Gustav Leutelt
Die Könighäuser
Gustav Leutelt

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6.

So hatte Johannes nun ein Geheimnis zu hüten. In der ersten Zeit schrak er wohl zusammen, wenn das Geständnis seines Erlebnisses sich ihm von der Zunge lösen wollte, aber die Gewöhnung änderte das und er bezwang sich bald. Freilich mangelte dem Knaben die Gabe, sich dabei unbefangen stellen zu können und seine Spielgefährtin merkte gar bald, daß er etwas hinter den Zähnen halte. So kam ein 75 Mißklang in die Seelen der beiden Kinder und der eine kränkte sich, daß er nicht aufrichtig sein durfte, die andre, daß er es nicht sein wollte.

»Warum sollte er schweigen?«

Das Kopfschütteln der Mutter und ihr trauervoller Blick hatte den Jungen so verschüchtert, daß er der ersten Frage keine zweite folgen ließ. Es mußte etwas Schlimmes darum sein, daß die Mutter so bange schien und daß sie so gezittert hatte. Und der Vater und die Katharine und der alte Herr würden doch gewiß helfen, wenn sie alles wüßten.

Sein Gemüt litt unter der Kümmernis Schaden; er wurde gedrückt und grüblerisch und sein Gehaben änderte sich.

Die Aufklärung wartete aber nur eine Zeit, dann kam sie.

– Wieder waren die Nebel über die Berge geflogen, die Schneeflocken winterlang ins Tal geflattert, hinterdrein die Regen gekommen und nun auch schon einige Sonnentage, und Johannes hatte noch immer schwer zu tragen.

Das war so nach und nach auch dem Pfutschhans eingegangen, aber der hielt dafür, daß der Junge bloß angedreht zu werden brauche; dann vergehe ihm das Kopfhängen schon von selber. Er war dem Johannes geneigt, nicht zum wenigsten, weil der sein 76 Mariechl nicht verachtete, und beschloß, ihm zu einem ordentlichen Spaß zu verhelfen.

»Magst du nicht walpern, Hannis?« ging er den Kopfhänger an.

Das Aufleuchten der Augen sagte deutlich: ja; aber der Mund des Knaben meinte: nein, wenn auch zögernd und unsicher.

»Seht einmal an. Und warum nicht, mein Junge?«

»Ich soll nicht,« erklärte Johannes und darauf kam es an den Tag, daß ihm die Sache verboten worden sei; es könne leicht ein Unglück geschehen. Wie er im vorigen Jahre die Besen schon beisammen gehabt hat, ist es der Mutter nicht recht gewesen.

»Dem Vater auch nicht?« wollte der Pfutschhans fragen, aber er machte noch rechtzeitig »hm! hm!« und meinte darauf ziemlich eindringlich:

»Weißt du was, Hannis, ein Junge muß manchmal etwas wagen. Die Löcher im Fleisch wachsen schon wieder zu und von den Hosen geht halt immer einmal ein Stück entzwei, das ist eben so. Deine Mutter wird ja auch keine Lehmgeige aus dir machen wollen.«

So verdutzt blickte der Knabe zu dem Manne empor, daß dieser seelenvergnügt in sich hineinlachte und dann schmunzelnd meinte:

»Hast du so eine Rede noch nicht gehört? Na, laß gut sein, Kleiner. Mit deinen Leuten zu Haus 77 werde ich's schon schlichten. Seht nur, ihr zwei, daß Harz zuwege kommt; die Perschl feuern alsdann besser.«

Der Pfutschhans hielt Wort. Er ging am andern Tage in den Ascherhof und holte die Erlaubnis.

»Siehst du, Hannis,« meinte er zu dem Knaben, der ängstlich hinter der Tür gestanden war, »deine Leute gönnen dir's schon und ich werde dazuschauen, daß dem Prinzen nichts geschieht.«

So gingen die Kinder ins Harzkratzen.

Den fichtenen Säulenstämmen entquillt der Waldweihrauch aus der kleinsten Wunde und die Kinder sammelten davon in den Rindentaschen, die der Vater des Mädchens gefertigt hatte. Die Finger klebten, die Haare hingen an den Stirnen fest und die Kleider zeigten Spuren des Sammeleifers, aber die Kinder waren zum erstenmal wieder gemeinsam vergnügt. Das Mädchen hoffte dabei immer, Johannes werde auftauen, es kam jedoch nicht dazu. Die Kleine wußte aber ihr Mißvergnügen besser zu verbergen, als der Gefährte die Bedrückung seines Gemütes.

