sich hoch aufrichtete und im Bewußtsein seiner leiblichen Überlegenheit mit schneidendem Hohn sprach: 270

»Wirst doch nicht? Möchtest es noch kaum ganz erzwingen, Jüngelchen, mir die Einwilligung abzuprügeln. Mußt noch warten – auch mit dem.«

»So wollt Ihr uns unglücklich machen?«

»Dich nicht. Was mit der drüben geschieht –«

Der Bauer machte nur eine Geste; sie sagte genug.

»Aber bedenkt doch nur.«

»Bedenk' du. Kannst es gegen meinen Willen zwingen, das Mädl dieses Schleichers zu heiraten, so tu's. Auf dem Richterhof hast du aber dann nichts mehr zu suchen.«

»Ich kann und ich werde sie nicht verlassen.«

»Könntest dir ja das Geld zusammenschießen, zum Heiraten.«

Der Bursch zuckte zusammen.

»Meinst, daß man deine Seitensprünge nicht weiß? Geh doch; du wirst mir was verheimlichen. Und dein Geziehe mit dem Mädl kenn ich auch schon die längste Zeit.«

»So habt Ihr's geduldet? Dann könnt Ihr auch nicht dawider reden, was jetzt sein muß.«

»Das steht auf einem andern Blatt. Willst du es nicht verstehn, muß ich schon rein herausreden: Du heiratest das Mädl nicht, wenn dir auch nur im geringsten was an dem Richterhof liegt. Damit Punktum.« 271

»Das kann ich nicht.«

»Lern's!«

»So bin ich nicht, – so . . . .«

»So??«

»Es nützt nichts, ich sehe es schon. – Der Ascherbauer, der ist besser, als Ihr. Wenn wir ihn recht bitten, nimmt er mich wohl auf auch ohne den Richterhof. – Ich gehe hinüber.«

Damit war der Karl aus der Stube. Der Bauer sah von der zufallenden Tür noch einmal auf die Stelle, wo der Bursch soeben gestanden und seine Brauen zogen sich zusammen, so daß sie einander fast berührten.

»Daran hätte ich doch denken sollen,« zischte er. »Tun wird er es schon, der heilige Johannes; versteht sich. – Aber hüten wird er – den Burschen – müssen . . .«

Unter den letzten Worten war ein grausames Lächeln aus den Zügen des Emilian emporgestiegen. Dann ging wieder die Tür, und der Stallknecht, der nach dem Taubenschlag geklettert war, um in die Hinterstube blicken zu können, fand den Bauer nicht mehr vor. Er hatte hierauf noch Zeit, sich die Spinnweben aus den Augen zu wischen und die Leiter hinabzustolpern, und schon erklang die gebieterische Stimme, die ihn an seine Verrichtungen rief. 272

Es wurde darauf wieder ruhiger im Hofe, nur die verjagten Tauben schossen noch eine Zeitlang hoch oben in der Luft hin und her, aber auch sie kehrten endlich nach ihrem Schlupfwinkel zurück.

Und dann ging der Bauer nach dem Dorfe hinunter.

»Wirt,« rief er ins Kretschamfenster hinein, »kannst du mir für die Kirmst einen Rehbraten schaffen?«

Der Angerufene kam erst selber ans Fenster, dann meinte er: »Lieber zwei, als einen. Bekommst wohl Gäste?«

»Glaub's kaum; es ist nur wegen dem Weib. – Grüß dich! – – –«

»Hat's eilig,« brummte der Kretschamwirt hinter ihm drein, und dann: »Der brauchte auch nicht erst ins Dorf zu laufen, wenn er ein Wildbret mag. – Na, will's schon bestellen.«

Der Bauer begegnete dem Mücken-Heger und blieb bei ihm stehen. Es mußte sich diesmal um namhafte Wildbretbestellungen handeln; denn das Gespräch der beiden dauerte lange und dann glitten einige größere Geldstücke in die Hand des Grünrockes.

Warum nur der Mann darauf dem Emilian so starr nachschaute? Mehrmals machte der ausgebleichte Filz den Weg von einem Ohre zum andern und der Schnauzbart des Alten sträubte sich zusehends wie die Federn eines kollernden Truthahnes. Endlich ließ 273 der Alte den Stock fallen, hob ihn auf und trabte sodann den eben gekommenen Weg zurück. Er achtete kaum auf die Stimme seiner Tochter, die über den Zaun her verwundert gegen ihn rief und trieb nicht einmal den Dachser von sich, der scheu und verstohlen heranschlich. Vorhin hatte den noch ein Fußtritt heim gejagt, jetzt aber war es etwas andres, und das hatte der Hund schnell weg und warf die Nase zuversichtlich in die Morgenluft und wußte es genau:

