Gustav Leutelt
Die Könighäuser
Gustav Leutelt

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14.

Der Schlachtendonner von Königgrätz war vorübergeflogen. Das ist ohne Phrase gesagt; denn die Friedrichswalder hatten an jenem dritten Juli das Tosen der Feldschlacht wirklich vernommen. Oben auf der Königshöhe streckten sich die Männer am Boden hin und drückten ihr Ohr gegen den felsigen Grund, um die Kanonenschüsse zu zählen. Es schien ein endloses Gewittergrollen, das die Wände des Riesengebirges herüberwarfen.

Vor zehn Tagen schon waren die Leute vom Johannesberger Kirchenfest mit der Nachricht heimgekehrt, daß die Preußen kommen. Am nächsten Morgen hatte der alte Vorsteher mit zitternden Händen ein Papier an die Tür des Schulhauses geheftet. Diese Schrift war das Kriegsmanifest des Kaisers. 200

»Nägel wären schon da,« hatte der alte Mann gesagt; »nur den Hammer möchte der Herr Lehrer dazugeben.«

Er hatte sich auch nicht abhalten lassen, die Arbeit selbst zu tun, trotzdem der Lehrer sich erboten und trotzdem seine zitternden Finger immer wieder die Nägel fallen ließen, so daß der bereitwillige Helfer doch zu einiger Beschäftigung kam. Dann waren den ganzen Tag die Leute davorgestanden mit sorgenvollen Gesichtern und die Weiber hatten geweint und am Abende desselben Tages sah man gegen Grünwald bereits die Wachtfeuer des Feindes brennen.

»Die Preußen nehmen die rüstigen Leute und stecken sie unters Militär.«

Es waren Burschen und junge Männer, die so sprachen, es aber nur vom Hörensagen hatten. Gleichwohl mußten die Friedrichswalder dieses Gerüchtes wegen Gastfreundschaft üben; denn alle die Furchtsamen aus den unterhalb liegenden Dörfern waren zu ihnen gekommen, und die Leute würden noch weiter in die Berge hinaufgerannt sein, wenn es dort oben Hausdächer und Schlafstellen und Speis und Trank gegeben hätte.

Währenddem war der Feind weiter gezogen und nun begannen die Kanonen zu singen, tagaus, tagein und die Leute atmeten auf, wie ihr Dröhnen und Donnern sich immer mehr in die Ferne hinauszog, 201 und sie wurden bedrückter und kummervoller, je mehr von den Geschehnissen des abziehenden Wetters verlautete. Namen stiegen aus dem Dunkel empor und schrieben sich blutigrot in die Tafeln der Geschichte: Podol und Hühnerwasser, Münchengrätz, Gitschin und Skalitz, und Schweinschädl und – Sadowa.

Johannes war oft auf der Höhe und der Lehrer mit ihm und beide ergingen sich in Mutmaßungen darüber, wo man drinnen im Land schlage. Gelegentlich tat auch der Pfutschhans mit und der hatte vom Anbeginn gesagt:

»Paßt auf, die Großschnauzen werden uns verhauen. Es sind sonst ganz tüchtige Leute, und es liegt ihnen einmal im Blute.«

Die Ansicht aber mußte er von seinen Arbeitsstellen im Schlesierland drüben mitgebracht haben. Sie tat zwar nichts zur Sache, aber sie hatte die Richtigkeit für sich.

Dann war der Krieg doch vorüber und ein König und ein Kurfürst waren ins Exil gegangen. Die Vorsteher und die Schullehrer schrieben erschreckt die Höhe der Requisitionen in die anvertrauten Chroniken, so daß heute noch genau nachzulesen ist, wieviel Vieh, Hafer und Heu, wieviel Brot, Bier und Schnaps, wieviel Tabak und Cigarren man anno sechsundsechzig an den Feind abgeben mußte. 202

Nun war der Friede da, aber während in der Welt draußen sich wieder Beruhigung ausbreitete, hob in Friedrichswald erst das Streiten an.

Es handelte sich da freilich nicht um den deutschen Bund, sondern um einen Straßenbau, aber die guten Bergbewohner hielten den für ebenso wichtig, wie jener große, preußische Junker die Preisgebung der Millionen Deutsch-Österreicher.

