Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Fünftes Kapitel.

Gil Blas kann der Komödiantensitten nicht gewohnt werden, verläßt Arsenien's Dienste, und kommt in ein gesitteteres Haus.

Ein Ueberrest von Biederkeit und Religion, den ich bey so verderbten Sitten noch erhalten 190 hatte, brachte mich zu dem Entschluße, nicht nur Arsenie'n zu verlassen, sondern auch sogar allen Umgang mit Laure'n abzubrechen, die ich nicht zu lieben aufhören konnte, ob ich gleich unzählige Beweise ihrer Untreue hatte.

Wohl dem Manne, der so die kühlen Augenblicke des Nachdenkens nützt, die ihn mitten im Strudel seiner Ergetzungen stören kommen. An einem Morgen macht' ich meinen Bündel zusammen, und ohne mit Arsenie'n zusammen zu rechnen, die mir, die Wahrheit zu sagen, fast nichts mehr schuldig war, ohne von meiner trauten Laura Abschied zu nehmen, verließ ich ein Haus, worin alles Schlämmerey und Dämmerey athmete.

Kaum hatt' ich diese gute That ausgeführt, so belohnte mich der Himmel dafür. Ich begegnete dem Haushofmeister meines ehemahligen Herrn, des Don Mathias; ich grüßte ihn. Er erkannte mich, und fragte, wo ich jetzt diene. Ich sagte: ich sey seit einem Augenblicke ausser Diensten; wäre einen Monath lang bey Arsenie'n gewesen, allein die Sitten in diesem Hause hätten mir gar nicht angestanden, deßhalb hätt' ich es von freyen Stücken, zur Rettung meiner Unschuld, verlassen. Der Haushofmeister, als hätt' er ein noch so zartes, moralisches Gefühl, lobte mich hierüber sehr, und sagte: weil ich so sehr auf Ehrbarkeit hielte, woll' er es über sich 191 nehmen, mir eine gute Stelle zu verschaffen. Er hielt Wort, und brachte mich noch an eben dem Tage bey dem Don Vinzenz de Gusman an, mit dessen Inspector er Bekanntschaft hatte.

In ein besseres Haus hätt' ich nicht kommen können. Auch reut' es mich in der Folge gar nicht, daß ich daselbst Dienste genommen hatte. Don Vinzenz war ein alter, sehr reicher Edelmann, der schon seit vielen Jahren recht glücklich lebte, denn er hatte weder Prozesse, noch eine Frau. Um Letztere brachten ihn die Aerzte, indem sie selbige von einem Husten curiren wollten, mit dem sie sich noch lange hätte schleppen können, wenn ihr nicht Arzeneyen wären aufgedrungen worden. Statt auf eine neue Vermählung zu denken, ließ er sich bloß die Erziehung seiner einzigen vier und zwanzigjährigen Tochter angelegen seyn. Sie hieß Donna Aurora, und war wirklich ein vollkommenes Frauenzimmer. Keine alltägliche Schönheit, und Geist und Herz waren wohlangebaut. Das Pulver hätte ihr Vater nun wohl nicht erfunden, indeß besaß er das Talent eines guten Haushalters.

Einen Fehler hatte er, den man dem Alter verzeihen muß; er plauderte gern, zumahl von Krieg und Kriegesgeschrey. Berührte man von ungefähr in seiner Gegenwart diese Seite, so stieß er sogleich in die Heldentrompete, und seine Zuhörer hatten von Glück zu sagen, wenn 192 sie mit zwey Belagerungen und drey Schlachten davon kamen. Da er zwey Drittheile seines Lebens in Kriegsdiensten zugebracht hatte, so war sein Gedächtniß ein unerschöpflicher Quell von Thaten, die man nicht mit eben dem Vergnügen anhörte, mit dem er sie erzählte. Hierzu kam noch, daß er stammelte, und das Weitschweifige liebte, wodurch seine Erzählungsart eben nicht die angenehmste wurde. Uebrigens hab' ich nie einen vornehmen Herrn so gutmüthig gefunden; so immer gleiches Sinnes, nie halsstarrig noch launisch; was ich bey einem Manne seines Standes bewunderte.

So haushälterisch er nun auch war, so lebte er doch auf einem anständigen Fuße. Sein Gesinde bestand aus verschiedenen Bedienten, und drey Aufwartmädchen der Aurora. Ich ward in Kurzem gewahr, daß mir der ehemahlige Haushofmeister des Don Mathias einen guten Posten verschafft hatte, und ich dachte auf weiter nichts, als mich in selbigem zu erhalten.

