Gustav Leutelt
Die Könighäuser
Gustav Leutelt

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11.

Nicht bloß im Ungrischen hatte man Soldaten gebraucht.

In den Märztagen war zu Wien der »böse Schmetterling« ausgeflogen und hinüber nach Engelland geflattert.

»Nun wird es besser werden,« sagten die Patrioten.

Aber den Wiener Märztagen folgten die schlechten Maitage, und dann wollten auch die Prager ihre Revolution haben und faßten dabei eine inbrünstige Hoffnung, den deutschen Brüdern recht am Zeuge flicken zu können. Es kamen verworrene Zeiten, und die Windischgrätze und Jellachiche standen noch höher in Ehren, als sonst.

Den Völkerfrühling draußen suchte der Lenz zu übertrumpfen. Der hatte durch all den Wirrwar hindurch die Berge wiedergefunden und sie, und die Bäume und die Wiesen ausbündig grün gemacht. Reformen brachte er keine: Das Gras wuchs noch 156 genau so von unten nach oben und die Blätter kamen wieder aus den Knospen hervor; jedoch die Leute waren auch so mit ihm zufrieden. Beileibe nicht, daß sie dem Herrgott hätten in seine Schöpfung hineinreden wollen; das Frühjahr aber schien allen zu kurz und selbst der verkniffenste Häusler konnte nicht anders, als am Feierabend seine Nase in die wohlige Luft hinauszustecken, was in Hinsicht des unvermeidlichen Fensteröffnens immerhin ein Entschluß zu nennen war.

In diesen Revolutionstagen ging es merkwürdig still in Friedrichswald her. Die Leute waren durch das überstandene Elend wohl zu verschüchtert, um an Vergeltung und Gewalttat zu denken. Es gelangte auch von den Geschehnissen draußen nur geringe Kunde in die Berge, und wenn ja, dann war diese abgeschliffen und entstellt durch die Zungen, die sie hereingetragen hatten.

»Die Wiener sollen den Stephanusturm hergeben. Auf die Buchsteine wollen die Aristokraten ihn setzen.«

Der Ranzinger-Elis hatte die Nachricht gebracht. Einige zuckten die Achseln darüber, viele aber glaubten an die Sache. Es schien eben nichts mehr verwunderlich.

Johannes war längst daheim. Wenige Tage nach dem Abzuge des alten Kommisknopfes war er wiedergekommen und fortan unbehelligt geblieben; denn 157 die Begebenheit hatte sich ausgebreitet und dem Richter so böse Worte von allen Besitzenden des Dorfes eingetragen, daß der es nicht mehr wagte, den Einbläsern von Drüben Gehör zu geben. Die Gemeinde blieb eben mit einem »Kerl« im Rückstande, das war alles.

Und dann kam das Sturmjahr und fegte das alte Werbesystem hinweg, so daß Ascher-Bernards Hannis keine Sorge mehr vor den Häschern zu haben brauchte.

Noch weniger Sorge trug Johannes von wegen der Revolution draußen. Kein Fisch im Wasser konnte gleichgültiger gegen Regen und Wind sein, als der junge Ascherbauer über des Freiheitssturmes Wehen. Sein Sinnen mochte in die weite Welt nicht hinaus; es war an die Einschicht gebunden, an zwei brave, treue Mädchenaugen, und dieser Bann war ein völlig guter. Was Freiheit, wenn das Tragen der Fessel so süß ist?

Heute war der Pfutschhans heimgekommen und gleich auf den Boden gestiegen. Die Treppenstufen hatten geknarrt und die Bretter der Zimmerdecke geschwankt, wie der Mann über sie hingeschritten war. Sogar den Liebesleuten, die unten in der Stube beisammen steckten, fiel das auf und der Johannes vergaß ganz, wiederum das Schürzenband aufzuziehen, trotzdem das Mädchen jetzt nicht einmal acht gab. 158 Als er aber soweit war, nachsehen zu gehen, kam der Poltergeist schon in die Stube und meinte gleich nach der Begrüßung:

»Es ist nichts.«

»Was denn?«

»Sehen soll man ihn schon, den Stephanusturm, und man ist da oben und weiß von nichts. Freilich, die Bäume sind im besten Schießen und setzen jedes Jahr ihren Schuh auf und mehr. Da ist die Aussicht verwachsen und aus dem Bodenfenster ist gerade noch ein Stück, wie eine Hand groß, vom Schneeberge zu sehen, sonst nichts.«

»Soll es wirklich wahr sein?«

»Der Glaser-Ejdn hat mich kurz und lang geheißen, wie ich ihn darüber auslachte. Ich muß jetzt wissen, was dran ist. – Geht ihr die paar Schritte mit auf die Königshöhe?«

Die jungen Leute waren bereit. Das Haus blieb unverschlossen; in die Einschicht kommen Diebe so nicht.

