Gustav Leutelt
Die Könighäuser
Gustav Leutelt

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9.

Die Geduld überwand alles: Die Schwäche, die schwere Zeit und die eigene Ratlosigkeit.

Die Katharine konnte schon einige Hausarbeit verrichten und das große, starke Weib besorgte noch den Kartoffelacker, bevor es schied. So war doch etwas gerettet.

Dann war auch noch die Wintersaat, die lustig zu schießen begann. Freilich, die Wiesen konnten 125 nicht mehr abgeräumt werden und das wunderbare Grün und Gelb, das über den Düngerbreiten und aus den Maulwurfshaufen emporsproßte, konnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Heuen in diesem Jahre eine böse Arbeit abgeben würde. Die beiden großen Äcker aber lagen ganz wüst.

Und Johannes konnte nicht pflügen und konnte nicht säen. Er mußte schon froh sein, als er an einem Stecken vor das Haus schleichen und sich in die Sonne legen konnte.

Noch war die Not groß, aber der Ruf des Elendes und wohl auch ihre eigene Gefahr hatte die Obrigkeit nun doch vermocht, ausgiebiger zu helfen; zudem hatte der Erzherzog Stephan es durchgesetzt, daß mit dem Bau der Riesengebirgsstraße begonnen werden durfte.

Das gab wieder Arbeit für die Männer.

Die Todesfälle minderten sich und wenn hoch oben im Gebirge noch eine Hütte ausstarb, so schoß man mit Pistolen in die verpesteten Stuben, um die Luft zu reinigen.

Es hatte geschneit aus den Kirschbaumkronen und nun hingen in denen bereits die grünen Früchte, bevor Johannes auch nur daran denken konnte, zu schaffen. Erst aber mußte er doch zu den Gräbern.

Da trug er denn sein schweres Herz hinab nach dem Gottesacker und es gingen an seiner Seite der 126 Gram und der Kummer. Aber während der Erste nach den Gräbern hinabwies, wollte der Zweite die älteren Rechte nicht preisgeben und nahm jede Gelegenheit wahr, sich über seinen Widerpart zu erhöhen. Selbstquälerei der Liebe, reuevolle Anklage, den teuren Verstorbenen nicht genug zu tun, weckten sie in dem Gemüte des Wanderers.

So stritten die beiden um das schwere Herz des Burschen, bis zuletzt an den braunen Hügeln der Gram alleiniger Sieger blieb.

Am Tage nach dieser Wallfahrt ging Johannes durch den Wald gegen die Einschicht. Er hätte dem Pfutschhans von wegen dem Tode seines Weibes gern ein gutes Wort gegönnt, aber er fürchtete, mürrischer Zurückweisung zu begegnen. Darum blickte er auch nur zwischen den Stämmen hervor gegen das Haus und ihm schien, als seien dessen Fenster von der Trübsal angehaucht, während die dunklen Fichten dahinter standen wie eine Reihe von Trauergästen, die auf das Heraustragen des letzten Besitzers warten.

Und doch schien die Sonne hell durch die Zweige. Die spitzen Wipfelschatten vor ihm zeigten über das kurzhalmige Gras nach dem Hause hin und wiesen dem Zaghaften den Weg.

Wenn er nur herauskommen und nach ihm hersehen wollte, dann möchte er es schon wagen. 127

Aber es trat niemand aus dem Hause und nur die breiten, grauen Steinstirnen davor sahen aus den Wiesengewächsen her und sie zeigten ihm keinerlei Verheißung, sondern führten sein Denken in die Vergangenheit zurück zu den Spielen der Kinderzeit und zu der geliebten Gefährtin.

Da umfaßte er einen der rauhen Baumstämme, drückte den Kopf gegen dessen Rinde und weinte.

Als er endlich ging, waren die Baumschatten schon ein gutes Stück gegen den Wald zurückgewichen, doch wollte ihm dünken, er müsse immer noch bleiben und er wendete sich mehrmals nach dem Hause, vor das bei jedem Schritte mehr von den Stämmen geriet. Zuletzt mußte er die schmale Lücke suchen, in der die sonnige Einschicht draußen vorübergleiten konnte und da half es schon nichts mehr, als gehen.

Hätte er nur noch einmal zurückgeschaut! Wenn ihn auch die hereinschießenden Lichtpfeile nicht zu hemmen vermochten, so hätte ihn doch der Kuckuck stutzig machen sollen, der auf einmal hinter ihm herschrie.

Das Glück rief nach dem Burschen.

Da war die Marie vor dem Hause und stand und bückte sich und legte die Bleiche zurecht.