Und dann hatten sie Reisig geschleppt den ganzen Nachmittag lang; denn der letzte April war gekommen, und die Kinder hockten jetzt neben dem dürren Astwerk und warteten mit Ungeduld auf das Dunkelwerden. Die große Steinrücke hielt dabei die andringende Kühle der ziehenden Luft ab, aber die beiden drängten sich doch fröstelnd aneinander. Jetzt 78 mußte erst der Vater des Mädchens kommen, dann konnte es losgehen.

Goldiggelb und brandrot blickt es noch durch die Wolken, in deren Schatten Wiesen und Wälder, leicht verschleiert, grün und blau ineinander verschwimmend, dämmern. Höher und höher rückt das Düster, immer blauer wird der Wald, immer verschwommener die Grenze der Dinge. Die Hausdächer verschmelzen mit dem Grau der Wiesen und Äcker in eins und nur hie und da sticht noch eine frischgetünchte Wand hervor. Nun wird schon dort und hier ein Licht angesteckt und die Kinder wissen immer, wo es aufblitzt.

»Das ist beim alten Ranzinger, das bei Schwarzkopps-Lorenzen. – Jetzt machen sie beim Glaser-Ejdn auch Licht und . . .«

»Hast du's gehört?«

Der erste Schuß war gefallen und fast gleichzeitig flammten da und dort die Feuer empor. Die Kinder sprangen auf.

»Wo nur der Vater bleibt?«

»Ich hör' ihn kommen.«

Sie lauschten nach dem Walde zurück, aber nichts war zu hören.

Piff! paff! – Drüben loderten die Flammen, die geschwungenen Besenfackeln malten glührote Ringe in die Nacht und wie die halbverlöschten in die Luft 79 emporgeschleudert wurden, sprühte goldiger Funkenregen hernieder.

Bumm! – Piff! –

»Je, ist über Lahmbauers ein Feuer!«

Puff! – Krttsch!

»Er kommt gewiß nicht mehr, dein Vater.«

Der Pfutschhans war aber schon da und kam eben über die Steinrücke herüber und sagte:

»Fangt nicht erst an zu flennen; es wird so gleich losgehen.«

Der Stahl schlug Funken, dann flammte ein Schwefelholz blau auf und wieder nach einer Weile drang aus dem Reisig die Lohe prasselnd hervor.

Die Kinder brannten ihre harzgespickten Besen an und darauf war die Freude im Gange.

Der Pfutschhans feuerte aber auch an:

»Ordentlich, immer ordentlich, Hannis! 'rum mit dem Perschl, daß die Hexe in der Luft verbrennt. – Unter die Schürze brauchst du aber nicht damit zu fahren, Mariechl. – Schmeiß doch, Junge; er wird ja gleich ganz auslöschen.«

Es half aber alles nicht, die Kinder brachten die nötige Wildheit nicht zusammen und gar bald brummte der Mann am Feuer in das Geprassel hinein:

»Alsdann, Bravsein ist nicht zu allen Dingen nutz. Meinem Wurm werde ich die Sache so 80 abnehmen müssen, sonst wird noch ein Malöhr mit den Kitteln.«

Damit ließ er sich von dem Mädchen die Fackel reichen, brannte sie tüchtig an und hüpfte mit den lächerlichsten Sprüngen in das Dunkel hinaus, indes er das Flammenbüschel beständig auf Armlänge kreisen ließ. Wie eine Rakete fuhr der halbgelöschte Stumpf darauf, von seinem kräftigen Arm getrieben, in die Nachtluft empor und streute niedersinkend Glutpunkte umher.

Johannes war bestrebt gewesen, es dem Manne nachzutun, aber sein Besen flog zu steilrecht und hätte im Niederstürzen ihn beinahe getroffen. Der Pfutschhans nahm darauf auch ihm die Fackel ab und meinte, während er die rauchenden Stümpfe wieder in das Feuer hielt.

»Wißt ihr was, Kinder, die Hexen sind schon ausgetrieben – leg auf, Hannis! – und jetzt wollen wir Geschichten erzählen.«

Er steckte die lodernden Besenfackeln vor dem Feuer in die Erde, setzte sich auf einen Stein und zog die Kinder heran.

