Gustav Leutelt
Die Könighäuser
Gustav Leutelt

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7.

Es ist alles anders gekommen. Johannes durfte sich vor den Leuten sehen lassen und der gefürchtete Schimpf blieb aus. Daran war jener erste Mai schuld, an dem der Pfutschhans oben unter den Bäumen die Frühpredigt gehalten hatte.

»Und das laß dir gesagt sein, du kleiner Giftpilz, verschimpfst du mir den Hannis noch einmal, so traue dich nicht mehr in den Wald herauf. Du weißt, ich erlang dich schon.«

Hier machte der Redner eine Pause und schüttelte seinen einzigen Zuhörer derb am Kragen, vermutlich, um eine tiefe Zerknirschung in die rechten Wege zu leiten. Dann fuhr er fort:

»Alsdann, wenn das nicht helfen sollte, schau zu, daß der Schimpf nicht auf dich selber geht. Hast du deine Nase nicht auch gleich danach in die Welt gesteckt, als die Waldfrau sich hören ließ, und ist dir's noch niemals gesagt worden, daß der Balg weit eher dich angehen könnte? Da schaust du, Junge, was?! – Höre ich noch einen Mucks darüber, dann bring ich's unter die Leute. Verlaß dich drauf.«

Damit ließ der Pfutschhans von dem Jungen ab und der blieb ganz verdutzt stehen, trotzdem er noch vor kurzem unzweideutige Zeichen gegeben hatte, daß 91 ihm mehr an dem Laufen, als am Bleiben gelegen sei.

– So weit war also alles ganz gut. Die Zeit tat auch das ihrige. Sie hatte die Kinder der Schule entwachsen lassen und die sahen sich nun seltener. Die Welt war für die zwölfjährigen Augen nun schon ein gut Teil anders geworden; die alten Tummelplätze und die alten Spiele büßten ihre Anziehungskraft ein. Schon störte mitunter der Beruf den Morgentraum, oder dessen Sorge spann sich in die Augenblicke des Entschlummerns hinüber.

Johannes war ein Bauernjunge und bei dem ist der Übergang zum Berufsleben kein schroffer. Ein solcher hat bereits die Kühe hüten und das Kraut raupen, die Erdäpfel häufeln und beim Heuwenden helfen müssen, als er noch zur Schule ging. Er hat auch schon dieses und jenes Gerät erprobt und die Sense legt sich in die Hand eines Bauernkindes ganz anders, als wisse sie schon, wer zu ihr passe und wer nicht.

Der Bauernbub schlägt gleich anfangs nicht die Sensenspitze in den Boden hinein; er hat den Zug sofort weg. Er haut auch die Erdäpfel nicht an, wenn er über der Furche steht und unter den Schlägen seiner Hacke die blaßgelben Knollen aus dem braunen Erdreich hervorpurzeln.

Unterweisung muß freilich auch sein, aber wie die Sense zu dengeln ist, daß man ihr die richtige Schneid 92 anwetzen kann, das lernt er fast ohne Worte, und beim Haberbinden stellt sich der halbwachsene Bub oft geschickter an, als der alte Taglöhner daneben.

Es ist aber doch ein andres Ding, gelegentlich einmal anfassen, oder einen Bauerntag lang schaffen zu müssen. Und wenn dann der Ehrgeiz dazukommt, und man dem vormähenden Vater, der schmunzelnd über der Schulter zurückblickt, nicht allzuviel drauflassen will, dann heißt es Kern zeigen. Wenn auch das Rückgrat bei jedem Aufrichten kracht, die Knie einschnappen wollen und jeder Muskel zittert, es wird sich doch noch abgerungen. Man setzt's durch bis zum Feierabend und würgt noch so das Abendessen hinunter, dann schläft man wie tot und wenn sieh gleich eine Waldfrau hören ließe.

