Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Neuntes Kapitel.

Unterredung einiger Herren über die Prinzliche Schauspielergesellschaft.

Diesen Morgen empfing mein Herr bey'm Aufstehen ein Billet vom Don Alexo Segiar, der ihn zu sich einlud Als wir dort hinkamen, trafen wir den Marques von Zeneta bey ihm, und noch einen andern wohlgestalteten jungen Herrn, den ich noch nie gesehen hatte.

Ein Anverwandter von mir, sagte Segiar zu meinem Herrn, indem er ihm den mir unbekannten Cavalier vorstellte; Don Pompejo de Castro. Er ist beynahe von Jugend 127 auf am PortugiesischenDer Besorger der Dresdner Französischen Ausgabe des Gil Blas, welche mein Vorgänger nur allein bey seiner Uebersetzung gebraucht zu haben scheint, hat Portugal in Pohlen, Lissabon in Warschau, und den Herzog von Almeida in den Fürsten von Radzivil (der vorige Uebersetzer hat statt dieses Nahmens Sterne gesetzt,) zu verwandeln für gut befunden. Ob sich mit diesem Fürsten eine dergleichen Anecdote wirklich zugetragen, ob sie sich gerade so zugetragen hat, ob der Herr Herausgeber des Französischen Gil Blas diesem Fürsten durch die Substituiren ein Compliment zu machen gesonnen gewesen ist, oder ob er durch Verlegung der Hauptscene nach Warschau der dazumahl (im Jahre 1756) dort befindlichen Schauspielergesellschaft, die er vielleicht in Sprache und Spiel sehr natürlich befand, ein feines Lob zu ertheilen im Willen gehabt hat, auf alle diese Obs gesteh' ich, daß ich kein einziges zulängliches Darum habe ausfindig machen können. Als treuer Uebersetzer – der ängstliche Wort- und Phrasen-Sclav ist wahrlich der treue Uebersetzer nicht – hab' ich alles wieder an den Ort und die Stelle gesetzt, worin es beym Le Sage steht; so künstlich auch das Stiergefecht und manche andre Spanische oder Portugiesische Sitte, (die Sitten beyder Völkerschaften, weiß man, nehmen sich wenig) nach Pohlen hingepflanzt war, so künstlich der Herr Editeur Spanier zur Leibwache des Königs von Pohlen gestellt, so künstlich der endlich auch die langwierige Reise von Spanien nach Pohlen in einen solchen Abstecher zu verwandeln gewußt hat, als von erstem Reiche nach Portugal ist. – A. d. Uebers. Hofe gewesen. Gestern Abend kam er zu Madrid an, und morgen geht er bereits wieder nach Lissabon zurück. 128 Er kann mir nur den einen Tag schenken. Ich will mir eine so kostbare Zeit zu Nutze machen, und glaubte, um sie ihm besser zu vertreiben, des Marques von Zeneta und Ihrer zu bedürfen. Hierauf umarmten sich mein Herr und Don Alexo's Verwandter, und machten sich viele Complimente. Don Pompejo's Reden behagten mir sehr. Er war ein offener und dabey gründlicher Kopf.

Man speiste bey Segiar, und nach dem Essen spielten diese vier Herren bis zur Komödienzeit. Alsdann gingen sie zusammen in's Prinzliche Theater, um ein neues Trauerspiel aufführen zu sehen, das den Titel führte: Die Königinn von Karthago. Nach geendigtem Stücke kehrten sie nach dem Orte zurück, wo sie zu Mittage gespeist hatten, und nahmen daselbst auch ihr Abendessen. Die Unterredung betraf anfänglich das eben gesehene Stück, und dann die Spieler.

Das Stück gefällt mir nicht sehr, rief Don Mathias. Aeneas kommt mir darin noch 129 fader vor, als in der Aeneide, allein gespielet wurde die Tragödie göttlich. Was wohl nicht zu läugnen ist. Was halten der Sennor Pompejo davon? Mich dünkt, Sie sind nicht meiner Meinung.

Meine Herren, antwortete dieser Cavalier lächelnd, ich habe bemerkt, daß Sie von Ihren Schauspielern, und besonders von Ihren Schauspielerinnen so bezaubert sind, daß ich mich kaum mit dem Geständniß hervorwage: ich urtheile von beyden ganz anders. Daran thut Ihr ganz Recht, Vetter, unterbrach ihn Don Alexo schäkernd. Man würd' Euren Tadel hier sehr übel aufnehmen. Hütet Euch ja, unsere Actrisen vor den Herolden ihres Rufs anzugreifen. Wir zechen und schwelgen alle Tage mit ihnen, und stehen Euch für ihre Vollkommenheit. Wir wollen hierüber sogar Certificate ausstellen, wenn's verlanget wird. Woran ich gar nicht zweifle, antwortete sein Verwandter; auch vermuth' ich sogar Certificate über ihre Lebensart und Sitten, so sehr scheint Ihr Freunde von ihnen zu seyn.