Wie nun die hellen, klaren Funken in den purpurn angestrahlten Rauchwirbeln steigen, huschendes Flackerlicht an den Gestalten auf- und niederzuckt, in Augensternen sich spiegelt, glühet, brennt, sich sänftigt; neben tiefdunkle Schatten seinen Schein ruhig legt, 81 um darauf blitzglühende, gierige Zungen in ihr Dunkel zu schleudern; blutrotes Leuchten, goldtöniges Strahlengefunkel durcheinanderwirbelt, streut, sprüht: das geht den Kindern vollständig verloren. Nur, wenn der Mann im Feuer herumstört und ganze Garben von Funken emporschießen, schauen sie einen Augenblick den Vergehenden nach und meinen, es sei der Drache, den jener hat über die Berge ziehen sehen mit dem feurigen Schweife und den reichen Schätzen.

»Wenn er sich doch getraut hätte, ihn anzurufen, was könnte da sein!«

Einmal wollte es dem Knaben scheinen, er sehe im Dunklen hinter dem Feuer ein graues Weib, aber der Pfutschhans sagte, die Ascherbäuerin habe schon die längste Weile dort gestanden und nachgesehen, was sie da oben treiben. Jetzt gehe sie auch schon heim.

»Noch das brennende Geld.«

»Nein, das vom Nachtjäger.«

Und der Mann erzählt vom Nachtjäger, der mit seiner wilden Meute von Füchsen und Dachsen durch die Wälder braust und die Wildschützen schreckt und die Jäger, wenn er über die Wechsel schweift. Und dem Knall seines Schusses folgt kein Widerhall und das Kiff-kaff der Meute dringt bald aus der Luft herab, bald aus der Erde herauf. Die Kinder hören gespannt zu und der Mann vor ihnen ist wieder der 82 Begnadete, dem alles das vorgekommen ist und der es gesehen und gehört hat.

»Gibt es bei uns auch Wildschützen?«

»Nun freilich, und sie sind oft gescheiter als die Jägersleute und können mehr, als schießen. Da war der alte Tamann. Der sitzt einmal bei den Tschihahnlfelsen auf dem Anstand, da steht drüben der Förster auf aus dem Jüngicht. Weg kann er nicht mehr, wandelt er sich in einen Baumstrunk. Muß es gerade passen, daß der Förster kein' klein Tobak hat und auf dem Stumpf seinen Stemm entzwei schneidet. Kaum aber hat er angenebelt und verzieht sich, schreit's hinter ihm her: Auf meinem Kopp schneidst du kein' Tobak mehr.«

Der Pfutschhans kennt die übernatürlichen Gewalten alle, die gläubige Gemüter erheben machen und deren fesselloses Walten in Rockenstuben oder an Schenktischen ein Gruseln hervorruft. Er ist dabei so felsenfest von der Wahrheit dieser Spukgeschichten überzeugt, daß er häufig genug glaubt, sie selbst erlebt zu haben. Heute wird er nur durch das Niederbrennen des Feuers erinnert, daß er ein Ende machen muß, aber die Kinder bitten so inständig um noch eine Geschichte, daß er sagt:

»Da muß ich noch ein Armvoll Reisig holen, sonst wird euch zu kalt. Ich greif's schon noch, wo es droben liegt und bin gleich wieder da.« 83

Er geht in den stockdunklen Wald hinauf, die Kinder aber lesen die letzten, verstreuten Zweiglein zusammen und werfen sie in die sinkende Glut, daß wieder ein Flackern anhebt und der Schein davon in alle Löcher der grauen Steinrücke hineinschlüpft und die Glimmerblättchen ihrer Bruchstücke erglänzen macht. Die Feuer draußen sind erloschen bis auf eines, aber die Nacht ringsum singt ihr Lied noch so leise, daß das Geknack und Geprassel da vorn es übertönt. Zudem dringt es mitunter wie ein Schreien hinter dem Steinwall her, klingt von einemmal zum andern, als ob es näher ziehe, und kommt näher mit Johlen, Schreien, Rufen und Flammenlichtern und ist endlich rein zum Fürchten.

»Jesus, der Nachtjäger!«

Es sind aber nur Knaben mit Besenfackeln, die jetzt über den Steinwall setzen und der Richter-Emilian führt sie an.