Sind es die Schneemonate, die Arbeit heischen, dann gibt der Wald sein Teil Unterweisung her, etwas grobschlächtig zwar und hagebuchen, aber voll stählenden Anhauches. Wenn in dem Winterschweigen nichts laut wird, als die Glocke am Halse des Pferdes und etwa noch der Fall einer Schneelast, die dem Zweige entglitten ist, dann wird der einsame, schneebedeckte Holzschlag fast weihevoll und ein Gemüt muß schon sehr rauh sein, wenn es von dieser Weihe nicht einen Teil mit hinausnehmen soll unter die Leute. Die Gefahr, die mit der winterlichen Holzabfuhr verbunden ist, schärft dabei die Sinne und macht die Glieder 93 rasch und stark. Johannes rostet auch wintersüber nicht ein.

Fördert die Waldarbeit eine gewisse Menschenscheu, ist das Holzfrachten zu den Käufern von gegenteiliger Wirkung und unterhaltsam dazu. Hier jagt in der Morgenfrühe das Gepolter des Lastwagens die alte Häsin von der Wiese in den Wald zurück, dort gackeln bereits die Hühner vor der Haustür und rufen nach der Frau und dem Morgenimbis. Beim Rinnmüller wird jetzt der Hund herausfahren und ein Stück weiter fangen die Kamine zu rauchen an. Dazu bimmeln im nächsten Dorf schon die Meßglocken, und der Markt gar ist längst munter und hat die Fensterläden aufgetan und die Kaufmannsläden und der Büttel zieht eben beim Amtsrichter die Schelle, was in Ansehung einer wachenden Gerechtigkeit ein tröstlicher Anblick ist.

So lernt Johannes über seine bisherige Umgebung hinaussehen und es kommt bald die Zeit, da auch die blauen Fernberge draußen seine Aufmerksamkeit erregen und noch mehr jene Dinge, die hinter ihnen liegen sollen. Die Sehnsucht nach dem Fernliegenden, Wunderprächtigen fliegt oft in den grüngoldenen Abendhimmel hinein und hat Mühe, wieder heimzufinden.

Vorerst aber steht den Burschen noch wichtigeres an: er lernt nun seinen Vater kennen. 94

Alle die Jahre her ist der Mann erst in zweiter Reihe gestanden. Die Zuneigung gehörte der Mutter, dem Vater eine gewisse, zuzeiten scheugepaarte Gleichgültigkeit. Der Mann war immer so ruhig in Haus und Hof einhergeschritten, daß es den Sohn befremdete, den allzeit Beherrschten nun aus sich herausgehen zu sehen. Hatte der Bursch bisher, aus einem dunklen Gefühle heraus, ihn nicht für voll genommen, so war er nun eher geneigt, den Vater zu überschätzen. Wenn im Walde draußen während gefahrdrohenden Augenblicken der Bauer behend und kühn erschien; wenn er oft ein widerspenstiges Vieh mit einem einzigen Ruck zum Gehorsam zurückzwang; seine Brust sich darauf gewaltsam hob und seine Augen leuchteten: dann kehrte die alte, gelegentlich als Junge verspürte Scheu zurück, nur mit einem Gefühl des Entzückens gemischt, das den Vater über alle andern Männer emporhob.

Als er vor der Mutter zum erstenmal dieser Bewunderung Ausdruck lieh, errötete diese fast mädchenhaft. Dann gab sie dem Sohne recht und meinte, er könne den Vater gar nicht genug ehren; es war aber darauf ein Ängstliches in ihren Augen und ihrem Tun, als fürchte sie etwas.

Wie der Sohn seinem Vater mehr und mehr in gutem Sinne nachspürte, ging ihm auch das Verständnis für all das Behutsame und Vorsorgliche des 95 Mannes und für die feine Kummerfalte über dessen Brauen auf. Der Mutter galt dieses Tun, ihr galt jenes Unterlassen und von weitem her führte der Bauer auch den Sohn in gleiche Wege. Bisher hatte er auf diesen verzichtet des Weibes wegen und auch jetzt, da der Zug der Natur ihm das Kind entgegenführte, wehrte er eher ab, als daß er es auf seine Seite zu ziehen versucht hätte. Der Bernard las eben in den Augen des Weibes die Furcht, auch nur ein Stück von des Sohnes Herzen – und sei es selbst an den Gatten – zu verlieren, und er liebte die Beate noch immer viel zu sehr, um nicht unbekümmert einen guten Teil der Vaterfreuden an sie dahinzugeben. Der Gegenstand dieser Fürsorge aber mochte von dem nichts merken; die Bäuerin schien die Duldung, wie vordem.