Die Johannesberger waren schuld daran, das versteht sich. Sie hatten ihre neue, breite Straße bis hart an die Gemeindegrenze geführt, wo das Endstück förmlich höhnend auf die ausgefahrene, enge, holperige Rinne herabsah, die in Friedrichswald den Weg vorstellen sollte. Es war das ein Ärgernis und es hatte seine Folgen.

»Ob wir es nicht durchsetzen könnten?«

Die Friedrichswalder meinten das, eigentlich nur so die kleinen Leute aus dem Dorfe; denn die Großen oder die Reichen hielten es für rein unmöglich.

So sagten die wenigstens im Kretscham, wenn die Rede darauf kam, aber untereinander gestanden sie wohl ein, daß sie nur die mit dem Bau verbundenen Lasten scheuten.

»Die mit ihren paar Steuerkreuzern haben leicht reden; aber auf uns fällt es beinahe ganz, wenn wir nachgeben.« 203

Den alten Vorsteher hatten die Herren in ihren Händen, und in der Vertretung saßen sie ja alle selber drin: das machte sie sicher.

Da flatterte mit einemmal ein Bogen von Haus zu Haus und füllte sich mit Namen, und alle die Schreiber traten, wie es auf der ersten Seite hieß, ein für den Wegbau.

Schließlich hätte auch das nichts genützt, aber ein kurzer Hinweis auf die kommende Gemeindewahl, den der Bogen enthielt, gab den Ausschlag.

Die Herren wurden nachdenklich. Das neue Gemeindegesetz hatte sich noch nicht eingelebt und die kleinen Grundbesitzer und die Häusler hatten sich bisher nur lässig an den Wahlen beteiligt. So war es den Besitzenden leicht geworden, einander die Mandate zuzuschieben. Nun drohte das anders zu werden und im ersten Schreck darüber gaben die Widersacher nach.

»Es ist gegangen,« sagte der Lehrer und Johannes nickte und meinte:

»Ja, und ich hätte es nicht geglaubt. Mir war angst, daß sie auf uns denken könnten wegen dem Laufschreiben.«

»Laßt das gut sein, Hannis. Die Herren werden recht wohl wissen, wem sie es zu verdanken haben. Was tut das auch? Jetzt zerbricht sich sicher jeder 204 von ihnen den Kopf, wie er es anstellen soll, möglichst viel aus der Geschichte herauszuschlagen.«

Johannes stand erschrocken. Seine weiche, unselbständige Natur machte, daß er jeden Zusammenstoß fürchtete und mögliche Folgen sich stets auf das übertriebenste ausmalte. So war auch der Hinweis, daß die Herren Gemeindegewaltigen den Veranstaltern jenes Rundschreibens auf der Spur sein könnten, genügend, um seine Freude an dem Erreichten zu stören. Erschreckt meinte er, sich neue Gegner geschaffen zu haben und trug doch bereits schwer genug an dem Bewußtsein, daß der Emilian alle die Jahre her nie dort gefehlt hatte, wo es gegolten, ihm zu schaden.

Der Lehrer hatte ihn beobachtet; jetzt sagte er:

»Wir müssen trachten, unsere Leute in die Vertretung zu bringen, dann können wir dem Eigennutz entgegenarbeiten.«

»Wird das aber auch möglich sein?«

»Ihr werdet bestimmt gewählt, Hannis; denn zu Euch hat man Vertrauen, und die andern gehen auch durch. Es ist das eigentlich schon eine beschlossene Sache, Freund, und Ihr müßt damit zurecht kommen.«

Das war freilich leichter gesagt, als getan. Nie hatte Johannes es sich beifallen lassen, daß ihm sein Besitz je ein Anrecht auf heimische Ehrenstellen bringen könne und er betrachtete das auch halb und halb als unmöglich. 205

Woher sollte ihm auch das Vertrauen der Leute kommen?

Er wußte eben nicht, daß der gesunde Instinkt des Volkes sehr wohl herausfühlt, wem Uneigennutz gegeben ist und so zweifelte er bald und bald fürchtete er wieder und wäre fast unwirsch geworden gegen seine Anhänger.

