Gustav Leutelt
Die Könighäuser
Gustav Leutelt

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8.

Es hatte nie so viele Krähen gegeben. Vortags schon und noch aus dem abendlichen Dämmerdunkel vernahm man die mißtönenden Stimmen und kein lieblicher Sänger war vor ihrem Gekreisch zu hören. 113 Wie die Wälder sie einander zuschickten, gab es ein beständiges Flügelschlagen von einer Talseite zur andern. Oft ließen die Leute ihre Hände ruhn und sahen nach dem dunklen Gezücht empor, das zu Scharen flog und auseinanderstob, und die es taten, zeigten bedenkliche Gesichter. Fast plötzlich aber, wie nach dem Willen eines Gewaltigen, waren die schwarzen Vögel wieder verschwunden.

Das sind die Vorboten gewesen.

Oder hat es erst der Dunst gebracht, der tagaus, tagein blutigrot und wie festgenagelt in der Ferne stand und den Abendhimmel brennend machte, als ob die Wälder in Flammen auflohen würden? Ein Gifthauch, zog er hin über die Niederungen. Würde die reine Luft der Berge ihm widerstehen?

Aber da kam schon eins nach dem andern.

Was der Frühling dem Boden entlockt hatte, verdarb grimmiger Spätfrost. Das war so selten nicht; die Leute schöpften wieder Hoffnung. Da kam der Brand ins Korn und die Saaten standen geschändet. Noch richtete sich die Hoffnung auf das, was die Scholle deckte; aber die Dünste wurden unabsehbares Gewölke und der Regen tränkte die Berge, daß aus jedem Maulwurfshügel die Wasser sprangen. Und nun geriet die Fäule unter die Kartoffeln, daß auch jene Knollen, die man dem treulosen Boden entriß, noch in den Kellern verdarben. Was anfangs lastender 114 Kummer gewesen war, gedieh jetzt zum lähmenden Entsetzen. Wie sollte man den Winter überdauern?

Und der kam früh. Der Hafer stand noch fast grün und schon staken seine Halme im Schnee und die Leute schnitten die halbreifen Rispen ab, um wenigstens etwas zu retten.

In dieser Zeit ist der Pfutschhans ein Seher geworden. Über dem Jeschkenzuge hatte im Abendhimmel ein Sarg geschwebt und der ward von sechs schwarzen Männern getragen. Die Erscheinung kam drohend heran, schneller als der Wolkenflug und deutlich hatte der Mann gesehen, wie die gespenstigen Träger im Näherkommen größer und größer geworden waren.

Da sind die Haare auf seinem Haupte gestiegen und er hat nicht geruht, bis er zwischen seinen vier Wänden gewesen ist. Die Frau aber mußte die Fenster zuhängen und das Schlüsselloch verstopfen, bevor die beiden Leute zu beten angefangen haben.

Nicht alle hatten Gesichte, aber jedermann empfand die schreckliche Not der Zeit. Scharen ausgehungerter, hohläugiger Bettler wankten einher und rissen einander die Türgriffe aus den Händen. Diebstahl und Gewalttat mehrte sich und zu der einen Sorge um die Fristung des Lebens kam die zweite, dieses zu schützen.

Das Sorgen half nichts. Eines Tages war die Hötkrankheit da, die schrecklichste Geißel der Hungerjahre. In der Heimstatt der Armen brach sie aus 115 und nahm tigerhaft ungestüm ihren Weg. Ganze Häuser starben aus und die verschonten schlossen ihre Türen; kaum, daß irgend ein Mutiger es wagte, das Geschirr mit Speise und Trank auf die Schwelle einer verseuchten Hütte zu setzen. Und die Kranken kamen, sofern sie konnten, auf allen Vieren nach der Labung gekrochen.

Der Särge brauchte man zu viele; so mußte alles in Hast geschehen. Es war aber, daß beim Maren-Franz der Fuhrmann schon vor der Tür hielt, als der Tischler eben die Truhe brachte, und die erwies sich um mehr als Schuheslänge zu kurz. Da mochte das Entsetzliche geschehen, daß man dem Leichnam die Beine brach, um ihn in das letzte Gelaß zwängen zu können.