Johannes nahm durch diese Umstände keinen Schaden an seinem Gemüte. Er ging nicht mehr so ahnungslos neben seinen Eltern, wie früher, aber eine gewisse, geistige Schwerfälligkeit ließ ihn manches erst nachhinein voll erfassen. Wohl nahm er rückblickend ein jedes Vorkommnis um so tiefer in sein Herz, jedoch das schreckhaft Anspringende des Plötzlichen war ihm dann schon genommen und der aufsteigende, gelinde Ärger über gelegentliche Arglosigkeit brauchte doch nie einer Beschämung gleich zu sehen. 96

In dieser Zeit der Entdeckungen sah Johannes seine Freundin nur selten. Eigentlich hatte das schon früher begonnen; denn das Mädchen war die letzten Monate kaum zur Schule gekommen. Das war einmal so. Die großen Mädchen mußten daheim helfen und der alte Herr machte darüber erst keine Worte. Johannes konnte nicht beständig hinübersteigen, aber des Sonntags hatten die beiden einander bisher doch gesehen. Jetzt war auch das nicht immer möglich; denn die Marie diente in Johannesberg als Kindermädchen und kam erst in Wochen einmal nach Hause. Johannes setzte anfangs seine Sonntagsbesuche in der Einschicht fort, dann ging er nur mehr an den bewußten Tagen, da die Marie daheim war und schließlich stieg er bloß auf gut Glück hinüber, ob sie anzutreffen sei, oder nicht.

Heute war er wieder auf dem Wege. Die Jungfichten ließen bereits die gelblichen Tupfen der kommenden Maien erblicken und hielten sich kerzengerade inmitten der hin- und hergebogenen Laubholzstämmchen. Oben über dem Einsprung sah er einen Augenblick den blauen Kittel leuchten, dann war wieder nur Wipfel an Wipfel und es sprang niemand dem Burschen entgegen.

»Was sie nur hat?«

Das Empfinden der werdenden Jungfrau konnte Johannes freilich nicht nachfühlen. Dem reifenden 97 Mädchen widerstrebte bereits, was dem Kinde unverfänglich geschienen war und so hatte die Ungeduld es ihm entgegen und jener dunkle Drang beim Erblicken des Kommenden wieder heimgetrieben. Er fand die Marie in der Stube und meinte, die Glut auf ihrem Gesichte rühre von dem Laufen her. Es war aber nicht so.

Einmal hatte er einen andern Weg in die Einschicht genommen. Da war die Marie über den Schlag nach Hause gelaufen, sehr eilig und sehr rot dabei, und der Richter-Emilian ging neben ihr. Johannes konnte nicht hören, was der in sie hineinredete; es war doch zu weit. Er trat gleich zurück, damit sie ihn nicht sehen sollten und stand lange.

Wie der Bursch darauf zu gehen anhob, schien es ihm auf einmal nötig, umzukehren. Er wendete sich auch, sah aber wieder zurück, beschloß noch einmal, nach Hause zu gehen und ging endlich doch in entgegengesetzter Richtung fort.

»Nur so weit, bis ich das Haus sehen kann. – Ob er mit hineingegangen sein mag?«

Durch die Bäume sah er sie dann in der Tür stehen und herüberschauen. Da litt es ihn doch nicht und er ging zu ihr.

Sie war zutunlicher als sonst, und als Johannes nach dem Vorhin nicht fragen mochte, meinte sie selbst: 98

»Ich habe dich gesehen.«

Den Burschen aber war es, als könne er darauf nicht antworten.

Und dann kam die Zeit der Hilflosigkeit über beide und es war schließlich gut, daß man eine Tölpelei über der nachfolgenden andern vergessen konnte. Aber wenn sie allein waren, mußten sie mitunter die Finger von einander zurückziehen, als ob diese glühend geworden seien. –

Blütenstaub der Fichten fliegt über die Wälder, wenn der Wind ihn trägt . . . .