Und sie war groß und stattlich geworden, fast zu groß und schön für das alte Haus mit dem eingesunkenen Giebel und dem morschen Schindeldache. 128

Johannes aber ging schon gesenkten Hauptes bergab, und er sah nicht die grünlodernden Flammen, die das Sonnenlicht in dem jungen Laub der Heidelbüsche entzündete, und er hörte nicht die Stimme des Vogels, der sich vor ihm her durch das Gesträuche schwang.

Seine Glücksstunde war noch nicht gekommen.

 

Unten im Tal war die Heuernte. Auf den Bergen aber mangelte dem Grase noch die nötige Reife und die Sense erklang erst an den Quellen und Wasserläufen einigen Grünfutters wegen. So gab es für den Johannes noch etliche Schlendertage.

Er wußte noch immer nicht, daß die Marie daheim war. Die Katharine – sofern sie Kenntnis davon hatte – verriet keine Silbe und die Vereinsamung, in der Johannes sich befand, ließ die Nachrichten nicht an ihn kommen.

Heute ging er eine geschlagene Stunde lang nach der Kamnitz hinunter, immerfort durch den Wald, und er wich den Steinblöcken aus, auf denen das Heidelgestrüpp wucherte und schritt hin über die kleinen Graslichtungen und die unterschiedlichen, weichen Moospolster. War es der Gegensatz zwischen der Herbigkeit des Waldrauschens und den weichen Lauten des Wassers, oder das Goldgezitter, der blaue und grüne Reflex zwischen den Spiegelbildern der jenseitigen, 129 lichtumflossenen Wipfel, was ihn innehalten ließ? Auf der gleitenden Fläche vor ihm wankte das Sonnenbildchen glühend, blendend, und zwang ihn, den Blick abzuwenden.

Als ob alles gegen ihn sei: die Sonne, die Menschen . . .

Er hatte in den vergangenen Frühlingstagen viel von seiner Kraft wiedergewonnen, und die Gesundung und sein redlicher Wille waren ihm behilflich gewesen, sich in das Unabänderliche zu schicken. Hier aber, in der Einsamkeit, huschten die Kummergedanken wieder hervor, wie die dunkelrückigen Forellen zu seinen Füßen, die gegen die Strömung des Wassers leise, aber wirksam ankämpften.

»Daheim?« – Seine Ratlosigkeit dort ist nicht das Schlimmste. Die Katharine weiß ja – Gott sei Dank! – was in der Wirtschaft not tut, und wieviel er zulernen kann, mag sich noch zeigen. – Auch mit der Obrigkeit wird er nicht zu rechten haben; der Ascherhof trägt keine Lasten.

Eine Last gibt es, ja freilich; aber sie liegt auf seinem Herzen und ist nicht abzulösen. Und nicht die Obrigkeit, nur der Mann in dem kleinen, baufälligen Einschichthause weiß darum, und noch Eine, die Gefährtin seiner Kindheit, die ihn nun verlassen hat.

Mußte sie nicht glauben, er habe sie verhöhnt? – Aber konnte sie das auch glauben – von ihm . . .?! 130

Freilich, der Anstifter war danach, dessen Verschlagenheit kannte er doch. Und er selbst hatte sich benommen, wie – wie . . .

Seine Wangen brannten und er sog begierig die Kühlung ein, die der Windstoß von den Bergen herabtrug. Der Wasserspiegel geriet in Unruhe und die Wellchen, die über die kristallene Fläche huschten, wandelten die gestreckten Fischgestalten in dunkle, sich windende Schlangenleiber.

Und an die Brust des Burschen legten sich die Schlangen des Zornes und der Beschämung und drückten ihre Giftzähne in seinen Busen, daß er stöhnend vorwärts eilte.

Er sah sich wieder auf dem Kirchenfest herumlaufen mit der halben Sense, aber heute gewahrte er in den Zügen der Burschen und Mädchen nur den Hohn und das Frohlocken über sein einfältiges Vertrauen. Und er schalt sich mit immer lauterer Stimme so lange, bis er mit geballter Hand blindwütig ins Gebüsch schlug.

Der Schmerz brachte ihn zu sich und er sah wieder das zarte Grün des sprossenden Waldgrases mit den weißen Sternlein der Windröschen darin und die Schatten schwankender Äste auf den grauen Steinen; er hörte den Wassersturz von unten her summen und ging nach ihm und dachte dabei schon wieder an die 131 erschrockenen Augen, die hinter der Kreuzbuche her auf ihn gesehen hatten.

Wie gern wollte er ihnen abbitten, den Augen, wenn seine Schuld auch kleiner wäre.

Der Wassersturz ist da. Er gießt in ein Felsbecken und blendende, glühweiße Ringe treiben von ihm weg, reißen in Stücke und verstreuen sich als Goldfunken über das mählich ruhiger werdende Element. Kaum vermag sich der Himmel wieder in der Glätte zu spiegeln, so folgt ein neuer Sturz, dessen erstes Weiß eben noch herausleuchtet.