Eines Tages aber, im Spätherbst, ging ihm der Lehrer zur Tür herein und rief:

»Kommt, Hannis, es gibt etwas zu sehen.«

Sie schritten im Blättertreiben gegen den Wald empor. Vor dem Winde tanzte das dürre Buchenlaub und erging sich in den gewagtesten Sprüngen. Der Winkel mußte schon sehr geschützt sein, in dem es auf Augenblicke zur Ruhe kam, und das Knistern und Wispern in der Runde nahm kein Ende.

Der Lehrer hatte auf alle Fragen des Bauers nur die eine Antwort:

»Geduld, Ihr werdet schon sehen.«

Er führte den Johannes eine Strecke am Waldsaume hin und dann durch die Stämme aufwärts nach dem Holzschlage, den der Bittnerbauer im vorigen Jahre angelegt hatte. Vom dortigen Hange konnte man den unteren Teil des Dorfes gut übersehen.

Die Wimmelgräser knickten zu Tausenden unter den Tritten der Männer, die zwischen den grauen Steinblöcken und den fahl gewordenen Baumstümpfen 206 emporstiegen. Graufarbene Rotschwänzlein wirbelten um die Holzstöße, knixten herab von den Klafterstangen und bargen sich da und dort vor den Näherkommenden. Johannes mußte immer auf die Eilfertigen hinsehen und verweilte sich dabei, so daß ihn erst die Stimme des Lehrers bewog, vollends nach oben zu steigen.

»Was meint Ihr, Hannis, was da unten vorgeht?«

Der Lehrer wies dabei nach den Hangwiesen hinab, auf denen Männer umhergingen und andere Männer wieder in Gruppen beisammen standen. Ganz vorn beugte sich jemand wiederholt über einen Dreibein und wenn er sich dazwischen aufrichtete, winkte er mit den Armen in die Luft hinaus, als solle dort irgendwer benachrichtigt werden. Dann waren die Männer mit einemmal zu dem mit dem Dreibein getreten und der hatte sich aufgerichtet und stand unter ihnen in schreckhafter Größe da wie die Hasenscheuche im Krautfeld und wies immer mit dem Arm schräg über den Hang hinaus. Aber die Bauern zeigten ihrerseits gegen die Häuser hinunter und darauf gab es ein Werfen der Arme nach den erwähnten Richtungen, daß man glauben konnte, die Leute möchten miteinander handgemein werden.

»Nun?« mahnte der Lehrer; denn Johannes hatte nur gesehen, aber nicht geantwortet. 207

»Ich denke, der Geometer wird es sein, der die neue Straße absteckt.«

»Wahr, aber das wollte ich eigentlich nicht fragen. Fällt Euch nichts auf da unten?«

»Es scheint nicht einig herzugehen.«

»Ja, der alte Heintschel wird den Herren kaum den Gefallen tun, die Straße nach ihrem Begehren zu verhunzen. – Seht nur hin, Hannis!«

Unten hatte der lange Mensch plötzlich die Finger in den Mund gesteckt und einen gellenden Pfiff getan. Da kamen von drüben her zwei Männer mit farbigen Stäben gegangen, die ergriffen den Dreibein und trugen ihn fort; ihr Herr aber hatte seinen Hut wütend bis an die Ohren herabgezogen und war nach einer zornigen Handbewegung gegen die Leute enteilt. Ein einziger, alter Mann ging noch hinter ihm drein und schien den Erzürnten besänftigen zu wollen.

»Das ist der Vorsteher,« meinte der Lehrer. »Der wird jetzt ein bös Viertelstündchen zu überstehen haben; jener alte Mann kann schauderhaft grob sein.«

»Aber was ist denn los?«

»Nichts besonderes. Die Herren meinen nur, die Straße solle sich nach ihren Häusern richten und keines von denen abseits liegen lassen. Freilich wird sie die Höhe dann nur mit einer großen Steigung erreichen können, aber was kümmert das den Eigennutz.« 208

»Und der zornige alte Herr, er ist fortgelaufen –?«

»Weil er ihnen nicht zu Willen sein mag. Der alte Heintschel hat eben Ehre im Leib und gibt seinen Namen zu dem sauberen Plänchen nicht her. Er will die Straße legen, wie es sich gehört und da sie mit ihrem Andringen nicht nachließen, ist er einfach wütend geworden und fortgerannt.«

»Dann ist es ja gut.«

»O, sie werden schon einen andern finden, der mit sich reden läßt. – Habt Ihr bereits einen Entschluß gefaßt, Hannis?«