»Seht ihr sie kauern, die Heimlichen? Schlagt ihnen das Feuer aus, Jungen. Drauf!«

Johannes holte tief Atem. Er zitterte am ganzen Leibe, aber er hatte auch das dunkle Gefühl, daß ihm der Pfutschhans nachher wieder sagen werde, ein Junge müsse manchmal etwas wagen. Darum stieß er die Gefährtin zurück und sprang nach seiner Fackel, die der Emilian eben aus dem Boden riß. Solchen Angriffes hatte sich der am wenigsten versehen. Er 84 strauchelte und ließ den brennenden Stumpf fallen, den Johannes sogleich gegen die anderen Angreifer schwang. Gleichwohl würde er unterlegen sein, hätten nicht schwere Schritte von oben her und die dröhnende Stimme des Pfutschhansen lähmend auf die Jungen gewirkt.

»Ausreißen! Der Pfutschhans kommt! – Es ist euch aber nicht geschenkt.«

Der Emilian hielt dem Hannis die Faust vors Gesicht. »Hexenbalg, elender!« rief er noch, ehe er entsprang.

»Was er nur meint? Ein Hexenbalg – was soll das sein . . .?«

Der Pfutschhans kam mit seiner Reisigbürde über dem Kopfe wie ein losgelassener Waldteufel dahergerannt.

»Hast dich gehalten, Hannis; konnt es zwischendurch noch gerade sehen. Ich sag's ja, bist ein ganzer Junge, brauchst nur aufgeweckt zu werden. – Na alsdann – was denn?«

Johannes hatte die Worte des Mannes nur halb gehört; er stand noch immer und sann.

Der Pfutschhans warf die Bürde ins Feuer, dann ergriff er den Knaben und zog ihm den Kopf empor.

»Na?«

»Einen Hexenbalg hat er mich geheißen.«

»Wer?« 85

»Der Richter-Milian.«

»Dann müßte er auch einer sein.«

»Aber warum denn?«

»Ach was, dummes Zeug!«

»Ihr wollt's nur nicht sagen.«

Da merkte der Pfutschhans, daß er sich übereilt hatte und faßte im nächsten Augenblick den vernünftigen Entschluß, seinerseits durch Offenheit zu verhüten, daß der Junge vor ihm sich fortan durch alle Winkel der Einbildung hindurchhetze. Er hub an zu sprechen, langsam und erwägend, als würde es vom Übel sein, ein Wörtlein mehr, als nötig, vorzubringen:

»Alsdann, du und der Milian, ihr seid alle beide an einem Morgen zur Welt gekommen. Erst aber hat deine Mutter oben auf dem Dornst schreien hören und die Leute glauben, daß es das Waldweib gewesen ist, die in dem Steinfelsen schon tausend Jahre und mehr drin stecken soll und immer einmal herauskommt, wenn ein Unglück in der Gegend herum aufsteht. 's ist auch den Morgen im Richterhofe die schwere Niederlandskuh gestürzt, daß sie geschlachtet werden mußte.«

»Ist das Waldweib wirklich eine Hexe?«

»Junge, wer weiß das. Verhext seid ihr ja – Gott sei Dank! – keiner worden. Der dumme Bengel hat dir eben was antun wollen und du sinnst drüber, wie nicht gescheit. Geh', schau den 86 Lohen an, wie der steigt. – Habt ihr nicht das schönste Walperfeuer im Dorf?«

Die locker aufgeschütteten, harzigen Äste trieben ein übermannshohes Feuerbüschel sausend und steilrecht empor; nur die äußersten Spitzen seiner Flammenzungen vermochte die einsetzende Nachtluft gelinde zu beugen. Es sah herrlich aus.

Sangen die Flammen so leidvoll oder jammerte es vom Walde herunter? Aus der Nachtluft glitt ein Schauer heran und legte sich ihm an die Brust und bald schüttelte es den Knaben neben dem Feuer.

Er mußte heim, das wußte er.