Er erinnert sich eines blendenden Glanzes, der aus einem Gesicht hervorgegangen ist. Er hat das nicht geträumt – nein! – und grübelt oft darüber.

»Welches Gesicht? – Wo? – Es muß Nacht gewesen sein . . .«

In dem Streben, jene leuchtenden Züge in der Erinnerung näher zu bringen, ist er unwillkürlich zu dem glänzenden Wasserbecken hinabgestiegen. Aber das will nun mit einemmal nicht mehr leuchten, sondern scheint eher eine grüne Dämmerung; nur über die Steine des Grundes huscht es wie verschlungene Lichtgewebe, wenn all das Wellchengekräusel vorüberflutet.

Und die Reisen der großen Schaumblasen. Wie die Luftigen spiegelnd einherschwimmen und hoffnungsreich, und doch bereits von der kommenden Welle 132 zerschlagen werden oder am Ufer zerstieben. Glücklich schon, wenn eine den nächsten Wassersturz erreicht: – ihr Grab.

Aus seinem Sinnen heraus hatte Johannes nur einen flüchtigen Blick auf dieses Treiben geworfen. Wären nicht zwei der Bläschen gegen ihn hergeschwommen, als wollten sie gesehen sein, und hätte sich das zerbrechliche Paar nicht so abseits von der Menge gehalten, es wäre die Aufmerksamkeit des Burschen nicht rege geworden. So aber schien die eine der beiden Schaumentstiegenen alsbald die Tochter des Pfutschhansen, die andre der Sohn des Ascherbauern und Johannes folgte mit verhaltenem Atem deren Reise. Die beiden schwankten rechtschaffen auf und nieder und überwanden nebeneinander manche Fährnis. Einmal gab der Beschauer das Pärchen bereits verloren, aber es dauerte aus. Da war ein Knacken hinter dem Burschen und als der nach einigem Zurückblicken wieder gegen den Wasserspiegel sah, schwamm sein winziger Stellvertreter allein die Strömung hinunter. Es war dem am Ufer Stehenden ordentlich eine Tröstung, als auch dieses Schaumgebilde in dem nächsten Sturze seinen Tod fand.

Die Nutzanwendung durch ein betrübtes Gemüte begreift sich leicht.

Johannes ging in der düstersten Stimmung vom Bache weg durch den Wald empor. Hinter ihm her 133 knarrten die Äste: »Tor! Tor!« und Blättergeflüster und Nadelsausen schwatzten unaufhörlich durcheinander, man solle sein Glück nicht auf Schaum bauen. Dabei aber lauschte schon wieder alles nach rückwärts, als seien dort Schritte von irgendwem zu hören. Das war das Glück, das lief ganz atemlos hinter dem Kopfhänger einher und erwischte ihn endlich doch.

Kopfhängen ist zu den wenigsten Dingen gut und besonders beim Waldgehen nicht zu brauchen. Das leuchtete auch dem Johannes ein, als er auf die Karlsberger Wiesen hinaustrat, statt die Kammhöhe unter den Füßen zu sehen. Nun mußte er noch eine halbe Stunde am Waldsaume hin, bevor er daheim war. Er hätte darob gern noch etwas mit seinem Unstern gehadert, brachte es aber nicht zuwege. Das Glück ging nämlich schon an seiner Seite, ohne daß er es sah und strich ihm immer wieder mit goldigem Sonnenstrahlenbüschel die bitterbösen Falten aus der jungen Stirn. Und dann machte es, daß er in den Hohlweg hineinrutschen, stehen bleiben und die Kleider abklopfen mußte, damit das Mädchen mit der Reisigbürde erst herankommen konnte.

Das Mädchen ging von rückwärts her und es hatte an den Füßen nur die Sohlen aus Menschenhaut, so daß der klopfende Bursch ihre Schritte nicht hören konnte.

Da sagte es hinter ihm: 134

»Nein, so was! Ist der Ascher-Hannis einmal da oben zu sehen. Dem will ich aber gleich viel miteinander erzählen.«

Johannes hatte eben die Hand auf den Rücken geschoben, um die Jacke dort zu säubern und blickte in der Stellung verdutzt nach jener Richtung, aus der die Stimme gekommen war.

Diese ließ ein Kichern vernehmen, dann meinte sie wieder:

»Na nu! Habe ich dir ein Loch in den Rücken geredet, daß du die Hand so hintenauf hältst? Probier's und dreh dich ganz um, wen du sehen magst.«

Da half nichts, als sich umkehren, und als Johannes es getan hatte und die Tochter der Malcher-Threse vor sich sah, vermeinte er, sich schämen zu müssen und wurde rot darüber.