Die Menschen waren eben stumpf geworden.

Im Ascherhofe ist die Not nicht bei Tische gesessen. Die zweite Kuh hatte der Bauer verkauft; es gab kein Futter für sie und der alte Fuchs lief auch bereits hinter dem Roßhändler einher. Vom Land draußen war nichts zu ziehen gewesen; dort stand ebenfalls der Hunger mit den Leuten auf und ging mit ihnen zu Bette. Da griff der Bernard nach dem neumodischen Lebensmittel, das die Grundobrigkeit schon im Herbste aus dem fernen Verona hatte kommen lassen, und war die Reisnahrung auch einförmig genug, sie sättigte doch. 116

Viele Leute aber waren verblendet gegen diese Hilfe und besonders die Armen; denn der Zufall hatte es gewollt, daß gleich nach der Verbreitung der fremdländischen Frucht das große Sterben ausbrach, und zu dem Mißtrauen gegen das Neue kam noch der wahnwitzige Verdacht gegen den Spender.

»Man will uns vergiften. Weniger sollen der hungrigen Mäuler werden, daß die Reichen genug für sich behalten.«

Und die Bettler schütteten die Reiskörner in den Straßenschmutz und stopften den Leib mit den unmöglichsten Dingen, also daß der Widersinn seine Orgien feierte.

Anfangs winkte der Tod nur die Hungrigen zu sich, es kam aber auch an die Satten.

Die Beate war tagsüber so merkwürdig aufgeräumt gewesen. In der Nacht aber phantasierte sie schon und beschwor die erschrockenen Leute, doch ja stille zu sein, damit das Singen der Waldfrau zu hören sei. Und dann sang sie selbst mit lauter Stimme alte Lieder, von denen kein Mensch wußte, woher sie die hatte.

Der Bernard ging noch in der Nacht nach Gablonz um den Doktor. Der konnte aber schon nicht kommen, weil er selbst mit dem Tode stritt. Da hatte der Bekümmerte eine schwere Wachskerze mitgebracht und die brannte nun Tag und Nacht vor dem 117 Heiligenbilde im Tischwinkel. Aber das Lebenslicht des Weibes war früher zu Ende.

Sie hatten die Verstorbene nach dem Friedhofe hinabgeführt und die Kuh war scheu gewesen ob der Last hinter ihr, daß Johannes sie am Horn führen mußte. Jetzt standen sie selbdritt neben dem alten Geistlichen, der den Segen über die Tote sprach und mit zitternder Stimme um Erbarmen für seine schwergeprüften Pfarrkinder flehte:

»Herr, so du willst, laß enden deinen Zorn wider uns Sünder!«

Die Gehilfen des Totengräbers aber ließen sich nicht stören und hackten und schaufelten unterdessen an neuen Gruben, daß ihnen der Pfarrherr endlich ihr Gebaren verweisen mußte.

Sie hatten lange gestanden. Dann waren sie endlich hingegangen an der Reihe von frischen Gräbern, über die zerwühlte, umhergestreute, braune Erde, aus der noch die Dünste der Winterfeuchte emporstiegen. Wie oft sie auch zurückschauten, das Grab öffnete sich nicht mehr.

Zwei Tage später legte sich der Bauer und am nächsten Morgen mußte Johannes die Katharine aus ihrer Kammer herabführen, weil auch sie von der Seuche ergriffen war.

Grausige Zwiesprache hielten die Geister des Fiebers nun in der düsteren Bauernstube und der verzweifelte 118 Bursch wandelte von einem Krankenbett zum andern, bis ihn die Kraft verließ. Im Anfange war er ins Dorf hinuntergesprungen, aber die gräßliche Not hatte alle Menschlichkeit erstickt und der Jammernde kehrte ohne Hilfe wieder.

Er kam zur rechten Zeit. Der Bauer hatte sich eben nach den Werkzeugen aufgemacht.

