Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Eilftes Kapitel.

Was für ein Zufall Gil Blas'n nöthigt einen andern Dienst zu suchen.

So erzählte Don Pompejo seine Geschichte, die Don Alexo's Kammerdiener und ich anhörten, ob man gleich vor deren Anfang uns fortzuschicken die Vorsicht nahm. Wir waren aber nicht weiter als ins nächste Zimmer gegangen, woselbst uns kein Wort entwischt war, weil wir beym Herausgehen die Thür nur angelegt hatten.

Hierauf zechten diese Herren von neuem, doch nicht bis zum anbrechenden Tage, weil Don Pompejo, der morgen noch mit dem Minister sprechen mußte, vorher ein wenig auszuruhen wünschte. Der Marques von Zeneta und mein Herr, nahmen in einer Umarmung von diesem Cavalier Abschied, und liessen ihn bey seinem Verwandten. 150

Dießmahl legten wir uns vor Tagesanbruch zu Bette, und Don Mathias trug mir bey'm Erwachen ein neues Amt auf. Gil Blas, sagte er zu mir, nimm Papier, Feder und Tinte, und schreib drey Briefe, die ich Dir dictiren will. Ich mache Dich zu meinem Sekretär. Bravo! sagt' ich zu mir selbst, wieder ein neues Amt! als Lakay begleitest Du den Herrn allenthalben, als Kammerdiener kleidest Du ihn an, und als Sekretär wirst Du unter ihm schreiben. Dem Himmel sey dafür gepriesen! So hab' ich denn wie die dreyfache Hekate eine dreyfache Rolle zu spielen.

Du weißt mein eigentliches Vorhaben noch nicht, sagte er. Ich will Dir's entdecken, aber sey verschwiegen; es kostet sonst Dein Leben. Da ich manchmahl Leute finde, die mir vorprahlen, wie glücklich sie in der Liebe sind, so will ich, um ihnen Schach biethen zu können, falsche Frauenzimmerbriefe in der Tasche haben und sie ihnen vorlesen. Das wird mich belustigen, und weit glücklicher, als jene Bursche, die nur Eroberungen machen, um das Vergnügen zu haben, sie auszuposaunen, werd' ich deren ausposaunen, die ich ohne alle Mühe gemacht habe. Verstelle aber nur Deine Hand ja gut, setzte et hinzu, damit es scheint als ob sie von verschiednen Personen wären.

Sonach nahm ich Feder, Papier und Tinte, und hielt mich Don Mathias Befehlen zu 151 Folge völlig schreibefertig. Erst dictirte er mir folgendes Liebesbriefchen:

Sie haben Sich nicht zum Rendezvous eingefunden, ah! Don Mathias, was werden Sie zu Ihrer Rechtfertigung vorbringen können? Wie groß war mein Irrthum. Und wie billig werd' ich für den eiteln Wahn bestraft, daß bey Ihnen alle Zeitvertreibe, alle Geschäfte dem Vergnügen weichen müßten, die zu sehen, die sich nennt

ewig die Ihre        
Donna Clara de Mendoce.

Nach diesem Billet ließ er mich eins schreiben, worin ein Frauenzimmer ihm einen Prinzen aufopferte, und endlich noch eins, worin ihm eine Dame sagte, wenn sie seiner Verschwiegenheit vergewissert wäre, wolle sie mit ihm eine Reuse nach Cythere'ns Insel machen. Er begnügte sich nicht damit, mir so saubre Briefe in die Feder zu sagen, sondern nöthigte mich auch, Nahmen sehr angesehener Personen darunter zu setzen.

Ich konnte nicht umhin, ihm zu verstehen zu geben, daß so etwas äusserst kitzlich wäre, er bath mich aber, ihm nicht eher Rath zu ertheilen, als bis er welchen von mir verlangte. Ich mußte also schweigen, und seine Befehle vollziehen. Nachdem dieß geschehen war, stand 152 er auf, ich half ihn ankleiden, er steckte die Briefe in die Tasche, und ging hierauf aus. Ich folgte ihm, und wir speisten bey dem Don Juan von Moncade, der fünf bis sechse von seinen Freunden zu sich gebethen hatte.