Ich legte mich darauf, das Terrain zu studieren, bemühte mich, eines jeden Neigung auszuforschen, hiernach richtete ich mein Betragen ein, und erlangte auf die Art gar bald die Gewogenheit aller und jeder im Hause. Ich befand mich bereits länger denn einen Monath beym Don Vinzenzio, als ich die Bemerkung zu machen glaubte, daß seine Tochter mich einer 193 Art Vorzugs vor den übrigen Bedienten würdigte. So oft ihre Augen auf den meinigen verweilten, glaubt' ich darin eine Freundlichkeit zu lesen, die ich nicht in den Blicken wahrnahm, die sie auf die übrigen warf. Wär' ich nicht unter Stutzern und Komödianten gewesen, so würd' ich es mir nie haben einfallen lassen, daß Aurore ein Aug' auf mich hätte; so war ich aber bey diesen Herren, bey denen die allerangesehensten Damen nicht im besten Rufe stehen, ein wenig verdorben worden.

Wenn man, sagt' ich, einigen von diesen Komödianten trauen darf, so bekommen Frauenzimmer von Stande manchmahl gewisse Grillen, deren sie sich zu Nutze machen. Wer weiß, ob mein Fräulein nicht auch dergleichen hat. Doch nein, setzt' ich einen Augenblick nachher hinzu, das kann ich unmöglich glauben. Sie ist keine von jenen Messalinen, die den Stolz ihrer Geburt hintansetzen, ihre Blicke bis auf Geschöpfe des Staubes senken und sich, ohne zu erröthen, entehren. Vielmehr ist es eine von jenen tugendhaften, aber weichherzigen Mädchen, die, indem sie nicht über die Grenzen der Sittsamkeit schreiten, sich kein Bedenken machen, eine zärtliche Leidenschaft einzuflößen und zu empfinden, weil sie ihnen einen unschädlichen Zeitvertreib gewährt.

So urtheilt' ich von meiner Herrschaft, ohne recht zu wissen, woran ich war. Indeß 194 ermangelte sie nicht mir zuzulächeln, so oft sie mich sah, und Freude zu äußern. Man brauchte eben nicht Geck zu seyn, um sich durch so lockende Beeren fangen zu lassen. Ich wenigstens blieb daran hängen; bildete mir ein, Aurora sey von meinen vorzüglichen Eigenschaften äußerst eingenommen, und sah mich bereits für einen jener glücklichen Diener an, denen die Liebe die Knechtschaft so süß macht.

Um mich der Glückseligkeit, die mir das gute Mütterchen Fortuna zubereitete, würdiger zu machen, begann ich mehr Sorgfalt auf mein Aeußeres zu wenden, denn ich suchte alles hervor, wodurch ich mehr Reitz zu erhalten gedachte. Ich legte all' mein Geld an Wäsche, Pommad' und Essenzen. Sobald ich nur des Morgens aufgestanden war, putzt' und parfümirt' ich mich, um in Schick und Ordnung zu seyn, wenn ich ja vor meiner Gebietherinn erscheinen müßte. Bey der Sorgfalt, womit ich mich herausschniegelte, und bey all' meinem übrigen Bestreben, mich beliebt zu machen, schmeichelt' ich mir, daß mein Glück nicht mehr im weiten Felde sey.

Unter Aurore'ns weiblichem Hofstaat befand sich eine gewisse Ortiz, die nicht mehr jung war, und sich seit länger denn zwanzig Jahren in Don Vinzenzio's Hause befand. Sie hatte dessen Tochter erzogen, und führte noch immer den Titel einer Duenna, obschon nicht 195 deren beschwerliches Amt. Statt wie ehedem Aurore'ns Handlungen an's Licht zu ziehen, war ihr jetziges Geschäft, eine Decke über selbige zu werfen. Kurz, sie war die völlige Vertraute ihres Fräuleins.

Nachdem Sennora Ortiz eines Abends Gelegenheit gefunden hatte, mich an einem Orte zu sprechen, wo wir vor Lauschern sicher waren, flisterte sie mir zu: wofern ich artig und verschwiegen seyn wollte, sollt' ich mich um zwölf Uhr im Garten einfinden, wo ich eins und das andere erfahren würde, was mir zu erfahren nicht unlieb seyn würde. Ich antwortete der Duenna mit einem Händedruck: ich würde nicht ermangeln, mich einzustellen. Aus Besorgniß, überrascht zu werden, trennten wir uns aufs geschwindeste. Ich zweifelte nicht daran, auf Don Vinzenzio's Tochter einen zärtlichen Eindruck gemacht zu haben, und empfand hierüber eine Freude, die ich zu verbergen nicht wenig Mühe hatte.

Wie lang dauerte mir die Zeit von diesem Augenblick an bis zum Abendessen, so frühzeitig wir auch aßen, und vom Abendessen bis zum Zubettegehen meines Herrn. Mir schien heut Abend alles im Hause viel schläfriger, schneckenmäßiger zu gehen wie sonst. Zur Vermehrung meines Aergers dachte Don Vinzenzio, nachdem er sich in sein Gemach begeben hatte, nicht an's Niederlegen, sondern begann mir seine 196 Portugiesischen Feldzüge – den alten aufgewärmten Kohl, der mir schon längst ekel geworden war – wiederum aufzutischen. Zugleich schüsselte er mir noch ein ganz neues Gericht auf; ein Nahmenverzeichniß all' der Officiere, die sich zu seiner Zeit ausgezeichnet hatten. Er erzählte mir sogar die Thaten dieser Männer. Ich stand dabey wie auf Kohlen. Endlich kam er mit seiner Erzählung zu Ende, und ging zu Bette.