»Der Stein, der Unglücksstein, weg muß er! – Nur gleich anfangen – Stück um Stück herunterspalten. – Frei auf den Hof möchte er fallen und alle erschlagen.«

Der Atemlose hatte zu tun, den Kranken in sein Bett zurückzubringen. Drüben jammerte unterdes die Katharine, die Schwägerin solle doch ein Einsehen haben, und mehr könne sie einmal nicht arbeiten, mehr gewiß nicht; das Blut komme ihr doch schon unter den Nägeln heraus, so plage sie sich. Und wenn man sie zwingen will, geht sie einfach zu ihrem Mann, der wird schon helfen. Er sei ja nicht tot, das habe sie nur so gesagt, sie, weil das Grab einmal fertig gewesen ist. Wenn sie ihn ausgraben muß, wird sie es schon tun, aber dann darf man ihr nicht mehr mit so viel Arbeit kommen.

Die Stumpfheit der Verzweiflung wollte den Burschen überschleichen, aber er erwehrte sich ihrer noch.

Was dann, wenn die Seuche auch ihn anfällt? 119

Er wird die Kuh ins Freie lassen, wenn er merken sollte, daß es kommen will. Nur acht geben darauf.

Aber am nächsten Morgen war er schon in einem Königsschlosse und war ein Prinz geworden und die Schlangenkönigin eine Prinzessin.

Wo er das Wort nur so schnell hergehabt hat? –

Am selben Morgen begab es sich, daß der Pfutschhans sein Weib gegen Johannesberg fuhr. Er hatte den Sarg auf die Radber gebunden und mußte sich stemmen, daß ihn die Last nicht vornüber riß. Die Marie ging hinter ihm drein und sie hatte ein schwarzes Tüchlein umgeknotet und trug ihr Gebetbuch in der Hand. Wie die beiden an die Steinrücke kamen, hörten sie aus dem Ascherhofe eine Kuh brüllen, aber nur das Mädchen blieb kurze Zeit stehen und schaute hinüber. Dann ging sie rasch dem Vater nach und das Gebrüll drang stoßweise hinter ihr her.

Als in den Nachmittagsstunden Vater und Tochter zurückkamen, brüllte das Tier noch immer, wenngleich mühsamer. Da blieben die Zwei stehen und sprachen miteinander, gingen einige Schritte weiter und horchten wieder. Endlich stiegen sie vollends bergan und verschwanden im Walde.

In der Krankenstube brannte kein Flämmchen, und gegen die halbfinstere Nacht draußen schauten 120 die dunklen Fensterstäbe wie schwarze Grabkreuze aus den Wänden her. Auf dem Lager des Bauers war es still geworden; die Katharine wimmerte noch leise und dem Johannes tat es schier leid, daß er die Prinzessin heiraten sollte. Das machte eine Stimme, die war ganz weit weg, aber er hörte sie doch. Und die Stimme war so voll Sehnsucht, daß er meinte, ihr nicht widerstehen zu können. Was er aber auch suchte, er konnte den Ausweg aus dem Schlosse nicht finden, und weil es da kein großes Besinnen geben konnte, so mußte er durchs Fenster.

Daß es so lange dauern würde, das hätte er freilich nicht gedacht. Er war aber auch so leicht, wie die Luft, und sank langsam, wie eine Flaumfeder, hinab. Und wie er die Arme rührte, konnte er sogar fliegen, gewiß und wahrhaftig, und so eilte er der süßen Stimme entgegen. Näher kommend, wußte er auch, daß es die Marie sei, die rief und er flog hastiger und hastiger. Aber dann war es auf einmal die Stimme des Waldweibes, und das stand auf seinem Steine und blickte so böse auf ihn her, daß er ängstlich nach Hause flog und sich in dem Ofenwinkel verbarg. Das Waldweib war ihm jedoch nachgeflogen, und sie schwebte in einem Lichtschein daher, daß er vor dem Glanz die Augen schließen mußte. 121

Als er wieder aufsah, stand sie vor ihm, hatte aber auf einmal die Züge der Marie und sah gar nicht böse auf ihn her, eher traurig, sehr traurig.

Jetzt wollte er sich aber schon gar nicht mehr vor der Waldfrau fürchten.

Dann zwangen ihn wieder andere Geister des Fiebers und mit dem mildtröstlichen Anblicke war es vorbei.