»Worüber?«

»Wegen der Gemeindewahl.«

»Es ist mir immer, als sollte ich meine Hände davon lassen. Ich passe nicht dafür.«

»Narrenspossen! Die Sache ist doch nicht schreckhaft. Ihr sagt so und so und dann wird abgestimmt und alles ist gut. – Wißt ja selbst gar nicht, was in Euch steckt.«

Die Männer gingen. Dürres Astwerk splitterte unter ihren Füßen, wie sie hinabstiegen. In dem allgemeinen, fahlen Grau ringsum tat es wohl, die grünen Blättlein des Preiselbeerkrautes zu erblicken und die Moospolster auf den Steinblöcken kamen wieder zu einigen Ehren; aber dies letzte Grün der Natur vermochte die Schreitenden nicht zu fesseln und sie warfen einander hastige Worte zu, wieder und wieder, und 209 endlich hatte Johannes es zugesagt, daß er sich zu Neujahr wählen lassen wolle.

»Mag es drum sein.«

Überall in dem Buchengestrüpp wispert es und flüstert's. Auch im Dorf geht das Raunen und Flüstern um und gibt sich immer lauter, je schweigsamer es bald in der schneeverhüllten Natur wird.

 

Dem Vornehmen der Richterbäuerin stellt sich nichts entgegen. Ihr Mann sieht es kaum, daß sie den Knaben an sich zieht, oder es ist ihm das gleichgültig. Er scheint völlig zufrieden mit dem, daß der Pflegesohn in scheuer Unterwürfigkeit zu ihm steht und zuckt über dessen gelegentliche Streiche die Achseln.

Die Frau möchte gern dem Leichtsinn wehren, fürchtet aber gleichzeitig, sich durch Strenge den Springinsfeld abwendig zu machen, und so übersieht auch sie mehr, als gut ist. Das ist für die Erziehung eines heranwachsenden Jungen nicht die beste Grundlage, und dessen angeborene Gutmütigkeit ist auch wenig vermögend, solch verkehrter Einwirkung die Stange zu halten. Wenn es nicht ganz schief geht, so wird daran eigentlich der Ascherbauer schuld sein, oder vielmehr dessen Töchterlein Marie.

Drüben im Ascherhofe mußten sie eben auch an dem Jungen teilnehmen und das war so gekommen. 210

Johannes hatte den Wald des Helmsbauern gekauft, eigentlich ein Wäldchen, eine schmale Waldzunge, wie solche oft von den Wirtschaften weg nach dem großen Herrschaftswalde sich hinstrecken und so verschieden von dem sind, wie etwa die Taglöhnerhütte vom Bauernhof. Er kam von dort und sah durch die Stämme schon die Steinrücke und die Krüppelbirke neben ihr, die aber im Laufe der Jahre doch zu einem Baum geworden war. Wie er gegen seine obere Brache einlenken wollte, vernahm er plötzlich den Klageschrei einer Katze und darauf glitt etwas behende den Birkenstamm empor: nicht die Katze, sondern ein Junge, und der blickte von der untersten Astgabel aus über den Steinwall hinüber, wo nun auch eine Mädchenstimme laut wurde.

Dem Johannes war diese Stimme sehr bekannt. Er ging rasch gegen den Jungen und der Rasen dämpfte seine Schritte, so daß er den Lauscher erreichen und am Hosenbund fassen konnte.

Aber der Bube war auch einer Überraschung gewachsen. Er ließ sich herabfallen, und hätte das Tuch nachgegeben, wäre er wahrhaftig entwischt.

»Ich sag's meinem Vater.«

»Wirst wenig zu sagen haben, Junge,« meinte der Bauer dagegen und begann über den Steinhaufen zu steigen. Da half es auch nichts, daß der 211 Gefangene das Äußerste aufbot; denn die arbeitsharte Bauernfaust spottete der derben Jungennägel.

Und darauf war die Stimme des Mädchens vor ihm und dann das Mädchen selbst und er stand wieder auf den Füßen und verspürte jetzt die Hand des Bauers im Nacken.

»Nun, Junge?«

Mochten es die in Tränen schwimmenden Augen der Kleinen sein, oder war es der blutige Fleck, der von dem weißen Fell des Tierchens so grell abstach; wenn nicht beides zugleich Veranlassung war und das im Verein mit dem Schluchzen des Mädchens: Der Sünder brach plötzlich in Weinen aus.