Über dem Hochkamm stiegen die weißglänzenden, zierlich gekräuselten Wolkengebilde empor, die man Gewitterbäume nennt. Die Luft stand still unter den Wipfeln und aus deren Tangeln sanken Gluten hernieder und schwere Harzdüfte. Oben auf der Blöße aber läuteten einzig und allein die kleinen, nimmermüden Waldhummeln um die Himbeerbüsche und 159 über dem gelbblütigen Wachtelweizen und den weißen Honigkrüglein der Preiselbeere.

»Dort!«

Der Pfutschhans hatte sich umgedreht und wies mit der Hand hinaus über die zu den Füßen geduckten Wipfel. Da war der lange Rücken des Riesengebirges mit dem gewaltigen Eckpfeiler der Kesselkoppe und da war rechts davon ein waldiger Höhenzug, der die gleiche Gestaltung zu wiederholen strebte. Auf ihm stand ein kleines, dunkles Stiftlein empor, das wunderbar scharf gegen eine dahinterstehende, weiße Wolkenburg abstach.

»Alsdann, recht hat er gehabt. Sehen kann man es schon; wenn's nur auch zu glauben wäre.«

Die jungen Leute hatten sich viel zu wundern; aber wie ernst es ihnen damit war, zeigte der Umstand, daß sie Zeit genug zum Hakeln fanden, und als die Marie auslassen mußte und, ihren roten Finger in der Schürze bergend, davonlief, eilte auch schon der Johannes hinter ihr drein.

Das Paar kam aber viel später nach Hause, als der alte Vater und Vormund.

 

Der Pfutschhans meinte, der Sache müsse auf den Grund zu kommen sein und irrte nicht. Von Tannwald brachte er am dritten Tage die Nachricht, daß es mit dem Turmbau schon seine Richtigkeit habe, 160 wenn auch nicht mit jenem unsinnigen Gerüchte darüber.

»Der Fürst Rohan ist dem Erzherzog Stephan sein Freund und baut ihm den Turm dort an das Riesengebirge 'ran, daß er seine neue Straße besser sehen kann und die Gegend, die der hohe Herr schön findet, wenn auch nichts als Busch da ist und magerer Boden und Steine. Und ganz in der Stille haben sie schon im vorigen Jahre damit angefangen, und nichts ist davon zu hören gewesen. Stephansturm heißen sie ihn, und er wächst in die Höh', wie Pilze in der Nacht; aber die Leute munkeln schon, daß er unter kein Dach kommen wird. Die alte Schmiedin hat dem Fürsten ins Gesicht gesagt, daß er genau den Tag sterben muß, wenn der Turm fertig ist. Die alte Schmiedin aber, die ist eine wahrhaftige Frau.«

Auf diese Weise gelangte der ungläubig gewordene Pfutschhans wieder zu einem Glauben in der Sache und der saß ihm gut, wie ein brav geschneidertes Röcklein.

Ab und zu noch warf die stürmische Völkerbrandung einen Schaumspritzer herein in die Berge. Und ein Lied flatterte heran von der Garde National, das klang wieder von Freiheit und Vaterland, geistigem Licht, freiem Gewissen und offnem Gericht und dem Dank an den Kaiser und Vater. Eine aufrichtige Liebe sang's: 161

Männer zur Seit' mit geschwungenem Hut,
Frauen am Fenster mit Fahnen;
Kinder inmitten mit feurigem Blut.
Greise darunter gleich Schwanen.
Mitten hindurch zieht geharnischt im Stahl
Klingend und singend die Garde National.

Gar mancher sang die schrittmäßige Weise mit, bevor er auch nur einen Mann der gepriesenen Garde gesehen hatte. Das tat aber der wahrhaftigen Freude keinen Abbruch, die das gnädigst gestattete Spielzeug dem Volke nun einmal einflößte, und es schadete dem Ansehen der Garde auch nicht im mindesten, als die – freilich vergeblich – den Fürsten Rohan zu fangen unternahm. Das Gerücht hatte den Herrn als Hochverräter und Teilnehmer am Prager Pfingstaufstande bezeichnet und einen Preis auf seinen Kopf gesetzt. Eine nächtliche Umzingelung seines Gutbrunner Forsthauses, des vermeintlichen Versteckes des Fürsten, und danach ein mißmutiger Heimweg aber waren die einzigen Ergebnisse des patriotischen Unternehmens.