Sogleich flog ich auf mein Stübchen, aus welchem eine verborgene Treppe in den Garten führte. Ich rieb mir den ganzen Leib mit Pomade ein, legte ein wohlparfümirtes reines Hemd an, und nachdem ich nichts vergessen hatte, was meines Bedünkens, meinem auf mich äußerst erpichten Fräulein behaglich seyn konnte, begab ich mich zum Rendezvous.

Ich fand die Ortiz nicht; glaubte, sie sey aus Verdruß, so lange gewartet zu haben, wieder in ihr Zimmer gegangen, und die Schäferstunde sey für dießmahl entschlüpft. Don Vinzenzio mußte mir's entgelten; ich vermaledeyte ihn mit seinen Erzählungen. Mitten unter diesen Verwünschungen schlug die Glocke Zehn. Die Uhr geht falsch, dacht' ich, wenigstens muß es Eins seyn. Indeß hatt' ich mich mächtig geirrt; eine gute Viertelstunde darauf hört' ich eine andere Uhr ebenfalls Zehn schlagen.

Sehr wohl! sagt' ich, so hab' ich nicht länger, als noch zwey Stunden auf der Lauer zu 197 stehen. Wenigstens wird man sich nicht über zu wenig Pünklichkeit zu beschweren Ursache haben. Was fang ich aber bis um Zwölfe an? Wir wollen spazieren gehen, und auf die zu spielende Rolle denken. Sie ist noch ganz neu für mich. Noch weiß ich mich nicht in die Launen der Dame von Stande zu fügen. Wie man's mit leichten Dirnen und mit Komödiantinnen macht, ist mir nicht unbekannt. Gleich dreist auf sie los, und ohne weiters Federlesen Sturm gelaufen! Bey Vornehmern darf man aber den Weg nicht einschlagen; muß man, meines Bedünkens, höflich, gefällig, zärtlich und ehrerbietig seyn, demungeachtet aber nicht schüchtern. Anstatt durch brausende Hitze sein Glück beschleunigen zu wollen, muß man auf einen Augenblick der Schwäche lauern.

So schwatzt' ich mit mir selbst, und nahm mir fest vor, mich auf die Art gegen Aurore'n zu betragen. In Kurzem stellt' ich mir vor, würd' ich das Vergnügen haben, zu den Füßen dieser liebenswürdigen Dame zu liegen, und ihr viel Zärtliches, Schmachtendes vorzusagen Ich besann mich auf all' die Stellen aus unsern Stücken, deren ich mich bey unsrer Unterredung zu bedienen, und dadurch Ehre zu erwerben verhoffte. Ich machte mir sichere Rechnung sie auf's beste einzupassen, und dadurch – wie es vielen Komödianten von meiner Bekanntschaft begegnet war – für einen witzigen Kopf 198 zu gelten, da ich doch nur ein Mann von Gedächtniß war.

Mit all' diesen Gedanken beschäftigt, die mir angenehmern Zeitvertreib gewährten, als meines Herrn kriegerische Berichte, hört' ich die Glocke Eilf schlagen. Gut! sagt' ich, nun hab' ich nur noch sechzig Minuten zu warten. Bewaffne dich mit Geduld, Gil Blas! Ich faßte Muth, und versenkte mich wieder in mein voriges Staunen, ging bald auf und ab, bald setzt' ich mich in eine grüne Laube am Ende des Gartens.

Endlich erschallte die so längst erwartete Stunde, es schlug Zwölfe. Einige Augenblicke nachher erschien Ortiz, die eben so pünktlich war, aber weniger ungeduldig, denn ich.

Wie lange sind Sie schon hier Sennor Gil Blas? »Zwey Stunden bereits.« Ah! wahrlich exact sind Sie sehr, rief sie, indem sie auf meine Kosten laut auflachte. Es ist eine Freude, Ihnen des Nachts Rendezvous zu geben. Freylich, fuhr sie mit ernster Miene fort, Sie können das Glück, das ich Ihnen zu verkündigen habe, nicht theuer genug bezahlen. Meine Herrschaft will sich insgeheim mit Ihnen unterreden, und hat mir befohlen Sie auf ihr Zimmer zu führen, woselbst sie Ihrer erwartet. Mehr darf ich Ihnen nicht sagen. Das Uebrige ist ein Geheimniß, das Sie aus ihrem eignen Munde erfahren werden. Folgen Sie mir; 199 ich will Sie an Ort und Stelle bringen. Mit den Worten nahm mich die Duenna bey der Hand, und führte mich durch ein Thürchen, wozu sie den Schlüssel hatte, auf eine geheimnißvolle Art in das Zimmer des Fräuleins.

 


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