Ohne Zweifel sind Ihre Portugiesischen Actrisen besser, sagte der Marques von Zeneta lachend. Ganz gewiß, weit besser, erwiederte Don Pompejo. Einige darunter haben sogar keine Fehler. Die können wohl auf Ihre Certificate zählen? versetzte der Marques, Ich stehe nicht in der geringsten Verbindung mit 130 ihnen, antwortete Don Pompejo; nehme nie Theil an ihren Bacchanalien. Sonach kann ich ohne Vorurtheil ihre Verdienste würdigen. Aber in gutem Ernste gesprochen, fuhr er fort, glauben Sie eine vortreffliche Truppe zu haben? Nein, das just nicht, sagte der Marques. Ich will nur die Vertheidigung einiger Wenigen von ihnen über mich nehmen, die Uebrigen geb' ich Ihnen alle Preis. Müssen Sie mir nicht einräumen, die Actrise, welche die Dido machte, ist vortrefflich? Stellte sie uns nicht diese Königinn mit all' dem Adel, mit all' der Anmuth vor, die der von ihr gefaßten Idee entsprechen? Und haben Sie nicht die Kunst bewundert, mit der sie den Zuschauer zu fesseln, und in seiner Brust all' die Leidenschaften hervorzubringen weiß, die sie äußert? In den größten Feinheiten der Declamation ist sie Meisterinn.

Zugegeben, antwortete Don Pompejo, daß sie rühren und erschüttern kann: daß nie eine Schauspielerinn mehr Entretailles gehabt; daß sie mit vieler Würde gespielet hat, so ist sie dennoch keine Actrise ohne Fehler. Zwey- oder dreyerley war mir in ihrem Spiele sehr anstößig. Will sie Bestürzung äußern, so rollt sie das Auge auf eine übertriebene Art umher, was keine Prinzessinn kleidet. Hierzu kommt noch, daß sie aus ihren sanften Organen hohle Töne hervorzupressen sich bemühet, wodurch all' das 131 Liebliche ihrer Stimme ersticket wird, und zu einem widrigen Baß ausartet. Ueberdieß kam es mir in einigen Stellen vor, als wenn sie das nicht recht verstände, was sie zu sagen hatte. Doch will ich lieber glauben, sie sey zerstreuet gewesen, als sie eines Mangels an Einsicht zeihen.

Wie ich merke, sagte Don Mathias zum Dramaturgen, so würden Sie unsern Actrisen keinen Panegyricus halten? Verzeihen Sie, antwortete Don Pompejo, unter ihren Fehlern entdeck' ich viel Talente. Ich muß Ihnen sogar sagen, die Actrise, die in den Zwischenspielen die Subrette machte, hat mich bezaubert. Die ist zur Comödiantinn geboren! Wie die Grazien um sie schweben, wenn sie auf die Scene tritt! Jeden launigen Einfall, jede Schnurre, die sie zu sagen hat, würzt sie durch ein schalkisches, zaubervolles Lächeln, gibt ihnen dadurch neuen Werth. Der einzige Vorwurf, den man ihr machen könnte, wäre der, daß sie sich ihrem Feuer ein wenig zu sehr überläßt, und über die Grenzen einer anständigen Dreistigkeit hinausschweift; doch so streng muß man nicht seyn. Ich wünschte nur, daß sie eine üble Gewohnheit ablegte. Oft unterbricht sie mitten in der Scene, bey einer ernsthaften Stelle das Stück, und überläßt sich einer ausgelassenen Lachlust, die ihr anwandelt. Vielleicht wenden Sie mir ein, meine Herren, daß das 132 Parterre sie gerade in eben den Augenblicken beklatscht. Ja; bloßes Glück!

Was halten Sie denn von den Mannspersonen? unterbrach ihn der Marques. Unter die feuern Sie gewiß mit Kartätschen, da Sie die Frauenzimmer so wenig verschonet haben. Mit nichten! antwortete Don Pompejo, ich habe unter selbigen einige junge Leute gefunden, die etwas versprechen. Besonders gefiel mir der dicke Mann, der den ersten Minister der Dido vorstellte. Er spricht und spielt Natur, und so machen es unsere Lissabonschen Acteurs. Wenn Sie mit dem zufrieden sind, sagte Segiar, so muß Sie der, der die Rolle des Aeneas hatte, bezaubert haben. Schien er Ihnen nicht ein großer Acteur? Ein recht origineller Schauspieler? Ein großes Original, antwortete der Kunstrichter; er hat Töne, die bloß ihm eigen, und die nicht wenig schneidend sind. Fast nie bleibt er in den Schranken der Natur; er kollert Stellen heraus, worin Sentiment liegt, worauf der Sinn beruht, und andere dehnet er auf's ekelhafteste aus, sogar Bindewörter. Er hat mich außerordentlich belustiget, und zumahl, wenn er seinem Vertrauten entdeckt, wie höchst peinlich es ihm wird, seine Prinzessinn zu verlassen. Komischer läßt sich der Schmerz wohl nicht ausdrücken.