 

Unten im Dorf war die Muhme Therese gestorben und oben in der Einschicht hatte der zahme Star in höchster Bedrängnis eben noch einmal »Marie!« rufen können, bevor ihn das Wiesel zu erwürgen vermochte. Er war sehr leichtsinnigerweise hinaus in die weite Welt gehüpft, und dort – zwischen der Hängestange und dem Brunnentrog – hatte ihn der Räuber auf seinem Abendspaziergange erschnappt. Was half es, daß der Pfutschhans dazwischen gefahren war und den Leichnam gerettet hatte; der Star blieb tot und alle die possierliche Frechheit des verzogenen Matzes war dahin. Dabei lautete die Leichenklage des würdigen Ehepaares kurz und drehte sich mehr um den Kummer der Tochter, als sie dem Hingemordeten gerecht wurde; dann flog 99 der noch nicht kalt Gewordene aus der hohlen Hand des Mannes ohneweiters über die Hecke.

Die Muhme Therese freilich flog nicht über die Kirchhofmauer. Sie hatte schon viele Jahre lang auf ein schönes Begräbnis gespart und das bekam sie auch. Der würdige Geistliche schritt im Vespermantel einher und das Weihrauchfaß dampfte an ihrem Sarge. Noch ehrender aber war das große Geleite, das ihrer Bahre folgte, fast nur aus Weibern bestehend, denen sie in höchsten Nöten Beistand geleistet hatte.

Der Tod der alten Frau – das Ende des zutraulichen Vogels: in den Schalen der Jugend wiegen sie fast gleich; bildet die letzte ja doch für sich das Maß aller Dinge. So kann ein Geschöpf, das sich vertrauend in ihre Hand gibt, wohl auch den Vorrang gewinnen vor dem Menschen, der durch Jahre, Denken und Fühlen von ihr geschieden, nicht mitverlangt auf jenem Jugendwege, der durch Irrgärten führt und zu dem Altersweisheit den treffsicheren Führer doch nicht stellen kann. Tiefinnerst nur, halbbewußt wallt solch Empfinden wohl empor; denn die Zucht der Jahrtausende ist dem Menschen schon zu fest eingeprägt, als daß er nicht solchen Gedanken, in Worte umgesetzt, entrüstet von sich weisen sollte.

Johannes grübelte nicht darüber. Er hatte nach dem Leichenwege in das Grab hinabgesehen gleich den 100 andern und war so aufrichtig betrübt gewesen, als die. Das tat aber der Freude keinen Abbruch, die ihm schon nach wenigen Tagen auf dem nämlichen Wege das Fahrtgehen bereitete. In Johannesberg war Kirchenfest und der Bursch wurde hinuntergeschickt und sollte einkaufen.

Die Morgensonne vergoldete alles Grün und machte die Sandkörner des Weges erglänzen, auf dem er hinschritt. Die Welt war ein einziges Leuchten: es kam aus den Kieseln des Baches hervor, strahlte von schneeig glänzenden Wölklein herab und lag auf den behenden Schwingen der Vögel; es hing in den Gräsern und die Äste schwenkten es durch die Lüfte; es ruhte in der Nähe und drang aus der Ferne, und schließlich war es bloß zweifelhaft, ob Licht, oder ob Freude aus den Augen der Menschen hervorsprang.

Das Festgeläute kam ihm aus dem Dorfe entgegen und es war heute unter den wohlbekannten Klängen ein Summen, wie von einem mächtigen Bienenschwarme. Die Glocken ruhten endlich, aber das Zwischengetön blieb, und mit dem Näherschreiten zerfiel es in das Dröhnen der fahrenden Wagen, das Wiehern, Schnauben, Scharren und Stampfen der Pferde, in die zahllosen Schrittgeräusche, das Klopfen und Hämmern der Krämer, das Sprechen, Schreien und Ausrufen der drängenden Menge, und der Leierkastenmann auf der andern Seite des Dorfes 101 bemühte sich vergebens, Takt in all das Gewirre zu bringen.