Gegen das erste Heuen kam einmal ein Mann ins Dorf, der trug einen glänzenden Cylinderhut und eine rotweiße Kokarde darauf. Er hatte viel mit den Kindern zu reden und mit den steinalten Leutchen, die vor den Türen saßen und daheim hüten mußten; denn alle andern arbeiteten draußen auf den Wiesen und der Geruch von den um und umgeschüttelten Heubreiten strich würzig den Dorfweg entlang. 162

In den Kretscham sollen die Leute kommen, so gegen den Abend hin. Da wird er ihnen genau sagen, was sie tun müssen.

Den Kindern war es aber mehr um das Anstaunen jenes rotweißen Pulls zu tun gewesen, als um das Hinhören, und die halbtauben Alten hatten den Herrn eben für so einen neumodischen Hochzeitbitter gehalten. Daher saß der abends allein beim Kretschamwirt und mußte in vorgerückter Nachtstunde mit einigen gemurmelten Flüchen auf diese Buschesel wieder gegen Gablonz ziehen.

So kamen die Friedrichswalder um ihre erste Wahlrede und in der Folge gar um die geplante Landtagswahl.

Im Herbst des Jahres, zur Zeit der Kroatenbelagerung Wiens, trat der Ascherbauer mit seiner Marie vor den Altar. Nie vorher war er bis an dessen Stufen vorgerückt, und die Feierlichkeit, der ungewohnte Prunk und der Wachs- und Weihrauchduft machten, daß er wie im Traume handelte und dafür hielt, sein Namenspatron oben, der Täufer, sehe aus dem Bilde geradewegs auf ihn her, daß es alle merken müßten. Aber die Marie sah nicht auf und die Leute schauten nach dem Brautpaare und hatten keinen Sinn für die Beziehungen, die zwischen dem Knieenden unten und dem schwarzgelockten Menschenhirten oben walteten. 163

So mächtig war der Eindruck gewesen, daß der Johannes noch im Hinausgehen einen Blick nach rückwärts tat über die Köpfe der Hochzeitsgäste hin; aber die Entfernung war schon zu groß und die Sonne schoß querüber eine so breite Lichtgarbe durch all den schwebenden Staub, den die vielen Tritte aufgewirbelt hatten, daß schlechterdings nichts mehr zu sehen war.

Ob er noch mehr wolle, meinte der Großkarl herüber. Bei den Katholschen sei es schon mit einemmal fest genug, das Ehband; nur bei den Lutherschen gerate das nicht so ganz bis ins Absterbens-Amen hinein.

Aber der Pfutschhans kam dem Eidam schon zu Hilfe: »Studiert der Vetter Karl schon auf den Luthrischen Glauben, mag er sich vorsehen; die Muhme Nanne ist noch brav beieinander in den Knochen.«

Daß das wirklich war, bewies das säuerliche Gesicht des Großkarl, dem seine rüstige Ehehälfte den Ellbogen derb in die Seite gesetzt hatte. Er wollte schon giftig werden, aber da war eben das Weihwasser zu nehmen und dann mußte er ins Pfarrhaus, um seinen Namen in die Traumatrikel einzusetzen.

Davor aber hatte der Vetter Karl sich schon den ganzen Weg her am meisten gefürchtet.

Es war noch alles zu frisch: Wenn die zittrige Stimme des alten Pfarrherrn schwieg und er nur mit 164 dem Finger die Stelle zeigte, wohin der Trauzeuge den Namen setzen sollte, dann vermeinte Johannes die Worte der Grabrede wieder zu hören, mit denen jene welken Lippen den Gott am offenen Grabe um Erbarmen angerufen hatten; und wie dieses und jenes, der Weg darauf und die geräumige Gaststube nachher an die lieben Abgeschiedenen erinnerte, mit denen er dort gegangen und hier verweilt war, so klangen in seinen Hochzeitstag gehaltene Stimmen der Trauer, daß er ein ernster Bräutigam schien und selbst die Braut verwundert auf ihn blickte. Aber wenn dann seine Hand die ihre drückte und die Blicke sich begegneten, dann wußte sie wieder mehr, als die lustigen Leute um sie her und war auch mit dem schweigsamen Johannes zufrieden.