Still, still, lieber Vetter! fiel Don Alexo ein, Du möchtest uns endlich auf den Wahn 133 bringen, daß der Portugiesische Hof nicht den feinsten Geschmack habe. Weißt Du wohl, daß der Acteur eine Zierde unsers Theaters ist? Hörst Du nicht, wie er beklatscht wurde? Und das beweist doch . . . .

Soviel wie gar nichts, unterbrach ihn Don Pompejo. Wer wird sich an das Klatschen des Parterr's kehren. Je elender der Acteur, je mehr beklatschet ihn gemeiniglich der Pöbel im Parterre. Afterverdienst blendet insgemein mehr als wahres Verdienst, wie uns dieß Phädrus in einer sinnreichen Fabel lehret. Erlauben Sie mir, meine Herren, sie Ihnen zu erzählen.

In einer gewissen Stadt hatten sich alle Einwohner auf einem großen Platze versammelt, um die Pantomimen spielen zu sehen. Einer von ihnen wurde jeglichen Augenblick beklatschet. Dieser Gaukler wollte am Ende des Schauspiels noch ganz etwas Neues anbringen. Er erschien allein auf dem Schauplatze, bückte sich, hüllte den Kopf in seinen Mantel, und fing an zu grunzen wie ein Spanferkel. Er macht' es so natürlich, daß jedermann glaubte, er habe wirklich eins unter seinen Kleidern. Man rief ihm zu: Mantel und Rock auszuschütteln. Er that's, indes kam nichts zum Vorschein. Die Versammlung klatschte sich die Hände ganz wund, brach in den tobendsten Beyfall aus. Ein Bäuerlein, das sich unter den Zuschauern befand, verdrossen 134 diese Aeußerungen der Bewunderung. Ihr gabt Unrecht, Ihr Herren, rief er, auf den Hanns Narrn da so große Stücke zu halten. Er macht seine Sachen lange nicht so gut, wie Ihr Euch einbildet. Ich kann weit besser grunzen wie er. Und glaubt Ihr mir's nicht, so kommt morgen um eben die Zeit wieder hieher.

Das Volk, von dem Pantomimen eingenommen, fand sich des folgenden Tages in weit größerer Anzahl ein; mehr um den Bauer auszupfeiffen, als um seine Geschicklichkeit zu hören. Die beyden Nebenbuhler erschienen auf der Scene. Der Gaukler begann, und ward noch mehr beklatschet, als das vorigemahl. Hierauf bückte sich der Landmann gleichfalls, und in seinen Mantel gehüllt, zupft' er ein wirkliches Schwein, welches er unterm Arme hatte, in die Ohren, das denn ein durchdringendes Geschrey ausstieß. Indeß ermangelte die Versammlung nicht, dem Pantomimen den Preis zu erkennen, und das Bäuerlein auszuspotten und zu zischen. Husch zog er sein Ferkel hervor, zeigte es den Zuschauern und sagte: Ihr pfeift nicht mich aus, meine Herren, sondern das Ferkel selbst. Seht, was Ihr für Richter seyd.

Vetter, sagte Don Alexo, deine Fabel hat ziemlich viel Beissendes! Dennoch werden wir, trotz Deinem Spanferkel, nicht anders Sinnes werden. Und nun von etwas anderm! Mir ist die Materie schon ekel. Du reisest also 135 morgen fort, so gern ich Dich auch länger besitzen möchte?

Könnt' ich, so verweilt' ich gern hier länger, antwortete sein Anverwandter; so aber ist mir's unmöglich. Eine Staatsangelegenheit hat mich, wie gesagt, an den hiesigen Hof geführet. Gestern sprach ich bey meiner Ankunft den ersten Minister. Morgen früh mach' ich ihm noch einmahl meine Aufwartung, und dann gleich auf, und wieder nach Lissabon. Du bist also ganz Portugiese geworden, sagte Segiar, und möchtest Dich wohl nie in Madrid niederlassen?

»Schwerlich, lieber Vetter; ich habe das Glück, von dem Könige von Portugal geliebt zu werden; lebe an seinem Hofe äußerst vergnügt. So viel Gnade indeß dieser Monarch für mich hat, so hab' ich dennoch – solltet Ihr's wohl glauben? – auf dem Punct gestanden, seine Staaten auf ewig zu verlassen.« Und durch welchen Zufall, sagte der Marques? Ich bitte, erzählen Sie's uns doch. »Von Herzen gern; meine Lebensgeschichte ist in diesem Vorfalle zugleich mit enthalten.« 136

 


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