»Ich – ich will's nicht mehr tun.«

»Denke dran, Junge, wenn dir wieder so ein unschuldiges Vieh über den Weg läuft.«

»Zu Hause haben wir auch so eine Weiße. Ich bringe sie her dafür.«

»Darfst du das auch, und kannst du damit dem armen Tier seinen Schmerz wegnehmen?«

Johannes hatte den Jungen schon freigelassen; der sprang nicht mehr davon.

»Ich weiß die Blätter, die aufzulegen sind,« bot er wieder an.

»Such' sie nur,« meinte der Bauer, der unterdes gesehen hatte, daß der Fleischriß bald heilen werde. 212 »Das ist schon besser als Katzenerschmeißen, das kannst du glauben.«

Damit ging er und der Junge sprang eilfertig in den Wald hinein. Bald kam er – der Junge natürlich – mit einer Handvoll Blätter zurück und dann verbanden die zwei Kinder das blutende Tier, wobei des Mädchens Halstuch herhalten mußte. Fast hätte es hierauf noch Streit darüber gegeben, wer den geduldigen Patienten tragen dürfe, aber das Mädchen behauptete schließlich sein Recht gegen den Knaben.

Und es schien auch in der Folge so, als habe die Kleine ein Recht über den Wildfang errungen, so ritterlich war dessen Benehmen gegen sie. Nicht, daß der im Ascherhof Schürzenhänger geworden wäre; er kam selten herüber, aber er stellte seine Jungenkünste und Jungenkräfte unbedenklich in den Dienst des Mädchens, wenn es das irgendwo verlangte, und die Bubenschaft von Friedrichswald fand bald heraus, es sei nicht ratsam, dem Ascher-Mädl auch nur schiefe Gesichter zu schneiden. Richter-Milians Karl schlug ihr dafür die Nasen blutig und raufte ihr die Haare büschelweis aus, und als er wahrgenommen hatte, daß es seiner Freundin genehm sei, dehnte er den Schutz auch auf das Röslerhäusel aus und niemand durfte das Klarl mehr vermoppeln.

Das ging so in die Jahre hin und wurde im Richterhofe nicht beachtet und beim Ascherbauer wenig 213 genug. Es schuf auch weiter keinen Schaden und nur für den Jungen von drüben spann sich eine gewisse Nötigung aus dem Verkehr: ein Einlenken nach der Seite des Guten und Gemütvollen.

So vieles ist dem Zufall anheimgegeben und schleicht, von den Hütern unbeachtet, in die jungen Seelen, daß es gar oft das Besserwissen der Erzieher zu schanden macht; kann es dabei verkehrter Einwirkung die Stange halten, ist das aufrichtig zu schätzen.

 

Das Raunen und Flüstern ging nicht mehr im Dorfe um; es hatte sein Ziel gefunden. Der Blechtopf der Kretschamwirtin, den sie zur Wahlurne hergeliehen, war neu und glänzte wie gutes Silber, aber das konnte es nicht sein, weswegen der alle Blicke auf sich gezogen hatte. Die kleinen, unscheinbaren Zettel, die er beherbergte, mochten weit eher die Ursache abgeben, und wie sie nach und nach aus seiner Rundung hervorgingen, war auf den meisten Gesichtern zu lesen:

»Das haben wir gemacht. Und so ist's recht.«

Johannes war unter denen, die das Volk erwählte. Die neue Liste hatte in zwei Wahlkörpern obgesiegt und nur die Höchstbesteuerten waren andrer Meinung gewesen. Durch die ist auch der Richter-Emilian in die Vertretung gekommen und darum sah sich der Ascherbauer selbst hier seinem Feinde gegenüber. 214

Gleichwohl tat er seine Pflicht, anfangs zaghaft; aber bald festigte sich sein Vertrauen.

Die Freunde halfen ihm dabei.

Wenn die Gegner Einwendungen erhoben, so fand er immer, daß der Lehrer diese und ihre Widerlegungen schon vorher mit ihm durchgesprochen hatte und er somit nur zu wiederholen brauchte, was ihm auf die Zunge gelegt worden war.