Die Menschenmenge sog den Burschen ein, wie jene, die nach ihm kamen und wuchs beständig. Johannes schaute da und dort in die Stände, obgleich noch nicht alle Waren ausgelegt schienen. Zum erstenmal hatten ihn seine Leute mit einem Einkaufe betraut und er wollte dieses Vertrauen rechtfertigen.

Aber erst mußte er noch in die Kirche, aus deren weitgeöffnetem Tore eben das Predigtlied mit Macht hervorbrach. Der junge Geistliche auf der Kanzel machte weit schönere Worte, als der Pfarrherr, den er sonst gehört hatte; aber noch stand seine Jugend dem Geiste der Milde zu fern, den jener alte Seelenhirte in sich trug, und der so gar tröstlich zwischen Gottes Wort in die Gemüter seiner Zuhörer hinüberzugleiten pflegte. Nach der ersten Viertelstunde schon stieg dem Johannes der Gedanke auf, die Marie könne wohl in der Kirche sein und er schob sich langsam auf die Tragbalken der Sitzreihen, um über die Menge hinschauen zu können. Ein- oder zweimal glaubte er sie gefunden zu haben, aber wenn die Mädchen dann ihre Köpfe wendeten, um die Anzüge der Nachbarinnen besser zu würdigen, sah er sich jedesmal getäuscht. Schließlich wurde ihm die Vorstellung lästig, der handliche Sensenwurf, den er sich vorhin ausersehen hatte, könne inzwischen verkauft 102 werden, und im Schrecken darüber unternahm er den Versuch, aus der Kirche zu gelangen. Das war aber nicht möglich; sogar die Vorhalle war gesteckt voll Andächtiger und er mußte eben aushalten. Was Wunder, daß in sein Kyrie die demütige Bitte klang, es möge ihm ja kein Käufer zuvorkommen, daß der Jubel des Gloria, die Inbrunst des Kredo ihn nur halb zu erfassen vermochten und erst die weichen Stimmen des Sanktus den Schweifenden in die Regionen der Andacht trugen. Dann aber störte ihn nichts mehr und als beim Tantum ergo das Gehen begann, erinnerte er sich seines Vorsatzes kaum wieder.

Der Wurf war noch zu haben und Johannes feilschte eigentlich nur der Ehre wegen um den Preis; darauf ging er nach dem Hause, in dem die Marie diente. Das Mädchen stand unter dem Steinbogen der Tür und machte vergnügte Augen.

»Da bist du ja,« sagte sie. »Und gleich kann ich noch nicht kommen. Nach dem Essen wird erst die Frau einkaufen und dann darf ich gehen.«

»Wenn es nicht zu lange dauert,« gab er zurück. »Hab' wenig mehr zu tun da.« Er meinte es aber nicht so und seine Augen mußten auch anders gesprochen haben, denn das Mädchen lachte nur fröhlich.

Noch kamen sie überein, einander bei der Kreuzbuche zu treffen und den alten Weg zu gehen, weil 103 dort nicht ein jeder herumläuft, dann trat die Marie in den dämmerigen Hausflur zurück und der Bursch hörte über dem Lärm ringsum nicht einmal ihre enteilenden Schritte.

Er sah auch den Richter-Emilian nicht, der gleich nebenan vor den Bildwerken des Händlers gestanden war und sicher alles gehört hatte. Der winkte eben ein stattliches Mädchen heran und die beiden jungen Leute traten hinter die nächste Ecke. Aber nur kurze Zeit verging, dann schaute der Mädchenkopf wieder hervor und auf den Johannes her, der immer noch vor der Haustür stand. Der Mund des schönen Kindes lachte vergnügt und ein bekräftigendes Nicken schien irgendwelche Zustimmung auszudrücken; darauf verschwand der Kopf wieder.

Der Wind wollte dem Träumer zu Hilfe kommen und fing in den Bilderreihen ein lustiges Blättern an, daß der Händler entsetzt herbeieilte; aber Johannes hörte nicht auf den Warner. Da kam jedoch der Herr des Hauses. Der war beim Wirt gewesen und hatte ein gutes Glas geschmeckt. Er schlug dem Johannes auf die Schulter und rief:

»Steht nicht der halbe Tod da vor meinem Haus und will hinein? Gleich wird er sehen, daß er weiter kommt!«

Johannes brauchte eine Weile, bevor er die derbe Ansprache begriffen und mit der gekauften 104 Sensenhälfte notdürftig in Verbindung gebracht hatte. Aber da wurde er schon beiseite geschoben und die lachenden Mienen der ringsum Stehenden trieben den Hilflosen, nachdem er einmal zu sich gekommen, auf das eiligste davon.