Der Pfutschhans hatte Pferd und Wagen herabkommen lassen und trieb die beiden zur Heimfahrt. Er aber blieb zurück und galt unter den Gästen als der fröhlichste und schalkhafteste Hochzeitsvater, der sich erdenken läßt. Sie waren noch alle um den Wagen hergestanden und hatten ihre Gläser heraufgereicht, und aus jedem Glase hatte das Paar genippt und sich für die Ehre bedankt. Dann war der Lärm kurze Zeit hinter ihnen gewesen und nur die Radschleife hatte noch lauter gekreischt, als die Stimmen. Und wie der Weg bergan stieg, hörte auch das Rollen der Räder auf und nur das brave Pferd 165 vorn arbeitete und der Sand knirschte und mitunter ächzte die Wagenachse ein wenig; aber das störte schon nicht mehr.

Unter der Sternenkuppel der Nacht zogen schleierhafte Wolkengebilde und woben eine wundersame Arabeske um den Mond, der groß und ruhig auf die Berge sah, und auf sein Spiegelbild im Teich und den alten Ahorn, der wieder im Gelblaube stand wie vor Jahren, als die Beate zum erstenmal den Ascherhof erblickte. Aber heute schlief der Nachtdunst in den Zweigen des Baumes und machte, daß er sich kaum abhob von den blassen, mondlichtübergossenen Hängen. Und dann wußte der Ahorn wohl auch, daß die Neuvermählte, die da unten heranfuhr, ihn schon zu genau kenne, um noch besonders acht auf seine Gestalt zu haben, sonst hätte er recht gut die Äste rühren und die Dunstgeister verjagen können.

Was an Nachtmusik da war, überhörten die beiden gründlich. Sie hatten allzuviel den Stimmen in der eigenen Brust zu lauschen, und was sich an Worten, halb unbewußt, hervorstahl, das half eher den magischen Kreis schließen, der sie von der Außenwelt schied.

»Glücklich!« Es ist eine lange Gedankenreihe bis dahin, aber er kommt zu keinem andern Schluß. »Und daß sie dich immer achten kann, Johannes; und nichts versäumen, und männlich sein. – Jetzt 166 mußt du anders mit ihr umgehen: zarter, besser, ernster, tiefer. Es ist nicht auszudenken, wie.«

»Glücklich! – Er ist ja mein und ist, wie kein anderer. Gut soll er es haben mit mir. Betreuen, ihm helfen bis in die gnädige Sterbstund, und – Gott recht sehr bitten bei allem.«

Die Schleierwolken waren zusammengeflossen in eine weiße Luftgestalt und deren Herz war der Mond und der leuchtete mit mattem Schein aus dem Silberdunst her. Aber da trat er schon in einer Lücke glanzvoll hervor und war dem aufschauenden Johannes ein tröstlicher Anblick.

»Rein soll mein Herz vor ihr sein, und klar und ungetrübt will ich's ihr erhalten.«

Seine Gefährtin aber hielt sich an das Herz, das neben ihr schlug und dessen sie so sicher war und lehnte den Kopf gegen die Brust des Mannes, daß ihr Brautkränzlein Gefahr lief, gedrückt zu werden. Johannes tat seinen Arm um sie und immer dichter verstrickte sich um die beiden die wundersame Märchenhecke seliger Selbstvergessenheit.

Wie weich das Glück bettet!

Es ist nicht die Müdigkeit und nicht die Folge des vorigen Bescheidnippens, was ihre Lider sinken macht; weit eher ist es das Gefühl der Sicherheit und des Geborgenseins, das sie erfüllt, und des Vertrauens und der Hingebung. 167

Das brave Roß freilich ist nicht in den magischen Kreis gebannt. Es wirkt von außen her auf den jungen Mann, und wenn es den Kopf reckt, dann spannen sich die schlaffen Zügel, der Fahrer schreckt auf und wie er verwundert in die Nacht lauscht, könnte man meinen, er höre nach dem andrängenden Schicksale hin, das von irgend woher unterwegs sein muß.

Gottlob! daß es noch unterwegs ist, daß es weit her hat und den Frieden der Brautfahrt nicht stören kann.

War es endlich das Anhalten des Fuchses oder dessen lautes Schnauben, was dem jungen Manne wieder auf die Erde herabhalf? Es ist das nicht genau festzustellen. Als der Ascherbauer aber sah, daß man daheim war, nahm er sein junges Weib in beide Arme und küßte es wach.

Gibt es ein schöneres Erwecktwerden, auch wenn man vordem vom Himmel geträumt hat?

 


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