»Wenn das so leicht geht . . . .«

Mit dem erhöhten Selbstgefühl gewann er eine ruhigere Betrachtung der Dinge, sowie einigen Überblick und diese Wandlung tat ihm wohl. Immer weiter scheuchte jeder neue Erfolg das geheime Bangen zurück, das ihn bisher begleitet hatte, und bald erschien dem von der Volksgunst Getragenen so manches als selbstverständlich, was früher rein unmöglich hergesehen hatte.

Man konnte meinen, Johannes vertraue der Volksgunst jetzt zu rückhaltslos, wenigstens schien der Lehrer so zu denken; denn wunderbarerweise teilte er diese Zuversicht seines Freundes nicht, und wenn der Bauer rühmend von dem gesunden Sinn der Leute sprach, blickte er eher bekümmert drein, oder er öffnete wohl auch den Mund zu einer Entgegnung. Es mußte aber die Zeit noch nicht gekommen sein; der Mann bezwang sich jedesmal und schwieg, und gestaltete 215 nur darauf seinen Verkehr mit dem Freunde noch rücksichtsvoller.

Im Hochsommer fiel dann der erste Schuß. An seiner Lösung war weder der große, preußische Junker, noch der Franzosenkaiser schuld, und jene Leute, die auf den Schall hin gegen die Fenster eilten, oder im Freien nach dem Pulverdampf ausspähten, zeigten alle vergnügte Gesichter. Man schrieb erst das Jahr Achtzehnhundertachtundsechzig, und wenn auch einige Vergangenheitsmenschen der Meinung sein konnten, daß es Achtzehnhundertsechzigacht gewesen sei, so mußten doch auch die zugeben, daß damals nichts von Krieg in der Luft lag. Man kämpfte kaum einmal im Kretscham und in der Gemeindevertretung von Friedrichswald; denn die Herren hatten sich notgedrungen gefügt und man baute die Straße so, wie es der alte Heintschel und dessen Ingenieur-Gewissen für recht ausgaben. Der erste Sprengschuß war es auch, der diesen Herrn in den Ascherhof gebracht hatte.

Eigentlich konnte es nur wieder der Pfutschhans gewesen sein, der schuld daran war, aber der Schuß gab doch wenigstens den Anstoß, oder, wenn man noch genauer sein will, der erwartete Schuß; denn die Beziehungen der beiden Alten hatten eben in jener Zeitspanne begonnen, als die Leute auf der unteren Hangwiese mit angehaltenem Atem nach dem 216 dünnen Rauchfaden schauten, der von der Minenstelle emporstieg.

Nur der Geometer blickte nicht dorthin und hielt weder Atem noch Rede zurück. Es war auch zu hören, daß er es nicht tat:

»Wird denn der alte Esel seine Knochen nicht weiter zurücktragen?!«

Das wurde mit Donnerstimme gerufen und darauf lief der Mann auch noch los und ließ sich selbst durch den gewaltigen Krach nicht stören, der gleich nachher die Atmung der andern wieder in ein normales Geleis brachte.

Es war ein ellenlanger Fluch, der dem Pfutschhans in den Rücken fuhr, aber der hielt ihm wunderbarerweise stand und siegte – ja! siegte in dem folgenden Geplänkel so völlig, daß der lange Grobian statt der Galle sehr bald das Zwerchfell in Tätigkeit setzen mußte.

Und der Pfutschhans hatte ihm nicht einen einzigen Fluch zurückgegeben.

Später sah man sie einträchtig bergan steigen, und der Lange stand da und dort still und schien zu fragen.

»Was Euch nur das Ebereschengesindel da soll auf allen Wiesen und an den Wegen? Haut 's heraus und pflanzt Bäume, die Euch Nutzen bringen.«

»Es ist nur wegen der Milch.« 217

»Na?!«

»Ebereschenmilch, hochfeine! Wenn der Herr mit hinaufkommen will, ist ihm eine Probe gegönnt.«

Der Hans machte ein so verschmitztes Gesicht zu den Worten, daß sein Zuhörer erraten mußte, worum es sich handle. Der tat auch darauf dem Alten die Ehre an und trank an dem Tische des Ascherbauers ein Gläschen Ebereschenschnaps und sprach:

»Ungewöhnlich würzig! Habt recht, alter Knabe, die Ebereschen bleiben stehen.«

Er tat auch dem jungen Bauer die Ehre an, besah manches und knurrte dabei so wenig, als sein Naturell eben zuließ.