Johannes mußte aber nachher auf eine Glückswurzel getreten sein. Er kaufte nicht nur die derbsten Schaftstiefel um einen weit geringeren Preis, als der Vater daheim angesetzt hatte, es war auch rein zum Verwundern über alle die Freundlichkeit, die er von heimischen, da und dort herantretenden Altersgenossen heute erfuhr. Wo der Sensenwurf auftauchte, den er in jugendlicher Unbeholfenheit überall mit herumschleppte, dort gab es bald Friedrichswalder Burschen zu sehen, und auch die Mädchen von daheim waren heute zutunlicher als sonst, trotzdem er es um sie wenig genug verdient hatte.

So kam die verabredete Zeit heran und Johannes konnte noch immer nicht loskommen. Bislang hatte er noch kein Arg gehegt; als man ihm aber nun geradezu sagte, daß man mit heimgehen wolle, ahnte dem Burschen Schlimmes.

Es half aber schon nichts mehr. Die Aufdringlichen zogen ihn fort und auch einige Mädchen schlossen sich an und gaben dem Johannes scheinheiligerweise gute Worte, daß er sie mitnehmen solle. Die eine steckte ihm ein Sträußlein vor die Brust, die andre, 105 eine ausnehmend schöne, stattliche Dirne, warf ihm eine blühende Ranke über den Hut und befestigte sie rasch. Johannes ging wie im Traume, verwirrt, hilflos, und das schöne Mädchen hatte scherzend ihren Arm in den seinigen geschoben. Alles redete auf ihn ein und niemand wartete, ob der halb Betäubte auch antworte.

»In eine Falle geraten!« stieg es in ihm auf. Er blickte zurück. Da gingen andere hinterher; sie würden ihm den Rückweg versperrt halten. Und dann kam der Pfad hinter der Kirchhofmauer hervor, und jenseits der Wegbiegung sah er schon den blauen Kittel und die Kreuzbuche blickte darüber her. Er erhaschte noch, wie die Marie eben hinter den Stamm trat und das weiße Päckchen dabei gegen ihre Brust drückte.

Nun wollte er doch entspringen. Sie hatten es aber vorhergesehen und gegen die Überzahl wäre es ein törichtes Ringen gewesen. Er biß die Zähne zusammen.

Winken wird er ihr doch können?

Da stand die Buche und einen Augenblick waren die zwei entsetzten Augen daneben; dann fiel etwas zu Boden und das schwache Geräusch eiliger Schritte verlor sich unter dem mutwilligen Lärmen ringsum.

»Rufen?« – Dann hätte er der Fliehenden die halbbenebelten Burschen auf den Hals gehetzt. Er mußte schweigen.

Was hatte er doch diesen Übermütigen getan? 106

Eine große Bitterkeit stieg in ihm auf und er stieß den Arm des Mädchens von sich.

Dieses ging noch einige Schritte neben ihm, dann neigte es sich zu seinem Ohre und sagte leise, aber nachdrücklich:

»Ist dir der Spaß gar so leid?«

Der Ton war fast mitleidig. Der Bursch antwortete nicht, aber er blickte auf und in seinen Augen standen Tränen.

