Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Drittes Kapitel.

Wie die Komödianten unter einander leben, und wie sie mit den Schauspieldichtern umgehen.

Den folgenden Morgen wandert' ich also aus, um mein Amt anzutreten. Zwar war es Fasttag, doch kauft' ich, auf Befehl meiner Herrschaft, gute fette Hühner, Kaninchen, Rebhühner, und anderes Flügelwerk ein. Unzufrieden mit dem Betragen der Mutter Kirche gegen sie, beobachten die Herren Komödianten deren Gebothe nicht allzu genau.

Ich brachte mehr Fleisch nach Hause, als ein Dutzend rechtliche Leute gebraucht hätten, die drey Faschingtage recht gut hinzubringen. Die Köchinn hatte den ganzen Vormittag alle Hände voll zu thun. Indeß sie mit Zubereitung des Essens beschäftigt war, stand Arsenie auf, und blieb bis zum Mittage an ihrem Nachttische. Sodann stellten sich die Sennores Rosimiro und Richardo ein, beydes Komödianten. Hierzu kamen hernach zwey Komödiantinnen, Constanzie und Celinaura, und einen Augenblick nachher erschien Florimonde, in Begleitung einer Mannsperson, die einer von den zierlichsten Sennores Cavalleros zu seyn schien. Seine Haare waren auf eine galante Art aufgeknüpft, auf 176 seinem Hute befand sich ein Strauß dunkelgelber Federn, seine Beinkleider lagen ihm knapp an, und aus den Oeffnungen seines Wamses ragte ein feines Hemd hervor, das mit sehr schönen Spitzen besetzt war. Seine Handschuhe und sein Schnupftuch steckten in der Höhlung seines Degengefäßes, und seinen Mantel trug er mit einer besondern Grazie.

Obgleich seine Gesichtsbildung schön, und sein Wuchs edel war, so merkt' ich nichts desto weniger sogleich etwas Sonderbares an ihm. Das muß, sagt' ich zu mir selbst, ein rechtes Original seyn. Und ich traf es genau. Er hatte einen sehr markirten Character. Sobald er in's Zimmer trat, rannte er mit offenen Armen auf die Actrisen und die Acteurs los, und umarmte einen nach dem andern, mit einem Gestenspiele, das kein Petitmaitre übertriebener haben konnte. Ich änderte meine Meinung nicht, wie ich ihn reden hörte. Er dehnte jede Sylbe, sprach jedes Wort mit einem emphatischen Tone und mit Gesten und Aeugeleyen, die in den Kram taugten.

Ich war so neugierig, Laure'n zu fragen, wer dieser Cavalier sey. Ich verzeihe Dir Deine Neugier gern, sagte sie. Unmöglich kann man den Sennor Carlos Alonso de la Ventoleria zum erstenmahle sehen und reden hören, ohne eine dergleichen Begier sich anwandeln zu fühlen. Hier hast Du sein Porträt 177 nach dem Leben. Er war anfänglich Komödiant, hat das Theater aus Grille verlassen, und nachher große Ursache gehabt, diesen Schritt zu bereuen.

Hast Du seine schwarzen Haare bemerkt? Sie sind so gut als seine Augenbraunen und sein Zwickelbart gefärbt. Er ist weit älter, wie Saturn; da aber seine Aeltern seinen Nahmen nicht haben in's Kirchenbuch tragen lassen, macht er sich diese Nachläßigkeit zu Nutze, und gibt sich wenigstens ein gutes Mangel Jahre jünger aus, als er ist; überdieß ist kein größerer Einbildisch in ganz Spanien zu finden, als er.

Das erste Schock Jahre seines Lebens bracht' er in der dicksten Mönchsunwissenheit zu, und nun nahm er, um in seinen alten Jahren gelehrt zu werden, einen Informator an, der ihm Griechisch und Latein buchstabiren lehrte. Zudem so hat er eine ganze Menge Histörchen auswendig gelernt, die er so oft als auf seinem Grund und Boden gewachsen erzählt hat, daß er sich selbst überredet, es sey wirklich wahr. In jeder Gesellschaft kramt er sie aus, und man kann sagen, daß er seinen Witz auf Kosten seines Gedächtnisses glänzen läßt. Man sagt übrigens, er sey ein großer Acteur gewesen. Ich will es treuherzig glauben. Dennoch muß ich Dir gestehen, mir gefällt er nicht. Ich hab' ihn hier manchmahl declamiren hören, und unter andern Fehlern eine zu affectirte Aussprache und bebende 178 Stimme an ihm bemerkt, wodurch seine ganze Declamation einen antiken und lächerlichen Anstrich bekommt.