Das Mariechl hatte gut reden nebst seinem Vater; es half nichts. Es geschah sogar das Wunderbare, daß der Pfutschhans – zum erstenmal in seinem Leben – beteuerte, es gebe gar keine Hexen und Waldweiber, das sei alles nur dummes Zeug; aber Johannes hörte schon nicht mehr und lief in das Dunkel hinunter. Noch sprang ihm das Mädchen nach, damit er nicht so allein gehe und dem Jungen war es ein Trost, die Gefährtin neben sich zu wissen, dann sahen selbst die scharfen Augen des Pfutschhansen die beiden nicht mehr. Da zog er das Feuer auf einen größeren Raum auseinander, daß es schneller ausbrenne und saß kopfschüttelnd und brummend daneben, bis sein Töchterlein wiederkam und ihm ohneweiters auf den Rücken kletterte. Er steckte ihre 87 kaltgewordenen Füßlein vorsorglich in seine geräumigen Jackentaschen, und hielt sie fest. Darauf ging er mit der Kleinen nach dem Walde empor und die tiefe Stimme des Mannes und die helle des Kindes verhallten bald zwischen den Stämmen.

 

Die Nacht spinnt ihr Garn: Knotengarn, Kummergarn, und sie spinnt es so lang und so endlos langsam.

Johannes kann nicht schlafen. Er hört, wie der Hammer drüben aushebt und wartet auf den Stundenschlag.

»Eine Hexe? – Heute nacht wird sie wieder obenstehen und schauen, ob kein Unglück kommt. – Schreit nicht was?«

Nur der Nachtwind zieht die langen Töne aus den Baumwipfeln und aus den Schornsteinen und Türfugen. Der Kopf des Lauschers sinkt wieder in die Kissen zurück.

»Der Wenzel hat doch recht gehabt wegen dem Schreien. Die Richterin freilich ist's nicht gewesen; gehört wird sie es schon noch haben.«

»War das nicht . . .?«

Aber der ächzende Laut geht in ein wohlbekanntes Schnarren über und der Stundenschlag hebt an.

Elf Schläge. Sie füllen die Stube mit ihrem Schall und der kann zu keinem Ende kommen, wenn auch der Hammer schon ruht. Eine Glocke läutet 88 aus ihm hervor, immer vernehmlicher, und sie nimmt das Ohr des Knaben ein.

»Und heiß ist es, so heiß . . .«

Die Mutter hat es nicht sagen wollen, jetzt weiß er es doch. Wenn sie sich nur nicht so fürchten täte, er würde noch einmal fragen.

»Ach, die bösen Augen!« Er erinnert sich genau, wie die waren, und sieht sie in die Finsternis hinein, daß sie daraus hervorleuchten, und auch das Augenschließen hilft nichts; er erblickt sie durch die Lider nicht minder deutlich und muß noch die Hände vorhalten.

Kann sie ihm nicht etwas zuleide tun, heute nacht noch? Und er hat nicht einmal gebetet.

Die Versäumnis fällt ihm schwer aufs Herz, so daß er im stillen alle Gebete hersagt, die er kennt, und um ja eine Genüge zu tun, auch noch das apostolische Glaubensbekenntnis und die zehn Gebote dazu.

Aber morgen, wenn man ihn wieder schimpft, was dann? Oh ihn die Marie noch wird leiden mögen? – Er darf sich gewiß nirgends mehr sehen lassen. Wenn er doch tot wäre!

Was der Schauer vor dem Übernatürlichen dem Knaben nicht erpreßt hat, die Menschenfurcht treibt es hervor. Die Tränen fließen mit Gewalt und er kann ein krampfhaftes Schluchzen nicht verhalten. 89

»Sie könnten es hören.«

Und er verhüllt mit dem Deckbette den Mund so, daß die Seufzer ersticken, und kämpft allein tapfer weiter in der finsteren Nacht.

Aber eine Mutter betrügt man so leicht nicht. Es streicht an dem Bett hin und tastet behutsam nach seinem Gesicht und findet Tränen.

»Was ist dir denn?«

»Mir ist so sehr bange geworden.«

Und der Knabe schlingt die Arme um den Hals der Mutter und zieht sie nieder zu sich.

»Ist was geschehen?«

»Mutter, ist das Waldweib eine Hexe?«

»Denke nicht –,« will sie flüstern, aber es ist bereits kein Halten mehr. Der Knabe spricht in ihr Ohr, so heimlich er nur kann, und das Weib vernimmt alles, was in seinem Gemüte seit langem sich gehäuft hat.

»O, du armes Kind! –

Schon in der Stunde deiner Geburt war er dir feindlich.«

Der Knabe schweigt endlich; ihm ist leicht geworden. Sie weiß keinen Trost, aber sie hält ihr Kind fest und in ihren Armen schlummert es endlich ein.

Die Mutter freilich hat in jener Nacht kein Auge mehr zugetan. 90

 


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