»Wenn ich wiederkomme, müßt Ihr mich ein wenig herumführen, Leute. Es ist eine merkwürdige Gegend da.«

Diese Worte taten ein großes Vertrauen des alten Mannes kund, der in endlos widrigen Dienstjahren wie ein Kettenhund geworden war, und nur zu gern nach den Leuten hinschnappte. So lief in der Folge Johannes mit dem langen Ingenieur herum und lernte dabei einiges.

Gleich anfangs mußten sie nach dem Dornst hinaufgehen. Der Bauer hatte seit den Knabenjahren nicht mehr den Fuß dorthin gesetzt und staunte jetzt, wie schön und weihevoll es oben war. 218

. . . Nur in den nächstliegenden Wipfeln merkte man eine geringe Bewegung, die Ferne aber schien wie in Ruhe erstarrt. Hoch oben im Himmelsblau schwammen schneeig strahlende Wolkeneilande und ihre geringen Schatten sanken hinab in die Täler und zogen über die Waldrücken. Ein Höhenzug stand hinter dem andern und immer dichtere Schleier breiteten sich zwischen ihn und das Auge, immer mehr Fernblau war auf ihn hingehaucht, je weiter er hinausragte. Über alle die Rücken lief der Spitzenkranz der unzähligen Wipfel hin und von ihrer letzten, reizvollen Horizontlinie stiegen allerlei zarte Dunstgebilde empor.

Daneben blickte durch die Lücke des Bergwalles das Gewimmel von Kegeln und Felstürmen her, das aus dem Dunstblau des inneren Landes aufragte. Johannes erinnerte sich genau jenes Augenblickes, da diese ferne Herrlichkeit zum erstenmal vor ihm auftauchte und sah unwillkürlich nach der Stelle, wo damals das wilde Weib gestanden hatte. Kein Merkmal war dort zurückgeblieben. Der Fels lag so grau da wie ringsum und die Luft über ihm war hell und rein und leitete den Blick geradezu nach den grünen Waldwellen hinüber. Es schien ihm, als sei es nicht glaubhaft, daß diese massigen, dunklen Wuchten so stillfriedlich sein könnten und er meinte, notwendigerweise müsse ein Wetter aus ihnen hervor brechen, oder dunkler Nebel sie einspinnen. 219

Aber das war nur der Anhauch eines Augenblicks und ging vorüber. Als der alte Mann zu sprechen anhob, huschte der Kinderschreck völlig von dannen.

»Ihr redet nicht, König? Das ist recht. Wem an so einem Orte das Mundwerk nicht die längste Weile stille steht, in dem steckt nicht viel . . . . Diese Höhenlinien! . . .«

Die Männer schauten von neuem. Da griff die Vergangenheit aus der Tiefe her nach dem Johannes und zeigte dem das Kind, wie es mit der bleichen Mutter in Angst und Schrecken vor dem verglimmenden Feuer kniete. – »Aberglaube – Gott sei Dank! – Der ängstigt nicht mehr.«

Er sah noch immer mit wehmütigem Lächeln nach dem Hause hinunter, als ihm der Begleiter schon auf die Achsel hieb.

»Nun, wollen wir gehen?«

Sie gingen und der Ingenieur überschlug unterwegs beständig, was aus dieser Erdfalte und aus jenem Wasserlauf zu machen wäre.

»Da müßte mir eine Brettsäge her,« meinte er und zeigte nach dem Laubwasser hinunter.

»Daher doch nicht!«

»Aber weiter unten, natürlich. Auf den Wiesen dort kommt ja die neue Straße her.« 220

»Das sind des Klamtbauern seine. Der verkauft nicht.«

»Seid Ihr ihn schon darum angegangen?«

»Nein.«

»Dann tut's. Der Kauf könnte Eueren lausigen Holzhandel aufmischen.«

Sie gingen weiter, aus dem Lichtgezacke des Waldgrundes heraus und in den Sonnenschein der Brachwiesen hinein. Die lagen einsam da und die große Ruhe war auch auf ihnen, und nur die Schatten der Ebereschenbüsche wanderten über sie fast unmerklich weiter gegen Osten.

Was aber das Gespräch der beiden Wandelnden in der Zukunft wirken sollte, war heute noch nicht zu ersehen.

 


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