Das Mädchen aber meinte das nicht. Sie hatte ihr Raaft auf einen flachen Stein niedergelassen und mit einem Aststücke vor dem Umfallen geschützt. Jetzt stand sie da und fuhr mit der Schürze über die vollen Arme, um die Mooskrümel und Rindensplitterchen herabzustreichen . . .

Johannes schwieg noch immer, und so mußte das Mädchen sprechen:

»Daß die Wörter hei dir rar sind, weiß ich noch vom letztenmal her und du brauchst dir keinen Zwang 135 anzutun. Ich will auch nur wissen, was du mit Pfutschhansens Marie eigentlich vor hast.«

Johannes zog nun doch die Hand vom Rücken herab. Dann wollte er beginnen.

»Es ist nicht schön . . .«

Aber das Mädchen kam ihm zuvor:

»Wart' erst einmal damit. Wirst ja bald sehen, ob ich dich aufziehen will oder nicht. Hab' nur nicht recht gefragt vorhin.«

»Aber was soll ich denn?«

»Warum gehst du nicht zu ihr, wenn sie jetzt daheim ist?«

»Die Marie ist –?«

»Weißt du das nicht? Na, zuzutraun ist dir's schon. Das Mädl ist schon lang daheim und ich dächte doch, ihr im Ascherhofe solltet darum wissen.«

»Wieso denn?«

»Na, sie hat euch doch gepflegt in eurer Krankt. Die Katharine weiß es gewiß.«

In dem Burschen arbeitete es und die Schatten der Krankheitstage flogen wieder um ihn. Dann sah er auch jenes leuchtende Gesicht vor sich und jetzt kannte er es und versank in sein Anschauen. Aber gleichzeitig war in ihm die Besorgnis, die Erzählerin könne gehen und er griff unwillkürlich nach deren Hand, um ihr Dableiben zu sichern. 136

Das Mädchen nahm es auch nur für das und wartete geduldig.

Es waren bloß Augenblicke, aber Johannes hatte währenddem fürchterlich viel zu denken und kehrte erst in die Wirklichkeit zurück, als er mit einemmal die Wärme der Mädchenhand fühlte.

»Aber die Kathrine hat davon gar nichts gesagt.«

»Die Marie wird es ihr verboten haben. Sie ist ja scheu wie eine Waldkatze; es hatte völlig not, daß sie mir gestern stand hielt.«

»So hast du sie gesehen?«

»Ja! ich bin von Josefstal aus hinter ihr gegangen und überholte sie. Wie mich das Mädl erkannte, wollte es durch die Sträucher davon, aber das half nichts und da habe ich ihm alles erzählt.«

»Was hat sie denn von mir gesagt?«

»Von dir? Gar nichts. Ich habe nur von dir geredet und dem armen Dinge beigebracht, wie alles gekommen ist und wie es war, und weil es mich die ganze Zeit gegiftet hat, daß ihr durch die Dummheit auseinandergekommen seid.«

»Und ist sie nicht mehr böse auf mich?«

»Böse? Du lieber Gott! – Du bist eben doch nur ein halbes Kind. Aber frage sie nur selber, da wirst du es schon hören.«

So ging die Zwiesprache noch eine Zeitlang her und hin und das Mädchen gönnte dem Burschen 137 noch einiges, das ihn froh über die Maßen machte. Diesmal vergaß er auch nicht, dem schönen Kinde zu danken, als es seine Reisiglast wieder aufhuckte und davonging.

Er hätte eigentlich nun die Jacke säubern müssen, aber das Glück hielt alle seine Gedanken fest und führte sie im Kreislauf durch die Tage der Krankheit, und die leuchtenden, ihm nun so vertrauten Züge strahlten wie eine Sonne aus deren Nebeln hervor. Zwischendurch sahen sie wohl auch her aus den Stubenfenstern des Einschichthauses und waren dort dieselben und doch andre und verschmolzen endlich in ein liebes, gutes, ersehntes Gesicht, das überall hervorlachte: aus dem Waldschatten, aus dem Wiesengras und dem Bachwasser.

So wandelte Johannes allein, doch nicht einsam, nach Hause. Vom Sonnenuntergang her waren langgestreckte, dunkle Wolkenstreifen emporgestiegen und zwischen ihren Trauerbehängen glimmte es grüngolden und purpurrot hervor. Der schattige Düsterwald drüben fiel wie ein riesiges Bahrtuch über den Berghang herab und weiterhin stand dunkeldrohend der große Wald über den Wäldern empor.

Im Innern des Burschen aber war es hell und freudig und er sah den Frohsinn hinein in die Natur, die mit ihren Schleiern und Wolkenschatten sich zu kommenden Regentagen rüstete. 138

 


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