Das war das Porträt, das mir mein Kammermädchen von diesem Exkomödianten machte, und das in der That nicht treffender seyn konnte. Dieser Mann, dessen Gleichen an Aufgeblasenheit ich nie gefunden hatte, wollte auch den unterhaltenden Gesellschafter machen, und langte zwey bis drey Histörchen aus seinem Vorrathskörbchen hervor, die er auf eine wohlausstudirte und angenehme Art vorbrachte. Auf der andern Seite blieben die Komödiantinnen und Komödianten, die Schweigens halber nicht hergekommen waren, nicht stumm. Sie hoben von ihren abwesenden Kameraden auf eine Art an zu sprechen, die, die Wahrheit zu gestehen, wenig christliche Liebe verrieth; doch so etwas muß man den Komödianten, wie den Autoren, verzeihen. Das Gespräch ward immer wärmer und wärmer, und der Nächste war wacker Trumpf.

Sie wissen wohl nicht den neuen Zug, Sennoras, den unser lieber Mitbruder Cesarino gemacht hat? sagte Rosimiro. Er kauft heute früh seidene Strümpfe, Bänder und Spitzen, und läßt sie sich in eine Gesellschaft durch den kleinen Bedienten nachbringen, als wenn sie ihm von einer Gräfinn gesandt würden. Welche Betriegerey! rief Sennor 179 de la Ventoleria, mit dem Lächeln eines eiteln Gecken. Zu meiner Zeit besaß man mehr Redlichkeit; man dachte nicht darauf, dergleichen Fabeln zu schmieden. Zwar ist nicht zu läugnen, daß die vornehmen Damen uns diese Erfindung ersparten. Sie übernahmen den Einkauf selbst. Solche Grillen hatten sie wohl damahls!

Und auch noch! setzte Richardo hinzu. Wär' es nur erlaubt, sich hierüber weiter herauszulassen, so . . . . Doch man muß dergleichen Abenteuer verschweigen, zumahl wenn Personen von einem gewissen Range dabey interessirt sind.

Ich bitte Sie, meine Herren, unterbrach sie Florimonde, nichts mehr von Ihren Liebeleyen, die sind ja weltkundig. Laßt uns von Ismenie'n reden. Man sagt, der vornehme Herr, der ihrethalben so viel Aufwand machte, soll ihrem Garne entwischt seyn. Das hat seine Richtigkeit, rief Constanzie, und überdieß kann ich Ihnen sagen, hat sie einen kleinen Finanzmann verloren, den sie ohn' allen Zweifel würde zu Grunde gerichtet haben. Ich weiß, aus der ersten Hand, wie sich das zugetragen hat. Ihr Mercur macht ein Quidproquo; bringt das Billet, das sie an den Finanzmann geschrieben, dem Cavalier, und jedem den Brief, der für den vornehmen Herrn war. 180

In der That, meine Theure, kein geringer Verlust, versetzte Florimonde. O! der Verlust des Cavaliers will nicht viel sagen, erwiederte Constanzie. Der hatte fast sein ganzes Vermögen verjuchheit; allein um den Finanzmann ist es Jammerschade. Der Gänserich hat so eben seinen ersten Ausflug in die große Welt gemacht, und hat noch all' seine Fettfedern; er ist noch keiner Buhlerinn in die Hände gefallen. Der Kauz muß ihr sehr nahe gehen.

In dem Tone ging es beynahe bis zum Mittagsessen, und bey der Tafel wurde noch kein anderes Faß angezapft. Da ich nie ein Ende finden würde, wenn ich all' die übrigen Reden, die von Verlästerungen und Geckheiten strotzten, anführen wollte, so wird es mir der Leser nicht übel deuten, daß ich sie überhüpfe. Zur Schadloshaltung will ich ihm erzählen, wie ein armer Teufel von Autor aufgenommen wurde, der gegen Ende der Mahlzeit bey Arsenien erschien.