Die Tafel war vollbesetzt, und Freude, das beste Gewürz jedes Mahls, herrschte an selbiger. Jeder Gast trug das Seinige dazu bey, die Unterredung munter zu machen; einer durch lustige Einfälle, die übrigen durch Erzählung von Histörchen, für deren Helden sie sich ausgaben. Mein Herr wollte eine so schöne Gelegenheit, die von mir geschriebnen Briefe vorzuprahlen, nicht vorbeylassen. Er las sie mit lauter Stimme ab, und mit einer so zuversichtlichen Miene, daß sich dadurch vielleicht jedermann, seinen Sekretär ausgenommen, anführen ließ. Unter den Cavalieren, denen er so keck diese Briefe vorlas, befand sich einer Nahmens Don Lope von Velasco, ein sehr ernsthafter Mann. Statt daß er sich wie die übrigen an dem vorgespiegelten Liebesglück des Vorlesers ergetzen sollen, fragte er ihn vielmehr ganz kalt: ob ihm die Eroberung der Donna Clara viel gekostet habe.

Nicht das mindeste! antwortete ihm Don Mathias. Sie hat die ersten Schritte gethan. Sie sieht mich auf der Promenade. Ich gefalle. Sie sendet mir nach, erfährt, wer ich bin, schreibt mir, und gibt mir zu einer 153 gewissen Stunde in der Nacht, wo alles in ihrem Hause ruhte, Rendezvous. Man führt mich in ihr Zimmer. – Das Uebrige Ihnen zu sagen, erlaubt meine Bescheidenheit nicht.

Bey dieser lakonischen Erzählung ließ Sennor de Velasco auf seinem Gesichte eine merkliche Veränderung verspüren. Man konnte leicht gewahr werden, daß er an der mehrerwähnten Dame starkes Interesse nahm. Alle diese Briefe, sagte er, mit einem wüthenden Blick auf meinen Herrn, sind schlechterdings falsch, und zumahl derjenige, den Sie von der Donna Clara de Mendoce erhalten zu haben sich berühmen. Es gibt in ganz Spanien kein eingezogners Frauenzimmer als sie. Seit zwey Jahren wendet ein Cavalier, der an Geburt und persönlichen Verdiensten Ihnen nichts nachgibt, alles an, um ihre Liebe zu erwerben. Kaum hat er die unschuldigsten Gunstbezeigungen von ihr genossen; könnte sie deren mehrere und wichtigere verstatten, so hat er Grund, sich zu schmeicheln, daß das an keinem andern seyn würde als an ihm.

Wer hat Ihnen denn das Gegentheil gesagt, unterbrach ihn Don Mathias mit einer spöttischen Miene. Ich gesteh es mit Ihnen, es ist ein sehr sittsames Mädchen. Ich meiner Seits bin auch ein sittsamer Junge. Folglich müssen Sie überzeugt seyn, daß unsre 154 Unterhaltung äusserst sittsam gewesen. Ah! das ist zuviel! rief Don Lope. Keine Schäkereyen weiter! Sie sind ein Betrüger. Donna Ciara hat Sie nie des Nachts zu sich bestellt. Ich kann nicht leiden, daß Sie Sich unterstehen ihr bösen Leumund zu machen. Ihnen das Uebrige zu sagen, besitz' ich gleichfalls zuviel Bescheidenheit.

Mit diesen Worten brach er plötzlich auf, und verließ die Gesellschaft mit einer Miene, woraus ich schloß, diese Sache könnte üble Folgen haben. Mein Herr, der für einen Mann seines Characters brav genug war, verachtete die Drohungen des Don Lope. Der Fratz! sagte er, und schlug eine laute Lache auf. Die fahrenden Ritter verfochten die Schönheit ihrer Damen, und der will die Keuschheit der seinigen verfechten. Ein noch größerer Phantast, wie jene!

Velasco's Entfernung, der sich Moncade zu widersetzen vergeblich bemüht gewesen war, störte das Fest nicht. Die übrigen Cavaliere kümmerten sich wenig darum, und trennten sich nicht eher, als mit Anbruche des Morgens.

Wir Beyde, mein Herr und ich, gingen um fünf Uhr zu Bette. Der Schlaf übermannte mich, und ich rechnete darauf ein recht gut Gesetzchen wegzuschlafen, hatte aber die 155 Rechnung ohne den Wirth gemacht, oder vielmehr ohn' unsern Thürsteher. Dieser weckte mich nach Verlauf einer Stunde, und sagte mir: 's wäre ein Bursch vor der Thür, der mich sprechen wollte.