»Es gibt etwas.«

Der Mücken-Heger aber stieg bis zum Forsthaus empor, um dort den dringlichen Auftrag auszurichten. –

Der Bauer sprach keinen Begegnenden mehr an und blieb einsam; es müßte denn ein unsichtbarer Begleiter neben ihm geschritten sein, dem er wirklich ab und zu Worte hinwarf:

»Seine Brut in mein Haus? – Niemals! . . . . Es ist egal; verloren geht er mir auf jeden Fall . . . . Und das wird treffen – treffen! . . . Er geht wieder; ich kenne das. Wird sich den Ärger verschießen wollen. He he!«

Ob ihm der Begleiter Haß auch in die belebten Gasten der Stadt folgte, ist schwerer zu sagen; denn im Menschentrubel drin fallen auch einem Bauer nicht so die Heimlichkeiten von den Lippen, und die vielen Augen rundum zwingen auch ihn, seine Züge den 274 Gleichgültigkeit heuchelnden Stadtmenschengesichtern anzupassen.

Abends ist der Emilian in dem Kaufmannsladen von Johannesberg mit noch einem andern und der ist der finsterblickende Mann aus dem Röslerhäusel. Draußen neben der Tür hängt der Adler der k. k. Tabaktrafik und er ist die Ursache, daß der Richterhofbauer hier eingetreten war. Der Adler ist groß und scheint die rostige Blechtafel der »Konkordia« zu beschirmen, deren Agentur der Kaufmann ausübt. Der Adler kann nichts dafür und das Blechschild unter seinen Fängen auch nicht, aber die Feuerversicherung der Konkordia beschirmt beide und sie hat auch den Geiger aus dem Röslerhäusel herabgezogen, damit er ihren Schutz wieder für einige Zeit erkaufe.

Die Zigarren dem Reichen, die Versicherungs-Police dem Armen. Der Kaufmann hätte gar zu gern den Bauer selbst bedient, aber der Häusler war eben früher gekommen und die heikle Auseinandersetzung mit dem konnte er seinem Lehrling doch nicht anvertrauen. So kam es, daß der Richterhofbesitzer mit dem Jungen vorlieb nehmen mußte. Er achtete dessen aber nicht und nickte auch kaum zu dem Bückling, den der Krämer hinter seinem Pult gegen ihn tat.

»Ein Feuer möcht' er noch.«

Der Lehrling hatte seine schlimmen Augenblicke. Das erste Streichholz versagte, das zweite war morsch 275 und brach, der Phosphor des dritten spritzte wirkungslos auf den Ladentisch und der Bauer wurde ungeduldig. Plötzlich aber war er ganz Ohr und lauschte.

»Dürfte ich Sie gebeten haben, Herr Rösler,« meinte der Kaufmann eben, »Ihrem werten Herrn Nachbar König meine Empfehlung zu überbringen, und daß seine Police bereits mit Heutigem zu Ende gegangen ist?«

Jener Mann aus dem Röslerhäusel versprach es und der Emilian griff jetzt nach dem Zündholz, das schon längst brannte und dem armen Jungen fast die Finger versengte. Der konnte es auch wirklich nicht mehr übergeben und ging wieder ans Anstreichen.

»Herr König ist doch sonst die Pünktlichkeit in eigenster Person,« fuhr es hinter dem Pulte fort. »Eine Abhaltung in Form einer Krankheit ist nicht vorhanden?«

Der Emilian hatte nun Feuer, und bei dem Aufflackern des Hölzchens war es zu sehen, daß eine satanische Freude aus seinen Augen leuchtete.

Vom andern Kunden kam ein Brummen: er wisse nichts davon, und der Mann meinte natürlich die angenommene Krankheit des Johannes. Dann schellte die Ladenglocke und hinter dem Richterhofbauer her fielen noch einige kaufmännische Komplimente bis auf die Gasse hinaus. 276

Mehrten sich die Unsichtbaren, die dem Emilian das Heimgeleit gaben? Das wilde Entzücken des Mannes sprach wenigstens dafür, daß sie ihm vielerlei zuraunten, von allen Seiten, und wenn Satan selbst in jenem kleinen Nebelwölklein gesessen hätte, das über die fernen Waldrücken einherschwamm, so müßte er seine helle Freude über die Tätigkeit der lieben Kleinen da unten zwischen den Ebereschen und dem Buchengestrüpp und den grauen Steinen gehabt haben.

Und der Eilende sah nicht die heimatlichen Berge vor sich und den Wald und die Häuser an der Lehne; er sah etwas ganz andres, Wesenloses, und er blickte drein, als seien ihm die Nebel der Zukunft nur Spiegel der eigenen Wünsche.

 


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