»Ist's wegen dem Mädl hinter der Kreuzbuche?« sagte sie wieder. »Na, du brauchst nicht zu antworten; ich seh' schon, wie's steht. Hätt' ich das früher gewußt –«

»Wer hat euch denn angestift'?«

»Er hat uns nicht gesagt, auf was er geht. Hänseln sollten wir dich einiges, weil du gar ein so braves Mutterkind bist.«

»Aber wer denn?«

»Kümmere dich nicht darum; ich steck' es ihm schon dafür. Und deinem Mädl mußt es halt sagen, wie's gewesen ist.«

»Ich lauf zurück.«

»Sie würden dich nicht lassen. Wirst so zu tun haben, daß du von den Burschen loskommst. Ich helf dir wohl dazu.«

Das Mädchen hielt Wort oben im Wirtshaus zum grünen Baum, worein man den Johannes mit 107 Gewalt geschoben hatte. Aus allen den gereichten Gläsern mußte er Bescheid trinken und er wußte zu gut, daß eine Ablehnung die Burschen zum Zorn reizen würde. Das ungewohnte Getränk aber machte ihm bald den Kopf wirblig.

Der Eintritt des Richter-Emilian gab ihm endlich Luft. Der Jüngling sah erhitzt aus und trug ein weißes Päcklein unter dem Arm und blutete auf der linken Wange.

Gefallen wär' er.

»In die Fingernägel von einem Mädl, meinst du. Bist ja lustig zugerichtet.«

Das stattliche Mädchen hatte gesprochen und griff nun ohne Umstände nach dem weißen Päckchen.

»Mir was mitgebracht, Königssohn?«

»Meinetwegen auch,« sagte der und schoß einen tückischen Blick gegen Johannes. Die Dirne aber mußte noch ein Anliegen an den Burschen haben, denn sie sprach dreist in ihn hinein und redete sich dabei in die Hitze.

»Ich will es aber so,« meinte sie endlich und kehrte dem jungen König den Rücken. Wie die Energische darauf an dem Johannes vorüberstrich, flüsterte sie ihm zu:

»Jetzt mach, daß du fortkommst!«

Er ließ sich das nicht zweimal sagen, aber er mußte sich bereits an den Türpfosten stützen, um über 108 die Schwelle zu kommen. Die Burschen riefen hinter ihm her, ließen ihn aber ziehen.

Draußen fühlte er die Folgen des ungewohnten Trunkes stärker. Alle paar Schritte stolperte er über einen Wegstein und die Waldberge drüben begannen vor seinen Augen zu gleiten und zogen ihn mit sich und von seiner Bahn ab.

»Wirblig im Kopfe, und so müde!«

Er kämpfte gleichwohl tapfer vorwärts, solange aus des Wirtes Fenstern das Schreien und Jauchzen der wüsten Burschen hinter ihm herdrang. Als er aber auf die Kammwiese gekommen war, brachte er es nicht weiter und legte sich willenlos in die erste beste Furche.

Nicht lange, so rüttelte ihn jemand stark. Er war aber so betäubt, daß er das große Mädchen nicht erkannte, das vor ihm kniete.

»Ich hab' mir es gedacht und bin dir nachgegangen; halt freilich, wenn einer es nicht gewöhnt ist.«

Ihr kräftiges Rütteln half soviel, daß sie den Burschen auf die Beine brachte und einer schwächeren Dirne wäre das kaum gelungen. Dann stützte sie ihn unter dem Arme und sagte:

»Keine zweihundert Schritte sind's, dann kannst du schlafen. Nimm dich zusammen.«

Das Haus lag abseits vom Wege in einer Senke und sah vernachlässigt aus. Die Führerin ließ den 109 Burschen auf das Bänklein bei der Tür niedergleiten und klopfte ans Fenster.

»Mutter, helft mir ihn tragen.«

Es war wirklich notwendig. Johannes schien vollständig betäubt und vernahm nicht mehr, was die beiden Frauenzimmer verhandelten.

»Bist du schon heim? – Der Tausend, wer ist denn das?«

»Dem Ascher-Bernard seiner. – Pack an! – Nicht in die Stube; in den Schuppen mein ich.«

»Warum denn?«

»Das ist nicht so einer.«

»Warum schleppst du ihn dann her?«

»Nur so. Er gefällt mir einmal, wie er ist und soll nicht zum Spektakel draußen liegen.«

Sie legten den Regungslosen auf einen mächtigen Haufen trockenen Laubes, den die Malcher-Therese zur Unterstreu für ihre Ziegen gesammelt hatte. Dann ließen sie ihn allein.