O Zeter über den Thürsteher, gähnt' ich hervor. Bedenk' Er doch, daß ich eben erst in die Federn gekrochen bin. Sag' Er nur dem Holunken, ich schliefe, und er möchte sich ein andermahl wieder herscheren. Er müsse mit Sie jetzt den Augenblick sprechen, antwortete mir der Thürsteher. Er spricht, 's wäre was sehr Nothwendiges. Bey diesen Worten stand ich auf; warf nichts weiter über, als Hosen und Wams, und ging fluchend und murrend hin, wo der Bursch meiner erwartete.

Nun, mein Freund, sagt' ich zu ihm, könnt' ich nicht erfahren, was mir so früh Morgens die Ehre verschafft, Ihn zu sehen? Ich habe an den Sennor Don Mathias einen Brief abzugeben, antwortete er mir, und zwar in seine eigne Hände, den er auch gleich stante pede lesen muß. Es liegt viel an der Sache. Ich bitte Sie deßhalb, mich auf sein Zimmer zu führen. Da ich die Sache von Wichtigkeit glaubte, nahm ich mir die Freyheit, meinen Herrn aufzuwecken.

Verzeihen Ihro Gnaden. daß ich Sie in Ihrer Ruhe störe, sagt' ich zu ihm, aber die Wichtigkeit – Was willst Du von mir? fuhr 156 er mich an. Ich habe Ihro Gnaden einen Brief von Don Lope de Velasco einzuhändigen, sagte der Bursch, der mit mir herein getreten war. Don Mathias nahm das Billet, öffnete, las es, und sagte sodann zu Don Lope's Bedienten: Mein Kind, ich würde nie vor Mittag aufstehen, was für eine Lustpartie man mir auch vorschlüge; Du kannst also leicht urtheilen, ob ich des Morgens um Sechsen aufstehen werde, um eine Schlagpartie zu machen. Sag' nur Deinem Herrn, wenn er sich noch um halb Zwölf an dem bestimmten Orte befände, so würden wir einander sprechen. Geh und bring ihm die Antwort. Mit diesen Worten hüllte er sich wieder in sein Bett, und schlief bald darauf abermahls ein.

Zwischen Eilf und Zwölfe stand er sehr ruhig auf, und ließ sich ankleiden, hierauf ging er aus, und sagte zu mir: ich brauchte ihn nicht zu begleiten. Ich war nach dem Ausgange der Sache viel zu begierig, als daß ich ihm hätte gehorchen sollen, daher ging ich ihm auf dem Fuß nach. Wir kamen auf die Sanct-Hieronymus-Wiese, wo ich den Don Lope von Velasco ihn festes Fußes erwarten fand. Ich verbarg mich, um sie Beyde beobachten zu können, und ward gewahr, daß sie nach einem augenblicklichen Wortwechsel den Zweykampf begannen. Er dauerte lange. Sie fochten beyderseits mit vieler Geschicklichkeit und Tapferkeit. 157 Endlich erklärte sich der Sieg für den Don Lope. Er rannte meinen Herrn durch; Don Mathias sank nieder, und Don Lope floh davon, höchst vergnügt, sich so wohl gerächt zu haben.

Ich fand meinen Herrn ohn' alle Besinnung, und fast schon ohne Leben. Eine höchst rührende Scene für mich, zumahl wenn ich bedachte, daß ich ohne daran zu denken, ein Werkzeug zu seinem Tode abgegeben hatte. Ungeachtet der Größe meiner Betrübniß, unterließ ich nicht auf mein kleines Interesse Rücksicht zu nehmen. Ich kehrte eiligst, ohne ein Sterbenswörtchen zu sagen, nach dem Pallaste zurück; packte all' meine Siebensachen zusammen, worunter aus Versehen, auch einige Nipes meines Herrn kamen, und nachdem ich das Alles zu meinem Barbier geschafft hatte, wo sich mein Glücksjägerkleid noch in Verwahrung befand, macht' ich den traurigen Zufall, von dem ich Augenzeuge gewesen war, in der Stadt bekannt.

Ich erzählte ihn, wer ihn anhören wollte, und vor allen Dingen meldete ich ihn dem Rodriguez. Er schien mir hierüber weniger betrübt, als mit den Maßregeln beschäftigt, die er hierbey zu ergreifen hatte. Er ließ alle Domestiken sich versammeln, und befahl ihnen mitzukommen; wir gingen insgesammt nach der Sanct-Hieronymus-Wiese. Wir hoben den noch athmenden Don Mathias auf, und trugen ihn nach Hause, wo er keine drey Stunden mehr lebte. So kam der Sennor Don Mathias de Sylva um's Leben, weil er so ganz zur Unzeit erdichtete Liebesbriefchen vorgelesen hatte.



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