Unser kleine Lakay kam, und sagte meiner Herrschaft ganz laut: Sennora, es ist ein Mann drunten, der recht schmutzige Wäsche anhat, und über den halben Rücken 'rauf 'ne Borke von Koth, und der, mit Ihrem Wohlnehmen gesagt, völlig wie 'n Poet aussieht. Er wünscht Sie zu sprechen. Er kann herauf kommen, antwortete Arsenie. Die Gesellschaft lasse sich 181 ja nicht stören. Es ist ja weiter nichts, wie ein Autor.

In der That war es einer, dessen Trauerspiel man angenommen hatte, und der meiner Herrschaft ihre Rolle brachte. Pedro de Moya (so hieß er) machte im Hereintreten der Gesellschaft ein halb Dutzend tiefe Bücklinge; niemand stand auf, ja, es dankte ihm sogar niemand. Bloß Arsenie beantwortete die Höflichkeiten, womit er sie überhäufte, mit einem kleinen Kopfnicken. Zitternd und äußerst betreten näherte er sich; Handschuh' und Hut entfielen ihm; er schlich an meine Herrschaft heran, und überreichte ihr einige geschriebene Bogen mit mehr Ehrerbiethung, als ein Kläger seine Supplik dem Richter.

Haben Sie die Güte, Madam, sagte er, die Rolle anzunehmen, die ich Ihnen zu überreichen mir die Freyheit nehme. Sie empfing selbige auf eine kalte und verächtliche Art, und ohne ihn auf dieß Compliment einer Antwort zu würdigen.

Dieß schreckte unsern Autor nicht ab, der sich der Gelegenheit bediente, die übrigen Rollen auszutheilen. Er gab dem Rosimiro eine, und eine andere Florimonde'n, die sich nicht höflicher gegen ihn betrugen, wie Arsenie. Vielmehr überhäufte ihn Ersterer, der so höflich war, wie diese Herren gemeiniglich zu seyn pflegen, mit bittern Spöttereyen. 182 Pedro de Moya fühlte sie zwar, wagte es aber nicht, sie aufzumutzen, aus Furcht, sein Stück möchte dadurch leiden.

Er ging fort, ohn' ein Wort zu sagen, doch, wie mich dünkte, war ihm eine solche Aufnahme durch Mark und Bein gegangen. Ich glaube, daß er all seinen Geifer und Galle in einem Monolog gegen die Komödianten wird ausgeschüttet haben, so wie sie es verdienten. Die Komödianten, ihrer Seits, hoben nach seiner Entfernung an, sehr wenig ehrerbiethig von den Autoren zu sprechen.

Mich däucht, sagte Florimonde, Sennor Pedro de Moya ging eben nicht sehr zufrieden von uns. Seyn Sie doch dieserhalb unbesorgt, Madam, schrie Rosimiro. Verdienen die Autoren wohl unsre Aufmerksamkeit? Wir verdürben sie völlig, wenn wir ihnen, wie unsers Gleichen, begegnen wollten. Ich kenne sie, diese Herrchen, ich kenne sie; sie würden sich bald vergessen. Man muß ihnen stets als Sclaven begegnen, ohne befürchten zu dürfen, daß ihre Geduld risse. Sind sie gleich eine Zeitlang mit uns über den Fuß gespannt, so führt doch ihre Schreibsucht sie bald wieder zu uns zurück, und sie haben noch von großem Glücke zu sagen, wenn wir nur ihre Stücke spielen wollen. Richtig, sagte Arsenie, wir spielen nur denen Dichtern das Garaus, deren Glück wir machen. Sobald wir diese in etwas blühende 183 Umstände gesetzt haben, bemeistert sich ihrer die Gemächlichkeit, und sie arbeiten nicht mehr. Zum guten Glücke tröstet sich die Gesellschaft hierüber, und das Publicum verliert nichts dabey.

Diese feinen Reden fanden allgemeinen Beyfall. Es erhellte aus selbigen, daß die Dichter, so schlecht ihnen auch von den Komödianten begegnet wurde, bey selbigen noch immer sehr in Schuld waren. Letztere setzten jene unter sich, und wahrlich! verächtlicher konnten sie sie nicht behandeln.

 


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