Es ging ein Lichtschein in dem alten Bauernhause umher. Die Kuh hörte endlich auf zu brüllen, dafür knarrte nur mehr eine ungeölte Türangel; dann huschte es wie ein Irrlicht gegen den Wald empor. Das ruschelige Lichtlein kehrte aber später wieder, blitzte einen Augenblick in den Scheiben des Ascherhofes und verkroch sich endlich in dem Krankenzimmer.

Das blieb so bis gegen den Morgen.

 

Als Johannes die Augen aufschlug, war es heller Tag. Es dauerte aber eine rechte Weile, bevor ihm der Gedanke kam, aufzustehen.

»Was ist das?«

Der Kopf sank kraftlos in die Kissen zurück.

Ja so, er war nun auch krank geworden.

Diese Erkenntnis schuf aber eine solche Wirrnis in seinem Gehirn, daß ihn das geordnete Denken 122 wieder verließ. Erst auf dem Umwege des Träumens kam er in die Wirklichkeit zurück.

War nur sein Kopf noch am Leben? Hände und Füße mußten abgestorben sein; er spürte sie nicht. – »Ja, jetzt!« Die Finger konnte er schon rühren, sie waren noch da.

So sehr matt ist er; die Augen fallen wieder zu.

Klang ihm das Ohr, oder war es wirklicher Vogelgesang? Es konnte ja noch nicht sein, aber er meinte doch, die Blätter des alten Ahornes darein rauschen zu hören.

»Täuschung!« . . . .

Die Sinne schwingen langsam in die Wirklichkeitswelt hinüber, aber der Traumwege sind noch so viele und es braucht Zeit.

»Blumengeruch!«

»Hollunderduft? – Ist ein Fenster offen? Weht der Frühling herein?« – Da muß er schon lange krank sein.

»Aber die andern!«

Es durchrieselt ihn und das stürmische Einsetzen der Blutwelle unterstützt seine Anstrengung, den Kopf seitwärts zu drehen.

Da sitzt ein fremdes, bleiches Weib in dem großen Stuhle und ihr Haupt ist gegen die umgebenden Kissen gesunken. Sie hat die Augen geschlossen und schlummert. 123

»Aber diese Kleider . . .«

Nun kennt er die hohläugige, ausgemergelte Gestalt wieder. Es ist die Katharine. Die Anstrengung aber macht ihn von neuem bewußtlos.

Wie er wieder aufsieht, hat auch die Katharine ihre Augen offen. Da will er sie rufen, aber seine Lippen sind so dürr und die Zunge ist so schwer; er kann nur flüstern.

Es ist doch gehört worden. Die Katharine sagt etwas und da kommt ein vierschrötiges Weib, das hilft ihr beim Aufstehen. Dann sind sie vor dem Bette. Die Katharine streicht ihm über die Stirn und gibt ihm schöne Worte und dankt dazwischen dem Himmel. Und das große, starke Weib daneben weint.

Nach und nach hat er alles begriffen. Der Vater ist niemals zu sehen und man spricht nicht von ihm. Endlich fragt der Johannes selber, wann er begraben worden ist.

Die zwei Frauen sind sehr ängstlich und wollen ihn hinhalten, aber er besteht darauf, es zu erfahren.

Drei lange Wochen schon! Und er hat alle die Zeit sinnlos gelegen. – »Wie wird es nur werden, wenn der Vater jetzt tot ist?«

Die Frauen tun alles, ihn zu zerstreuen, aber er grübelt in sich. Dann meint der Kranke, die Tage 124 her ein bekanntes Gesicht gesehen zu haben, aber er kann sich nicht erinnern . . .

Wer denn das große Weib ist.

Eine Schwägerin von ihrem Seligen. Die wird dableiben, bis sie selber wieder kann.

Aber wer früher geholfen hat.

Sie kann es nicht sagen, ist ja auch krank gewesen. Die Leute hätten eben ein Einsehen gehabt.

Die Katharine hat aber dabei so eigen hergesehen.

Es wird täglich besser und er will aufstehen. Die Frauen wehren wohl, aber wie sie einmal beschäftigt sind, führt er es selbst aus.

Da haben sie ihn auf dem Fußboden liegend gefunden, und in Tränen über seine Schwäche.

Es hieß sich eben in Geduld fassen.

 


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