Die Mäuse waren in ihre Löcher geflüchtet, als man den Menschen und die lange Holzkrücke und die Schaftstiefeln so hergelegt hatte. Sie bürsteten unterdes ihre Pelzlein aus; als aber die gehörige Mäusestille wieder da war, schlüpfte es überall hervor, erschrak, stutzte, schaute unendlich klug aus dunklen Mausaugen her und nur das Atmen des großmächtigen Dingsda hielt sie in einiger Entfernung. 110

. . . . Es war gar nicht wahr, daß er so lange geschlafen hatte; aber das Mädchen vor ihm trug doch eine Laterne und durch die dunkle Türöffnung herein strich die kühle Nachtluft.

War denn sein Kopf zerrüttet? Die Schatten der Laternensäulchen hetzten an der Bretterwand umher und wollten ihn von neuem wirblig machen, aber das Mädchen sagte:

»Es wird schon gehen. Du hast ein paar Stunden geschlafen und die Luft draußen treibt den Dunst noch vollends aus dem Kopfe. Da hast du auch das Packel; es mag so dir gehören.«

Da richtete er sich auf und sah jetzt erst, wo er gelegen hatte. Er nahm seine Sachen und ging, und in der Verwirrung vergaß er, dem Mädchen zu danken.

Der dunkle Nachthimmel stand über den dunkleren Wäldern und die Sterne, die blinzelten einander zu.

»Nur geschwind, immer geschwind weiter. – Was werden sie daheim sagen?«

»Wenn nur die Marie nicht böse ist . . .«

Aber nicht einmal gedankt hat er vorhin dem Mädchen.

Es war ein recht betrübliches Heimwandern.

 

Ist die Wende einmal da, geschehen ganz von selbst die merkwürdigsten Dinge. Nicht wie sonst machte Johannes am nächsten Tage die Mutter zu 111 seiner Vertrauten; er erzählte dem Vater, wie es ihm gegangen war.

Was er sich doch geängstigt hatte! Und nun nahm es der so gleichmütig auf. Nur, als er von seiner Schlafherberge berichtete, stutzte der Vater und stellte einige Zwischenfragen. Diese mußten aber zur Zufriedenheit beantwortet worden sein, denn der Ascher-Bernard sagte darauf bloß:

»Du bist noch zu wenig unter die Leute gekommen, sonst würdest du dir haben besser helfen können. Das muß anders werden.«

Es wurde auch anders und der Bauer mühte sich in der Folge, nachzuholen, was vordem versäumt worden war. Dem Johannes aber fiel es erst nach dem Bekenntnisse auf, daß er von der Marie rein gar nichts gesagt hatte.

Wenn er nur sehr bald mit der reden könnte! Es gab aber keine Fuhre dort hinab. Er mußte warten.

Am übernächsten Morgen hieb Johannes die obere Brache. Es war ein starker Tau und die Sense machte deswegen gute Arbeit. Da schrie es über die Steinrücke her:

»Nicht zu fleißig, junger Mahder! Kannst du mir nicht sagen, warum das Mädl so auf einmal aus dem Dienst gelaufen ist?«

Dem Johannes blieb die Sense im halben Schwaden stecken. Er konnte gar nicht antworten. 112

Ersichtlicherweise verlangte das der Pfutschhans auch gar nicht; denn er rief gleich darauf von einer andern Stelle her.

»Heim kommt sie gar nicht mehr, hat sie sagen lassen. Ich gehe grad' aus nach ihr.«

Fort war er, und nun sank die Sense zu Boden und Johannes rief dem Eilenden nach; aber es kehrte niemand zurück. Da warf sich der Bursch verzweifelnd nieder und in den Tau der Gewächse mischte sich der Tau seiner Tränen.

– Johannes konnte es sich nicht erklären und hat es erst viel später erfahren, warum der Pfutschhans allen Versuchen, zu einer Aussprache mit ihm zu gelangen, einen störrischen Widerstand entgegensetzte. Er wußte eben nicht, welche Auslegung der Richter-Emilian dem Ende seines Kirchfestganges gegeben hatte und daß der Aufenthalt in dem anrüchigen Hause der Malcher-Threse der Marie im bösen Sinne hinterbracht worden war.

 


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